Protocol of the Session on March 15, 2012

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Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Parlament herrscht um diese Zeit doch eine sehr deutliche Dominanz Oberfrankens.

(Allgemeiner Beifall - Franz Maget (SPD): Unzulässig! - Gegenrufe von der CSU)

Ich eröffne die 97. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen. Am 12. März feierte Herr Kollege Kurt Eckstein einen halbrunden Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche ihm im Namen des Hauses und auch persönlich alles Gute und viel Erfolg bei der Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Das Kind im Mittelpunkt: Leistungsdruck reduzieren - neue Konzepte für das Gymnasium entwickeln"

Für die heutige Sitzung ist die SPD-Fraktion vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema "Das Kind im Mittelpunkt: Leistungsdruck reduzieren - neue Konzepte für das Gymnasium entwickeln" beantragt.

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.

Erster Redner für die SPD-Fraktion ist jetzt Herr Kollege Güll. Bitte schön, Herr Kollege.

Schönen guten Morgen zusammen. Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mit einer grundsätzlichen Feststellung beginnen, weil

das in der Öffentlichkeit doch immer wieder einmal falsch dargestellt wird: Die SPD will nicht zurück zum G 9.

(Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle: Zum G 8! Das haben wir gestern lesen dürfen!)

Denn das ist europäischer Standard.

Herr Güll, bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung. Sehr verehrter Herr Staatsminister, wir haben mal eine Vereinbarung getroffen, dass keine Zwischenrufe von der Regierungsbank gemacht werden dürfen. - Herr Güll, fahren Sie bitte fort.

- Der Herr Minister denkt gern einmal laut, und es ist ja auch nicht immer so qualifiziert, was er da von sich gibt. Also, das soll jeder bitte selber beurteilen.

Die SPD will aber die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellen und ihnen gegebenenfalls mehr Zeit geben, um das Abitur erreichen zu können.

Sie, Herr Staatsminister, haben noch letzten Freitag erklärt - ich darf kurz aus der Pressemitteilung zitieren:

Ich will den Schülern am Gymnasium mehr Zeit geben, um sich individuell zu entwickeln.

Am selben Tag, also am 9. März, werden Sie, Herr Minister, in der "Bayerischen Staatszeitung" mit folgenden Worten zitiert:

Das bayerische Gymnasium in seiner achtjährigen Form ermöglicht es, Schüler gut individuell zu fördern und sie auf ein späteres Hochschulstudium oder den Beruf zielgerichtet vorzubereiten. Eine Rolle rückwärts zu machen - in Richtung G 9 - schadet Schülern, Lehrkräften und Eltern. Einen solchen Vorschlag zu unterbreiten, wie es jüngst zwei SPD-Politiker taten

- Anmerkung von mir: Herr Oberbürgermeister Christian Ude und meine Person -,

ist unpraktikabel. Dieser Vorschlag basiert auf mangelnden Kenntnissen über den Alltag an den Gymnasien und muss bei den Schulen zu einem pädagogischen und organisatorischen Schulchaos führen - zum Leidwesen der Schulfamilien.

So Ihre wörtlichen Ausführungen.

Ja, was nun, Herr Spaenle? G 8 oder nicht G 8, Änderung oder nicht Änderung? Was ist also Ihre Absicht?

Ich zitiere noch einmal. Sie schreiben:

Ich möchte den Schülern bei Bedarf mehr Zeit geben, nicht aber der Laufzeit des Gymnasiums als Ganzes.

Und das Problem kommt dann im Nachsatz:

Das achtjährige Gymnasium bleibt in seiner Grundkonzeption unverändert. Unsere Schulen benötigen nach der Kraftanstrengung zur Einführung der neuen Form des Gymnasiums jetzt die nötige Ruhe.

Auf den Punkt gebracht: Bei Bedarf können die Schüler in der Mittelstufe also ein Wiederholungsjahr machen, aber sonst bleibt alles beim Alten.

Sie, Herr Staatsminister, und Ihr Haus ignorieren damit ganz bewusst die Sorgen und Nöte vieler Schüler, Eltern und auch Lehrer.

(Beifall bei der SPD)

Diese werden uns immer wieder in dem gleichen Tenor mitgeteilt: Das G 8 ist für viele zu viel, ich sage sogar: für zu viele zu viel, nur mit großer zeitlicher Belastung und auf Kosten der dringend notwendigen Freizeit und Erholungszeit zu schaffen. Vor allem gilt das für die Unter- und Mittelstufe.

