Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 58. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch drei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Einen halbrunden Geburtstag feierten am 22. Oktober Herr Kollege Prof. Dr. Winfried Bausback und am 26. Oktober Frau Kollegin Ulrike Gote.
Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.
Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der CSU-Fraktion "Opferschutz vor Täterschutz Sicherungsverwahrung effizient und rechtssicher gestalten"
In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit der Redner dieser Fraktion zu sprechen.
Nachdem ich die Regeln in Erinnerung gerufen habe, hat als erster Redner der Kollege Dr. Florian Herrmann das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, ich glaube - - Herr Kollege Vizepräsident, geben wir dem jungen Kollegen Dr. Herrmann die Chance, seine Ausführungen unbeeinflusst und ungestört vortragen zu können!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, wenn Sie guter Laune sind, aber das Thema, um das es in unserer Aktuellen Stunde geht, ist kompliziert, ernst und wichtig. Aus diesem Grund möchte ich vorweg die klare Botschaft stellen: Wenn wir über "Sicherungsverwahrung - effizient und rechtssicher gestalten" sprechen, dann gilt der Grundsatz "Opferschutz vor Täterschutz!".
Im Mittelpunkt steht die Verhinderung von Straftaten durch Rückfalltäter. Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten muss absoluten Vorrang haben. Wir haben hier kein kriminologisches Seminar abzuhalten, sondern wirksame und effiziente Regelungen zu diskutieren. Prävention ist immer ein wichtiges Anliegen, jedoch gerade bei der Problematik der Wiederholungs- und Rückfalltäter ist die Gefahr, die von diesen Täterinnen und Tätern ausgeht, vor allem im Zusammenhang mit Gewalt- und Sexualstraftaten bekannt. Das heißt: Gerade hiervor darf der Gesetzgeber die Augen nicht verschließen. Die CSU steht dafür, klare Kante zu zeigen und den Richtern und Gutachtern, die im Endeffekt zu entscheiden haben, ein zuverlässiges rechtliches Instrumentarium an die Hand zu geben. Das bewährte System der Sicherungsverwahrung ist unverzichtbar und muss aufrechterhalten bleiben.
Die heutige Diskussion ist notwendig geworden, weil die Entscheidungen der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Dezember 2009 und endgültig im Mai 2010 zum Teil eine Neuregelung erforderlich gemacht haben und weil das Thema ohnehin auf der Agenda der christlich-liberalen Koalition in Berlin stand. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, einen nach wie vor hochgefährlichen Straftäter in Freiheit zu entlassen, war ein schwerer Rückschlag für
Jedoch nützt es nichts, weiterhin über Gerichtsurteile zu diskutieren, denn es gilt: Roma locuta, causa finita.
Die Menschen erwarten hingegen einen effektiven Schutz vor gefährlichen Sexual- und Gewalttätern. Deshalb kann es nicht in Betracht kommen, die circa siebzig bundesweit von der Entscheidung potenziell betroffenen hochgefährlichen Sexual- und Gewaltstraftäter nunmehr pauschal freizulassen. Unabhängig von der EGMR-Entscheidung brauchen wir eine Reform der Sicherungsverwahrung, die gewährleistet, dass diese hochgefährlichen Straftäter nicht freigelassen werden, solange von ihnen noch eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.
Aus diesem Grund bin auch ich der Staatsregierung, insbesondere der Staatsministerin der Justiz, dafür dankbar, dass sie sich energisch dafür eingesetzt hat, die notwendigen Schritte für eine Neuregelung auf Bundesebene zu einzuleiten. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundes enthält folgende Änderungen: Konsolidierung der primären Sicherungsverwahrung, Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, Stärkung der Führungsaufsicht durch die Einführung einer neuen Weisung, welche die elektronische Fußfessel enthält, sowie die Schaffung eines Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter, mit denen die sogenannten Altfälle geregelt werden können, also die Fälle, die aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entlassen werden müssten oder schon mussten.
