Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

Ein Weiteres: Als Wirtschaftssenator muss ich sagen, wenn man sich heute mit den Unternehmen, mit den Kammern unterhält, dann laufen wir auf ein Riesenproblem hin, auch künftig genügend Fachkräfte in Hamburg zu sichern. Ich glaube, desto früher sollten wir anfangen, die Auszubildenden an den ÖPNV heranzuführen und das auch attraktiv zu gestalten. Das bindet dann am Ende des Tages auch unsere Wirtschaftskraft nicht nur mit den jetzigen Auszubildenden, sondern dann auch mit den Fachkräften.

Von daher kann ich aus meiner Warte nur sagen, ich würde diese Diskussion positiv begleiten wollen und glaube auch, das wäre ein guter Schritt für die Auszubildenden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann können wir zu den Abstimmungen kommen.

Wir beginnen mit dem Antrag der FDP-Fraktion aus der Drucksache 21/16640.

Wer möchte diesem Antrag seine Zustimmung geben? Der kann das jetzt tun. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das einstimmig angenommen.

Wir kommen nun zum gemeinsamen Antrag der GRÜNEN und der SPD-Fraktion aus der Drucksache 21/16368.

Wer diesen Antrag mit der soeben beschlossenen Änderung annehmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist auch dieser Antrag einstimmig angenommen.

(Detlef Ehlebracht)

Wir kommen zum Punkt 69 unserer Tagesordnung, dem Antrag der SPD und GRÜNEN Fraktion: Ersatzfreiheitsstrafen reduzieren und gezielt bei ihrer Vermeidung helfen – Die Modalitäten der Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen rechtlich neu ausgestalten und ein Konzept der aufsuchenden Sozialarbeit prüfen.

"Aufsuchend" war jetzt nicht so gedacht, dass alle aufstehen.

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN: Ersatzfreiheitsstrafen reduzieren und gezielt bei ihrer Vermeidung helfen – Die Modalitäten der Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen rechtlich neu ausgestalten und ein Konzept der aufsuchenden Sozialarbeit prüfen – Drs 21/16525 –]

[Antrag der FDP-Fraktion: Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden: Anpassungen des Strafgesetzbuches bei minderschweren Delikten – Drs 21/16641 –]

Es liegt Ihnen hierzu als Drucksache 21/16641 ein Antrag der FDP-Fraktion vor.

Die Fraktionen der SPD, der GRÜNEN und der FDP möchten beide Anträge an den Ausschuss für Justiz und Datenschutz überweisen, die CDUFraktion nur den Hauptantrag.

Wird jetzt zunächst das Wort gewünscht? – Herr Tabbert von der SPD-Fraktion bekommt es.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel unseres Antrags ist es, Ersatzfreiheitsstrafen zu reduzieren und, wo es geht, sie zu vermeiden. Warum? Ersatzfreiheitsstrafen sind ein letztes Mittel beziehungsweise eine letzte Sanktion für Straftäter, die zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind, diese aber nicht bezahlen können oder nicht bezahlen wollen. Das sind immerhin ungefähr zwischen 3 und 7 Prozent aller Inhaftierten, wenn man einmal die Untersuchungshäftlinge außen vor lässt. In absoluten Zahlen bedeutet das mit Schwankungen pro Monat regelmäßig mehr als 100 Gefangene, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Bei derzeit etwa 2 146 tatsächlich zur Verfügung stehenden Haftplätzen, die zudem recht gut ausgelastet sind, fällt eine solche Zahl schon ins Gewicht. Der Senat wird zudem aufgefordert, ein Konzept für haftvermeidende Maßnahmen zu entwickeln, das die Grundsätze der aufsuchenden Sozialarbeit berücksichtigt.

Damit kein falscher Eindruck entsteht von der Dimension des Problems: Circa 90 Prozent aller Geldstrafen werden in Hamburg bezahlt oder erledigen sich, beispielsweise durch Gnadenerweise.

Die restlichen Strafen werden durch gemeinnützige Arbeit getilgt. Und genau hier wollen wir ansetzen. Haft als Sanktion bei Nichtbezahlen von Geldstrafen: ja, aber nur als allerletztes Mittel. Besser ist es, wenn diese durch gemeinnützige Arbeit kompensiert werden können.

