Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir trauern um unseren Ehrenbürger Siegfried Lenz, der gestern im Alter von 88 Jahren verstorben ist.
Er war ein Schriftsteller, der in unsere Lebenswelten förmlich hineintauchte und dabei unserer Gesellschaft einen Spiegel vorsetzte, aber niemals polemisch, sondern einfühlsam beobachtet, gestochen scharf skizziert und unausweichlich nahe. Mit seinem literarischen Werk hat er Zeitzeugnisse geschaffen, die uns stets zum Nachdenken anregen. Geprägt von seinen Kriegserfahrungen hat er sich ein Leben lang für Freiheit, Demokratie und Aussöhnung eingesetzt. Sein Begriff von Politik und Geschichte, von Verstrickung und Verantwortung in der NS-Zeit war stets geprägt von einem Blick auf Menschen statt auf Theorien. Immer wieder hat Siegfried Lenz in seinen Romanen und Erzählungen, seinen Essays und Interviews den Finger in diese allgegenwärtige deutsche Wunde gelegt, seine Figuren in jenen komplexen Zusammenhang zwischen deutscher Gegenwart und deutscher Geschichte gestellt, zwischen Aufarbeitung und Verdrängung. Aus den Figuren seiner Werke spricht auch der Erzähler selbst, so wie bei seinen "Leuten aus Hamburg": der Künstler, für den Hamburg die einzige Stadt ist, die er liebt, oder die Lehrerin, die sich zu Menschenrechten, Bürgerstolz und Feinsinnigkeit bekennt und ihre Schüler zu Pionieren macht, die Brücken schlagen müssen über die Ströme der Unwissenheit.
Wir, die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft, verneigen uns vor Siegfried Lenz und werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren. Er wird in seinem literarischen Vermächtnis weiterleben. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie und seinen Angehörigen. – Ich danke Ihnen.
Der Präsident des Senats hat mich gebeten, ihm gemäß Paragraf 12 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung die Gelegenheit zu geben, vor Eintritt in die Tagesordnung eine Regierungserklärung zum Thema "Zum Stand der Fahrrinnenanpassung der Elbe" abzugeben. Die Fraktionen haben vereinbart, dass hierzu eine Beratung stattfinden soll. Dabei soll jeder Fraktion eine Redezeit von 20 Minuten und dem fraktionslosen Abgeordneten eine Redezeit von 5 Minuten zur Verfügung stehen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in der Überschrift seiner Pressemitteilung klar gemacht, worum es geht: "Elbvertiefung: Warten auf Luxemburg". Das Gericht will abwarten, was der Europäische Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Ausbau der Weser zur Europäischen Wasserrahmenrichtlinie sagt. Wir haben anderes erhofft, und ich will nicht verbergen, dass ich wie viele, denen der Hamburger Hafen am Herzen liegt, enttäuscht bin.
Angesichts der erfreulichen Konjunktur im Hafen ist der weitere Zeitaufschub für die Beschäftigten und die Unternehmen gerade jetzt ein unwillkommenes Hindernis. In der ersten Hälfte dieses Jahres sind im Hafen mehr beladene Container umgeschlagen worden als jemals zuvor, trotz der bekannten Einschränkungen für Containerschiffe oberhalb einer bestimmten Größe, die selbst mit der Flut nur teilbeladen den Hamburger Hafen anlaufen können. Trotz dieses Handicaps wächst der Hafen und schafft neue, vielfach hochqualifizierte Arbeitsplätze, aber auch gute Arbeitsplätze für alle, die zupacken wollen. Verrinnende Zeit aber ist genau das, was der internationale Seehandel am wenigsten toleriert und was der Hamburger Hafen am wenigsten hat. Das Handicap ist dauerhaft nicht tragbar.
Hamburg ist an der Bille, Alster und Elbe entstanden. Ohne ihren großen Fluss, die Elbe, wäre Hamburg nicht die Stadt, die sie heute ist, und könnte sie es nicht länger sein: ein bedeutendes Logistikzentrum für das gesamte Nord- und Mitteleuropa. Jede und jeder hier weiß um die engen Beziehungen unseres Hafens zu allen Kontinenten und unzähligen Häfen in aller Welt, nicht zuletzt in Asien. Dass Hamburg auch weiter an seiner Lebensader und mit ihr wachsen kann, ist unverzichtbar für die Zukunft unserer Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger.
