Protocol of the Session on June 28, 2011

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 79. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese wurde wie immer vorweg erteilt. Es ist sichtbar hier im Hohen Hause: Hörfunk und Fernsehen des Bayerischen Rundfunks übertragen die Regierungserklärung des Bayerischen Ministerpräsidenten und natürlich auch die anschließende Aussprache live. Darüber freuen wir uns. - Das ist der Bayerische Rundfunk. Andere Länder und auch der Deutsche Bundestag klagen darüber, dass dem bei ihnen nicht so ist. Ich meine, man sollte auch einmal anerkennende Worte sagen. Nicht wahr, Herr Fraktionsvorsitzender Rinderspacher?

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich zunächst Glückwünsche aussprechen: Wir hatten wieder einige Geburtstage. Jeweils einen runden Geburtstag feierten am 16. Juni Herr Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle - herzlichen Glückwunsch im Nachhinein, Herr Staatsminister

(Allgemeiner Beifall)

und am 22. Juni Herr Kollege Heinz Donhauser ebenso im Nachhinein herzlichen Glückwunsch. Ich wünsche beiden Gesundheit und weiterhin ein gutes Schaffen.

(Allgemeiner Beifall)

Einen halbrunden Geburtstag begingen am 11. Juni Herr Kollege Markus Reichhart und am 26. Juni Herr Kollege Thomas Mütze - ebenso herzliche Glückwünsche, Gesundheit und weiterhin viel Erfolg in der parlamentarischen Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist mir eine ganz besondere Freude, auf unserer Ehrentribüne liebenswerte Gäste zu begrüßen, und zwar aus der südafrikanischen Provinz Westkap. Ich darf Sie, Herr Minister für Kultus und Sport, Herr Dr. Ivan Meyer, und Ihre Delegation im Bayerischen Landtag sehr, sehr herzlich willkommen heißen.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Minister, Sie halten sich mit Ihrer Delegation bereits seit mehreren Tagen zu politischen Gesprächen in Bayern auf. Auf Regierungsebene bestehen mit der südafrikanischen Provinz Westkap bereits sehr enge Beziehungen. Ihr heutiger Besuch im Bayerischen Landtag ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass ein

gutes und intensives Miteinander auf parlamentarischer Ebene stattfindet. Ich freue mich ganz besonders, dass im kommenden November der parlamentarische Austausch durch den Besuch des Ausschusses für Fragen des öffentlichen Dienstes unter der Leitung von Frau Kollegin Ingrid Heckner in Südafrika weiter intensiviert und fortgesetzt werden kann.

(Allgemeiner Beifall)

Noch einmal herzlich willkommen!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir treten nun in die Tagesordnung ein.

(Unruhe)

Ich darf um etwas mehr Ruhe bitten, auf allen Seiten des Hauses, wohlgemerkt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten "Mit Energie in die Zukunft. Aufbruch Bayern"

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die apokalyptischen Bilder aus Japan und Fukushima und das Leid der Menschen nicht mehr täglich in den Nachrichten erscheinen, so haben Sie sich doch bei vielen Menschen und auch bei mir persönlich ins Bewusstsein gebrannt. Man muss heute noch einmal daran erinnern, dass Zehntausende von Menschen evakuiert wurden. Im Umkreis von mindestens zwanzig Kilometern um das Kernkraftwerk ist das Land auf lange Zeit unbewohnbar. Die vier Kraftwerksblöcke sind bis heute noch nicht unter vollständiger Kontrolle. Selbst ein Hochtechnologieland wie Japan konnte eine solche Katastrophe nicht verhindern. Oft hatte man beim Ansehen der Nachrichten das Gefühl der Ohnmacht beim Umgang mit dieser Katastrophe.

Ich sage Ihnen ganz offen zu Beginn dieser Debatte: Ich schätze das Restrisiko der Kernkraft nach diesem Vorfall anders ein als noch vor einem Jahr. Ich habe meine Position verändert. Dazu stehe ich. Ein Politiker darf, ich meine sogar, er muss seine Einstellung ändern, wenn es einen neuen Erkenntnisstand gibt.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Bravo!)

