Protocol of the Session on April 19, 2007

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Meine Damen und Herren! Ich beginne mit dem zweiten Tag der Bürgerschaftssitzung.

Wir haben eine Veränderung der Tagesordnung, die dadurch entstanden ist, dass der Staatsrat, der in der Fragestunde als Einziger zu der Frage der GAL-Fraktion auskunftsfähig ist, noch nicht anwesend ist und etwas später kommt. Wir können die Frage nicht schieben und haben Einvernehmen darüber hergestellt, dass wir mit der ersten Debatte beginnen und nach ihrem Abschluss mit der Fragestunde und dann mit der zweiten Debatte fortfahren.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 und 41 auf, die Drs. 18/6000 und 18/6026, Bericht der Enquete-Kommission: "Konsequenzen der neuen PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung" mit dem Antrag der CDU-Fraktion: Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission "Konsequenzen der neuen PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung".

[Bericht der Enquete-Kommission: "Konsequenzen der neuen PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung" – Drs. 18/6000 –]

[Antrag der Fraktion der CDU: Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission "Konsequenzen der neuen PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung" – Drs. 18/6026 –]

Zur Drs. 18/6026 liegt Ihnen mit Drs. 18/6120 ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der SPD: Die Empfehlungen der EnqueteKommission Schulpolitik ernst nehmen - Drs. 18/6120 -]

Wird das Wort gewünscht? - Herr Heinemann, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass uns heute der Bericht der Enquete-Kommission vorliegt. Wir haben in eineinhalb Jahren sehr konstruktiver Arbeit rund 200 Empfehlungen erarbeitet, wie wir Hamburgs Schulen weiterentwickeln wollen. Mir waren von Anfang an drei Dinge wichtig: Zum einen wollten wir nicht wie andere Enquete-Kommissionen in vielen Landtagen und auch im Bundestag ewig tagen, sondern wir wollten pünktlich fertig werden, denn schließlich fordern wir in unserem Bericht von Lehrern und Schülern mehr Pünktlichkeit. Das müssen wir auch für uns selber gelten lassen. Wir haben es geschafft, den Bericht einen Tag vor Ablauf der Frist an den Präsidenten der Bürgerschaft zu übergeben. Das ist ein guter Erfolg.

Zum Zweiten wollten wir – auch das ist in der Politik immer wichtig – lesbare Ergebnisse produzieren. Wir wollen, dass unsere Ergebnisse in den Schulen wahrgenommen und diskutiert werden, denn vor Ort müssen die eigentlichen Reformen stattfinden. Ich freue mich, dass wir die Sprache einigermaßen verständlich hinbekommen und unser Seitenlimit weitgehend eingehalten haben. Wir werden den Bericht demnächst an alle Schulen verschi

cken und wer sich schneller informieren will, kann das schon heute im Internet tun.

Ganz besonders wichtig war mir zum Dritten natürlich, dass wir umsetzbare Ergebnisse produzieren und dafür sorgen, dass diese dann auch reale Politik werden. Ich erinnere noch einmal daran, dass ich, als wir gemeinsam über die Einsetzung der Enquete-Kommission diskutiert haben, über die Erfahrungen mit der letzten EnqueteKommission zur Schulpolitik berichtet habe. Der damalige schulpolitische Sprecher der GAL, Kurt Edler, sagte hier am Pult:

"Vielleicht ist die Hamburger Bürgerschaft noch nie so kompetent, so fundiert und so vielseitig wie durch die Enquete-Kommission 'Schulpolitik' beraten worden. Das traurige Schicksal dieses Berichts, nun sang- und klanglos in der Versenkung zu verschwinden, beleuchtet ein allgemeines Defizit parlamentarischer Politik in Deutschland. (...) Der Versuch kompetenter Politikberatung ist wieder einmal gescheitert."

Was die SPD damals nicht geschafft hat, wird die CDU heute tun. Wir werden den Senat bitten, die Empfehlungen der Enquete-Kommission nicht nur freundlich zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch schrittweise umzusetzen. Mehr noch, wir werden sogar noch einmal Geld in die Hand nehmen, um die Schulleitungen bei der Umsetzung der Empfehlungen zu unterstützen. Wir wissen, dass eine solche Reform nicht zum Nulltarif zu haben ist, und wir meinen es ernst mit den Reformen.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin daher der Bildungssenatorin und dem Finanzsenator sehr dankbar, dass sie sich für eine – aus meiner Sicht – sehr gute Lösung engagiert haben. Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass eine Umsetzung der Beschlüsse der Enquete-Kommission nur deshalb möglich ist, weil alle Fraktionen bei den Beratungen nie aus dem Auge verloren haben, dass wir realpolitisch und auch finanzpolitisch verantwortungsvoll handeln müssen. Bis auf wenige Ausnahmen wurden deshalb nicht einfach teure Wünsche formuliert, sondern es wurde sehr genau hingeschaut und es wurden verantwortungsvolle Prioritäten gesetzt.

