Protocol of the Session on June 27, 2002

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aus den Schlagzeilen verschwunden, das Problem wurde aufgeklärt und die Ursachen sind klar. Wir stehen nun vor der Frage, wie es zu einem solchen Skandal kommen konnte und wie wir einen solchen in Zukunft vermeiden können.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, bitte fahren Sie das Pult ein wenig höher, damit Sie klar und deutlich zu verstehen sind.

Da das Problem sehr stark eingegrenzt werden konnte, ist deutlich geworden, dass in sehr vielen Bereichen unzureichende Informationsmöglichkeiten und Koordinationen vorhanden sind. Das Kartell des Schweigens und des Vertuschens funktioniert noch immer.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren! Es ist mir zu laut. Herr Rosenfeldt kann nicht dagegen ansprechen. Bitte stellen Sie die Unterhaltungen ein oder führen Sie sie draußen. Herr Rosenfeldt, bitte fahren Sie fort.

Diese Unruhe bestätigt, dass dieses Thema nicht nur in der Presse nicht präsent, sondern auch bei vielen Kollegen nicht mehr im Kopf ist.

Dieser Skandal wäre sehr viel schneller bekannt geworden, wenn die Koordination geklappt und die Informationswege funktioniert hätten. Die Verantwortlichen hätten sehr schnell zur Rechenschaft gezogen – das steht immer noch an – und die Futtermittel zügig vernichtet werden können, sodass nur wenig davon ausgeliefert worden wäre. Die Behörden wären auch schneller darüber informiert gewesen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen.

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Wenn da eine andere Ministerin gewesen wäre!)

Herr Schinnenburg, das ist doch billig. Wir reden über Strukturen, aber Sie personalisieren die ganze Zeit auf billige Art und Weise.

Für die Kontrollen sind die Länder verantwortlich, Herr Schinnenburg. Hier liegt vieles im Argen; da kann man sich nicht drum herumwinden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die Krise wäre in vielen Bereichen vermeidbar gewesen, wenn man früher gehandelt hätte. Das ist wahr. Die rotgrüne Bundesregierung hat mit der Agrarwende die richtigen Maßnahmen eingeleitet. Dass diese noch nicht überall umgesetzt wurden, kann ihr nicht angelastet werden, weil sie noch am Anfang eines längeren Entwicklungsweges ist.

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Die Politik der Gutachten!)

Die Landwirtschaft ist ein Bereich, der für kurzfristige Änderungen – das weiß jeder, der sich auch nur ein bisschen damit auskennt – nicht so leicht zugänglich sind.

(Hartmut Engels CDU: Ja, das dauert aber schon eine ganze Zeit!)

Wir haben aber auch gelernt, dass die Vorfälle im Bereich der Bioproduzenten sehr viel leichter aufzuklären sind. In diesem Fall war es klar, woher die Waren gekommen und wo sie hingegangen sind, weil es leichter möglich war als in vielen anderen Bereichen. Aber das reicht natürlich überhaupt nicht aus.

Es zeigt auch, dass die Kontrollen deutlich verstärkt und auf die Bereiche ausgeweitet werden müssen, bei denen man an „Bio“ überhaupt nicht gedacht hat, weil bestimmte Dinge nicht zulässig sind. Nitrofen zeigt aber auch, dass dies für alle Bereiche gilt. Wir müssen das Screening deutlich erweitern. Die konventionelle Agrarwirtschaft muss insgesamt deutlich stärker überprüft werden.

Wir brauchen – ich weiß, dass es die Koalition unheimlich nervt – das Verbraucherinformationsgesetz, damit eine Klarheit darüber herrscht, worüber und wann informiert werden darf.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht. Ich sage heute noch einmal das, was ich gestern gesagt habe: Es geht mir auf den Senkel, wenn der Vorwurf kommt, dass es bis zur Wahl nicht mehr so lange hin sei und diese Regierung deshalb nicht mehr zu handeln braucht. Das halte ich für baren Unsinn. Es muss, wenn ein Problem ansteht, so lange es geht, gehandelt werden.

Es fand eine effektive Neuorganisation des Ministeriums statt. Es soll ein Institut – das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit – für eine unabhängige Risikobewertung eingerichtet werden, das die Koordinationsaufgaben verbessert. Es wurde ein Öko-Landbaugesetz auf den Weg gebracht, mit dem die Meldepflichten für die Kontrollstellen ausgebaut und spürbare Strafen bei Verstößen festgesetzt werden. Dem Bundesrat liegt ebenfalls das neue Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz vor. Hier wird seitens der Opposition – das befürchte ich – eine Blockade auf Bundesebene vor der Wahl einsetzen.

