Protocol of the Session on July 2, 2008

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Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 12. Sitzung im 5. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.

Ich werde die Beschlussfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt feststellen.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 14, Dringliche Anfragen. Es folgt dann der gestern zurückgestellte Tagesordnungspunkt 12 - Finanzausstattung der Kommunen verbessern, Verbundquote anheben! Anschließend setzen wir die Beratung in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.

Die heutige Sitzung soll gegen 18.05 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.

Es folgen jetzt geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung der Finanzminister, Herr Möllring, ab 12.15 Uhr und die Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, Frau Ross-Luttmann, sowie von der Fraktion der SPD Herr Schostok.

Vielen Dank. - Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Dringliche Anfragen

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor.

Bevor ich die einzelnen Fragen aufrufe, möchte ich daran erinnern, dass für die Behandlung Dringlicher Anfragen nach der im April 2008 beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung folgende Regeln gelten:

Jede Fraktion kann bis zu vier Zusatzfragen stellen. Ein fraktionsloses Mitglied des Landtages kann bei der Behandlung der Dringlichen Anfragen in einem Tagungsabschnitt insgesamt eine Zusatzfrage stellen. Zusatzfragen dürfen nicht verlesen werden. Sie müssen zur Sache gehören und dür

fen die ursprüngliche Frage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Zusatzfragen müssen knapp und sachlich sagen, worüber Auskunft gewünscht wird. Anfragen, durch deren Inhalt der Tatbestand einer strafbaren Handlung begründet wird oder die Werturteile oder parlamentarisch unzulässige Wendungen enthalten, sind unzulässig.

Ich weise besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nach der jetzigen Regelung nicht mehr zulässig sind.

Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, sich schriftlich zu Wort zu melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen wollen.

Ich rufe nun die erste Dringliche Anfrage auf, und zwar Tagesordnungspunkt 14 a:

Maßnahmen der Landesregierung zur Sicherung des Automobilstandorts Osnabrück - Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/302

Ich erteile dazu dem Abgeordneten Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach wie vor hochgradig unsicher ist die Zukunft des Karmann-Werkes in Osnabrück. Auf der IG-Metall-Bezirkskonferenz bezeichnete Herr Ministerpräsident Wulff am 20. Juni Karmann als das „neben Asse II im Moment größte ungelöste Problem im Land“. In der Aktuellen Stunde des Juni-Plenums des Niedersächsischen Landtages hat Herr Minister Hirche das Engagement der Landesregierung zur Unterstützung des Unternehmens Karmann bekräftigt. Er hat in diesem Zusammenhang angesichts der Hoffnungen in Osnabrück auf Aufträge aus Wolfsburg auch darauf hingewiesen, dass die Landesregierung „auf allen Wegen“ versuche, ihre Position, es sei ein „kardinaler Fehler“, wenn Karmann jetzt hängen gelassen würde, „auch den Entscheidungsebenen bei VW zu vermitteln“.

Nach Angaben der Zeitschrift Manager Magazin Spezial vom Oktober 2007 verfügte allein die Eigentümerfamilie Karmann damals über 0,4 Milliarden Euro Geldvermögen und gehörte zu den 300 reichsten Familien unseres Landes. Eine finanzielle Notsituation für die Eigentümerfamilien besteht also nicht; der Artikel 14 Abs. 2 unseres Grundgesetzes - „Eigentum verpflichtet“ - hat für seine In

anspruchnahme eine hinreichende materielle Grundlage.

Die IG Metall hat auf die anhaltende Krisensituation bei Karmann mit einem Aktionsmonat reagiert, um alle wirtschaftlich und politisch verantwortlichen Kräfte zu ermahnen, alles zu tun, damit in Osnabrück auch künftig Autos gebaut werden.

(Unruhe)

Herr Kollege, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen.

Gerne.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Gespräche einzustellen, damit der Abgeordnete Dr. Sohn seine Frage in Ruhe vortragen kann.

Zumal ich so sachlich vortrage.

Zwischenzeitlich hat der Miteigentümer Wilhelm Dietrich Karmann laut NOZ vom 10. Juni eingeräumt, dass „alle strategischen Optionen zur Zukunftssicherung“ einschließlich eines möglichen Verkaufs entweder der Sparte Fahrzeugbau oder des ganzen Unternehmens geprüft würden.

Vor dem Hintergrund dieser Situation fragen wir die Landesregierung:

1. Welche Möglichkeit sieht sie, möglicherweise in Kooperation mit der Bundesumweltstiftung, durch die Unterstützung der innovativen Forschungsfelder bei Karmann - außer der Dachkonstruktion auch die Entwicklung alternativer Antriebstechniken - die Abwanderung qualifizierter Entwickler, Forscher und Ingenieure zu verhindern?

2. Teilt sie die Auffassung des Betriebsrats von Karmann und der IG Metall, dass aus der Sozialpflichtigkeitsklausel des Artikels 14 Abs. 2 unseres Grundgesetzes auch die Verpflichtung erwächst, im Falle eines Verkaufs von Teilen oder des gesamten Werkes die sozialen Interessen der Beschäftigten, speziell hinsichtlich des Erhalts von Arbeitsplätzen, dauerhaft zu wahren?

3. Sieht sie angesichts der öffentlich geäußerten Absicht der Eigentümer von Karmann, auch Beteiligungen, Teilverkauf oder den Gesamtverkauf des Werkes zu prüfen, die Möglichkeit, ihren Einfluss

bei VW und/oder eigene Mittel geltend zu machen, um Anteile von den Eigentümerfamilien mit dem Ziel zu erwerben, durch Investitionen dauerhaft Automobilarbeitsplätze im Wirtschaftsraum Osnabrück zu sichern?

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte jetzt Herrn Minister Hirche um die Beantwortung der Fragen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade vier Wochen ist es her, dass wir in einer Aktuellen Stunde des Plenums ausführlich die Situation bei Karmann erörtert haben. Das scheint hier - verständlicherweise, muss ich allerdings sagen - zu einem Dauerthema der Linken zu werden. Ich gehe davon aus, dass der Sachverhalt in Sachen Karmann, ergänzt um bekannte Presseberichte über die Prüfung aller strategischen Optionen für die Zukunftssicherung, noch präsent ist und ich daher direkt zur Beantwortung der Fragen kommen kann.

Zu 1: Eines ist trotz der bestehenden Auftragsprobleme unbestritten: Die Referenzen von Karmann sind hervorragend. Das ist das Ergebnis bestens qualifizierter und motivierter Mitarbeiter. Karmann hat immer vom Prinzip „Leistung und Qualität“ gelebt. Das gilt sowohl für den Fahrzeugbau als auch für die weiteren florierenden Geschäftsfelder Karmanns. Diese Bereiche können aber nicht kurzfristig alle frei werdenden Fachkräfte des Fahrzeugbaus aufnehmen. Dennoch gilt: In der heutigen Zeit, in der es überall an Fachkräften mangelt, muss die technologische Kompetenz der Mitarbeiter in der Firma gehalten werden.

Die Möglichkeiten der Landesregierung, Karmann als Hochtechnologiezulieferfirma in ihren Umstrukturierungsbemühungen zu unterstützen und, damit verbunden, qualifizierte Arbeitskräfte zu erhalten, werden durch das strenge europäische Beihilferegime bestimmt. Damit ist die Förderung investiver Maßnahmen bei Karmann verwehrt. Wir unterstützen Karmann bei der Durchführung von Forschungsprojekten, insbesondere um die Spezialisierung auf neue Antriebskonzepte für Wasserstoff- oder Hybridfahrzeuge zu begleiten. Aktuell engagieren wir uns mit Fördermitteln in der Entwicklung eines Prototypen für eine neuartige Hoch

temperaturbrennstoffzelle. Für weitere Projekte stehen wir einer Förderung positiv gegenüber. Diese können jedoch nicht vom Land initiiert werden, sondern müssen aus dem Unternehmen kommen.

Natürlich kommt auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt als potenzieller Fördergeber grundsätzlich in Betracht. Das ist auch bei Karmann bekannt. Doch dass die dort zur Verfügung stehenden Fördermöglichkeiten, die im Übrigen vorrangig für KMU, also für kleine und mittlere Unternehmen, gedacht sind, geeignet seien, die Probleme bei Karmann zu lösen, ist zu bezweifeln.

Im Übrigen gilt: Das Zurverfügungstellen von Forschungsgeldern wird nie verhindern, dass auch qualifizierte Mitarbeiter abwandern. Häufig passiert das schon, wenn sich in einem Unternehmen die Zahlen negativ entwickeln. Qualifizierte Mitarbeiter kennen heute ihren Wert und sind auch mobil. Letztendlich ist entscheidend, welche Perspektiven sie selbst für das Unternehmen sehen. Dafür wird jedoch nicht der Handlungswille der Landesregierung, sondern das Vertrauen in die Geschäftsführung den Ausschlag geben.

Deswegen, meine Damen und Herren, trage ich hier im Landtag noch einmal die Bitte vor, im Interesse von Karmann und den Arbeitsplätzen die Debatte nicht parteipolitisch aufzuladen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu 2: Seit der Gründung Karmanns im Jahre 1901 ist das Unternehmen in Familienbesitz. Familienunternehmen wie Karmann sind Synonym für nachhaltige Unternehmensplanung, vorausschauendes Handeln und verantwortlichen Umgang mit den Mitarbeitern. Dieser Unterschied zu anonymen Konzernen wird übrigens auch bei anderer Gelegenheit immer gern unterstrichen. Familienunternehmer, die mit ihrem Vermögen haften und dem Standort treu bleiben, das wünschen sich Staat und Arbeitnehmer gleichermaßen. Wenn ein Unternehmen 107 Jahre in Familienbesitz gehalten wird, dann ist das doch wohl ein Paradebeispiel für den Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet.“

Die Anfrage unterstellt den Karmann-Gesellschaftern, Kasse machen zu wollen. Dafür hätte es weitaus bessere Zeiten gegeben. Auch Loslassen kann in diesem Fall eine Form zur Erfüllung der Eigentumsverpflichtung sein, wenn sich das als das Beste für das Unternehmen und seine Mitarbeiter herausstellt. Die Landesregierung jedenfalls

unterstellt den Eigentümerfamilien, dass ihnen die Sicherung der Zukunft des Unternehmens und der Mitarbeiter am Herzen liegt und dass für dieses Ziel gegebenenfalls auch ein - für die Gesellschafter sicherlich nicht leichter - Teil- oder Gesamtverkauf in Betracht gezogen werden muss. Auch die Gewerkschaften sehen in einem möglichen Verkauf von Karmann für sich genommen kein Desaster, wenn durch einen finanzstarken Investor die Arbeitsplätze gesichert werden.

Natürlich sind - das möchte ich hier klarstellen - für die Landesregierung der Verbleib im Familienbesitz und eine strategische Partnerschaft mit einem Autohersteller die wünschenswerteren Alternativen. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. Sowohl ich als auch insbesondere der Herr Ministerpräsident führen dazu viele intensive Gespräche. Aber bei jedem potenziellen Investor ist klar: Die kleinste Nachricht in der Öffentlichkeit, und das Projekt ist kaputt.

Zu 3: Die Fraktion DIE LINKE hat offenbar Schwierigkeiten mit dem Aktienrecht und seinen rechtlichen Abgrenzungen zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und Anteilseignern. Das operative Geschäft ist ausschließlich Sache des Vorstands. Die Arbeitsplatzgarantien bei VW, Ergebnis von Verhandlungen zwischen Vorstand und Betriebsrat, bedeuten übrigens, dass bisher outgesourcte Arbeitspakete nicht mehr nach außen vergeben werden. Ein Aktionsmonat in Osnabrück kann die Konsequenzen von Arbeitsplatzgarantien bei VW mit fortlaufender Rationalisierung der Produktionsprozesse und der Folge, dass Arbeiten, die bisher outgesourct wurden, jetzt wieder ingesourct werden, nicht rückgängig machen.

Ihre Idee des Kaufs von Anteilen an Karmann durch VW oder das Land passt natürlich in Ihre Denkschablone. Aber mit dieser Art von Wirtschaftskompetenz wurden schon andere Staaten wirtschaftlich zugrunde gerichtet.