Protokoll der Sitzung vom 11.09.2018

Meine Damen und Herren, diesem Anspruch genügt der aktuell vorgelegte Gesetzentwurf nicht, und ich will das für uns als SPD-Landtagsfraktion deutlich machen. Aber da Sie in den meisten Fällen nicht auf uns hören, weil wir das

so sehen, will ich an dieser Stelle aus der schriftlichen Anhörung Herrn Prof. Dr. Richter zitieren. Auf Seite 40 in Teil 3 der Anhörungsunterlagen steht:

Gemessen an diesen bisherigen Reformerfahrungen in Bund und Ländern und an der Herausforderung eines aktiven und vorausschauenden gesetzgeberischen Gestaltungsbedarfs wirkt der dem vorliegenden Gesetzentwurf zugrunde liegende Gestaltungswille eher zurückhaltend.

Meine Damen und Herren, das ist sehr deutlich und sehr richtig.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass Hessen die Nummer eins in Deutschland beim Thema E-Government wird. Hessen soll von Unternehmens-Start-ups und von digitalen Bürgerinitiativen lernen und sich zum Ziel machen, alle Verwaltungsvorgänge für die Bürgerinnen und Bürger online verfügbar zu machen. Dabei muss im Jahr 2018 zwingend eine Regelung für Open Data in einem solchen Gesetz aufgenommen werden. Dass das geht, sehen Sie in Hamburg und auch im Bundesgesetz.

Herr Kollege Frömmrich, Sie schaffen es noch nicht einmal im Vergleich zu anderen Bundesländern und zum Bund, eine solche Regelung in diesen Gesetzentwurf einzubauen. Aktive Gestaltung ist in diesem Fall Fehlanzeige.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen braucht es mehr, als ein in die Jahre gekommenes E-Government-Gesetz des Bundes abzuschreiben, das aus dem Jahr 2013 herrührt. Meine Damen und Herren aus der Landesregierung, was haben Sie in den letzten Jahren dazu gemacht? Wir haben mehrere Anfragen dazu gestellt, es immer wieder thematisiert, und es hieß: Wir arbeiten, wir evaluieren und legen dann etwas vor.

Aber eigentlich fehlen Ihre Initiativen im Sinne eines einfachen, offenen und transparenten Bürgerportals in Hessen mit einem echten digitalen Service, im Sinne einer übergeordneten, ganzheitlichen Leitvorstellung einer guten Verwaltung. Zu all diesen Themen schweigen Sie, und auch das Gesetz wird uns in Hessen nicht weiterbringen.

Gut, dass wir nicht nur über dieses dünne Gesetz diskutieren, sondern den Blick auch ein wenig weiten. Es gibt viele Bereiche zum Thema Digitalisierung, die wir jenseits des Gesetzes aktiv gestalten könnten. Ich will heute nicht auf die Infrastrukturfrage eingehen; auch über entsprechende Bedarfe in Hessen könnten wir noch weiter munter debattieren.

Aber es sieht auch da etwas düster aus, wo Sie beim Thema E-Government und Ähnlichem mehr aktiv mitgestalten könnten. An der Verbundplattform GovData des Bundes beteiligen sich sechs Bundesländer zurzeit nicht. Raten Sie mal, wer dazugehört. – Hessen. Hessen spuckt zwar große Töne, was das digitale Hessen betrifft, lässt bei diesen gemeinsamen Anstrengungen aber vornehme Zurückhaltung walten. Meine Damen und Herren, aktives Gestalten sieht anders aus.

(Beifall bei der SPD – Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

An der Stelle, Herr Schäfer: Eine Reise ins Silicon Valley allein macht noch kein digitales Hessen.

(Günter Rudolph (SPD): Sehr richtig!)

Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir die digitale Verwaltung gestalten können, welche Grundlagen wir für ein echtes E-Government-Gesetz brauchen. Zu all diesen Themen tragen Sie mit dem vorgelegten Gesetzentwurf leider nichts bei. Dabei sind im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes Grundlagen für eine moderne digitale Verwaltung notwendig.

Es reicht nicht, allein digitale Prozesse abzubilden, ohne sich die Prozesse vorher angeschaut zu haben. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne Thorsten Dirks, den CEO von Telefónica Deutschland, aus dem Jahr 2015 zitieren, der gesagt hat: „Wenn Sie einen scheiß Prozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich will es diesem Hause entsprechend etwas freundlicher formulieren und zitiere dazu aus der mündlichen Anhörung des Innenausschusses Herrn Prof. Dr. Bernhardt, der gesagt hat:

Ein weiterer Punkt, der auffälligerweise im hessischen Gesetzentwurf fehlt, ist die Pflicht zur Optimierung von Verwaltungsverfahren vor der Digitalisierung. Es ist heute eigentlich Konsensus, dass man ohne eine vorherige Optimierung oft nicht hinreichend die Potenziale der Informationstechnik abrufen und das Verfahren effektiv gestalten kann.

