Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 53. Sitzung im 18. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.
Geburtstag hat heute der Abgeordnete Ronald Schminke. Ich übermittle Ihnen im Namen des Hauses herzliche Glückwünsche. Gesundheit und Wohlergehen für das vor Ihnen liegende neue Lebensjahr!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir treten jetzt in die Tagesordnung ein. Wir beginnen die heutige Sitzung mit dem Tagesordnungspunkt 25, den Mündlichen Anfragen. Es folgen die strittigen Eingaben, also die Fortsetzung der Beratung am ersten Plenartag. Anschließend erledigen wir die verbleibenden Tagesordnungspunkte mit Ausnahme des bereits gestern behandelten Tagesordnungspunktes 32 in der Reihenfolge der Tagesordnung.
Es haben sich entschuldigt von der Fraktion der CDU Herr Thiele bis ca. 10.30 Uhr, Frau Klopp, Frau Lorberg und Herr Höttcher, von der Fraktion der SPD Frau Seeler, Frau Rübke und Herr Brunotte.
Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich, dass Sie sich nach wie vor auch schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.
Verteilungsgerechtigkeit - Aufgabengerechtigkeit im KFA - Unzulänglichkeit der Bundeserstattungen zum SGB II: Wo bleibt die verfassungsrechtliche Verpflichtung, nach der es geboten ist, dass das Land gerade in der Finanzkrise die Kommunen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben unterstützt?
Dabei handelt es sich um eine Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dieter Möhrmann, Johanne Modder und Renate Geuter von der SPD-Fraktion. Ich erteile dem Kollegen Möhrmann von der SPDFraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Zeitung des Niedersächsischen Landkreistages (2/2009) wird auf Seite 84 zu den Kommunalfinanzen 2008 ausgeführt:
„Gleichwohl hat die erheblich verbesserte Einnahmesituation noch nicht zu einer grundlegenden Rückführung der Kassenkredite ausgereicht. Dies ist vor dem Hintergrund der zu erwartenden Einnahmerückgänge aufgrund von Gesetzesänderungen und der sich abzeichnenden konjunkturellen Auswirkungen der Finanzkrise äußerst bedenklich.“
Inzwischen liegen auch die konkreten Auswirkungen der Steuerschätzungen von Mai und November 2009 vor. Damit ist klar, wie groß die Löcher sind, die durch die Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene zusätzlich in die Kassen der öffentlichen Hände gerissen werden.
Herr Kollege, ich darf Sie kurz unterbrechen. Ich hatte den Eindruck, dass Sie besonders in Ihrer Fraktion nicht die nötige Aufmerksamkeit genießen.
„Ich hatte“ - das war die Vergangenheitsform, Herr Jüttner. Es hat sich etwas geändert. Aber ich bitte noch einmal mit allem Nachdruck darum, dass hier Ruhe einkehrt.
Die Aussicht auf sprudelnde neue Steuereinnahmen aufgrund eines schnell anspringenden Konjunkturhochs wird nicht nur von der Wissenschaft, sondern zunehmend auch aus den Bundesländern sehr skeptisch beurteilt.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat die Bundesregierung aufgefordert, ein Sofortrettungsprogramm für die Städte und Gemeinden zu beschließen. „Den Kommunen drohen in den Jahren 2010 und 2011 jeweils Defizite in zweistelliger Milliardenhöhe“, heißt es wörtlich. Der Finanzausschuss des Niedersächsischen Städtetages stellt laut Oldenburger Nachrichten vom 31. Oktober 2009 fest: „Wir haben Land unter - unter diesen Bedingungen kann kaum noch eine Gemeinde ein positives Ergebnis erwirtschaften“. Insgesamt belaufen sich die „neuen Liquiditätskredite“ der Kommunen auf inzwischen wieder über 4 Milliarden Euro - und sie steigen weiter an. Niedersachsens Kommunen sind hier bundesweit nach wie vor in der Spitzenposition.
Nun soll zwischen dem niedersächsischen Innenministerium und den Kommunen eine Vereinbarung getroffen werden, die es bestimmten Kommunen ermöglicht, von den Tilgungs- und Zinszahlungsleistungen für aufgelaufene Kassenkredite befreit zu werden. Nach Aussagen des Innenministers könnten damit rund 1,1 Milliarden Euro an Kassenkrediten bei den Kommunen getilgt und verzinst werden. Ursprünglich war es dabei die Absicht des Landes, den Kommunen diese Entlas
tungsmöglichkeit nur dann einzuräumen, wenn sie sich zu kommunalen Zusammenschlüssen bereitfinden würden. Auch Landkreise sollten zunächst ausgenommen werden.
Inzwischen sollen „auskonsolidierte Kommunen“ auch ohne Zusammenschluss mit Nachbarkommunen diese Leistung, die zur Hälfte aus dem bestehenden Topf für den kommunalen Finanzausgleich finanziert wird, erhalten. Fachleute befürchten nämlich, dass auch konsolidierte Kommunen - Landkreise, Städte und Gemeinden - wegen der völlig unzureichenden Einnahmesituation in wenigen Jahren wieder vor finanziellen Problemen stehen werden.
Als Beispiel dafür kann der Landkreis SoltauFallingbostel gelten. Nach den Berechnungen des Kreises wird der Haushalt 2009 mit einem strukturellen Überschuss von mindestens 2 Millionen Euro abschließen. Dies wird aufgrund einer Zielvereinbarung über Ausgabebeschränkungen zwischen den Fraktionen und dem Landrat möglich. Die Personalkosten können seit Jahren, bis auf Tarifsteigerungen, relativ konstant gehalten werden. Die sogenannten freiwilligen Leistungen bewegen sich seit Jahren auf dem Niveau von unter 1 % des Haushaltsvolumens. Die Kreisumlage ist mit 54 % eine der höchsten in Niedersachsen.
