Protocol of the Session on June 7, 2007

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Wir ehren heute einen Bürger Hamburgs, der sein berufliches Wirken, ja sein ganzes Leben mit sehr großem Erfolg seiner persönlichen Idee gewidmet hat. Im Programmheft zur Matthäus-Passion drückt er dieses mit seinen eigenen Worten aus:

"Mein ganzes Leben, Denken und Fühlen ist Tanz. Die Choreografie ist meine eigentliche Sprache."

Eine Sprache, die viele verstehen, aber die nur ganz wenige sprechen. Sie beherrschen diese Sprache in all ihren Facetten und schöpfen in ihr und aus ihr immer wieder Neues, Unerhörtes.

Woher rührt dieser große, seit mehreren Jahrzehnten andauernde Erfolg? Weil John Neumeier mit seinen Kreationen sein Publikum im Innersten anspricht. Schwerpunkt des Schaffens ist sicherlich die abendfüllende Form, das große Ballett, doch nicht in quasi musealer Wiedergabe der relativ überschaubaren Ballettliteratur.

Peter von Zahn, den manche vielleicht noch kennen, sagte 1994 bei der Verleihung des Bürgerpreises der Hamburger CDU-Abgeordneten unter bewusster Bezugnahme auf Gotthold Ephraim Lessing, John Neumeier habe die neue hamburgische Dramaturgie geschaffen und die ist genauso prägend für die heutige Zeit und das

Ballett wie vor 240 Jahren Lessings hamburgische Dramaturgie für das Sprechtheater.

Ihre Stücke beziehen ihre theatralische Legitimität aus der dramatischen Motivation. Das Publikum versteht, dass es Ihnen um Inhalte, um Kommunikation und um Poesie geht und dankt es Ihnen mit Begeisterung und Treue. Den Künsten, besonders den darstellenden, gelingt es immer wieder, die Menschen für einen Augenblick über die Niederungen des Alltags zu erheben und das gelingt John Neumeier und seinen Balletten auf einzigartige Weise.

Sie haben an der Hamburgischen Staatsoper eine Ballettcompagnie von Weltrang herangebildet, das "Hamburg Ballett". Nur selten ist dieses einem Ballettdirektor, der zugleich Choreograf war, gelungen. Ebenso selten ist die lange Dauer dieser Partnerschaft zwischen Choreograf und Compagnie, zwischen Ballettintendant und Publikum. Hier in Hamburg dauert sie inzwischen 34 Jahre.

Aber nicht immer war diese Beziehung so innig und der Anfang war so, dass ich vermute, dass Sie sich ihn anders gewünscht hätten. In der ersten Zeit war auch die Hamburger Presse nicht besonders freundlich mit Ihnen. Das Publikum begegnete der gesamten Sparte Tanz mit einer gewissen Distanz und das Ballett fristete seinerzeit eher ein Schattendasein neben der Oper. Ballett war damals, 1973, allenfalls schmückendes Beiwerk für Oper und Operette.

Doch John Neumeier suchte den direkten Kontakt zum Publikum und mit seiner ersten Ballettwerkstatt im September 1973 eroberte er die Herzen der Hamburger. Seitdem hat er uns immer wieder an die höchsten Stufen der künstlerischen Empfindung herangeführt.

Sie sind nach Johannes Brahms, Ida Ehre und Siegfried Lenz erst der vierte Künstler, der Ehrenbürger Hamburgs wird. Trotzdem ist das Image Hamburgs als Stadt der Ehrbaren Kaufleute, in der Geist und Kultur dem Kommerz unterliegen - zumindest, was das Ballett angeht -, schlichtweg falsch. Wenn es eine Parallele zwischen den hanseatischen Kaufleuten und John Neumeier gibt, dann vielleicht diese: Wie ein guter Kaufmann hat er beizeiten damit begonnen, seine Arbeit auf eine solide Grundlage zu stellen, indem er erst eine Ballettschule gründete, aus der 1989 ein Ballettinternat wurde. Dieses fand zusammen mit der Compagnie seine Heimat im Ballettzentrum in Hamburg-Hamm. Inzwischen machen die Absolventen der Ballettschule rund zwei Drittel der Mitglieder der Compagnie aus.

Die Tourneen und Gastspiele des "Hamburg Ballett" gleichen umjubelten Triumphzügen, ob in Amerika, Europa oder Asien. John Neumeier und seine Ballette sind - wie unter Liebermann die Oper - repräsentative, exzellente kulturelle Botschafter Hamburgs. Durch sein Wirken in unserer Stadt hat John Neumeier Hamburg erhöhten Glanz verliehen. Diese Leistungen möchten wir durch die heutige Verleihung des Ehrenbürgerrechts würdigen.

