Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 78. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch Glückwünsche aussprechen: Zur Wiederwahl gratuliere ich dem Vorsitzenden der Fraktion der SPD, Herrn Kollegen Markus Rinderspacher.
Die neugewählten Stellvertreter, die Kolleginnen Inge Aures und Natascha Kohnen, sowie Herrn Kollegen Volkmar Halbleib beglückwünsche ich zu Ihrer Wahl.
Ebenso gratuliere ich Herrn Kollegen Harald Güller zur Wiederwahl in das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers.
Ich wünsche Ihnen im Namen des Hohen Hauses und persönlich alles Gute sowie viel Erfolg für die parlamentarische Arbeit.
Ministerbefragung gem. § 73 GeschO auf Vorschlag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN "Nachsteuern bei den Prüfungsstandards beim G 8-Abitur: Scheitern des Feldversuchs G 8?"
Für die Beantwortung ist der Staatsminister für Unterricht und Kultus zuständig. Ich darf den Herrn Staatsminister an das Redepult bitten.
(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, um es vorweg klar zu sagen: Es ist richtig gewesen, dass verhindert worden ist, dass Schülerinnen und Schüler in großer Zahl das Abitur nicht bestehen. Die Schülerinnen und Schüler des ersten G-8-Jahrgangs hatten bei dem ungereimten Versuch, das G 8 einzuführen, ohnehin die Rolle von Versuchskaninchen und mussten viele Probleme bestehen. Es wäre ein großer Fehler gewesen, wenn sie durch das Nichtbestehen des Abiturs teuer hätten bezahlen müssen. Klar ist auch: Eine höhere Durchfallerquote ist für die Staatsregierung ein politisches Fi
Am vergangenen Mittwoch um 12 Uhr, einen Tag vor der Notenvergabe - die Prüfungsarbeiten waren korrigiert, die Statistik erstellt -, ließ das Kultusministerium den Schulen mitteilen, der Standard für das Bestehen des Abiturs sei gesenkt worden. Demnach sind in den drei Kernfächern nicht mehr mindestens zweimal fünf Punkte notwendig, sondern nur noch einmal vier und einmal fünf Punkte.
Herr Minister, das war keine "Feinsteuerung", wie Sie es formuliert haben, sondern Sie sind grob in die Eisen, das heißt auf die Bremse gestiegen, um eine politische Blamage zu vermeiden. Auch der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes spricht von einem massiven Eingreifen.
Meine erste Frage: Wie lauteten die Stichprobenergebnisse im Rahmen des sogenannten Monitorings vor der Anpassung der Abiturregelung? Konkret: Wie viel Prozent der Abiturientinnen und Abiturienten hätten das Abitur nach der alten Regelung - mindestens zweimal fünf Punkte in den drei Kernfächern - nicht bestanden? Wie viele werden nach der neuen Regelung nicht bestehen, auch wenn sie in die mündlichen Prüfungen gehen? Daran schließt sich die generelle Frage an: Wieso müssen in diesem Jahr mehr Schülerinnen und Schüler durch die mündlichen Prüfungen gehen, als es früher üblich war?
Eine Frage zum Vergleich: Wie hoch ist die Durchfallerquote beim G 9 in diesem Jahr, und wie hoch waren die Durchfallerquoten in den letzten Jahren? Stimmen Sie meiner Aussage zu, dass wir eine wesentlich höhere Durchfallerquote als in den letzten Jahren verzeichnen werden? In welchen Fächern haben die Schülerinnen und Schüler vornehmlich wenige Punkte? Waren die Prüfungsaufgaben unverhältnismäßig schwer?
Die letzte Frage im ersten Teil: Warum wurde mit der Zweimal-fünf-Punkte-Regelung in Bayern - demnach sind zweimal vier Punkte, also die Note 4, nicht ausreichend - eine härtere Regelung eingeführt, als es die Kultusministerkonferenz verlangt? Bedeutet die Rücknahme dieser Regelung für Sie, dass die bayerische Regelung überzogen war und auch den Ansprüchen und dem Recht der bayerischen Schülerinnen und Schüler nicht gerecht wurde?