Sicherungsverwahrung und Führungsaufsicht spielen als Maßregeln der Besserung und Sicherung eine wesentliche Rolle bei der Verhinderung von Rückfalltaten. Besondere Bedeutung für die Verhinderung schwerer Wiederholungstaten hat vor allem das Recht der Sicherungsverwahrung. Es bestimmt, unter welchen Voraussetzungen gefährliche Straftäter nach vollständiger Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe zum Schutz der Allgemeinheit weiterhin verwahrt werden dürfen. Der Anwendungsbereich dieser Möglichkeiten wurde seit dem Jahre 1998 in mehreren Stufen - 2002 und 2004 - stark ausgeweitet.
Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen kann es in besonderen Konstellationen dazu kommen, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung ausscheidet, obwohl sie angezeigt wäre.
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht daher eine grundlegende Überarbeitung des Rechts der Sicherungsverwahrung auf Bundesebene vor. Ziel ist die Schaffung eines Systems, das einen angemessenen
Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern ermöglicht, dabei aber auch die rechtsstaatlichen Anforderungen an dieses letzte, weil härteste Mittel der Kriminalpolitik wahrt. Dabei muss klar sein: Maßregeln der Besserung und Sicherung richten sich anders als das Strafmaß nicht nach der Schuld des Täters, sondern nach dessen Gefährlichkeit. Sie können ihn daher auch besonders hart treffen, weil eventuell ein lebenslanges Wegsperren möglich ist. Aufgrund seiner Gefährlichkeit kann er gerade durch Wiederholungstaten das zufälligerweise gegriffene Opfer besonders schwer treffen. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Hier muss der Gesetzgeber aktiv werden.
Der vorrangige Zweck der Führungsaufsicht besteht darin, durch Maßnahmen der Betreuung und Überwachung eine erneute Straffälligkeit des Täters nach dessen Entlassung aus der Strafhaft zu vermeiden. Vor besonderen Anforderungen steht die Führungsaufsicht. Das gilt erst recht, wenn zu befürchten ist, dass erneut schwere Straftaten, insbesondere schwere Gewalt- oder Sexualdelikte, begangen werden. Dies kann aktuell vor allem bei Verurteilten angenommen werden, die aufgrund des seit dem 10. Mai 2010 endgültigen Urteils des EGMR entlassen werden müssen, obwohl von ihnen durchaus noch konkrete Gefahren ausgehen, erhebliche Straftaten zu wiederholen oder neue zu begehen.
Um solchen Gefahren besser zu begegnen, sollen die Möglichkeiten der Führungsaufsicht um das Instrument der so genannten elektronischen Fußfessel erweitert werden, was ich begrüße. Es muss aber auch klar sein, dass die Fußfessel nur überwacht und weder therapiert noch den Straftäter zurückhält, sich Opfern zu nähern. Trotzdem ist die Einführung dieser Möglichkeit richtig.
Wir sind außerdem froh darüber, dass in den Entwurf des Bundes einige der zentralen Forderungen der CSU, insbesondere die Regelung für die gefährlichen Täter, die entlassen werden müssen, also für die Altfälle, eingeflossen sind. Dadurch wurde der Gesetzentwurf entscheidend verbessert. Trotzdem ist der derzeitige Entwurf nicht rundum befriedigend. Wir bedauern insbesondere den Wegfall der nachträglichen Sicherungsverwahrung, weil dies Sicherheitslücken schafft. Allerdings wird diese Lücke zum Teil durch die Ausweitung der Möglichkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung kompensiert, die bisher in der Praxis ein stumpfes Schwert war. Durch verschiedene Änderungen wurde dieses Instrument zu einem scharfen Schwert.
Diese Möglichkeit ist kein vollwertiger Ersatz für die nachträgliche Sicherungsverwahrung, stellt aber in
der Praxis eine deutliche Verbesserung dar. Außerdem ist es ein Erfolg der CSU, dass die sogenannte Rückfallverjährung nach § 66 Absatz 4 Satz 3 StGB für Sexualstraftäter von fünf auf zehn Jahre verlängert wird. Die Beschränkung auf Sexualdelikte und die Verlängerung der Rückfallverjährung auf lediglich zehn Jahre ist ein Kompromiss, den wir allerdings tragen können.