Eine veränderte Bewertung ist besser als Rechthaberei.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe mich der Ethikkommission der Bundesregierung und ihren Schlussfolgerungen in jedem Punkt an. Der beschleunigte Ausstieg aus der Kernkraft und der Umstieg auf erneuerbare Energien sind machbar, wirtschaftspolitisch vertretbar und ethisch geboten.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich habe größte Hochachtung vor der Arbeit und den Beschlüssen der Ethikkommission. Sie war breit und repräsentativ besetzt. Als Ministerpräsident bin ich stolz darauf, dass zwei führende Persönlichkeiten aus Bayern in der Ethikkommission vertreten waren. Denen möchte ich besonders danken. Das sind Reinhard Kardinal Marx und unser Landtagspräsident a. D. Alois Glück, der heute auch anwesend ist. Vielen Dank für diese Arbeit!

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten haben in zwei Sitzungen im Schulterschluss eine epochale Entscheidung getroffen: Wir steigen bis spätestens 2022 um - von der Kernenergie in das Zeitalter der erneuerbaren Energien.

Bayern ist ein starkes Land; das ist bekannt. Mit dieser Kraft werden wir die Energiewende als Teil unserer Zukunftsstrategie "Aufbruch Bayern" gestalten. Wir möchten zeigen, dass sich Bayern auf dem Erfolg, den wir derzeit wirtschaftlich erleben, nicht ausruhen darf. Wer aufhört, besser sein zu wollen, der hört auf, gut zu sein. Das ist auch der Sinn unseres Programms "Aufbruch Bayern": sich für Bayern zu engagieren, für die Familien, für Bildung, für Innovation und jetzt auch für die Energiewende. Wir wollen auch beim Megathema Umwelt- und Energietechnik Nummer 1 in Deutschland und in Europa sein. Nur mit diesem Anspruch sichern wir Arbeitsplätze, Wohlstand und soziale Sicherheit in unserer Heimat.

Ich habe in den letzten zwei Tagen mit einem Großteil des bayerischen Kabinetts und der Spitze der bayerischen Verwaltung und mit vielen Beteiligten aus unserer Gesellschaft diese Energiewende besprochen. Ich möchte Sie zuallererst über diese Gespräche informieren. An den Gesprächen gestern und heute waren, wie gesagt, ein Großteil des Kabinetts beteiligt und Vertreter vieler gesellschaftlicher Kräfte. Wir haben die Bedingungen und den Fahrplan für die Energiewende und erste Maßnahmen besprochen. Uns lag sehr daran, dass wir nach dem zu erwartenden Konsens zur Gesetzgebung, jedenfalls zu großen Teilen der Gesetzgebung, in dieser Woche im Deutschen Bundestag und in der nächsten Woche im Bundesrat daran gehen, bei der Umsetzung der Energie

wende eine möglichst breite und geschlossene Zusammenarbeit in Bayern zu erreichen.

Zwar will sich nicht jeder - das haben die Gespräche gestern und heute gezeigt - unserem Tempo anschließen, aber der Konsens über das Ob ist da. Alle Gesprächsteilnehmer haben erklärt, das sei eine politisch zu verantwortende Entscheidung, sie würden diese Entscheidung respektieren und sich konstruktiv an der Umsetzung beteiligen. Diese Konstruktivität wurde nicht nur behauptet, sondern war auch kennzeichnend für die Gespräche gestern und heute Vormittag. Es ist ganz natürlich, dass bei einem so komplexen und vielschichtigen Sachverhalt die Diskussion über das Wie geführt wird, und ich finde, wir sollten diese Diskussion gerne führen. Ich will noch auf einige Punkte zu sprechen kommen. Es sind beachtliche Aufgaben und Herausforderungen, die zu bewältigen sind.