(Beifall bei der SPD)

Denn gemeinnützige Arbeit ist etwas, für das sich der Ersatzfreiheitsstrafler, jedenfalls nach unserem Gesetzesvorschlag, freiwillig entscheiden kann. Da unterscheiden wir uns von dem Antrag der FDP, den wir allerdings, so viel schicke ich vorweg, ebenfalls an den Ausschuss zur Diskussion überweisen können. Aber ich kann an dieser Stelle schon sagen, dass ich ein bisschen Bedenken habe im Hinblick auf Artikel 12 Absatz 2 Grundgesetz, das Zwangsarbeitsverbot. Denn Sie wollen ja, dass man sozusagen verpflichtet ist, bevor die Ersatzfreiheitsstrafe angetreten wird, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Das halte ich verfassungsrechtlich durchaus jedenfalls für problematisch. Und selbst wenn man das für verfassungsgemäß hielte, hätte man noch das Problem, wie man, wenn der Betroffene die gemeinnützige Arbeit nicht leisten will, zu der er verpflichtet ist, das dann vollstreckt. Wie setzt man das durch? Also insofern glaube ich nicht, dass wir da so viel gewinnen. Aber ich will da auch gar keine Polemik aufmachen; ich fände es schön, wenn wir das im Ausschuss diskutieren könnten.

Zweitens spricht für die gemeinnützige Arbeit, dass der Staatskasse dadurch eine Menge Geld erspart werden kann. Denn ein Hafttag kostet ansatzweise bis zu 200 Euro, und mit gemeinnütziger Arbeit kann der zur Geldstrafe Verurteilte dem Staat auch sozusagen etwas zurückgeben und er kostet den Staat nicht nur.

Auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten spricht für die Ableistung von gemeinnütziger Arbeit eine Menge, denn reiche Straftäter kommen meist gar nicht in die Bredouille, dass sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können und dafür ins Gefängnis müssen. Und in der Tat ist es dem Bürger schwer zu vermitteln, dass, wenn jemand zum Beispiel die Öffentlichkeit durch Schwarzfahren geschädigt hat, die Staatskasse dann durch ein aufwendiges Gerichtsverfahren noch weiter belastet hat, zu einer Geldstrafe verurteilt wird, die er meist auch wieder aus staatlichen Sozialleistungen bezahlen muss, er den Steuerzahler dann noch einmal zusätzlich pro Tag 200 Euro kostet.

(Dirk Nockemann AfD: Dann können wir ja alle entlassen!)

Eins ist klar, Herr Nockemann: Sanktionen müssen auch bei Bagatelldelikten sein. Da haben wir gar keinen Dissens, das gebietet der Respekt vor dem Rechtsstaat. Aber in derartigen Fällen ist gemeinnützige Arbeit – ich könnte mir vorstellen, dass wir

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

da sogar einer Meinung sind, sogar wir einer Meinung sind – sicher besser, weil sie dem Straftäter die Möglichkeit gibt, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, und die Gemeinschaft nicht sozusagen noch weiter etwas kostet.

Egal aber, wie man zur Entkriminalisierung von Bagatelldelikten steht, wir fokussieren uns darauf, was man in Hamburg konkret tun kann. Das ist das, was unser Konzept will. Alles darüber Hinausgehende obliegt ohnehin der Bundesgesetzgebung.

Der zweite Aspekt des Antrags … Ich sehe, meine Zeit geht langsam dem Ende zu.

(Zurufe von Dennis Gladiator CDU und Dirk Kienscherf SPD: Die Redezeit!)

Meine Redezeit. Gott sei Dank nur die Redezeit; danke, dass ich hier so eine gute Prognose bekomme.

Der zweite Aspekt ist, dass wir in der Tat die aufsuchende Sozialarbeit stärken wollen. Das ist ein anderer Ansatz, den es zu verfolgen gilt, um Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden. Es gibt ja eine Klientel, sie ist nicht besonders groß, die aber einfach Schwierigkeiten hat, sich mit den Möglichkeiten der Haftvermeidung auseinanderzusetzen. Und da sozusagen die Mühen zu verdoppeln, diese Menschen aufzusuchen, sie anzusprechen, wie sie das tun können, ist, glaube ich, den Schweiß der Edlen wert.