Ich danke allen Beteiligten, Herrn Dr. Rößler, der uns immer sehr souverän geführt hat, aber ganz besonders dem Arbeitsstab und Frau Alexa Reinck aus der CDUBürgerschaftsfraktion, die in der letzten, sehr heißen Sitzung zur Schulstruktur außerhalb aller formalen Regeln dafür gesorgt hat, dass wir am Ende ein Ergebnis hatten, das wir festhalten und auf das wir sehr stolz sein konnten. Gerade auf dieses Ergebnis, auf die neue Schulstruktur, die wir beschlossen haben, können wir aus meiner Sicht wirklich stolz sein.

Wir haben in Hamburg eine breite Zustimmung bekommen. Die Berliner Grünen fordern die Übernahme unseres Konzepts. Bundesweit haben die Medien über den Weg berichtet – gestern wieder FOCUS Online –, den Hamburg geht, und viele renommierte Wissenschaftler unterstützen uns auf unserem Wege zu einem ZweiSäulen-Modell.

Frau Ernst hat oft gesagt, dass sie wie ich als NichtPädagogin eher eine Ausnahme in der Schulpolitik ist. Ich freue mich natürlich umso mehr, dass ihr Nachhilfeunterricht für Herrn Naumann offensichtlich erfolgreich war.

Herr Naumann hatte sich noch am 8. März zu einer Einheitsschule nach skandinavischem Vorbild bekannt. In der SPD-Zeitung "Hamburger Kurs" erklärte er im März:

"Eine Schule für alle, (…) hat sich nach allen Studien bewährt".

Noch im März diffamierte er auf dem SPD-Parteitag die Gymnasien und sagte:

"In den Schulen herrschen die alten Klassenverhältnisse vor, aufs Gymnasium kommen die Kinder, Enkel und Urenkel von Gymnasiasten. (...) Der traditionelle Horror–Weg (...) deutscher Gymnasien wird in den nächsten Jahren auslaufen."

(Jens Kerstan GAL: Recht hat er!)

Ich weiß natürlich nicht, wie viele Stunden Nachhilfe Frau Ernst Herrn Naumann geben musste, bis er plötzlich via "Hamburger Abendblatt" erklärte: "Ich will keine Einheitsschule". Mehr noch, Sie haben es geschafft, dass Herr Naumann seine ganze Biografie änderte. War Herr Naumann am 9. März in der Zeitung "Die Welt" noch ein Produkt der Gesamtschule, so wurde er im "Hamburger Abendblatt" zum Produkt gleich mehrerer Gymnasien. Herzlichen Glückwunsch, Frau Ernst.

Leider zeigt das "Hamburger Abendblatt" aber auch, dass die SPD-Fraktion eine sehr heterogene Lerngruppe ist. Ich habe nichts dagegen, weil heterogene Oppositionsgruppen immer ein Gewinn sind. Aber vielleicht sollten Sie, Frau Ernst, bei Frau Boeddinghaus, bei Herrn Böwer, bei Herrn Buss und bei Herrn Lein die individuelle Förderung noch ein wenig verstärken. Die Medienberichte der letzten Tage deuten allerdings darauf hin, dass die SPD zumindest einige dieser Risiko-Abgeordneten – so will ich sie einmal nennen – eher abschulen will. Das ist unpädagogisch, denn Sie wissen alle aus den uns vorliegenden Untersuchungen, dass gerade Risiko-Abgeordnete zunächst eine klare Linie brauchen. Die hat die SPD bis heute leider nicht einmal ansatzweise gefunden.

(Beifall bei der CDU - Ekkehart Wersich CDU: Sehr richtig!)