Energiewende im Dialog - dafür stehen meine Regierung, die Koalition und auch ich persönlich. Damit setzen wir die Erfolgsgeschichte von "Umweltpakt Bayern" und "Bayerischer Klima-Allianz" fort. In diesen Organisationen war der gleiche Grundgedanke der Kompass, nämlich die Energiewende gemeinschaftlich und nicht gegeneinander durchzuführen. Das Ergebnis des Gipfels ist beeindruckend. Alle Gesprächsteilnehmer - Kommunen, Wirtschaftsverbände, der Bund Naturschutz, Siemens, RWE, Eon und eine Vielzahl von Vertretern maßgeblicher, bei erneuerbaren Energien einschlägiger Verbände - sind zum Aufbruch in ein neues Energiezeitalter bereit. Alle haben konstruktive Vorschläge und Ideen eingebracht. Direkter und schneller geht kein Informationsfluss. Wir gestalten die Energiewende in Kooperation und Dialog; zu dieser Hoffnung gibt dieser Energiegipfel allen Anlass. Ich möchte heute deutlich sagen: Dieser Energiegipfel ist nur der Anfang. Weitere Treffen werden folgen.

Ich möchte als wesentliches Ergebnis festhalten: Für die vielschichtigen Probleme gibt es nur vielfältige Lösungen. Man muss nach diesen Gesprächen einmal mehr vor dem Trugschluss warnen, dass es eine allgemeingültige Generalantwort gäbe, dass man mit einem schönen Plan alle Fragen im Zuge der Energiewende lösen könnte. Dafür ist die Aufgabe zu schwierig und zu vielschichtig. Deshalb müssen wir uns zu einer anspruchsvollen und vertieften Diskussion bereit erklären.

Wenn es vielfältige Lösungen geben wird, die im Übrigen nicht staatlich verantwortet werden, dann muss die Arbeit dieser Akteure koordiniert werden, damit man voneinander weiß, rechtzeitig erkennt, wo Hindernisse bestehen, die wir schnell beseitigen müssen, und damit man sich dort einklinken kann, wo es viel

leicht besondere Probleme gibt. Wir stellen nur die Rahmenbedingungen zur Verfügung, aber die Lösungen werden im Rahmen unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und unserer sozialen Marktwirtschaft vor allem durch die Akteure der Wirtschaft, der Kommunen und der Wissenschaft entwickelt. Deshalb haben alle Teilnehmer des Energiegipfels der Gründung der Energieagentur "Energie innovativ" zugestimmt. Das ist ein Komplex, den wir in unserem bayerischen Energiekonzept im Grundsatz im bayerischen Kabinett beschlossen hatten. Wir wollten in Bayern als Beratungs-, Koordinierungs- und Informationsplattform eine Energieagentur - "Energie innovativ" - bilden, nicht als neue Behörde, sondern als Gremium, in dem die Akteure sitzen, welche die Energiewende zu begleiten und zu bestreiten haben.

Ich wäre ein entschiedener Gegner der Idee, dafür eine neue Behörde zu schaffen. Ich halte es aber für richtig, dass die Teilnehmer des Energiegipfels und auch andere - ich denke zum Beispiel an die Gewerkschaften - auch Mitglied der Energieagentur sein sollen. Wir müssen auch überlegen, wie wir dieser Energieagentur eine schlagkräftige Organisation geben, also ein Lenkungsgremium. Das wird bis Ende Juli zu leisten sein und wird unter Verantwortung der Staatskanzlei erfolgen. Unter meiner Federführung werden bis Ende Juli Antworten auf die Fragen vorbereitet werden müssen, wie die Aufgaben- und Organisationsstruktur und die Funktionsweise aussehen sollen, auch auf die Frage, ob man die Energieagentur auf Regierungsebene herunterbrechen soll, weil in den Regierungsbezirken mit sehr unterschiedlichen Ansätzen gearbeitet wird. Dann werden wir in der Koalition und im Kabinett entscheiden, und dann kann die Energieagentur ihre Arbeit aufnehmen. Das wird spätestens im September der Fall sein. Die Geschäftsstelle für diese Energieagentur wird im Wirtschaftsministerium angesiedelt sein und unter Verantwortung und Federführung des Kollegen Martin Zeil arbeiten.

