Protocol of the Session on December 16, 2014

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Und auf eine weitere schwere Fehleinschätzung will ich hinweisen. Auch diese gibt Anlass zu Zweifeln am politischen Beurteilungsvermögen des Wirtschaftssenators. Ich zitiere aus einem DVZ-Artikel aus dem Juli 2011 – Zitat Senator Horch –:

"Ich bin [also in Sachen Elbvertiefung] auch deshalb zuversichtlich, dass wir das Klagerisiko reduzieren können, weil wir die Umweltverbände stark eingebunden haben."

Was war das? Das war eine kolossale Fehleinschätzung, die Geschichte hat uns eines Besseren belehrt. Natürlich haben die Umweltverbände geklagt, und dazu brauchte man auch kein Hellseher zu sein. Das ist das Geschäftsmodell der Verbände, das war jedem politisch denkenden Menschen in der Stadt von vornherein klar, offenbar nur dem Wirtschaftssenator nicht.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP fordert daher erneut, die weitere Finanzierung des gescheiterten Vehikels Stiftung Lebensraum Elbe einzustellen und stattdessen durch die Senkung des Hafengeldes die durch die Verzögerung der Elbvertiefung eingetretenen Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens zumindest teilweise zu kompensieren.

Zweiter Punkt aus dem Arbeitsprogramm, die Gewerbeflächenentwicklung. Der Senat hat in seinem Arbeitsprogramm 2011 festgestellt, dass Hamburg auch in Zukunft einen Vorrat an gut erschlossenen Gewerbe- und Industrieflächen braucht. Wir sagen dazu: völlig richtig. Aber getan haben Sie nichts;

auch hier nur Worte statt Taten. Neuausweisung von Gewerbeflächen: Fehlanzeige. Flächenrecycling, Nutzungsintensivierung, Brachflächenentwicklung: weitgehend Fehlanzeige. Überarbeitung des Flächennutzungsplans und Neuausweisung von Gewerbeflächen: Fehlanzeige. Neue Gewerbe- und Handwerkerhöfe, ganz gleich, ob städtisch, als PPP-Modell oder privat: weitgehend Fehlanzeige. Konkrete Planungen über die Nutzung der hafenwirtschaftlichen Flächen des Überseezentrums oder auf Steinwerder: Fehlanzeige – durchgängig überall Worte statt Taten.

Die Folgen dieser Politik sind unmittelbar spürbar. Die Ansiedlung von neuen Unternehmen ist rückläufig, die Abwanderung von gewerblichen Unternehmen und Handwerksbetrieben in das Hamburger Umland nimmt zu. Immer weniger internationale Firmenzentralen haben ihren Sitz in Hamburg. Das kostet die Stadt nicht nur Steuereinnahmen, sondern vor allen Dingen Beschäftigung und Arbeitsplätze.

Drittes Beispiel aus dem Arbeitsprogramm ist das Thema Bürokratieabbau. Sie haben in Ihrem Arbeitsprogramm insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen den Abbau von Bürokratie versprochen, ein wirklich wichtiger Punkt, denn über 80 Prozent aller mittelständischen Unternehmen leidet nach einer Umfrage der Handelskammer stark oder sehr stark unter bürokratischen Anforderungen der Verwaltung. Aber auch hier: versprochen, gebrochen. Seit 2011 hat die Anzahl der Gesetze und Verordnungen Jahr für Jahr im Saldo zugenommen und nicht abgenommen. Darunter fällt auch ein Bürokratiemonster wie das Bettensteuergesetz; also mehr Bürokratielasten und nicht weniger. Und Jahr für Jahr erhöhen Sie die Abgaben und Gebühren bei den Wochenmärkten, den Wasserkunden, beim HVV und ganz besonders bei den Friedhöfen.