Meine Damen und Herren! Hanseatische Fairness gebietet uns dennoch, die Perspektive und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen, nicht nur, weil ein Urteil gar nicht gesprochen worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat eigene Gründe, auch im Hinblick auf künftige, ähnlich gelagerte Verfahren, die ganz Europa betreffen werden, Gründe dafür, dass es am Ende zu einem Urteil kommen will, das auf sicheren Pfählen gegründet ist und das künftigen Klagefluten trotzen kann. Die Stadt Hamburg respektiert das und wird das ihre zur noch besseren Klärung der wenigen offenen fachlichen Fragen beitragen. Ich bin zuversichtlich, dass die Behörden die gerichtlichen Anforderungen beantworten werden und sich das wiederaufzunehmende Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht allein auf die verbliebenen sechs Monita beschränken wird, während der gesamte
übrige Teil des Planfeststellungsbeschlusses jetzt sicher ist. Das hat das Bundesverwaltungsgericht nämlich auch deutlich gemacht.
Übrigens ist, ungeachtet der immer wieder beklagten übermäßig langen Dauer von Planungsverfahren in Deutschland, mit Sicherheit noch kein anderes deutsches Infrastrukturprojekt so eingehend auf die Umweltauswirkungen untersucht worden wie dieses. Auf mehr als 6600 Seiten kommen alle denkbaren Umweltauswirkungen gutachterlich zur Sprache. Die schiere Fülle an Karten und Abbildungen ist nur ein äußerer Beleg. Das Gericht hat von all dem nur einzelne Bereiche beanstandet, die bei einer solchen Zählung vielleicht gerade einmal 100 Seiten ausmachen. Nicht von ungefähr muss das Ausbauvorhaben als solches weder geändert noch ergänzt werden, sondern es bleibt, das wissen wir nach aller Voraussicht schon jetzt, auch nach der Gerichtsentscheidung unbeanstandet.
Das Verfahren ist hoch komplex. Mit der Planung einer Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe für 14,5 Meter tief gehende Containerschiffe wurde bereits im Jahre 2004 mit dem Planfeststellungsverfahren 2007 begonnen. 2012 ist der Planfeststellungsbeschluss der zuständigen Bundesbehörde, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und ihrer WSD Nord, und der für den Hamburger Abschnitt zuständigen Hamburger Planungsbehörde, der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, ergangen. Zuvor hatte die Europäische Kommission ebenso zugestimmt wie die Anrainerländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und ja auch Hamburg.
Gegen den Planfeststellungsbeschluss haben BUND und NABU mit Unterstützung des WWF geklagt. Ähnlich war es schon bei früheren Elbvertiefungen. Neu war und ist, dass jetzt für das Verfahren nur noch eine Instanz, nämlich das Bundesverwaltungsgericht, zuständig ist. Das ist das Ergebnis einer dringend notwendigen Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben. Bei früheren Elbvertiefungen mussten viele Jahre für den Instanzenweg vom Verwaltungs- über das Oberverwaltungs- und das Bundesverwaltungsgericht einkalkuliert werden. Deshalb wurden Maßnahmen oft schon vollzogen, während das ordentliche Verfahren noch lief. Das ist oft kritisiert worden. Ein hochkomplexes Verfahren, bei dem nun alles in einer Instanz geklärt werden muss, ersetzt das frühere Vorgehen. Das ist gut, macht aber nichts leichter.
Ich danke im Namen der Stadt sehr ausdrücklich den Planungsbehörden des Bundes und des Landes Hamburg. Bei zahlreichen Fragen waren Untersuchungen zu beauftragen und Entscheidungen zu treffen, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext und aus der Fachliteratur ergeben. Deshalb ist es etwas Besonderes, dass das Bundes
verwaltungsgericht Folgendes festgehalten hat: dass nach der vorläufigen Einschätzung die Planfeststellungsbeschlüsse im Bereich der FFH- und der Umweltverträglichkeitsprüfung an einzelnen naturschutzfachlichen Mängeln litten, die, so heißt es ausdrücklich, behebbar seien und weder einzeln noch in ihrer Summe zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse führen – weder einzeln noch in ihrer Summe. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass das Gericht weitere Vorgaben gemacht hat und weitere Untersuchungen verlangt.