Zunächst möchte ich allen Schülerinnen und Schülern, die ihr Abitur bestanden haben, noch einmal herzlich gratulieren. Das achtjährige Gymnasium ist erfolgreich ins Ziel gekommen. Wir haben diesen Prozess, der in der jüngeren Bildungsgeschichte des Freistaates Bayern einmalig ist, mit dem strategischen Ansatz der Steuerung und unter Berücksichtigung von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung begleitet.
- Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem neuen Sprecherposten, Herr Pfaffmann. Viel Erfolg bei Ihrem bildungspolitischen Engagement!
Wir in Bayern haben diesen Prozess mit den Instrumentarien der empirischen Bildungsforschung begleitet. Ziel ist es, die Chancen auch für den Schülerjahrgang, der zum ersten Mal den neuen Weg des achtjährigen Gymnasiums geht, zu wahren. Ich betone: Wir haben es mit dem singulären Umstand zu tun, dass ein neues System gefahren wird.
Im Rahmen des Monitorings wurden Probleme identifiziert und öffentlich benannt. Daraufhin wurde ihre Relevanz geprüft: Sind es Einzelfallprobleme oder sind es Probleme mit landesweiter Relevanz, die anders angegangen werden müssen? Im Einzelfall wurde mit entsprechenden Regelungen nach- bzw. feingesteuert.
Das von uns gewählte Verfahren macht uns politisch angreifbar; dessen sind wir uns bewusst. Solche Angriffe gibt es tatsächlich in diesen Tagen. Unser Ziel ist es, an bestimmten, von uns definierten Punkten auf dem Weg vom Konzept in die Praxis nachzusteuern, damit Änderungen noch für den Schülerjahrgang, der zum ersten Mal den neuen Weg geht, unmittelbar wirksam werden. Hätten wir eine andere Strategie eingeschlagen - etwa nur eine Evaluation im Nachgang; diese erfolgt ohnehin - und Änderungen vorgenommen, die erst für das zweite und die Folgejahre wirksam geworden wären, hätte sich der Vorwurf - er ist heute wieder aufgeschienen -, der erste Jahrgang müsse sich als Versuchskaninchen betrachten, als gerechtfertigt erwiesen. Genau dem wirken wir entgegen.
Wie ist nun die Situation? Grundlage dieser Erhebung ist jetzt eine weitere Monitoringrunde nach dem entsprechenden Abiturverlauf bzw. in der Phase, in der die mündliche Prüfung nachgeholt wird; wir konnten 91 Gymnasien abfragen; das ist ein knappes Drittel.
Diese Abfrage umfasst 8.000 Schüler. Das ist ein knappes Viertel der jungen Menschen, die jetzt ihre Abschlussprüfung geschrieben haben. Wir kommen dabei auf einen Abiturdurchschnitt zwischen 2,2 und 2,3, der deutlich über dem langjährigen Mittel von 2,41 liegt. Und wir können einen Anstieg der Zahl derjenigen jungen Menschen, die die Abiturprüfung mit einer Note zwischen 1,0 und 1,5 abgelegt haben, um etwa 40 % feststellen. Dagegen hat die Zahl der Pflichtwiederholer bis zum Abitur fast um die Hälfte abgenommen. Die Zahl der jungen Menschen, die einen Schulartwechsel vollzogen haben, hat sich von knapp 5 % auf 3,5 % reduziert, und die Zahl der Schüler, die von der fünften bis zur zwölften Klasse, also die gesamte Zeit ihrer Schullaufbahn, bis zum Abitur am Gymnasium, in diesem Bildungsgang verblieben sind, hat sich von 60 % auf 72 % erhöht. Das sind die Kerndaten für das achtjährige Gymnasium.
Dass natürlich auch die Oberstufe und vor allem die neue Abiturprüfung Teil dieses Monitoringprozesses sind und sein werden und dass dieser Monitoringprozess, das heißt dieses begleitende Nachfragen, das Identifizieren von Fragestellungen und gegebenenfalls das Nachsteuern, auf die Zeit bis zur Überreichung der Abiturzeugnisse ausgerichtet ist, habe ich immer wieder betont. Zuletzt geschah dies öffentlich in Pressemitteilungen, nachdem wir die Ergebnisse des G 9 vorstellen konnten.