Aber nicht nur die Bürokratie wächst und die Gebühren steigen, auch die Anzahl der öffentlichen Unternehmen und Beteiligungen nimmt Jahr für Jahr zu. Die Vorstellung, dass in den vergangenen Jahren eine Privatisierungswelle durch die Stadt gerauscht sei und die Stadt kaum mehr dazu in der Lage wäre, die elementarsten Aufgaben der Daseinsvorsorge zu bewältigen, ist nichts anderes als ein Ammenmärchen. Die Wahrheit lautet, dass wir seit 2004 einen kontinuierlichen Aufwuchs an städtischen Unternehmen, Beteiligungen, Tochter-, Enkel- und Urenkel-Gesellschaften haben. Schauen Sie sich den aktuellen Beteiligungsbericht 2013 an, Sie werden es bestätigt finden. Wir glauben nicht, dass die Stadt wirklich Einzelhandelsunternehmen, Reisebusunternehmen, Fährbetriebe, Fahrzeugwerkstätten oder Stromhandelsunternehmen selbst betreiben muss.

Die FDP hat daher erneut den Antrag gestellt, auch den Bereich der öffentlichen Unternehmen zu

einem Konsolidierungsbeitrag für den Hamburger Haushalt heranzuziehen. Wir freuen uns, dass bei dieser Haushaltsberatung die CDU und die GRÜNEN das inzwischen ähnlich sehen und mit eigenen Anträgen unterstützen. Den letzten Antrag, den wir bei den vergangenen Haushaltsberatungen gestellt hatten, hatten Sie noch abgelehnt beziehungsweise sich enthalten.

Meine Damen und Herren! Ich hatte eingangs von einer Schlussbilanz des Wirtschaftssenators gesprochen. Ich nehme an, er wird die vergangenen vier Jahre gleich im Detail schönreden. Aber, Herr Senator, bedenken Sie dabei, dass die Verfälschung von Bilanzen ein schweres Vergehen ist, rechtlich und politisch.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh! – Karl-Heinz Warnholz CDU: Vorsichtig!)

Der Wähler wird daher den Senat im Februar 2015 zur Verantwortung ziehen, da bin ich mir ziemlich sicher. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt nun Frau Artus von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Hamburg befindet sich schon seit Langem in einer wirtschaftlichen Umbruchsituation und steht dabei im Verhältnis zu anderen Kommunen und Ländern noch ganz gut da, weil Hamburg eine wachsende Metropole ist. Das wird unter anderem gekennzeichnet durch den Zuzug junger Arbeitskräfte. Als Industriestandort verliert die Stadt allerdings zunehmend an Bedeutung. So sinkt der Anteil der Wertschöpfung aus industrieller Produktion laufend, die Dienstleistungsbranchen hingegen wachsen. Hamburg steht im Großen und Ganzen also ganz gut da, davon profitiert auch der SPD-Senat, genauso wie früher die CDU-Senate davon profitierten. Und wir als gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten des Volkes haben die Aufgabe, Unternehmen, die die Wirtschaftspolitik doch prägen, einen klar definierten Rahmen vorzugeben.

So ist das Leitbild unseres Wirtschaftssystems immer noch die soziale Marktwirtschaft. Sie galt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als dritte Form neben rein liberaler Marktwirtschaft und staatlicher Wirtschaftslenkung. Dem Konzept soziale Marktwirtschaft wurde von der SPD lange der demokratische Sozialismus entgegengesetzt. Olaf Scholz hatte 2003 vorgeschlagen, den Begriff ganz aus dem Parteiprogramm der SPD zu streichen, weil er eine Illusion sei.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Das ist ja interes- sant!)

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

Damit hat er sich nicht durchgesetzt, faktisch allerdings schon. Den demokratischen Sozialismus fordert stattdessen DIE LINKE, und das ist auch gut und richtig so.

(Beifall bei der LINKEN)

Er beinhaltet unter anderem ein egalitäres Gerechtigkeitskonzept, bejaht den demokratischen Rechtsstaat und begrenzt Privateigentum in sozial verträglicher Form bis hin zu dessen Überwindung, zum Beispiel in der Daseinsvorsorge und für die Banken. Bürgermeister Olaf Scholz wird von der Handelskammer für seinen wirtschaftsfreundlichen Kurs anhaltend gelobt, und die CDU rudert mühsam hinterher, kann diesem Kurs aber nicht im Geringsten etwas entgegensetzen.

