Protocol of the Session on September 26, 2012

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(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Ich finde sowieso, dass nur Männer wäh- len sollten!)

Ich hatte vorhin eine Lehrerin und Schüler zu Besuch, die genau diese Positionen geteilt haben.

Die vollständige Strafmündigkeit ist erst ab 18 Jahren gegeben. Bei der Prüfung der Anwendung des Jugendstrafrechts wird bei Heranwachsenden im Alter von 18 bis 21 Jahren darüber hinaus oft von einer eingeschränkten Urteilskraft ausgegangen, da in etwa 70 % der Fälle das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt.

Die CDU-Fraktion wird den vorliegenden Gesetzentwurf folglich ablehnen. Das einzig objektive Kriterium zur Festlegung des Wahlalters bleibt die Kopplung an die Volljährigkeit. Um die Jugendlichen mehr für Politik zu interessieren und sie mit den politischen Interessen vertraut zu machen, wird auch im kommenden Jahr im Vorfeld der Landtagswahl die Juniorwahl durchgeführt. In diesem Rahmen beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit der Landespolitik und können wertvolle Erfahrungen sammeln. Auf diese Weise lernen sie politische Zusammenhänge kennen und können durch den Abgleich der verschiedenen

Programmatiken mit den eigenen Vorstellungen erste Einordnungen vornehmen. Das ist unverzichtbar, bevor der erste Gang zur Wahlurne ansteht.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Professor Dr. Zielke.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Jetzt wird es liberal!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mündig zu sein bedeutet, dass jemand die vollen Rechte und Pflichten als Bürgerin oder Bürger wahrnehmen kann. In unserem Rechtsstaat ist die Altersgrenze zur Mündigkeit im Wesentlichen auf 18 Jahre festgelegt, und das aus guten Gründen. Wer in einem Laden Alkoholika kaufen will, muss mindestens 18 Jahre alt sein, ebenso wer einen Handyvertrag abschließen will.

Und auch bei der Ahndung von Straftaten unterscheiden wir zwischen Erwachsenen und Jugendlichen unter 18 Jahren, denen von vornherein eine geringere Reife und Einsichtsfähigkeit als strafmildernd zugebilligt werden. Unser Strafgesetzbuch sieht auch vor, dass junge volljährige Straftäter sich in Ausnahmefällen auf jugendlichen Übermut oder Reifeverzögerung berufen können. Nun wurden in den 60er-Jahren nur etwa 20 % der Täter zwischen 18 und 21 Jahren nach dem - relativ milderen - Jugendstrafrecht verurteilt. Heute sind es 70 % der Täterinnen und Täter dieser Altersklasse. Offenbar sind also die heutigen Heranwachsenden zwischen 18 und 21 im Schnitt deutlich unreifer als die vor 50 Jahren.

Nun zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Der Kern Ihrer Begründung des Wahlalters 16 ist die Behauptung, Jugendliche würden heute - ich zitiere - aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen früher eigenständiger und verantwortungsbewusster handeln und sich gesellschaftspolitisch engagieren. Kurzum: Sie seien reifer als früher.

Natürlich kann man sagen: Na ja, beim Ladendiebstahl oder dem Erpressen von Gleichaltrigen - beschönigend als „Abziehen“ bezeichnet -, da nehmen wir Unreife an, aber politische Reife, das ist etwas ganz anderes. - Richtig plausibel ist das schon mal nicht.

Aber es ist auch gar nicht wahr. Die hohe politische Reife von 16- oder 17-Jährigen gibt es so nicht, sie ist eine reine Chimäre. Wissenschaftler der Universität Hohenheim haben 2011 untersucht, wie der Zusammenhang zwischen Politikverständnis und Wahlalter tatsächlich ist. Man hat das Politikverständnis von Erstwählern zwischen 18 und 21 Jahren mit dem von 16- und 17-Jährigen verglichen, mit Multiple-Choice-Tests zu politischen Begriffen und zum Verständnis von Redeausschnitten von Politikern wie Beck, Merkel oder Lafontaine.

Und da hat man ganz verblüfft festgestellt, dass die Gruppe der 16- und 17-Jährigen signifikant weniger Ahnung von Politik hat als die Gruppe der Erstwähler, und das gilt unabhängig vom schulischen Bildungsgrad, also für Gymnasiasten bzw. Abiturienten genauso wie für Hauptschüler bzw. Hauptschulabsolventen. Ich zitiere aus dem Fazit der Studie:

„Eine Herabsetzung des Wahlrechts auf 16 Jahre sollte also nicht erfolgen, ohne vorher die politische Bildung in den entsprechenden (niedrigeren) Klassenstufen auszubauen.“

Ein anderer empirischer Befund sollte nachdenklich stimmen. In Österreich durften erstmals bei der Nationalratswahl 2008 16- und 17-Jährige mitstimmen. Danach gab es im Auftrag der österreichischen Regierung eine Post-election-Studie des Instituts für Strategieanalysen „Wählen mit 16“. Ich zitiere aus Studie:

„Gerade FPÖ und BZÖ werden explizit als rechte Parteien wahrgenommen und deswegen auch dann gewählt.“

Es haben nämlich 31 % der 16-Jährigen diese Parteien gewählt, aber nur noch - oder immerhin - 18 % der 18-Jährigen.

