Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Knapp elf Monate nach dem Vorliegen der Pisa-Studie, der internationalen Vergleichsstudie über die Leistungsfähigkeit der nationalen Bildungssysteme, knapp fünf Monate nach dem Bekanntwerden der deutschen Vergleichsstudie, der Studie zwischen den Bundesländern, hat der Senat der Bürgerschaft jetzt erste Antworten zur Lösung der dort aufgeworfenen Fragen vorgelegt. Ich sage schon einmal vorab: Das, was der Senat uns heute vorlegt, ist erstens ungenügend, und zweitens wird es unwirksam sein.
Ungenügend deshalb, weil es weite Teile einer notwendigen Schulreform nicht ausführt und nicht betrachtet! Es ist keine klare Aussage darüber enthalten, wie unser zukünftiges Schulsystem aussehen soll. Ungenügend auch deshalb, weil sie wichtige Felder, nämlich die Frage der Selbständigkeit der Schulen, wie das Personal künftig aus- und fortgebildet wird und welches Personal in den Schulen unterrichten soll, nur kursorisch behandelt! Note: ungenügend!
Unwirksam, das ist eigentlich der wichtigere Punkt, so vermute ich, werden diese Ergebnissen der Beratungen der großen Koalition und der Senatsberatungen deshalb sein, weil sie auf die Kernprobleme, die die Pisa-Studien für das Bildungssystem herausgearbeitet haben, nicht hinreichend eingehen. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Ich darf noch einmal an den Kernpunkt der PisaStudien erinnern. Fünfzehnjährige Schülerinnen und Schüler haben in der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt keine hinreichende Lesekompetenz, sie sind nicht gut genug in der Mathematik und verstehen nicht genug von Naturwissenschaften. Gemessen am internationalen Standard der Industriestaaten liegen die deutschen Schüler im Durchschnitt im unteren Drittel, und – das ist für Bremen so verheerend – die Bremer Schülerinnen und Schüler liegen in der Bundesrepublik wieder am Ende der Leistungsskala. Damit liegt Bremen, gemessen an anderen Staaten, weltweit fast am Ende. Das sind bestürzende Ergebnisse. Diesen Ergebnissen müssen wir uns stellen.
Der Kern, warum dies in Deutschland so ist, wird auch in den Pisa-Studien herausgearbeitet, er liegt nämlich darin, dass in Deutschland die Schüler, die aus so genannten bildungsfernen Familien kommen, wie sozial schwachen Familien, aus Migrantenfamilien und Zuwandererfamilien, besonders geringe Chancen auf einen guten Schulabschluss haben. Dass das so ist, das finde ich erst recht bestürzend.
Dies wiederum führt dazu, dass wir im Endergebnis in Deutschland auch unterdurchschnittlich wenig Schüler haben, die einen hohen Schulabschluss machen. Weder der Realschulabschluss noch die Zahl der Abiturienten entsprechen dem europäischen Durchschnitt und erst recht nicht dem Durchschnitt hoch entwickelter, in der Bildungsskala an der Spitze liegender Länder wie den skandinavischen Ländern. Bei den Abiturienten liegen wir in Deutschland deutlich unter 30 Prozent im Bundesschnitt, in Europa sind es 45 Prozent, die skandinavischen Länder liegen bei über 50 Prozent bis zu 65 Prozent in Schweden.
Das sind Maßstäbe, an denen wir künftig gemessen werden müssen. Ich sage, auf diese Probleme geht die Antwort des Senats nicht hinreichend ein, und weil sie sich diesen Problemen nicht ausreichend stellt, werden auch die Vorschläge nicht die Wirkung haben, die sie im Hinblick auf Pisa haben müssten. Andere Wirkungen können sie vielleicht haben.
Meine Damen und Herren, als die Ergebnisse der Pisa-E-Studie bekannt wurden, hat sich der Präsident des Senats in Windeseile zu Wort gemeldet und alle Schuld für das schlechte Abschneiden Bremens auf seine Schultern, und wie er dann sagte, auch auf die Schultern der Sozialdemokratischen Partei, die viele Jahre in Bremen für das Bildungsressort verantwortlich ist, geladen. Wenn ich nachrechne, sind es, glaube ich, 56 Jahre.
Ich fand das Verhalten ein bisschen vorschnell, wenn es auch den Bildungssenator vielleicht entlastet haben mag, der hier erst wenige Jahre beteiligt ist. Vorschnell fand ich es deshalb, weil es sich nicht
allein um ein sozialdemokratisches Problem handelt, sondern um ein Problem, wie man überhaupt an Bildungspolitik in den letzten Jahren herangegangen ist.
Der Fehler liegt doch nicht darin, dass eine große politische Partei wie die Sozialdemokraten, aber auch andere in den siebziger Jahren Chancengleichheit gefordert haben, also bessere Chancen für die Kinder, die aus sozial schwachen und bildungsfernen Schichten kommen, sondern der Fehler lag darin, wie mit dieser Chancengleichheit umgegangen worden ist. Es ist nämlich damit umgegangen worden, und das betrifft nicht nur die Sozialdemokraten, das betrifft viele Lehrer, Bildungsgewerkschafter, auch viele Eltern und auch die Grünen, als ob hier ein ökonomisches Problem zu lösen sei, nämlich das Problem der Umverteilung.