(Hansjörg Schmidt SPD: Nee!)

Bei der FDP ist es ebenso. Sie propagiert unermüdlich das veraltete, überholte und menschenfeindliche Konzept des Marktradikalismus. Davon hat sich die Gesellschaft aber verabschiedet, und deswegen fliegen Sie auch überall aus den Parlamenten, auch wenn sich Frau Suding noch so provokant als "Unser Mann für Hamburg" präsentiert. In Hamburg sagt man Butter bei die Fische, und davon haben Sie von der FDP rein gar nichts zu bieten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Folgen können Sie an jeder Wahlumfrage für Ihre Partei ablesen.

Spätestens seit den Hartz-Gesetzen ist das gefühlt vorhandene Gleichgewicht des späten Kapitalismus beendet worden. Der kleine Wohlstand, der viele Menschen immer zufriedengestellt hat, weil er ihnen ein einigermaßen würdiges Leben im Alter sicherte, schwindet dahin. Früher hat man sich als Rentnerin oder Rentner auf seine Urlaube oder Langzeitaufenthalte auf Mallorca gefreut, auf ein beschauliches Leben im Kleingarten oder auf ein Zusammenleben mit den Enkeln. Heute nimmt immer mehr die Sorge überhand, wer einen im Alter pflegt, welchen Nebenjob man als Rentnerin oder Rentner annehmen muss und wie man die prekäre Lebensweise der Enkel unterstützt, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln. Es sind die Unternehmen, die Arbeitsplätze vernichten und prekäre Arbeitsverhältnisse schaffen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Ach so, natürlich! – Zuruf von Philipp-Sebastian Kühn SPD)

Die gibt es, Herr Kühn, natürlich gibt es die. Das will ich auch gar nicht abstreiten, aber die sind es auch, die die Arbeitsplätze vernichten.

(Finn-Ole Ritter FDP: Die Gleichen sind das!)

Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass die Altersarmut wächst und der Pflegenotstand dazu.

(Hansjörg Schmidt SPD: Gesundheit ist mor- gen!)

Es ist die derzeit große Angst vor sozialer Ausgrenzung und Armut, die Tausende Menschen unter der Ägide von Pegida auf die Straßen treibt. Latent vorhandener Rassismus bietet so rechten Ideologien genügend Nährboden,

(Jörg Hamann CDU: Und Linken-Ideologie!)

und die Vertreter und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft stehen nahezu ratlos davor. Sie erreichen diese Menschen mit Mahnungen und Appellen nicht mehr.

(Hansjörg Schmidt SPD: Die Generaldebatte war gestern!)

Es sind die Folgen weitreichender Deregulation der Arbeits- und Sozialgesetzgebung, die diesen Zustand verursacht haben. Gestatten Sie mir einen kleinen Ausflug. Wenn wir uns den Sozialetat ansehen, die öffentlichen Ausgaben für gesetzliche…

(Glocke)

(unterbrechend) : Frau Kollegin Artus, darf ich Sie schlicht darauf hinweisen, dass wir im Moment den Einzelplan 7 diskutieren.

(Beifall bei der CDU, der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Und, meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe. Bitte fahren Sie fort.

Ich habe lediglich versucht, den Bogen zu schlagen, welche sozialen Auswirkungen Wirtschaftspolitik hat, aber den Ausflug kann ich auch ohne Weiteres beenden.

(Heiterkeit bei Jörg Hamann CDU)

Dass Ihnen die Inhalte nicht passen, Herr Hamann, ist mir schon klar. Aber trotzdem sind die Zusammenhänge wichtig und dass man sie aufzeigt, denn kein Politikfeld steht isoliert im Raum, das müssten Sie eigentlich auch wissen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir über Wirtschaftspolitik reden, müssen wir auch über gesellschaftspolitische Folgen einer falschen Politik reden. Pegida ist aus meiner Sicht Ausdruck falscher Wirtschafts- und Sozialpolitik auf Bundes-, aber auch auf Landesebene.

(Beifall bei der LINKEN)