Lieber Herr Egloff, Ihr ausgleichendes Wesen mag in der derzeitigen Situation für einen SPD-Landesvorsitzenden eine sehr wichtige Charaktereigenschaft sein. In der Frage der Schulstruktur hätten Sie aber in Ihrer Partei – Sie haben ja damals die Arbeitsgruppe geleitet – eine Entscheidung herbeiführen müssen. Diese Entscheidung haben Sie auf dem Parteitag im Dezember verpasst. Statt sich klar zur Einheitsschule oder zur Stadtteilschule und zum Gymnasium zu bekennen,

(Erhard Pumm SPD: Freiheit statt Sozialismus!)

haben Sie ein windelweiches Sowohl-als-auch formuliert. Den Gymnasialeltern rufen Sie zu: "Habt keine Angst, das Gymnasium bleibt", und bei den Gesamtschulfreunden ergänzen Sie schnell: "Aber nicht mehr lange". Kein Wunder, dass die Leute irritiert sind, leider nicht nur die Bürger, sondern auch Ihre Abgeordneten.

Jeder interpretierte die Parteitagsergebnisse nach seinen Wünschen. Frau Ernst verkündete abwechselnd Niederlage und Sieg und es ist vor allem Ihren Experten Professor Lehberger und Dr. Wunder zu verdanken, dass aus dem Nein zum historischen Kompromiss über Nacht noch ein Ja wurde. Zu groß war die Angst der SPD, sich end

gültig zu blamieren, wenn die eigenen Experten mit der CDU gestimmt hätten.

Wer nun gedacht hätte – ich war so naiv –, die SPD-Linie sei mit dem gemeinsamen Beschluss in der EnqueteKommission ein für alle Mal geklärt, der sah sich leider getäuscht. Bereits in der letzten Debatte, wenige Tage, nachdem die Enquete-Kommission dies beschlossen hatte, distanzierte sich Herr Buss deutlich von den Beschlüssen der Enquete-Kommission und sprach von Ihrem Zwei-Säulen-Modell, mit dem wir den internationalen Anschluss nicht schaffen würden und welches man mittelfristig überwinden müsse.

Herr Buss, wir haben in der Enquete-Kommission nicht nur das Zwei-Säulen-Modell, sondern auch folgende beiden Absätze einvernehmlich beschlossen. Ich lese sie Ihnen vor:

"Eine neue Schulstruktur muss darüber hinaus langfristig angelegt sein, um eine Bereitschaft zur notwendigen Veränderung zu wecken und diese überhaupt wirksam werden zu lassen."

"Die Gesamtevaluation des reformierten Schulsystems soll frühestens nach einem vollständigen Schülerdurchlauf durchgeführt werden."

Da hat auch die SPD zugestimmt, Herr Buss. Wie passen Ihre Aussagen von diesem Pult – schon beim letzten Mal – mit den Beschlüssen, die wir wenige Tage zuvor getroffen haben, zusammen?

Diese Frage stellt sich auch hier und heute. Wenn ich richtig informiert bin, dann will die SPD gleich eine ziffernweise Abstimmung der Drs. 18/6026 beantragen und folgenden Passus ablehnen:

"Der Senat wird ersucht, (…)

2. mit den Vorbereitungen zur Einführung eines neuen Schulsystems aus Stadtteilschule und Gymnasium zu beginnen, eine Umsetzung zum 01.08.2009 anzustreben und die Bürgerschaft regelmäßig über den Fortschritt zu informierten, (…) ".

Genau das haben wir aber in der Enquete-Kommission beschlossen. Das war doch unser gemeinsames, zentrales Ergebnis. Warum wollen Sie das auf einmal heute ablehnen? Das verstehe ich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe leider den Eindruck, dass es in der SPD immer noch sehr kräftige Gruppen gibt, die lieber heute als morgen die Gymnasien abschaffen und die Einheitsschule einführen wollen. Zum großen Unglück von Herrn Egloff und seinen Wahlkampfmanagern halten die nicht bis zum Wahltag still, sondern machen immer wieder den Mund auf. Herr Buss hat schon in der letzten Sitzung angekündigt, dass er die Konterrevolution innerhalb der SPDSchulpolitik plant, und kurz zuvor gefordert, dass alle Schulen in Hamburg zu Gymnasien werden.

(Zuruf von Wilfried Buss SPD)

Jetzt habe ich Sie verstanden, Herr Buss, das ist natürlich ein besonders hinterlistiger Weg. So verbindet man die Nichtabschaffung der Gymnasien mit der Schaffung der Einheitsschule. Alle Gymnasien werden Einheitsschule oder alle Schulen werden zu Gymnasien.

(Zuruf von Wilfried Buss SPD)