Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 88. Sitzung im 29. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.
Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 25, den Dringlichen Anfragen. Entsprechend der Absprache zwischen den Fraktionen behandeln wir an dieser Stelle zunächst nur die Anfragen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der aktualisierten Tagesordnung fort und verhandeln absprachegemäß nach den Mündlichen Anfragen noch die Dringliche Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
Tagesordnungspunkt 32, der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/2978 zum Thema „Chance auf tragfähigen Schulkonsens nutzen! Landesregierung muss nachbessern!“, soll nur zum Zweck der Ausschussüberweisung aufgerufen werden. Unmittelbar danach soll Tagesordnungspunkt 35 behandelt werden, der Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 16/2990 zum Thema „Forschung zu Ursachen kindlicher Leukämien fortsetzen“. Danach verbleiben für heute noch die Tagesordnungspunkte 33 und 9 sowie der gestern zurückgestellte Tagesordnungspunkt 23.
Ich darf Sie herzlich bitten, Ihre Reden spätestens bis morgen Mittag, 12 Uhr, an den Stenografischen Dienst zurückzugeben.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt: von der Landesregierung der Minister für Haushalt und Finanzen, Herr Möllring, vormittags, die Ministerin für Wissenschaft
und Kultur, Frau Professor Wanka, ab 11 Uhr, und der Minister für Umwelt und Klimaschutz, Herr Sander, von der Fraktion der CDU Frau Hartmann und Herr Schobert, von der Fraktion der SPD Herr Schostok, Frau Emmerich-Kopatsch und Herr Klein, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Briese, von der Fraktion DIE LINKE Frau Reichwaldt und das fraktionslose Mitglied des Hauses Frau Wegner.
Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Ich will noch einmal besonders darauf hinweisen, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nicht zulässig sind.
Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich auch darum, dass Sie sich nach wie vor schriftlich zu Wort melden.
Stoppen Brandschutz und Keimgutachten Agrarfabriken? - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/3017
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Guten Morgen! Ich stelle jetzt die Dringliche Anfrage „Stoppen Brandschutz und Keimgutachten Agrarfabriken?“ vor.
Nachdem Umweltverbände und Bürgerinitiativen in zahllosen Genehmigungsverfahren auf den mangelnden Brand- und Keimschutz bei Großmastanlagen hingewiesen hatten, hat der Landkreis Emsland nun - anscheinend mit Unterstützung der Landesregierung - einen „Quasi-Stopp für Groß
mastställe“ - so die Neue Osnabrücker Zeitung vom 26. Oktober 2010 unter der Überschrift „Lob für Initiative gegen Großmast“ - und eine drastische Verschärfung der Auflagen angekündigt. So sollen in Zukunft auf Grundlage einer noch im Entwurf befindlichen Richtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure - VDI - und zweier OVG-Urteile vom 14. Januar 2010 und 10. Mai 2010 aus NordrheinWestfalen generell ein Gutachten über mögliche Keimbelastungen eingefordert und ein Mindestabstand von 500 m zur nächsten Bebauung berücksichtigt werden - so die Pressemitteilung des Landkreises Emsland vom 22. Oktober 2010. Außerdem müssen alle Antragsteller von Tierfabriken in Zukunft ein umfassendes Brandschutzkonzept eines unabhängigen Sachverständigen hinsichtlich der allgemeinen Schutzziele der Niedersächsischen Bauordnung insbesondere im Hinblick auf die Tierrettung vorlegen.
Juristen halten es für erforderlich, dass eine eigenständige Flucht von Menschen und Tieren innerhalb von zehn Minuten möglich sein muss - siehe z. B. Peter Kremer in „Widerstand gegen Massentierhaltungsanlagen“ auf der Internetseite des BUND. Zitat:
„Nahezu keine Anlage ist so konzipiert, dass diese Anforderungen auch nur ansatzweise eingehalten werden können.“
„Die Rettung der Tiere wird hier verlangen, dass mindestens zwei der vier Außenwände eines solchen Stalles innerhalb von Minuten komplett geöffnet werden können. Es gibt Stallsysteme, die dies ermöglichen. Allerdings wird dies in der Praxis bisher kaum genutzt.“
Das für den Brand- und Gesundheitsschutz zuständige Sozialministerium von Ministerin Özkan hält die Pflicht für Gutachten für sinnvoll, um jegliche Gefährdung auszuschließen - so die NOZ vom 26. Oktober 2010. Verbände wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft fordern eine Anwendung der emsländischen Bestimmungen nun in ganz Niedersachsen.