Durch das Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter wird eine Regelung für die Altfälle geschaffen. Es ist ein Erfolg der CSU, dass diese Regelungen durchgesetzt werden konnten, weil damit die große Zahl der sogenannten Parallelfälle erfasst wird. Wenn Bayern diese Regelung nicht durchgesetzt hätte, müssten wir uns damit abfinden, dass gefährliche Straftäter mit Wiederholungsneigung herumliefen. Dies können wir nicht wollen und dies wollen wir nicht. Durch den Einsatz Bayerns auf Bundesebene ist dieser unerträgliche Zustand beendet worden. Insbesondere konnte entgegen der ursprünglichen Absicht des Bundesjustizministeriums durchgesetzt werden, dass auch bei Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen eine Unterbringung möglich ist. Dies ist ein zentraler Punkt. Ich bin Frau Staatsministerin Dr. Merk sehr dankbar dafür, dass sie diese klare bayerische Linie durchgesetzt hat.
Auch im Hinblick auf Verfahrensfragen, durch die häufig klare gesetzliche Regelungen aufgeweicht oder unterlaufen werden, konnten überzogene Anforderungen des BMJ entschärft werden. Somit kann sichergestellt werden, dass die sogenannten Altfälle wieder hinter Schloss und Riegel kommen. Es wird nämlich auch in Zukunft Fälle geben, bei denen sich erst während der Haftzeit herausstellt, dass ein Täter trotz aller Anstrengungen nicht resozialisierbar ist und eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.
Um es noch einmal klar zu sagen: Mir wäre es lieber gewesen, wenn die nachträgliche Sicherungsverwahrung beibehalten worden wäre. Das Urteil des EGMR hätte die Abschaffung dieses Instruments nicht erzwungen. Durch die Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung haben wir jedoch Möglichkeiten, um die Gefahren in der Praxis wirksam zu bekämpfen und sicherzustellen, dass die Bevölkerung vor gefährlichen Rückfalltätern effektiv geschützt wird. Nur darauf kommt es an.
mich, aus welchen Motiven die CSU Anträge einbringt oder das Thema einer Aktuellen Stunde bestimmt. Diese Frage drängt sich auf. Herr Kollege Dr. Herrmann, insbesondere frage ich mich, was die eigentliche Stoßrichtung Ihrer Ausführungen ist. Wollen Sie damit uns treffen, die Opposition im Bund und im Land, oder wollen Sie möglicherweise die Bundesjustizministerin und Ihren Koalitionspartner im Bund und im Land treffen?
Ich möchte einmal versuchen, die Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen: Tatsache ist, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hat, dass die rückwirkende Anwendung des § 67 d Absatz 3 des Strafgesetzbuchs nach der Streichung der zeitlichen Begrenzung der Sicherungsverwahrung gegen die Konvention verstößt. Meine Damen und Herren, diese Gesetzesänderung stammt vom Januar 1998. Sie wurde also zu einer Zeit vorgenommen, als CDU und FDP dieses Land regiert haben. Es war auch eine Entscheidung der damaligen schwarz-gelben Regierung, die in Europa nicht gehalten halt. Das ist eine Tatsache.
Später, als Rot-Grün regiert hat, wurde die Sicherungsverwahrung auf ständiges Drängen der Zeitung mit den ganz großen Buchstaben und mit Schützenhilfe der CSU ausgeweitet. Es wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt und sogar die Möglichkeit geschaffen, für Jugendliche und Heranwachsende eine Sicherungsverwahrung anzuordnen.
Ich stelle fest: Zu Zeiten von Rot-Grün wurde die Möglichkeit geschaffen, in einigen Fällen - es waren nicht viele - eine nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. Jetzt ist Schwarz-Gelb im Bund dabei, die nachträgliche Sicherungsverwahrung abzuschaffen. Das hätten Sie bei Ihren tränenreichen Ausführungen über die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit vor Gewalttätern zu schützen, dazusagen sollen. Wir unterstützen im Übrigen dieses Anliegen.