Dieses Gesetz verpflichtet jedes Lebensmittelunternehmen, Verstöße gegen das Lebensmittelrecht unverzüglich den Behörden zu melden, auch wenn die Untersuchungen – das ist der Haken – privat in Auftrag gegeben worden sind, damit sehr schnell gehandelt werden kann, um die letzten lebensmittel- und futterrechtlichen Lücken zu schließen.

Die bisherigen stillen Rückrufaktionen, bei denen niemand gemerkt hatte, was abgelaufen war, und nach denen eine Unsicherheit entstand, soll es in Zukunft nicht mehr geben.

Aber auch in Hamburg werden wir Konsequenzen ziehen müssen. Ich möchte ausdrücklich sagen: Ich begrüße, dass der Hamburger Senat auf öffentlichen Druck öffentlich benannt hat, welche Produkte nicht verzehrt werden sollten und in welchen Geschäften diese zu beziehen waren.

(Zuruf von der FDP)

Das ist Quatsch, wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann sehen Sie das. Dieses Handeln war gut für die Verbraucher. Dabei können dann auch Fehler passieren. Dann muss gesehen werden, wie man diese zukünftig vermeidet. Es war jedenfalls eine richtige Entscheidung zum Schutz des Verbrauchers. Der Senat sieht das genauso.

Das zögerliche Handeln des Senats lag auch daran – dafür habe ich Verständnis –, dass die Behörde zunächst prüfen

(Jenspeter Rosenfeldt SPD)

musste, wann sie etwas bekannt geben darf. Ich betone nochmals: Es wäre sinnvoll, wenn Sie endlich über Ihren Schatten springen, die rechtlichen Voraussetzungen auf Bundesebene mitschaffen und sie nicht blockieren würden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir müssen dafür sorgen – das beabsichtigt unser Antrag –, dass das Hygiene-Institut als anerkannte staatliche Einrichtung – auch private Laborbetreiber wie zum Beispiel Herr Dr. Lachner, der die Nitrofen-Untersuchungen durchgeführt hat, ist der Meinung, dass weiterhin gute, staatliche Kontrollen benötigt werden – in die Lage versetzt wird, diese Untersuchungen selbst durchzuführen.

Die Antwort auf die Kleine Anfrage hat deutlich gemacht, dass die Öffentlichkeit spätestens seit dem 25./26. Mai weiß, dass es nitrofenverseuchte Lebensmittel gibt. Aber erst am 4. Juni konnte in Hamburg eine gezielte Beprobung aufgenommen werden, weil das Hygiene-Institut darauf nicht vorbereitet war, sodass nutzlose Zeit vergeudet wurde. Der Auftrag hätte früher vergeben werden können; hier nützen auch nebulöse Antworten auf Kleine Anfragen nichts.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ich bin davon überzeugt, dass wir in Hamburg eine relativ gute Überwachung von Lebens- und Futtermitteln haben, die teilweise von privaten Laboren durchgeführt wird. Trotzdem muss es uns zu denken geben, wenn der EUKommissar für Verbraucherschutz, David Byrne, das gesamte föderale System in Deutschland, bei dem die Länder für die Untersuchungen zuständig sind, für ein zusammenhangloses Flickwerk hält.

Er hat übrigens – damit kein falscher Eindruck entsteht – ausdrücklich Bayern als ein besonders negatives Beispiel herausgestellt, wo überhaupt nicht erkennbar war, ob dort eine richtige Gesamtplanung vorhanden ist und wie sie überhaupt funktioniert. Bayern ist – über das Thema haben wir schon gesprochen – bekanntlich Spitze bei den BSEKühen und versucht, sich überall an die Spitze zu setzen.

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Schleswig-Hol- stein!)

Die Leistungsfähigkeit des Hamburger Systems muss unter die Lupe genommen werden; das sollten wir uns gemeinsam vornehmen. Wir sollten prüfen, wie hoch der Anteil der Lebensmittel- und Futtermitteleinfuhren ist – der mit rasender Geschwindigkeit wächst –, der über unseren Hafen läuft,

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Das Nitrofen-Gen aus MecPom!)

welche Kapazitäten in Hamburg vorgehalten werden und wie die eigene Verantwortung stärker wahrgenommen werden kann.

Dazu gehört, dass das Hamburger Hygiene-Institut finanziell nicht weiter ausbluten darf. Die letzten Kürzungen sind schon unverantwortlich gewesen, das darf so nicht weitergehen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir wollen, dass sich das Hygiene-Institut hinsichtlich der Qualität und Quantität in der Zielrichtung seiner Untersuchungen überprüft, dass es aber seine Standards nicht senkt, sondern seine Kapazitäten ausweitet und sie entsprechend den Bedarfen und nicht am Haushalt und der

neuen Prioritätensetzung des Senats – Poller und Gefängnisse – ausrichtet.

(Beifall bei der SPD und der GAL)