Und an noch etwas hat das Gericht keinen Zweifel gelassen, an der Notwendigkeit der Elbvertiefung als solcher. Wenn die Fahrrinnenanpassung nicht stattfinden kann, hat das Folgen für die Wirtschaft Mittel- und Osteuropas, Deutschlands und natürlich für die hier im Norden und ganz besonders für den Hamburger Hafen. Diese Meinung hatte schon die EU-Kommission. Darauf komme ich noch zurück.
Mein Dank aber schließt die Vertreter der Bundesregierung ein, die für die wesentliche Planungsbehörde, nämlich die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord, zuständig sind. Kritik an ihnen, nämlich den Bundesministern Manfred Stolpe, Wolfgang Tiefensee, Peter Ramsauer und jetzt Alexander Dobrindt, wäre unberechtigt.
Das gilt übrigens auch für diejenigen, die seit Beginn das Verfahren in Hamburg begleiten: als Wirtschaftssenatoren Gunnar Uldall, Axel Gedaschko und Ian Karan und jetzt Frank Horch, oder die Bürgermeister wie auch meine Vorgänger Ole von Beust und Christoph Ahlhaus.
"Heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, […] nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe […]"
ein schöner Traum war das immer und wird es immer bleiben, auch in heutiger Zeit, da die meisten Elbfische längst wieder essbar sind. Natürlich wusste der Urheber dieses Zitats, dass "kritisieren" aus dem Griechischen kommt und "unterscheiden" bedeutet.
Unterscheiden wir also, was das Bundesverwaltungsgericht zur Wasserrahmenrichtlinie gesagt und gefragt hat und was nicht. Machen Sie sich auf ein etwas längeres und nicht ganz einfaches Zitat gefasst.
"Klärungsbedürftig ist, ob das sogenannte Verschlechterungsverbot eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung der Gewässer darstellt oder ob die Zulassung eines Projekts grundsätzlich zu versagen ist, wenn es eine Verschlechterung des Gewäs
serzustands verursachen kann (Frage 1), unter welchen Voraussetzungen von einer 'Verschlechterung des Zustands' auszugehen ist (Fragen 2 und 3) und welche Bedeutung dem sogenannten Verbesserungsgebot neben dem Verschlechterungsverbot zukommt (Frage 4). Die Fragen sind entscheidungserheblich, da die von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion vorsorglich zugelassene Ausnahme vom Verschlechterungsverbot nicht auf einer hinreichenden Tatsachenermittlung und -bewertung beruht, und sie eine eigenständige Bedeutung des Verbesserungsgebots für die Zulassung der Vorhaben verneint hat."
Die genannten vier Fragen hat das Bundesverwaltungsgericht bereits vor einem Jahr dem EuGH gestellt – es ging um die Weservertiefung –, und die Antworten zu formulieren, scheint nicht ganz so einfach zu sein. Das sind jedenfalls die Worte, um die Fragen geht es, und wer jetzt behauptet, er oder sie haben das auf Anhieb verstanden, ist Parlamentarier des Tages.
Leider, und das ist der Punkt, können wir zu dieser Thematik offenbar nicht auf eine ständige Rechtsprechung, 200 Seiten stark und leicht verständlich, zurückgreifen. Nein, sondern es wird, sozusagen, gerade an Seite 1 formuliert.
Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie und das bundesdeutsche Wasserhaushaltsgesetz verbieten prinzipiell jede Verschlechterung der Gewässer. Fachlich umstritten ist, ab wann eine Verschlechterung als solche definiert werden muss. Geht es um Zustandsklassen und den etwaigen Abstieg in eine schlechtere? Oder geht es um jede Veränderung gegenüber dem vorherigen Zustand im Sinne jeder messbaren Qualitätsminderung? Um diese Frage, marginal wie sie auf den ersten Blick scheinen mag, geht es, und das nicht nur jetzt und nicht nur an der Elbe.
Liegt eine – wie auch immer definierte und festgestellte – Verschlechterung vor, darf ein Vorhaben auch dann ausnahmsweise genehmigt werden, wenn besonders gewichtige öffentliche Interessen eine Ausnahme rechtfertigen. Im vorliegenden Fall haben die Planfeststellungsbehörden nach einer vorsorglichen Prüfung hilfsweise, wie die Juristen sagen, eine Verschlechterung unterstellt, dann aber in Anerkennung der Allgemeinwohlinteressen, die mit einer Elbvertiefung verbunden sind, eine solche Ausnahme gestattet. Damit haben sie aus meiner Sicht verschiedene Szenarien ausgeleuchtet und auch gut gearbeitet.