Insofern: Wie es sich gehört,

(Glocke)

überweisen wir den Antrag an den Ausschuss, damit wir ihn dort vertieft diskutieren können.

Ihre Redezeit ist wirklich abgelaufen.

Ich freue mich auf die weitere Debatte dort. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Herr Lenders von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wird im Rahmen des Strafverfahrens festgestellt, dass der Angeklagte rechtswidrig und schuldhaft eine Straftat begangen hat, wird er grundsätzlich verurteilt. Es ist wichtig aus unserer Sicht, dass er eine gerechte Strafe erhält: für die Opfer, für die Gesellschaft und die Täter gleichermaßen. Art und Höhe der konkreten Strafe bei Erwachsenen, also Freiheitsstrafe oder Bewährungsstrafe, legt das Gericht im Rahmen der Strafzumessung fest. Die Strafzumessung dient einer schuldangemessenen Bestrafung. Da

bei wägt das Gericht die für oder gegen den Täter sprechenden Tatumstände ab, zum Beispiel Motive, Gesinnung, Art und Weise der Begehung. Auch das Vorleben und das Nachverhalten werden vom Gericht entsprechend gewürdigt.

Eine Geldstrafe, die vom Amtsgericht bei leichten Delikten wie Schwarzfahren oder Ladendiebstählen verhängt wird, um Freiheitsentzug zu vermeiden, wird in Tagessätzen verhängt. Wenn das Gericht einen Täter zu einer Geldstrafe verurteilt, dann versucht es also bereits, einen Freiheitsentzug zu vermeiden. Nach der Verurteilung zu einer Geldstrafe kommt es dann sehr häufig dazu, dass entsprechende Zahlungsaufforderungen oder Mahnungen ignoriert werden, und zahlt derjenige, der verurteilt worden ist, dann immer noch nicht, tritt an die Stelle der Geldstrafe die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe. Und natürlich, Herr Tabbert, Sie haben es eben in Ihrem Redebeitrag deutlich gemacht, muss man dann abwägen, inwieweit die Ersatzfreiheitsstrafe – ich nenne es einmal vorsichtig – umgangen werden kann oder abgeändert werden darf. Es darf aber natürlich nicht für die Gesellschaft mehr oder weniger im Raum stehen: So eine Ersatzfreiheitsstrafe, so eine Geldstrafe, da passiert nichts, wenn man nichts tut. Ich glaube, das will die SPD-Fraktion nicht und das wollen die meisten hier auch nicht.

Wenn wir uns allerdings die Lage in unseren Gefängnissen anschauen, und das gehört natürlich auch zur Realität dazu, wird schnell klar, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, dass diese Strafen möglicherweise nicht hinter Gittern verbüßt werden.

(Beifall bei Farid Müller GRÜNE)

Herr Müller, ich freue mich immer, wenn die GRÜNEN einem konservativen Politiker wie mir aus der CDU Beifall klatschen.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Da freut sich die CDU!)

Aber jetzt kommt es, Herr Müller. Genau zuhören, jetzt kommt nämlich der Nachsatz: Es ist natürlich auch ein Problem, dass unsere Justizvollzugsanstalten in Hamburg relativ wenig Kapazitäten frei haben, um nicht das böse Wort in den Mund zu nehmen, sie platzen aus allen Nähten.

(Farid Müller GRÜNE: Wir freuen uns, wenn wir mit Ihrer Hilfe in Bergedorf weiterkom- men!)

Ersatzfreiheitsstrafler, lieber Herr Müller, müssen aus Platznot gemeinsam mit Langstraflern in Fuhlsbüttel oder mit Sexual- oder Gewaltstraftätern in der Sozialtherapeutischen Anstalt untergebracht werden. Dies hilft weder den einen noch den anderen. Ein Haftplatz kostet mittlerweile 170 Euro täglich und Resozialisierungsmaßnahmen können bei

(Urs Tabbert)

einer derartig kurzen Unterbringungsdauer wohl kaum geführt werden.