Ein Vater schrieb mir kürzlich:

Wir haben Schultage, an denen unser Kind um sieben Uhr morgens aus dem Haus geht und abends um 18 Uhr wieder zu Hause ist, und das keineswegs in einer Ganztagsschule. Das heißt: Abends nur Hausaufgaben machen, und nicht einmal das Wochenende ist frei.

(Zuruf von der CSU)

Am Sonntag geht es schon wieder weiter los, weil am Montag ständig mit Extemporalien zu rechnen ist.

So der Bericht des Vaters.

Auf diese Belastungen gehen Sie, Herr Staatsminister, und auch Ihr Haus in dem Zwischenbericht zum ersten G-8-Jahrgang gar nicht ein. Ihre GymnasialAbteilung stellt lediglich fest - ich darf aus dem Protokoll der Sitzung des Bildungsausschusses des Landtags zitieren:

Zu den Handlungsfeldern für die Weiterentwicklung der pädagogischen und fachlichen Qualität des Gymnasiums sei zu sagen, dass nur durch eine stärkere Individualisierung des Lernange

bots den in der Gesellschaft bestehenden Disparitäten bezüglich der sozialen Herkunft, Stadt und Land usw., Rechnung getragen werden könnte.

Wichtig sei auch, dass die individuelle Förderung systematisch weiter gestärkt werde. Dem Kultusministerium liege besonders die Mittelstufe am Herzen; denn in ihr

- das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen

entfalte sich die Pracht der gymnasialen Fächer. Hier müssten die Schüler vorbereitet werden, damit sie den Anforderungen in der Oberstufe gewachsen seien.

Sie beschwören die hervorragende Wirkung der neu eingeführten Intensivierungsstunden und den erfreulichen Rückgang der Pflichtwiederholer auf 1,7 %. Anmerkung: Das sind noch immer 6.000 Kinder und Jugendliche pro Jahr.

Was ist denn eigentlich mit den Schülerinnen und Schülern, die nach der sechsten und siebten Klasse, also nach dem Beginn des Erlernens der zweiten Fremdsprache, in die Realschule wechseln? Realschulen berichten uns, dass dort komplette Klassen aufgenommen werden müssen. Was ist denn mit den Schülerinnen und Schülern, die nach der zehnten Klasse auf die FOS wechseln in der Hoffnung, dort leichter zum Abitur zu kommen? Was ist denn mit denen, die freiwillig wiederholen? Was ist denn mit denen, die nur mit Nachhilfe über die Runden kommen oder die vielleicht bereits unter extremen Stresssymptomen leiden? - Alle diese Schülerinnen und Schüler haben wir in den Blick zu nehmen, wenn wir uns darum sorgen, wie wir unseren Kindern gerecht werden.

(Beifall bei der SPD)

Viele, auch wir in der SPD-Fraktion, hätten sich damals bei der Einführung des G 8 eine Blickwende gewünscht: weg von der ständigen Bevormundung hin zum selbstverantworteten Arbeiten, weg von der Zerstückelung der Inhalte hin zu einer Sichtweise in Zusammenhängen, von der Übermacht des Kognitiven zur ganzheitlichen Erziehung und Bildung, von der Belehrung zur Begeisterung, vom Lehrer als Macher zum Begleiter und Berater. Nichts davon ist eingetreten. Von einer Schulreform kann also wirklich keine Rede sein, sondern nur von marginalen Änderungen am Lehrplan - mehr war es nicht. Aber das reicht nicht. Wir brauchen eine Neuorientierung im Gymnasium.

Die Hilflosigkeit Ihres Hauses kam in der letzten Woche zum Ausdruck. Am Donnerstag tagte der Bildungsausschuss. Dort hatten wir einen Antrag eingebracht, dass die Staatsregierung ein Konzept entwickelt, wie man eine flexible Schulzeit ermöglichen kann. Sie von den Fraktionen der CSU und der FDP haben gesagt, das alles brauche es nicht, da gebe es keinen Bedarf. Auch das Haus hat gesagt: Das Gymnasium braucht das alles nicht. Es ist alles gut. - Sie werfen uns Dilettantismus vor. Aber wie nennt man das bei der Staatsregierung, wenn am nächsten Tag, also über Nacht, die Erleuchtung kommt? Wir lasen nämlich am nächsten Tag in der Zeitung und bekamen aus Ihrer Pressekonferenz mitgeteilt, dass eine Schulzeitverlängerung offensichtlich doch möglich ist. Bei allem Verständnis für Ruhe an den Schulen: Wenn es notwendig ist, dann muss man Veränderungen anstreben und umsetzen. Deshalb wollten wir dieses Thema in der Aktuellen Stunde behandeln.