Sie sehen, einfach nur ein E-Government-Gesetz abzuschreiben, vorzulegen, aber sich nicht um die Prozesse zu kümmern, das bringt das Thema Digitalisierung in der Verwaltung nicht voran.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich will gerne noch einen weiteren Punkt ansprechen, der auch in der Anhörung thematisiert worden ist. Es geht um die Fristsetzung für die digitalen Veränderungsprozesse, die Frage, wer diese Fristen nachher in Gang setzt und dafür verantwortlich ist, dass sich Verwaltungen tatsächlich digital verändern. Dazu ein drittes Zitat, denn dazu hat Herr Prof. Dr. Richter in der mündlichen Anhörung des Innenausschusses sehr viel Richtiges gesagt:

Zu § 17: Überraschend ist …, dass die Wirkkraft eines Gesetzes von einem Akt der Verwaltung selbst abhängig gemacht wird, die von diesem Gesetz eigentlich angeleitet werden soll. Das habe ich bisher noch nicht gesehen. Für die Verwaltung ist es sehr komfortabel, zu sagen: Ich sage dann Bescheid, wann das Gesetz für mich gilt – nämlich dann, wenn ich die Infrastruktur aufgebaut habe. – Das finde ich nicht nur überraschend in der Sache, sondern frage mich mit Blick auf die Gewaltenteilung auch, ob das sinnvoll ist.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Diesem Ansatz schließen wir uns an und finden das in der Systematik des vorgelegten Gesetzentwurfs eine sehr berechtigte Frage.

Über Informationsfreiheit und Transparenz öffentlicher Entscheidungen, über Verwaltungshandeln haben wir anlässlich der Frage eines echten Informationsfreiheits- und Transparenzgesetzes hinreichend diskutiert. Auch das ist in der Anhörung deutlich geworden. Ich verzichte jetzt darauf, weitere Beispiele zu zitieren, die immer wieder ge

zeigt haben: Es geht anders. Sie müssen den restriktiven Weg, den das Bundesland Hessen bislang unter der schwarz-grünen Führung gegangen ist, verändern, um wirklich Transparenz und Informationsfreiheit zu gewährleisten. Auch das korrigieren Sie mit dem Gesetz überraschenderweise nicht. Sie bleiben bei Ihrer Linie, und deswegen halten wir es für falsch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Kollege Greilich hat in seiner Rede schon deutlich gemacht, dass Herr Kollege Bauer nur ein Zitat herausgegriffen hat. Die Anhörung war eine wahre Fülle von verbalen Ohrfeigen für den Gesetzentwurf. Er entspricht eben nicht den Anforderungen an eine moderne digitale Verwaltung, eine gute Verwaltung für ein modernes Hessen. Daran ändert auch die vollmundige Ankündigung des noch amtierenden Ministerpräsidenten nichts, nach der Wahl ein Ministerium zu schaffen, das sich mit Digitalisierung beschäftigt. Er hatte vor der letzten Wahl schon etwas zum Thema Zukunftsfragen versprochen. Das kam nicht. Dieses Mal würde es auch nicht kommen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Aber, meine Damen und Herren, ich habe Ihnen schon bei der ersten Lesung gesagt: Wir arbeiten daran, dass er gar nicht mehr in die Verlegenheit kommt, die Versprechen von vor der Wahl nach der Wahl wieder mal nicht umzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Gesetzentwurf gestalten wir keine Digitalisierung in der Verwaltung in Hessen. Wir schreiben ein altes Gesetz ab. Wir nehmen nicht die aktuellen Erfordernisse für Digitalisierung aus dem Jahr 2018 für die Zukunft heraus. Wir beschreiben eben nicht, wie wir im Konzert der Bundesländer Spitzenreiter werden können.