An den Gründen, die eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot rechtfertigen – also am Ausbaubedarf, an der Schiffsgrößenentwicklung, an
den Arbeitsmarkteffekten und anderen Parametern –, hat das Gericht ausdrücklich keine Zweifel. Da es aber bislang noch keine anerkannte Standardmethode zur Bestimmung einer Verschlechterung gebe, sei dennoch die Auslegung durch den EuGH abzuwarten.
Zu einem anderen Punkt. In einer fünftägigen mündlichen Verhandlung im Juli 2014 ist alles auf den Tisch gekommen, ganz wörtlich zu nehmen: Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau zu den Auswirkungen des Vorhabens auf die Tidewasserstände, die Strömungsgeschwindigkeiten und die Sedimentationsraten, ferner der Verkehrsbedarf und die alternativen Prüfungen sowie die Frage, welche geschützten Tier- und Pflanzenarten in welcher Weise zu befassen wären, wenn sie denn selbst mitreden dürften. Ich habe das Ergebnis schon zitiert: Weder einzeln noch in der Summe führen die Monita zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse.
Meine Damen und Herren! Die anstehende Entscheidung des EuGH zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie hat, wie leicht erkennbar ist, eine ökologische und eine industriepolitische Dimension. Ohne jeden Zweifel muss ein Planfeststellungsbeschluss so ausgerichtet sein, dass die Umweltverträglichkeit gewährleistet ist. Reden wir also davon, gern auch einmal mit dem größeren Ganzen im Blick. In der "ZEIT" hat Frank Drieschner ausgerechnet, dass rund um ein fiktives Hamburg des Jahres 2025 ohne Elbvertiefung, das aus diesem Grund Teile seines Container- und überhaupt Güterumschlags an andere Häfen abgegeben hätte, im norddeutschen Raum plus Rotterdam pro Jahr eine halbe Million Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr zusätzlich entstünde, wohlgemerkt per saldo, denn die Einsparung in Hamburg sowie stromaufund -abwärts hat er eingerechnet. Und weil die Zahl eine halbe Million Tonnen den meisten nichts sagt, fügt er hinzu, das entspräche drei Milliarden zusätzlich gefahrenen Kilometern im privaten Autoverkehr.
Nun bin ich durchaus skeptisch gegenüber Modellrechnungen, seit ich weiß – und führende Klimaforscher wie auch Statistiker es bestätigen –, dass Unsicherheitsfaktoren und Variabilitäten leicht unterschätzt werden. Dennoch ist es eine beeindruckende Vorstellung – und keine angenehme –, dass Bayern, Österreich und die Tschechische Republik von ihren guten Schienenverbindungen nach Hamburg abweichen müssten, und Polen, ein wichtiger Handelspartner Hamburgs, Lkws in enorm steigender Zahl quer durch Deutschland in Richtung von Häfen außerhalb unseres Landes schicken würde, nicht zu vergessen Hamburg selbst, das Teile seiner eigenen Versorgung und der der Metropolregion ebenfalls von weiter her über Land zu transportieren hätte.
So viel zu denjenigen, meine Damen und Herren, die der Meinung sind und sie uns auch hier in der Bürgerschaft einreden wollen, dass eine ausbleibende Fahrrinnenanpassung nichts schade, aber viel nütze. Es sind nicht alle Ecken rund, auch nicht im Umweltschutz.
Die Geschichte aber lehrt, dass die Industrialisierung in Deutschland und Europa sehr viel mit Wasser und Wasserwegen zu tun hat. In durchaus dialektischer Weise, denn Flüsse, große Flüsse zumal, waren und sind immer alles: Verkehrswege für Binnen- und Seeschiffe und Verkehrshindernisse für andere Fahrzeuge, Orte der Erholung – auf dem Wasser und entlang der Ufer –, Quellen des Brot- und Fischerwerbs und, gerade auch in Hamburg in der frühindustriellen Zeit, Vorfluter für Trübes.
Flüsse sind ein einzigartiger Lebensraum für Flora und Fauna, an manchen Stellen von hoher ökologischer Bedeutung, und sie erinnern an Sturmfluten und die Verpflichtung, diesen vorzubeugen. Dieser Dialektik und dem Zwang, uns damit auseinanderzusetzen, entkommen wir nicht.