Protocol of the Session on February 6, 2008

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(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wie alarmierend die Situation in Hamburg ist, zeigt

gerade die aktuelle Diskussion um die Studie des Kompetenzzentrums für die Untersuchung von Kindern und den Verdacht auf Vernachlässigung, Kindesmisshandlung und sexuellen Missbrauch. Von fast 150 dort seit März 2007 untersuchten Verdachtsfällen haben sich mehr als 60 Prozent bestätigt. Das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Wenn man bedenkt, dass das Kompetenzzentrum noch sehr jung und wohl noch nicht allzu bekannt ist, und wenn man bedenkt, dass nur ein einziger Fall von einem niedergelassenen Arzt gemeldet wurde, mag ich gar nicht daran denken, wie hoch die Dunkelziffer ist. Wenn ich eine Hochrechnung aus diesen Zahlen mache, bin ich mir sicher, dass wir im vierstelligen Bereich landen werden. Das, glaube ich, ist für diese Stadt ein Skandal.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Lassen Sie mich zwei Dinge sagen, bevor ich in die Details gehen möchte. Erstens: Ja, einige von Ihren eingeleiteten Maßnahmen sind richtig und wichtig. Zweitens: Verbindliche Vorsorgeuntersuchungen können nicht alleine das Problem lösen.

(Stefanie Strasburger CDU: Nein!)

Sie können nur ein Baustein in einem Maßnahmenkatalog sein, aber ein wichtiger und dringend notwendiger. Die Ursache des Problems liegt vor allem in der zunehmenden Armut und Perspektivlosigkeit, in der viel zu viele Kinder und Familien in dieser Stadt leben müssen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Viele gerade dieser Familien fallen durch das Raster von Vorsorge, Früherkennung und Betreuung. Es gibt Kinder, die weder untersucht noch in Krippen, Horten, Kitas und Vorschulen betreut werden. Das ist doch das Problem, vor dem wir stehen. Es ist richtig, dass viele Fälle von Misshandlung und Missbrauch in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommen. Aber der größte Nährboden ist die Armut. Klar, Jessica ist ein drastischer Fall gewesen. Aber die steigende Zahl von vernachlässigten Kindern ist alarmierend, denn sie zeigt, dass in dieser Stadt etwas gründlich schief läuft. Sie ist Anzeichen einer sich zunehmend in Arme und Reiche spaltenden Gesellschaft, was Sie heute am frühen Nachmittag noch geleugnet haben. Die Gesellschaft in Hamburg ist gespalten in Arme und Reiche. Das ist ein Symptom davon.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wenn wir eine Verbindlichkeit oder gar eine Verpflichtung der Vorsorgeuntersuchung erreichen wollen, müssen wir für die Ärzte, die Krankenkassen und die Behörden den verbindlichen rechtlichen Rahmen schaffen. Dies kann auf Bundesebene oder - ich meine das logische "oder" - auf Landesebene politisch und gesetzlich gestaltet werden. Sie, Frau Schnieber-Jastram, haben sich einseitig für den Weg zur Bundesratsinitiative entschieden. Wir haben von Beginn an vorgeschlagen beide Wege zu gehen, so wie andere Länder das auch getan haben, allen voran das CDU-geführte und -regierte Saarland. Nun wird auf Bundesebene unter anderem argumentiert, dass dies nicht ohne Änderung des Grundgesetzes möglich sei.

(Doris Mandel SPD: Blödsinn!)

Ob das Blödsinn ist oder nicht, wir haben einen Antrag eingebracht, um den Kinderschutz in das Grundgesetz einzubringen, damit wir in diesem Hause eine entspre

chende Bundesratsinitiative starten können. Sie haben dies abgelehnt. Gutachten haben längst gezeigt, dass eine landesrechtliche Umsetzung möglich und wirksam ist.

(Wilfried Buss SPD: Richtig!)

Wie dies im Landesrecht unbürokratisch umgesetzt werden kann - auch das hat die CDU-geführte Regierung im Saarland mit Erfolg gezeigt. Sie ist beide Wege gegangen und im landesrechtlichen Bereich hat sie mittlerweile Vorbildcharakter. Andere Länder sind nachgezogen, selbst Frau von der Leyen, unsere Familienministerin der großen Koalition in Berlin, ist mittlerweile umgeschwenkt. Sie sagt, ich zitiere:

"Erfahrungen aus dem Saarland zeigen, dass auf diese Weise unbürokratisch nachgehakt wird."

Im Interview mit NDR Info zu dem Thema "Vorsorgeuntersuchungen sind ein wichtiger Baustein" antwortete die Familienministerin am 28. Dezember 2007, also nach dem Kindergipfel der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder im Dezember 2007, auf die Frage, ob man das nicht bundesweit regeln könne, wie folgt. Sie sagt:

"Nein, es ist gerade auf Länderebene richtig."