(Lang anhaltender Beifall im ganzen Hause)

Alsdann gebe ich dem Abgeordneten Neumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Professor Neumeier, sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Heute Abend, hier in der

Hamburgischen Bürgerschaft, soll Ihnen auf Vorschlag des Senats die Ehrenbürgerwürde unserer Stadt verliehen werden. Diesem Vorschlag schließe ich mich im Namen meiner Fraktion nur zu gerne an, schließlich ist diese Verleihung nicht nur mehr als angebracht, sondern sie ist vielleicht auch schon überfällig.

Es ist eine Ehre, die Ihnen heute zuteil wird, die Sie selbst schmücken wird, die aber vor allen Dingen unsere Stadt schmücken wird und es ehrt unsere Stadt, es ehrt Hamburg, dass wir Sie mit unserer Ehrenbürgerwürde heute auszeichnen dürfen.

Herr Reinert hat es angesprochen, Sie sind der vierte Künstler in der Stadtgeschichte, dem die Ehrenbürgerwürde verliehen wird. Sie haben nicht nur mit Ihrer Ästhetik Ballettgeschichte geschrieben, sondern auch mit außergewöhnlichen choreografischen und philosophischen Interpretationen großer sakraler Werke - ich denke dabei an Gustav Mahler - in Hamburg Geschichte geschrieben. Sie prägen bis heute den neoklassischen Tanz wie kaum ein anderer.

Molière hat einmal gesagt:

"Nichts ist dem Menschen so unentbehrlich wie der Tanz."

In Hamburg jedenfalls - so empfinden es viele - ist nichts so unentbehrlich wie Sie und Ihre Arbeit. Sie haben Hamburg zu einer wirklichen Ballettstadt gemacht, manche würden sagen, zu einem Mekka des Balletts.

Danach sah es allerdings 1973, als August Everding den damals noch jungen, relativ unbekannten Amerikaner von Frankfurt nach Hamburg an die Staatsoper holte, nicht aus. Man konnte nicht ahnen, dass Sie die Herzen der Hamburger Pfeffersäcke bald im Sturm erobern würden. Annette Bopp hat dazu geschrieben - ich zitiere sie -:

"Das Ballett fristete seinerzeit eher ein Schattendasein. Ballett – das war damals allenfalls schmückendes Beiwerk für Oper und Operette. Hupfdohlen in Tüll, die im Ruf standen, dem Schmachten eines Tenors nur zu gerne zu erliegen."

Doch innerhalb kürzester Zeit war das Publikum gebannt von Ihren Interpretationen und Ihrer Tanzästhetik. War vorher die Haltung vorherrschend mit dem hübschen Bonmot beschrieben, "Ballett ist Tanz auf die Spitze getrieben", so wich dies bald einem tieferen Verständnis von Ausdrucksmöglichkeiten und dem Facettenreichtum des Balletts.

Nahezu jede Inszenierung wurde und wird von stürmischer Begeisterung und Verehrung begleitet. Dabei hat sicherlich geholfen, dass Sie viele Gelegenheiten geschaffen haben, über Ihre Arbeit zu sprechen, Ihr Werk zu erläutern und insgesamt für eine bessere und breitere Akzeptanz der Tanzkunst in Hamburg zu werben.

Da ich es persönlich eher mit Cicero halte, der bekanntlich gesagt hat, kein gesunder Mensch tanzt, möchte ich an dieser Stelle jemanden zitieren, der von der Tanzkunst viel mehr versteht als ich, nämlich den Baden-Badener Festspielhaus-Intendanten Andreas Mölich-Zebhauser. Ich zitiere:

"John Neumeier ist eine überragende Künstlerpersönlichkeit nicht nur als Choreograf, sondern zugleich als Musiker, dessen Instrument der menschliche Körper ist. John Neumeier verkörpert

und lebt in seinen Werken den höchsten humanistischen Anspruch, das Menschliche schlechthin, in seinen musikalisch-choreografischen Interpretationen berührt er uns durch seine Ehrlichkeit und die Poesie seiner Sprache."

John Neumeiers Compagnie und sein Ballettzentrum gehören zu den besten der Welt. Er ist einer der kreativsten und erfahrensten Ballettintendanten auf der Welt, und wir sind stolz und glücklich als Hamburger, dass wir ihn so lange an unsere Stadt binden konnten und hoffen, es auch weiterhin tun zu können.

John Neumeier begeistert und fasziniert die Menschen nicht nur in Hamburg. Die Sprache des Tanzes, so wie Sie sie sprechen, ist international. Deshalb verehren Sie nicht nur die Menschen in Hamburg, sondern sie verehren Sie weltweit, in Japan, in USA und überall, wo Sie auftreten. Damit verbinden Sie Menschen über Ländergrenzen und Kontinente hinweg. So sind Sie aus meiner Sicht der entscheidende Kulturbotschafter Hamburgs geworden. Wenn Hamburg heute ein Aushängeschild für Ballett und Tanz geworden ist, dann ist das in erster Linie Ihnen und Ihrer Arbeit zu verdanken.

(Beifall im ganzen Hause)

Mit einem Zitat des Choreographen und Ballettdirektors Uwe Scholz möchte ich ausdrücken, dass Sie etwas geschaffen haben, das nur wenige vor Ihnen geschafft haben. Ich zitiere:

"Das Schwere am Tanzen ist, das Schöne des Tanzens so zu zeigen, dass das Schöne des Tanzens nicht schwer aussieht."

In Jahrzehnten hat John Neumeier eine in Fachkreisen international bekannte Tanz- und Ballettsammlung zusammengetragen, deren Auswahl an Objekten und Kombinationen aus Kunstsammlung, Bibliothek und Archiv weltweit einzigartig ist. Das ganz besondere Interesse Ihrer Sammlung gilt dem Leben und Werk von Vaclav Nijinsky.

Mit Blick auf die Zukunft haben Sie im letzten Jahr dafür eine Stiftung in Hamburg errichtet mit dem Ziel, die Sammlungen zu den Themen Tanz und Ballett sowie Ihr gesamtes Lebenswerk zusammenzufassen, es zu erhalten und vor allen Dingen für unsere Stadt zu sichern.

Ich möchte aber auch einen Aspekt würdigen, der mir im Senatsantrag etwas zu kurz gekommen ist. Wir würdigen Sie heute schließlich mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde nicht nur für Ihr künstlerisches Werk, sondern auch für das Engagement als Bürger unserer Stadt. Da nenne ich vor allen Dingen Ihren Einsatz für die Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses und Ihre sozialen Projekte. Die Zeitung "Die Welt" zitierte Sie am 18. März dieses Jahres mit den Worten:

"Ein Choreographie-Preis, das ist so etwas wie ein Oscar, da arbeitet man gezielt auf etwas hin. Aber mit der Ehrenbürgerwürde wird wohl eher eine große Zeitinvestition gewürdigt, die gewachsene Ausstrahlung von Hamburg, zu der ich vielleicht durch meine Arbeit beigetragen habe."

Hamburg strahlt aus in die Welt, und es strahlt deswegen, weil es die vielen Tänzerinnen und Tänzer gibt, die seit 1978 in Ihrer Ballettschule ausgebildet werden und ausgebildet worden sind.

Sie sagten selbst einmal - und das macht für mich das Gefühl von Glück sehr deutlich -:

"Für mich ist außerdem die Schule, die ich gegründet und aufgebaut habe, ein Glück. Kürzlich haben die Schüler eine Vorstellung gegeben. Und als ich sie sah, so eigen als Künstler, war ich glücklich. Die Schule ist das Resultat vieler Jahre, Gedanken und Entscheidungen. Aber auf einmal waren all diese Gedanken und Entscheidungen wie weggewischt, da war nur das Ergebnis: die tanzenden Schüler. Das ist Glück."

(Beifall im ganzen Hause)

Ein weiterer Punkt, mit dem Sie und das Ballett nach Hamburg und in die Welt hinaus strahlen, sind die Tanzprojekte mit Schülern, die John Neumeier seit Jahren fördert und begleitet: "Focus on YOUth" – davon hat der Bürgermeister gesprochen -, ein gemeinsames Tanzprojekt des Ballettzentrums mit der Gesamtschule Allermöhe.

Dann die Zusammenarbeit zwischen dem "Ballettzentrum Hamburg" und der Grundschule Fährstrasse in Wilhelmsburg, wo das Ballett "Der Nussknacker" einstudiert wurde. Im laufenden Schuljahr betreuen Mitarbeiter des Ballettzentrums die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Altona bei der theoretischen und tänzerisch-choreografischen Auseinandersetzung mit zwei Balletten von Ihnen, nämlich dem "Tod in Venedig" und der "Artus-Sage". Spätestens seit dem Film "Rhythm is it" weiß man, dass man sein Leben in einem Tanzkurs ändern kann und wie wichtig die Bewegungsimpulse sind, die Kindern beim Tanzen mitgegeben werden.

Bekannt ist John Neumeier aber auch für sein vorbildliches Engagement für den Verein "Hamburg Leuchtfeuer" und dessen Hospiz. Jährlich wird anlässlich des WeltAIDS-Tages eine Ballett-Werkstatt in der Staatsoper veranstaltet, deren Einnahmen zu 50 Prozent dem Verein gespendet werden. John Neumeier setzt sich dafür ein, dass HIV und AIDS nicht länger tabuisiert werden und dass man darüber reden kann wie über jede andere Krankheit in unserer Gesellschaft.