Das Thema Digitalisierung braucht aktive Gestaltung. Es braucht eigene Ideen und Ansätze. Dafür haben Sie lange Zeit gehabt. Ich hatte mir wirklich mehr erhofft. Ich weiß, es war ein Anfängerfehler – auch nach sechs Jahren in diesem Haus –, zu hoffen, dass Sie mehr machen. Sie sind hinter dem Erwartbaren zurückgeblieben. Deswegen können wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Eckert. – Als Nächster hat Herr Abg. Schaus für die Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! 2013 wurde das Bundesgesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung beschlossen. Es sieht vor, dass die Länder ihren Kompetenzbereich anpassen und die Bundesgesetze übernehmen, um die Verwaltung in Deutschland insgesamt zukunftsfähig zu machen.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist nicht nur auf den letzten Drücker angefertigt worden – das haben meine Vorredner schon gesagt –, sondern lässt auch alles vermissen, was ein zukunftsfähiges Gesetz beinhalten muss. So stellte der Hessische Landkreistag in der Anhörung fest, dass dieses Gesetz „lediglich der rechtliche Rahmen“ sei, der noch durch Rechtsverordnungen ausgefüllt werden muss. Wie

die rechtlichen Normen aussehen und wann solche Normen eingeführt werden, steht aber in den Sternen. Wenn ich mir den bisherigen Arbeitseifer bei dem Thema E-Government anschaue, kann ich mir vorstellen, dass die notwendigen Verordnungen wieder sehr lange brauchen werden.

Bei der elektronischen Aktenführung fordert nicht nur der Hessische Landkreistag finanzielle Unterstützung durch Bund und Land, auch der Hessische Städtetag vertritt diese Ansicht und betont die Relevanz von – Zitat – „frühzeitigen Gesprächen mit den Kommunalen Spitzenverbänden“. Denn es ist, anders als Sie es beschreiben, mit starken Anpassungsinvestitionen zu rechnen, insbesondere in den Kommunen. Wesentliche Anregungen vonseiten der Kommunen haben aber keine Beachtung in Ihrem Gesetz gefunden.

Meine Damen und Herren, das ist einfach schlampige Regierungsarbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Kommunen wurden nicht ausreichend in die Gestaltung dieses Gesetzentwurfs einbezogen, obwohl der eigentliche Verwaltungsaufwand klar bei ihnen liegt. Denn innerhalb der kommunalen Verwaltungsstruktur werden 80 von 100 Daten dort erhoben und verarbeitet.

Herr Ministerpräsident, Sie haben uns in der letzten Plenarsitzung noch von den großen Errungenschaften der Verwaltung im elektronisch-digitalen Bereich erzählt. Kollege Eckert hat auch darauf hingewiesen. Doch wie uns in der Anhörung im Innenausschuss von den Experten bestätigt wurde, ist an der angeblichen Vorreiterrolle Hessens nicht viel dran. Sie haben zugeschaut, während Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen mit zukunftsfähigen Reformen an uns vorbeigezogen sind. Das haben Sie sich ganz alleine zuzuschreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass Sie uns jetzt kurz vor der Wahl ein schwaches und äußerst weich formuliertes Gesetz vorlegen, ist nicht nur enttäuschend, sondern verfehlt auch den Anspruch, den die Wählerinnen und Wähler an eine zukunftsgerichtete Regelung haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten mehr an Lösungen. Sie erwarten im Umgang mit Verwaltungsbehörden schnelle, flexible und an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasste Lösungen. Dies steht mit Ihrem Vorhaben allerdings nicht in Übereinstimmung. Hierzu gibt es etliche Beispiele aus den Modellkommunen, die trotz zukunftsweisender Ideen leider nicht in das Gesetz aufgenommen wurden. Bezahlplattformen, Kitaplatz-Vergabemanagement und die Online-Behördenterminvergabe sind Projekte der Zukunft, die dennoch nicht aufgenommen wurden. – Ich frage: warum?

Wie die Studie „Digital 21“ aufgezeigt hat, gehen derzeit sowohl die Zufriedenheit als auch die Nutzung von elektronischen Verwaltungsmöglichkeiten zurück. Während Sie hier über die elektronische Verwaltung reden, sind die Bürgerinnen und Bürger unzufrieden und erwarten bessere Lösungen.

Dass nur die Landesbehörden zur elektronischen Aktenführung verpflichtet werden sollen, widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch der Zielsetzung im Bund. Diese sieht nämlich vor, dass Bund, Län

der und Kommunen ihr Know-how teilen, um ihnen das Denken in Prozessketten zu ermöglichen. Ich zitiere den Anspruch, der sich aus dem Bundesgesetz ergibt:

Ziele der Bundesregierung sind effiziente elektronische Verwaltungsarbeit im Bund … und – zusammen mit Ländern und Kommunen – einfache, schnelle, weil über die Ebenen hinweg elektronische staatliche Dienstleistungen.