Aus der Einsicht, die auch vor 30 Jahren schon bestand, dass bildungsferne Familien eben nicht genügend Chancen bieten, um nach oben zu kommen, haben die Bildungspolitiker, vor allen Dingen natürlich die sozialdemokratischen Kultusminister, die Lehre gezogen, dass es darum ging, Bildungschancen umzuverteilen. Das heißt, man hat sich vor allen Dingen der Gruppe der bildungsfernen Familien und ihren Kindern zugewandt. Der ganze Rest spielte in der Schulorganisation und in der Pädagogik eigentlich keine wichtige Rolle mehr.
Ich nenne das eine ökonomische Herangehensweise, weil man Bildung nicht umverteilen kann. Bei Bildung geht es um ein individuelles Gut. Es geht darum, dass Bildung ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung ist und dass jedes einzelne Kind mit guter Bildung ausgestattet auch gute, bessere Chancen in dieser Gesellschaft hat. Das ist der Kern. Das Problem löst man nicht durch Umverteilung, sondern indem man auf alle Kinder, auf die sozial schwachen Familien und auf die anderen gleichermaßen eingeht, um das Bildungsniveau insgesamt in der Gesellschaft und in der Schule zu heben.
Diese Einsicht kann jetzt nicht umgekehrt dazu führen, dass man jetzt nur noch die Besten und die Elite fördert, sondern es geht tatsächlich, und das ist unser Credo als Grüne, um jedes Kind. Insofern, meine Damen und Herren, greift die Selbstbezichtigung von Herrn Scherf, so nett sie auch nach außen klingen mag, einfach zu kurz, weil sie uns nicht hilft, die Probleme, die wir jetzt in der Schule haben, zu lösen.
Der Vorschlag des Senats, die Antwort auf unsere Große Anfrage, löst das Kernproblem nicht, im Gegenteil, er macht klar, wenn man einmal genauer hinschaut, ich will mich jetzt nur auf dieses Kernproblem konzentrieren, nicht auf viele andere Dinge, dass man nach wie vor davon ausgeht, dass Kinder in der Schule relativ früh nach Herkunft, nach
Leistungsstand, nach Niveau sortiert werden und dass diese Kinder getrennte Schullaufbahnen in Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien einschlagen sollen. Dieser Gedanke durchzieht diese Antwort, und der Gedanke der Sortierung, ich mache das einmal an ein paar Beispielen klar, ist geradezu mit Händen zu greifen.
Ich betrachte jetzt nicht den Bereich des Kindergartens und den Beginn der Grundschule. In der Antwort des Senats stehen viele vernünftige Sachen, wie man Kinder fördert. Aber sobald die Kinder den Beginn der Grundschule verlassen haben, fängt der Gedanke der Sortierung doch schon wieder an.
Ab der dritten Klasse sollen künftig in der Grundschule verbindlich Noten erteilt werden. Heute können Eltern und Lehrer in gemeinsamer Entscheidung frei wählen, ob Noten gegeben oder ob Entwicklungsberichte über die Kinder abgegeben werden. Die Notenvergabe macht nur dann einen Sinn, wenn nach diesen Noten auch sortiert wird, und folgerichtig sollen die Lehrerinnen und Lehrer künftig auf der Grundlage der Noten der Schule entscheiden, welche Schullaufbahn die Kinder nach der Grundschule einschlagen. Die Lehrerinnen und Lehrer sollen das entscheiden, aber nicht mehr die Eltern.
Abgesehen davon, dass ich Ihnen sage, dass es noch einen Aufschrei der Eltern geben wird, wenn man ihnen dieses Recht einfach wegnimmt, ist es meiner Ansicht nach, wenn man Pisa liest, auch Unsinn, denn die Pisa-Studie hat gerade für Deutschland ergeben, dass die deutschen Lehrerinnen und Lehrer zu 75 Prozent nicht in der Lage sind, die Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler richtig zu bewerten. Gerade die sollen sortieren?
Gleichzeitig hat die Pisa-Studie ergeben, dass, wenn die deutschen Lehrerinnen und Lehrer sortieren, sie nach dem Gesichtspunkt der Homogenität von Lerngruppen sortieren, nämlich immer Schüler, die etwa eine gleich starke Leistung ihrer Meinung nach haben, auch zusammenlassen. Das führt geradezu zu dem, was wir heute haben, nämlich zu einer frühen Sortierung. Der Vorschlag ist in dieser Hinsicht geradezu ein Vorschlag, der das Gegenteil von dem bewirken wird, was Pisa uns eigentlich sagt: Lasst die Kinder länger gemeinsam heterogen, wie das so schön in der Bildungssprache heißt, zusammen in der Schule, und sortiert sie nicht so früh, wie das heute der Fall ist.
Der Gedanke der frühen Sortierung wird natürlich noch dadurch bestärkt, dass keine Aussage zur Zukunft der Grundschule getroffen wird. Wenn es nach der CDU geht, dann gibt es die heutige vier
Nun hat uns Herr Albers, der Landesvorsitzende der SPD, heute mitgeteilt, es sei doch gut so, dass der Wähler entscheiden könne, ob das nach vier Jahren oder später passiert. Ich will gar nichts dazu sagen, dass es nicht gut ist, dass Wähler entscheiden, aber derjenige, der sagt, der Wähler soll entscheiden, der muss dann auch sagen, wie er entscheiden soll. Wie er entscheiden soll, heißt dann, er kann nicht für eine große Koalition entscheiden, wenn sich ein Partner der großen Koalition weigert, die verlängerte Grundschule durchzuführen. Wer etwas anderes als eine Sortierung nach vier Jahren will, der muss auch öffentlich sagen, dass er eine andere Koalition will. Das ist natürlich die Konsequenz aus der Wählerentscheidung.