(Zurufe von der SPD)

Wir werden ein- bis zweimal im Jahr - am Anfang wahrscheinlich eher zweimal, im Frühjahr und im Herbst, später, wenn sich die Dinge eingespielt haben, vielleicht nur einmal jährlich - den Energiegipfel durchführen. Das wird in der Staatskanzlei unter Vorsitz des Ministerpräsidenten geschehen. Dabei werden wir die Ergebnisse der Energieagentur - ich denke an mögliche Friktionen, also an Reibungspunkte, Nachsteuerungsbedarf usw. - beraten und beschließen.

Ich halte es für am wichtigsten, dass wir jetzt die weitere Umsetzung der Energiewende durch das Gremium begleiten und so den Wunsch aller Teilnehmer

des Energiegipfels erfüllen, dass sie ständig an den Informationen teilhaben und ständig einen Ansprechpartner haben, bei dem sie ihre Anliegen sehr schnell einbringen können. Da ist die Gesetzgebung in einer anderen Richtung wirksam, als es ursprünglich geplant war.

Ich sage ausdrücklich: Alle haben der Energieagentur zugestimmt. Alle werden sich daran beteiligen. Sie wird spätestens im September dieses Jahres voll arbeitsfähig sein.

Ich zitiere stellvertretend den Bayerischen Gemeindetag. Er hat diese Thematik in Regionalveranstaltungen beraten. Wir werden die Kommunen zur Umsetzung der Energiewende sehr stark brauchen. Viele Gemeinden und viele Vertreter kommunaler Organisationen haben uns erklärt, dass sie sich aktiv als Investor für ihre Gemeinden beteiligen wollen. 600 bayerische Gemeinden haben in Regionalveranstaltungen gesagt: Wir machen bei der Energiewende mit; wir unterstützen den Kurs der Staatsregierung.

Die Gemeinden packen beim Energiesparen mit an und verfolgen das Ziel, den Strombedarf vornehmlich durch Anlagen auf bayerischem Boden zu decken. Man kann es nicht oft genug sagen: Wir wollen nicht Stromdurchleiter und nicht Stromhändler werden, sondern möglichst viel des Stromes durch Wertschöpfung in Bayern produzieren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Der Wille zur Zukunftsgestaltung ist großartig. Alle Kräfte Bayerns wirken zusammen. Alle sind gemeinsam Macher des Umstiegs. Wir haben also Rückenwind. Die Menschen wollen - das wissen wir aus vielen Begegnungen - sichere, saubere und bezahlbare Energie, und zwar ohne Kernenergie. Die Menschen in Bayern wollen den Umstieg. Die bayerischen Unternehmen haben die Kraft und die Technik für den Umstieg.

Das hat sich gestern im Gespräch mit der Wirtschaft sehr deutlich gezeigt. Unsere Wissenschaftler haben schon lange die Technologieführerschaft für eine moderne Energieinfrastruktur, für Solartechnik, Geothermie und Biomasse. Die Menschen in Bayern wissen: Zur Energiewende gehört nicht nur der Ausstieg aus der Atomkraft, sondern auch der Umstieg, das heißt, der Ausbau von Netzen, von Photovoltaik und Windenergie, von Biomasse und Wasserkraft und der Bau neuer Pumpspeicherwerke.

Der Umstieg wird von uns allen große Anstrengungen verlangen. Aber nach meiner Begegnung mit der Bevölkerung kann ich sagen: Die große Mehrheit weiß

sehr genau, man kann nicht auf der einen Seite gegen Kernkraft demonstrieren und auf der anderen Seite den Umstieg in erneuerbare Energien boykottieren.