Weiter heißt es:

„Gerade für die Jung- und ErstwählerInnen ist dieser ‚gesellschaftliche Rechtsruck’... als normal zu bezeichnen.“

In Baden-Württemberg hat man eine Woche vor der Landtagswahl 2011 eine sogenannte U18 Jugendwahl Baden-Württemberg für die 16- bis 17Jährigen durchgeführt. Da haben viermal so viele Wähler NPD gewählt wie danach in der Wahl der Erwachsenen.

Jugendliche sind nun einmal mangels eigener Lebenspraxis und auch mangels politischer Kenntnisse leichter zu beeinflussen, zu begeistern und politisch zu verführen. Dem Jugendkult zu huldigen, indem man den Jugendlichen das volle Wahlrecht in Aussicht stellt, ist ein billiges, kurzsichtiges Manöver. Das können wir nicht mittragen.

Und jetzt noch ein letztes Wort zu den Kinderkreuzzügen, so es beliebt. Ich habe den Artikel eben überflogen. Da steht nicht, dass dort keine Kreuzzüge stattgefunden haben, sondern da steht nur, dass außer Kindern noch einige andere teilgenommen haben - aber im Wesentlichen Kinder.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es spricht jetzt der Kollege Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie alle wissen, sind meine Fraktion und meine Partei für eine Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre. Das ist ein noch weitergehender Vorschlag als der der Linken. Aber selbstverständlich tragen wir auch die Forderung der Fraktion DIE LINKE mit, weil sie die Möglichkeiten junger Menschen, sich in diesem Land politisch zu beteiligen, in der Tat erweitert.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Wer bietet 12?)

Ich möchte gern auf einige Gegenargumente eingehen, die vonseiten der Regierungsfraktionen genannt wurden.

Herr Professor Zielke, das hier ist kein historisches Seminar, aber wenn Sie Ihr neues Lieblingsthema Kinderkreuzzüge ansprechen, dann möchte ich Sie daran erinnern, dass die große Mehrzahl der Kreuzzüge - das dürfte unumstritten sein - von Erwachsenen durchgeführt wurde. Also hören Sie auf, dieses abstruse Argument gegen das Wahlalter 16 ins Feld zu führen!

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Die Kinder sind doch von Erwachsenen dorthin ge- führt worden!)

Nun zu der Studie, die Sie angeführt haben. Herr Professor Zielke, Sie wissen so gut wie ich, dass es viele andere Studien gibt, etwa von Professor Klaus Hurrelmann, die nahelegen, das Wahlalter sogar auf 14 Jahre zu senken. Darauf haben wir uns in den Debatten bezogen.

Ich will noch einen weiteren Aspekt ansprechen. Herr Kollege, wenn Sie sagen, dass es den Menschen nicht möglich war, Reden von Kanzlerin Merkel zu verstehen, dann muss ich Ihnen sagen: Das geht auch mir sehr häufig so.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN, bei der SPD und bei der LIN- KEN - Jens Nacke [CDU]: Dann soll- ten Sie vielleicht nicht wählen gehen, Herr Kollege! - Professor Dr. Dr. Ro- land Zielke [FDP]: Es ging nicht nur um Reden von Frau Merkel, sondern z. B. auch von Herrn Lafontaine!)

Ein letzter Punkt ist mir noch sehr viel wichtiger, Herr Professor Zielke. Sie haben hier wiederholt unterstellt, Jugendliche seien anfälliger für die Propaganda von Nazis und würden häufiger Nazis wählen.

(Jens Nacke [CDU]: Sie sind nicht in der Lage, politische Reden zu verste- hen! Das erklärt manches!)

Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Professor Zielke: Vergleichen Sie die Landtagswahlergebnisse in Deutschland. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo die Wahlaltersgrenze 18 Jahre beträgt, hat sich die NPD mittlerweile verfestigt. In Brandenburg, wo die rot-rote Koalition die Wahlaltersgrenze auf 16 Jahre abgesenkt hat, existieren keine rechten Parteien mehr im Parlament.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aha! - Jens Nacke [CDU]: Aber die Linke ist doch drin!)

So einfach, wie Sie es hier darstellen, ist es beileibe nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Jetzt komme ich zu den Argumenten des Kollegen Adasch: Sie tun immer so, als sei die Volljährigkeit die einzig objektive Grenze und als müsse sich alles daran ausrichten. Dabei übersehen Sie, dass z. B. die Strafmündigkeit, wie hier bereits angesprochen wurde, bereits mit 14 Jahren eintritt ebenso wie die Religionsmündigkeit. Bis weit in die 90er-Jahre hinein konnten 17-Jährige zur deut

schen Bundeswehr gehen und an der Waffe ausgebildet werden, meine Damen und Herren. Also tun Sie doch bitte nicht so, als seien diese 18 Jahre eine wie auch immer geartete objektive Grenze!

(Beifall bei der LINKEN)

Letztendlich ist es - das haben die Expertinnen und Experten auch bereits in der Anhörung zu unserem Antrag Wahlalter 14 gesagt - immer auch ein Stück weit eine Wertentscheidung, wen man schon als reif bewertet und noch einschließt und wem man dieses wichtige demokratische Recht verwehrt. Dazu hat Herr Kollege Adler ganz am Anfang etwas Richtiges gesagt: In Wahrheit muss man in einer Demokratie gut begründen, wenn man jemanden nicht zu einer Wahl zulässt.

Meine Damen und Herren, wir meinen, 16- und 17Jährige haben z. B. bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen gezeigt, dass sie in der Lage sind, solche Entscheidungen mitzutragen. Deswegen sollten sie es auch auf Landesebene können.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/4730 ablehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit.