Wir kommen zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 14, Dringliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.
Ich darf Sie herzlich bitten, Ihre Reden bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, an den Stenografischen Dienst zurückzugeben.
Guten Morgen! Es haben sich entschuldigt: von der Fraktion der CDU Herr Ahlers und Herr Hoppenbrock, von der Fraktion der SPD Frau Leuschner, von der Fraktion der FDP Herr Rickert bis zur Mittagspause und das fraktionslose Mitglied Frau Wegner ab 17.30 Uhr.
Es liegen vier Dringliche Anfragen vor. Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Ich möchte nur noch einmal gesondert darauf hinweisen, dass danach einleitende Bemerkungen zu Zusatzfragen nicht mehr zulässig sind.
Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie darum, sich nach wie vor schriftlich zu Wort zu melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen wollen.
Cross-Border-Leasing-Geschäfte der Deutschen Messe AG, ihre Ursachen und Folgen? - Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1242
- Frau Kollegin, einen Moment bitte! - Bei allem Verständnis für den morgendlichen Austausch von Gedanken und Anregungen zum Ablauf des heutigen Tages bitte ich Sie, jetzt der Kollegin Ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Deutsche Messe AG hat Angaben der Zeitung Neue Presse, Region Hannover, vom 30. April 2009 zufolge im Jahr 2000 im Rahmen von sogenannten Cross-Border-Leasing-Geschäften mehr als vier Fünftel der insgesamt 27 Messehallen an US-Investoren verleast und zurückgemietet, um Steuern zu sparen. Der Vorstandsvorsitzende der Messe AG, Dr. Wolfram von Fritsch, hat das dieser Zeitung zufolge am 29. April 2009 - nach vorheriger jahrelanger Verschwiegenheit des Vorstands der Messe AG zum Thema Cross-Border-Leasing - zugegeben.
Schon im November 2008 hatte die Linksfraktion im Rat der Landeshauptstadt eine diesbezügliche Anfrage an die Stadtverwaltung Hannover gestellt. Mit dem Hinweis auf das sogenannte Geschäftsgeheimnis wurde vonseiten des Stadtkämmerers Marc Hansmann eine genaue Auskunft aber verweigert.
Noch am 29. April 2009, dem Tag der oben genannten Bekanntmachung von Dr. Wolfram von Fritsch, wurde ein Antrag der Linksfraktion zur Offenlegung der Cross-Border-Leasing-Geschäfte der Deutschen Messe AG im Finanzausschuss des Rates der Stadt Hannover mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Messe AG, Walter Hirche (FDP), war bis Ende Februar 2009 niedersächsischer Wirtschaftsminister. Der Zeitung Neue Presse, Region Hannover, vom 29. April 2009 zufolge räumte er ein, dass es zu dem Cross-Border-Leasing-Geschäft im Rückblick
Das Land Niedersachsen ist ebenso wie die Stadt Hannover mit 49,832 % an dem gezeichneten Grundkapital der Deutschen Messe AG beteiligt. Minderheitsgesellschafter sind die Region Hannover und die Freie Hansestadt Bremen. Vor Kurzem war seitens der Landesregierung und der Stadtverwaltung Hannover zur Sicherung der Liquidität der Deutschen Messe AG eine Kapitalerhöhung der Deutschen Messe AG in Höhe von 250 Millionen Euro, die jeweils zur Hälfte vom Land Niedersachsen und von der Stadt Hannover finanziert werden soll, bekannt gemacht worden.
Das Niedersächsische Finanzministerium antwortete in der 35. Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtages am 27. März 2009 auf eine entsprechende Anfrage des Abgeordneten Dr. Manfred Sohn (LINKE) zu Cross-Border-Leasing-Geschäften in Niedersachsen folgendermaßen:
„Der Niedersächsischen Landesregierung sind keine problembehafteten Cross-Border-Leasing-Verträge bekannt, die niedersächsische kommunale Körperschaften geschlossen haben … Exakt lässt sich das allerdings nicht feststellen, da sich die überwiegende Zahl der betroffenen Kommunen immer noch bedeckt hält.“
Unsere zwischenzeitlich durchgeführten Recherchen belegen allerdings, dass die Zeitung Neue Presse, Hannover, bereits in ihrer Ausgabe vom 7. Oktober 2002 über die Cross-Border-LeasingGeschäfte der Deutschen Messe AG informierte. Diese Fakten hätten auch der Niedersächsischen Landesregierung als Miteigentümerin der Deutschen Messe AG bei der Beantwortung der oben genannten Anfrage des Abgeordneten Dr. Sohn vom 27. März 2009 bekannt gewesen sein müssen. Der damalige Vorstandsvorsitzende Klaus Goehrmann wird in der Neuen Presse mit folgender Aussage zitiert: „Ja, wir haben unsere Hallen verpachtet.“ Der Vertrag sei schon 2000 geschlossen worden und laufe über 28 Jahre. - Über weitere Details wollte Klaus Goehrmann damals nichts sagen - erst recht nicht über den möglichen Gewinn für die Messegesellschaft.
1. Was ist wesentlicher Inhalt der Cross-BorderLeasing-Verträge der Deutschen Messe AG mit US-Investoren?
2. Welche Risiken ergeben sich aus diesen Verträgen für die Deutsche Messe AG und ihre Haupteigentümer Land Niedersachsen und Landeshauptstadt Hannover?
3. Welche Cross-Border-Leasing-Geschäfte mit Landesbeteiligungen bzw. kommunalen Beteiligungen und in jeweils welchem Umfang sind der Landesregierung in Niedersachsen bekannt?
Vielen Dank. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Möllring. Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die im Vorspann der Frage enthaltene Behauptung, Cross-Border-Leasing-Geschäfte der Deutschen Messe AG hätten der Landesregierung am 27. März 2009 bekannt gewesen sein müssen, ist zutreffend. Denn bereits am 9. Oktober 2008 habe ich den Niedersächsischen Landtag darüber informiert, dass nach meiner Kenntnis bei der Deutschen Messe AG ein Cross-Border-LeasingGeschäft getätigt worden ist. Das können Sie im Protokoll vom 9. Oktober 2008, Seite 2130, nachlesen. Das konnte ich ja nur sagen, weil ich davon Kenntnis hatte. Sonst hätte ich das im Oktober noch nicht sagen können. Das war übrigens nach meiner Erinnerung das erste Mal, dass wir im Landtag über Cross-Border-Leasing gesprochen haben. Vorher gab es keinerlei Veranlassung, darüber zu berichten.
Bei den in Rede stehenden Fragen vom 27. März 2009 ging es um Cross-Border-Leasing-Geschäfte von kommunalen Körperschaften. Die Deutsche Messe AG ist ersichtlich keine kommunale Körperschaft, daher umfasste sie die Fragestellung auch nicht. Im Übrigen war der Landtag bereits spätestens seit dem 9. Oktober 2008 über Cross-BorderLeasing-Geschäfte der Messe AG informiert. Bereits damals, also am 9. Oktober 2008, habe ich unter Zustimmung des Innenministers dem Landtag mitgeteilt, dass Kommunen in Niedersachsen keine Cross-Border-Leasing-Geschäfte getätigt
- Der Innenminister nickt. - Ich habe hier damals gesagt - wenn ich es richtig in Erinnerung habe -: Danach sind die Kommunen in diesem Bereich sauber.
(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Da hat der Innenminister schon wieder ge- nickt! Das muss man dazusagen!)
Ihre Frage erweckt durch das verkürzt wiedergegebene Zitat den Eindruck, die Landesregierung hätte bezüglich der Kommunen darüber nichts Genaues sagen können. Das Zitat bezog sich aber auf Kommunen außerhalb Niedersachsens. Sie haben das sehr geschickt verkürzt, sodass man den Eindruck haben könnte, dass ich mich in Widersprüche - - -
- Ja, man kann ja so und so miteinander umgehen. Ich sage das, damit das hinterher richtig im Protokoll steht und z. B. jemand, der sich in 100 Jahren in dieser wichtigen Frage habilitiert, auch die richtigen Textstellen kennt. Vollständig lautet die damalige Antwort wie folgt:
„Der Niedersächsischen Landesregierung sind keine problembehafteten Cross-Border-Leasing-Verträge bekannt, die niedersächsische kommunale Körperschaften geschlossen haben. Das in der Anfrage geschilderte Problem tritt offenbar vorwiegend in Nordrhein-Westfalen auf. Exakt lässt sich das allerdings nicht feststellen, da sich die überwiegende Zahl der betroffenen Kommunen immer noch bedeckt hält. Weder den kommunalen Spitzenverbänden noch der Bundesregierung ist bekannt, wie viele CrossBorder-Leasing-Verträge deutsche Kommunen überhaupt geschlossen haben. Über Vertragsinhalte wird weitestgehend geschwiegen.“
Zu Frage 1: Nach Auskunft der Deutschen Messe AG hat sie im Rahmen einer US-Cross-BorderLease-Transaktion Immobilien an US-Investoren langfristig vermietet und sie gleichzeitig von diesen wieder zurückgemietet. Zu diesen Immobilien ge
hören 21 Hallen, das Kongresszentrum, diverse Übergänge zwischen den Hallen und der Pavillon an Halle 11. Die von den Investoren zu leistende Miete wurde in einer Summe gezahlt. Hieraus generierte die Messe einen Barwertvorteil von 29,8 Millionen Euro nach Abzug von Steuern. Einen Anteil der Gesamtmiete legte die Deutsche Messe AG zum Stichtag der Transaktion in festverzinslichen Wertpapieren an. Es handelt sich um Papiere der US-Immobilienbanken Freddie Mac und Fannie Mae.
- Ich zitiere nur, was die Messe uns mitgeteilt hat. - Die Deutsche Messe AG hat das Recht, den 99Jahres-Mietvertrag zum 2. Januar 2030 vorzeitig zu beenden. Vom Transaktionsbeginn bis zu diesem Terminierungszeitpunkt müssen keinerlei Zahlungen von der Messe selbst geleistet werden. Vielmehr ist erst zu diesem Zeitpunkt eine Ablösesumme fällig, die exakt dem Wert der Wertpapiere zu diesem Stichtag entspricht.
Zu Frage 2: Das Vertragswerk - ein sogenannter Convenant - erfordert die Einhaltung bestimmter Kriterien von der Deutschen Messe AG. Sollte gegen diese Kriterien - das sind Kennziffern zur Bonität des Unternehmens - verstoßen werden, wird den US-Investoren das Recht eröffnet, für die verbleibende Laufzeit des Hauptmietvertrages die Eintragung beschränkt persönlicher Dienstbarkeiten zu ihren Gunsten im Grundbuch zu bewirken. Durch das Engagement des amerikanischen Staates bei den beiden Hypothekenbanken Freddie Mac und Fannie Mae geht die Deutsche Messe AG auch zukünftig von der Werthaltigkeit der Wertpapiere, die zur Ablösung eingesetzt werden sollen, aus.
Zu Frage 3: Im Gegensatz zu anderen Bundesländern vertrat das niedersächsische Innenministerium bereits frühzeitig die Auffassung, dass CrossBorder-Leasing-Geschäfte für Kommunen finanziell riskant seien. Nachdem bekannt wurde, dass auch in niedersächsischen Kommunen Vorüberlegungen zu diesen Finanztransaktionen stattgefunden hatten, wurden die Bezirksregierungen als damalige obere Kommunalaufsichtsbehörden mit Erlass vom 11. Februar 2002, Aktenzeichen 33.310245/1N12, eindringlich auf die erheblichen Probleme und Risiken hingewiesen, die mit dem Abschluss von Cross-Border-Leasing-Geschäften verbunden sind. Im Ergebnis wurde von solchen Geschäften abgeraten. Die Cross-Border-LeasingGeschäfte wurden letztlich in ihren Risiken als
unüberschaubar dargestellt. Sie seien deswegen zu beanstanden und nicht zu genehmigen, soweit sie kreditähnliche Rechtsgeschäfte enthalten, die mit den Grundsätzen einer geordneten Haushaltswirtschaft in Konflikt stünden. Gleichzeitig wurden die Bezirksregierungen aufgefordert, die kommunalen Körperschaften ihres Regierungsbezirks entsprechend zu unterrichten.
Mit einem weiteren Erlass vom 6. Dezember 2003, gleiches Aktenzeichen wie eben vorgetragen, wurde nochmals eindringlich vor dem Abschluss solcher Geschäfte gewarnt.
Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Erlasslage in Niedersachsen sind dem Innenministerium keine konkreten Cross-Border-Leasing-Geschäfte von niedersächsischen kommunalen Körperschaften bekannt geworden. Da es sich bei der Deutschen Messe AG um eine eigenständige Gesellschaft handelt, war das in der Anfrage angesprochene Cross-Border-Leasing-Geschäft der Deutschen Messe AG weder anzeige- noch genehmigungspflichtig. Weitere Cross-Border-Leasing-Geschäfte von Gesellschaften mit Landesbeteiligung sind der Landesregierung nicht bekannt.