Und weiter konkret zum Saarländer Modell:

"Das Saarland ist da vorweg gegangen und hat jetzt auch Erfahrung und sagt: 'Das funktioniert. Wir können Euch zeigen, wie es geht'."

Frau Senatorin, ich frage Sie: Warum geht das nicht in Hamburg?

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Warum sind Sie nicht bereit, über unseren Vorschlag für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen nach dem Saarländer Modell ernsthaft zu diskutieren? Sie haben es in diesem Hause bereits zugesagt und seitdem wiegeln Sie ab. Sie reden sich raus und schieben die Verantwortung auf die Bundesebene. Das, finde ich, ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ausflüchte: Herr Staatsrat Wersich sagt im Ausschuss, Vorsorgeuntersuchungen seien als Schutz vor Kindesmissbrauch nicht geeignet, weil Ärzte die häusliche Situation nicht einschätzen können.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Der ist doch selbst Arzt!)

Ob das richtig ist, will ich einmal völlig dahingestellt lassen. So steht es in dem Bericht. Das will ich einmal völlig dahingestellt lassen. Tatsache ist, dass es darum überhaupt nicht geht. Es geht darum, dass die Ärzte melden, welche Eltern ihre Kinder zur Vorsorgeuntersuchung bringen, damit es an einer zentralen Stelle registriert und abgeglichen werden kann, sodass man feststellen kann, welche nicht hingekommen sind.

Dann sagen Sie, das vorgesehene Verfahren insbesondere für die Dreieinhalb- bis Fünfjährigen, also in der U 8 und der U 9, sei unangemessen aufwendig, weil die Kinder täglich in die Kita beziehungsweise die Schulen gingen. Das tut natürlich dem sozialdemokratischen Herzen richtig weh, wenn sie solch eine Aussage treffen. Wir haben immer wieder an dem von Ihnen umgesetzten Gutscheinsystem kritisiert, erstens dass Sie in den Krip

pen und Horten gerade diejenigen ausgrenzen, die arm sind und unter Armut leiden. Das ist Ihre Verantwortung, das tun Sie gerade damit.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens: Mit der Einführung der Vorschulgebühren grenzen Sie ebenfalls gerade diese aus. Wenn Sie dann in dem Ausschuss sagen, dass das unangemessen aufwendig sei, ist das ein Hohn gegenüber dem Kindeswohl.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Besonders erstaunlich ist - und das steht ebenfalls genauso in dem Bericht und wurde so gesagt -, dass Staatsrat Wersich der Auffassung ist, dem Senat sei es nie darum gegangen, die Früherkennungsuntersuchungen verbindlich zu machen. Ich gebe zu, dass das auch unsere Befürchtung ist. Das hörte sich bei Frau Schnieber-Jastram früher ganz anders an. Ihr Weg einer bundesweiten Regelung ist gescheitert. Ihre Argumente sind fadenscheinig. Sie haben sich längst in eine Sackgasse manövriert, denn da herauszukommen, hieße einzugestehen, dass unsere Warnungen und Vorschläge in den letzten Jahren richtig waren, dass unsere Anträge, die wir schon vor einem Jahr gestellt haben, um das Saarländer Modell umzusetzen und wieder aufzugreifen, richtig waren und dass unsere Warnung, nur den Weg der Bundesebene zu gehen, richtig war. Das müssten Sie zugeben und das ist natürlich schwer. Das anzuerkennen, ist besonders in Wahlkampfzeiten schwer, weil Sie Fehler eingestehen und korrigieren müssten.

Wenn Sie in wenigen Minuten diesen Ausschussbericht annehmen und damit unseren Gesetzantrag für eine verbindliche Vorsorgeuntersuchung ablehnen, setzen Sie parteipolitische Interessen vor die Interessen des Kindeswohls. Das, finde ich, ist beschämend. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete von Frankenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Feststellung. Kinderschutz ist uns allen ein wichtiges Thema, nicht nur Ihnen.

(Michael Neumann SPD: Damit fangen Sie jede Rede an!)

Wir haben bisher gemeinsam viel erreicht. Das möchte ich als Erstes einmal vorweg betonen.

(Beifall bei der CDU - Petra Brinkmann SPD: Worthülsen!)

Wir setzen nicht auf einfache Lösungen oder Schnellschüsse aus der Hüfte, sondern wir setzen auf vernetztes Handeln. Beim Kinderschutz wollen wir einen starken Staat und wir haben auch einen starken Staat geschaffen.

Zu den Maßnahmen: Hamburg schützt seine Kinder, Empfehlungen des Sonderausschusses. Aber nicht nur das, wir haben in der Kindertagesbetreuung viel erreicht: Fünf Stunden inklusive Mittagessen. Es sind sehr viel mehr Kinder, die Ausgaben sind auch gestiegen. Aber ich will deutlich betonen: Das Geld geben wir gerne aus. Das sind auch Ausgaben, die der Spaltung in unserer Stadt, die sie fahrlässig herbeireden, entgegenwirken. Das will

ich noch einmal ganz ausdrücklich betonen.