Trotzdem wird nach belastbaren Zahlen für den Haushaltsentwurf 2010 ein strukturelles Fehl von rund 9,6 Millionen Euro erwartet. Dies ist eine Verschlechterung gegenüber 2009 von über 11 Millionen Euro. Wesentlicher Grund für diese Verschlechterung sind die zusätzlichen Belastungen im Sozialhaushalt und die wegbrechenden Einnahmen aus Kreisumlage und kommunalem Finanzausgleich. Allein die Unterkunftskosten nach dem SGB II belasten den Kreishaushalt auf der Grundlage der Berechnungen des Landkreistages im Jahr 2010 mit zusätzlich 2,4 Millionen Euro. Der Grund dafür liegt schon seit 2008 an der Nichtumsetzung des vorgesehenen Verteilungsmaßstabes zwischen Bund und Kommunen. Die Summen beliefen sich in 2008 auf 1,6 Millionen Euro und in 2009 auf 2,2 Millionen Euro zusätzliche Belastungen für den Kreishaushalt.
Die von den Fachbereichen eigentlich für notwendig gehaltenen Haushaltsansätze wurden im Entwurf für 2010 schon um über 2 Millionen Euro reduziert. Auch in den Jahren der verbesserten Einnahmesituation konnten die Kassenkredite nur unwesentlich reduziert und die Nettoneuverschuldung nur unzureichend zurückgeführt werden, weil
in die sehr marode Substanz der Schulen dringend, z. B. auch aus Brandschutzgründen, investiert werden musste. Auch der neu in den Finanzausgleich eingeführte „Flächenfaktor“ führte nicht zu entscheidenden Verbesserungen.
Soltau-Fallingbostel ist aber nur ein Beispiel. Viele Landkreise und auch Kommunen in Niedersachsen befinden sich in einer ähnlichen Lage.
1. Sind solche auskonsolidierten Kommunen und Landkreise, wie der hier beispielhaft genannte Kreis Soltau-Fallingbostel, berechtigt, Mittel für die Tilgung und Verzinsung ihrer Kassenkredite aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen des Landes mit den Kommunen zu beantragen? - Wenn nein, warum nicht, und welche objektiven Kriterien müssen erfüllt sein, um in das Programm zu kommen?
2. Warum hat die Landesregierung der Herabsetzung des Bundeszuschusses für die niedersächsischen Kommunen trotz der oben geschilderten Entwicklung von 2007 von 31,7 % auf 2009 25,4 % der Kosten für Heizung und Unterkunft im SGB-II-Bereich zugestimmt, und welche Erstattungssumme wird den niedersächsischen Kommunen auf der Grundlage der Berechnungen des Landkreistages - nämlich für 2008 37,1 % statt 28,6 %, für 2009 37,1 % statt 25,4 % und für 2010 23 % statt der geforderten 35,4 % - insgesamt entgehen?
3. Warum erkennt die Landesregierung die zur Erfüllung der Aufgaben nicht ausreichende finanzielle Minderausstattung der niedersächsischen Kommunen und damit den Verfassungsgrundsatz der „aufgabengerechten Finanzausstattung“ auch im Vergleich zu den anderen Bundesländern nicht an, obwohl in Niedersachsen alle Kommunen einen hohen Investitionsbedarf - belegt durch die innerhalb weniger Wochen „auf den Tisch gelegten“ und zuvor wegen finanzieller Notlagen zurückgestellten Maßnahmen für die Konjunkturpakete des Bundes - haben, und wie sollen die Kommunen die in der Koalitionsvereinbarung der schwarz-gelben Koalition auf der Bundesebene beschlossenen zusätzlichen Einnahmeverluste verkraften?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Finanzsituation von Land und Kommunen ist, bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, durchaus ernst. Ich habe jedoch immer wieder darauf hingewiesen, dass die niedersächsischen Kommunen aufgrund der Vorarbeiten dieser Landesregierung für die sie erwartenden Herausforderungen gut gerüstet sind. Ein gutes Beispiel dafür sind die kommunalen Kassen- oder Liquiditätskredite. Es ist richtig, dass die Verschuldung, die sich hier angesammelt hat, hoch ist - kein Zweifel, sie ist zu hoch. Diese Landesregierung hat das erkannt und ein Konzept entwickelt, um den Berg der Kassenkredite abzutragen.
In den Vorbemerkungen der Anfrage finden sich einige falsche Aussagen zu den Kassenkrediten in Niedersachsen. Deshalb möchte ich Ihnen einmal die Fakten darstellen:
Am 31. Dezember 2006 hatten wir seit 13 Jahren einen unaufhaltsamen, kontinuierlichen Anstieg der Kassenkredite von 90 Millionen Euro auf 4,5 Milliarden Euro - in den 13 Jahren ab 2006 zurückgerechnet. In den Jahren 2007 und 2008 ist es erstmalig gelungen, eine Rückführung dieser enormen Summe auf unter 4,1 Milliarden Euro zu erreichen. Zweimal in Folge ist der Bestand an Krediten nicht angestiegen, sondern zurückgegangen. Man muss schon ein merkwürdiges Verhältnis zum Geld haben, wenn diese erstmalig positive Entwicklung nach über 13 Jahren nicht anerkannt, sondern stattdessen bagatellisiert wird.
Wahr ist aber auch, dass sich diese positiven Entwicklungen nicht ohne Weiteres unbegrenzt fortsetzen lassen. Vielleicht ist bei Ihnen noch nicht angekommen, dass wir uns derzeit mit den Auswirkungen der schwerwiegendsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik auseinanderzusetzen haben.