Wir haben das getan, weil die jungen Menschen im Verlaufe einer neu angelegten Abiturprüfung - Fünffächerabitur, drei davon verpflichtend usw. - einen Anspruch haben, zu erfahren, wie diese Konzeption in der Praxis ankommt.
Wir haben zum erstmöglichen Zeitpunkt Stichproben gezogen. Das war am 30. Mai. Diese Stichprobe basierte auf den Angaben von 16 Gymnasien mit etwa 800 Schülern aus allen acht Aufsichtsbezirken.
Dabei zeigten sich zwei Tendenzen: zum einen, wie ich bereits angesprochen habe, eine deutliche Zunahme der jungen Menschen mit hervorragenden Abiturergebnissen zwischen 1,0 und 1,5, und zum anderen eine zweite Tendenz, nämlich eine Auffälligkeit im Umgang mit der Anforderung, die Mindestpunktzahl, nämlich dreimal fünf Punkte zu erbringen, davon zweimal im Kernfachbereich. Das stellte für manche junge Menschen ein Problem dar, auch wenn sie im Übrigen die dreimal fünf Punkte erreichten.
Daraufhin habe ich folgende Feinsteuerung vorgenommen - und dafür übernehme ich ausdrücklich die politische Verantwortung -, dass die jungen Menschen auf diesem Weg, wenn das Konzept in die Praxis umgesetzt wird, ihre Chance wahrnehmen können müs
sen: Es bleibt bei den dreimal fünf Punkten als Mindestpunktevoraussetzung, um das Abitur erfolgreich zu bestehen. Es bleibt darüber hinaus bei jeder Note so, wie sie korrigiert und gegeben wurde; an keiner Stelle und in keinem einzigen Fall gibt es Eingriffe in die Notengebung, anders als zum Beispiel in Schleswig-Holstein oder in Nordrhein-Westfalen.
Pflichtvoraussetzung ist, dass diese dreimal fünf Punkte in den fünf Fächern erbracht werden, davon einmal in einem der drei verpflichtenden Kernfächer das ist KMK-Status - und darüber hinaus in einem weiteren der Pflichtfächer vier Punkte; das ist eine Vier minus. Das geht über den KMK-Status hinaus. Alle anderen Prüfungsanforderungen mit der 100Punkte-Regelung usw. bleiben in vollem Umfang wirksam.
Das heißt also, wir haben auf das Phänomen reagiert, erstens, dass sich eine größere Spreizung im Leistungsspektrum zeigte als in den Regeljahrgängen zuvor. Das war übrigens aus den Monitoring-Ergebnissen der Halbjahresauswertung, die wir auch erstmals vorgenommen hatten, in dieser Weise nicht ersichtlich. Sie haben die Unterlagen; wir haben Ihnen die Monitoring-Ergebnisse des Halbjahres für die wichtigsten Fächer heute vorgelegt. Diese Spreizung war, wie gesagt, in dieser Form nicht ersichtlich.
Ein zweites Phänomen ist Folgendes. Ein großer Teil der jungen Menschen hat zwar die Voraussetzungen erfüllt, aber eben nicht in der Konstellation mit zweimal fünf Punkten im Kernfachbereich. Und das ist jetzt genau das Thema: Um diesen jungen Menschen, die dreimal fünf Punkte, davon mindestens einmal in einem Kernfach, als Mindestanforderung erreicht haben, und die damit nach KMK-Standard die Abiturprüfung bestanden haben, zu helfen, habe ich entschieden, sie nicht mehr in die mündlichen Nachprüfungen zu schicken. Das hat mit Chancengerechtigkeit zu tun. An diesem Punkt habe ich nachgesteuert. Das hat an keiner Stelle etwas mit der Absenkung der Abiturprüfungsanforderungen zu tun. Wir gehen mit den Mindestanforderungen der dreimal fünf Punkte, davon einmal im Pflichtfachbereich, in vollem Umfang des KMK-Rahmens voran. Wir bleiben dabei an dem Punkt, dass in einem zweiten Kernfach oder festgelegten Pflichtfach mindestens vier Punkte zu erreichen sind, ein Stück weit über den KMK-Anforderungen.
Wir gehen diesen Prozess ganz bewusst. Ich konnte Ihnen die von mir eingangs vorgetragenen Ergebnisse so darlegen, weil wir in der laufenden Abiturprüfung Monitoringstichproben gezogen haben. Es war aus meiner Sicht zwingend notwendig, für diese Schülerinnen und Schüler ein Konzept, das in die Praxis
übertragbar ist, zu zentrieren, um ihnen die gleichen Chancen auf ein erfolgreiches Abitur zu geben, wie sie für den G-9-Jahrgang in den 30 Jahrgängen zuvor bestanden.
Das verstehe ich unter bildungspolitischer Verantwortung und unter Wahrnehmung der Verantwortung, mit einer solch wichtigen Weichenstellung den achtjährigen Jahrgang erfolgreich ins Ziel zu bringen.
Auf die Frage nach den Zahlen von alter und neuer Regelung kann ich Ihnen noch keine abschließende Antwort geben, denn die Prüfungen laufen noch. Sie wissen, dass die mündlichen Prüfungen für das Bestehen des Abiturs bis zum Freitag angelegt sind. Sobald die Zahlen endgültig vorliegen und umfassend dokumentiert sind, werden wir sie Ihnen darlegen.
Die durchschnittliche Wiederholerquote im G 9 liegt bei 1,1 %. Die Wiederholerquote des letzten G-9Jahrganges liegt bei etwa 1 %.
Ich kann Ihnen die Prognose bieten, dass wir davon ausgehen, dass gut 2 % der jungen Menschen des G 8 eine Wiederholung machen müssen. Aber diese Zahlen kann ich mit den jetzt zur Verfügung stehenden empirischen Unterlagen noch nicht so abstützen, dass man sie als endgültig belastbar ansehen könnte.
Auch die Frage, wie viele es gewesen wären, wenn wir diese Feinsteuerung nicht vorgenommen hätten, kann ich Ihnen noch nicht mit einer validen Prozentzahl beantworten, weil ich dafür die Endergebnisse der Abiturprüfung benötige.
Danke schön, Herr Staatsminister Dr. Spaenle. Herr Kollege Gehring, Sie haben das Recht zur ersten Nachfrage. Bitte sehr.
(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Minister, ein Wort zu Ihrer Bemerkung, Sie hätten das G 8 erfolgreich ins Ziel gebracht. Das kann man so nicht stehen lassen. Ich halte diese Aussage für hochgradig übertrieben. Nach meiner Meinung ist ein sehr holpriges G 8 zum ersten Durchlauf gekommen. Sie haben selbst die ganzen Probleme deutlich gemacht, die nach wie vor bestehen.
Ein Thema, dem wir uns sicherlich widmen müssen, ist die Leistungsspreizung, von der Sie gesprochen haben. Hier ist nach den Konsequenzen zu fragen und es stellt sich auch die Frage nach den unterschiedlichen Durchschnittsnoten im Vergleich zum G 9. Auch müsste man hier überlegen, woran das liegt, ob man das ändern wollte und wie man Bildungsgerechtigkeit herstellen kann.
Ich finde, nach dieser Prüfung sind die Probleme der Konzeption der Einführung des G 8 noch einmal ganz deutlich geworden. Es reicht nicht, das Schuljahr einfach nur zu verkürzen und die Schule weiter im Halbtagsbetrieb zu führen. Es hat viele Ungereimtheiten auch für die Lehrkräfte gegeben, und die Umstellung der Lehrpläne auf die Kompetenzorientierung ist durchaus noch nicht gelungen. Darüber hinaus ist der Zielkonflikt, ob die Lehrpläne von inhaltlicher Breite oder Tiefe geprägt sind, noch nicht gelöst. Vielleicht können Sie meinen Eindruck bestätigen, dass hinsichtlich des Stoffes in der Breite unterrichtet wird, weil man möglichst viel machen muss, bei der Prüfung dann aber in der Tiefe geprüft wird und daran zumindest ein Teil der Schülerinnen und Schüler scheitert. Wir müssen das Prüfungsniveau in Bayern generell hinterfragen. Ist es wirklich im Interesse der bayerischen Schülerinnen und Schüler, wenn sie härtere Bedingungen als Schülerinnen und Schüler in anderen Bundesländern haben? Darf ich Ihre Aussagen zur Absenkung der Fünf-Punkte-Regelung in zwei Fächern so verstehen, dass das jetzt generell auch in Zukunft so gemacht wird?