1. Können alle niedersächsischen Landkreise und die Region Hannover das Recht so anwenden wie der Kreis Emsland und die gleichen Vorgaben zum
2. Welche Brandschutzvorgaben müssen nach Meinung der Landesregierung für den Bau großer Tiermastställe im Detail - z. B. brennbares Material, Fluchtzeit, Brandschutzkonzept, Feuerwehrzugang, Brandausbreitung, Löscharbeiten, Tierrettung - beachtet werden?
3. Welche Gesundheitsschutzvorgaben hält die Landesregierung für den Bau großer Tiermastställe im Detail für zwingend, insbesondere vor dem Hintergrund der zitierten Urteile in NRW und der VDI-Richtlinie?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landkreise, die kreisfreien Städte und die Region Hannover sind für die Erteilung von Genehmigungen für Tierhaltungsanlagen nach § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zuständig. Diese Genehmigungen schließen die Baugenehmigung ein.
Der Landkreis Emsland hat dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Familie, Frauen, Gesundheit und Integration als Fachaufsichtsbehörde über die unteren Bauaufsichtsbehörden sein Vorgehen bei der Prüfung von zwei Anträgen auf Errichtung von Hähnchenmastställen mitgeteilt. Der Landkreis fordert zur Prüfung des erforderlichen Brandschutzes ein Brandschutzkonzept insbesondere hinsichtlich der Tierrettung.
Die Vorschriften des Baurechts zum Brandschutz betreffen bei einer Stallanlage im Wesentlichen deren Zugänglichkeit und die Rettungswege innerhalb des Gebäudes. Darüber hinaus werden Regelungen zur Feuerwiderstandsfähigkeit und zum Brandverhalten der Bauteile getroffen.
Bei baulichen Anlagen besonderer Art und Nutzung, zu denen auch Stallanlagen zählen, können im Einzelfall über die in den Vorschriften vorgegebenen Brandschutzvorkehrungen hinaus oder an deren Stelle weitere oder andere Anforderungen gestellt werden. Daher kann die Bauaufsichtsbehörde bei diesen Anlagen auch über die üblichen Bauvorlagen hinaus weitere Unterlagen fordern,
Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung fordert u. a., dass Haltungseinrichtungen nach ihrer Bauweise, den verwendeten Materialien und ihrem Zustand so beschaffen sein müssen, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung der Tiere so sicher ausgeschlossen wird, wie dies nach dem Stand der Technik möglich ist.
In § 4 Abs. 1 Nr. 7 der Verordnung wird vom Tierhalter die Sicherstellung der Vorsorge für eine ausreichende Versorgung der Tiere mit Frischluft, Licht, Futter und Wasser für den Fall einer Betriebsstörung gefordert.
Nach Auffassung der Landesregierung gelten diese Anforderungen auch in einem Brandfall. Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration hat dem Landkreis daher hinsichtlich der Forderung nach einem Brandschutzkonzept mitgeteilt, dass keine fachaufsichtlichen Bedenken gegen das Vorgehen bestehen.
Zur Prüfung der Belastung der Umwelt mit gesundheitsschädlichen Keimen hat der Landkreis Emsland außerdem mitgeteilt, dass er ein Gutachten aufgrund des Entwurfs der VDI-Richtlinie 4250 vom Antragsteller fordert. Ein durch Verwaltungsvorschriften und/oder technische Normung definierter bundeseinheitlicher Grenzwert für Bioaerosole existiert derzeit nicht. Der Arbeitsschutz hat bereits erste Normierungen vorgenommen. Die Darstellung und Bewertung relevanter Emissionsquellen für Bioaerosole orientiert sich aktuell häufig an anerkannten Maßnahmen zur Staubreduzierung entsprechend der VDI-Richtlinie 4255 aus dem Jahre 2005. In der Fachwelt geht man davon aus, dass Systeme, die ihre Wirksamkeit in Bezug auf eine Partikelstaubabscheidung bewiesen haben, auch geeignet sind, Bioaerosole abzuscheiden. Insofern können durch eine Abluftreinigungsanlage, die der Staubabscheidung dient und die für den Einsatz im Bereich der entsprechenden Tierhaltungsanlagen grundsätzlich geeignet ist, die Möglichkeiten zur Reduzierung der Keimemissionen ausgeschöpft werden. Allerdings stehen derartige Systeme nicht für alle Tierhaltungsverfahren zur Verfügung.
Bis heute ist es weder international noch auf nationaler Ebene gelungen, Dosis-Wirkung-Kurven für gesundheitsrelevante Bioaerosole zu erstellen oder allgemeingültige auf die Wirkung am Menschen bezogene Schwellenwerte bzw. Grenzwerte
abzuleiten. Hilfsweise kann heute der Entwurf einer VDI-Richtlinie 4250 zu Hilfe genommen werden, der einen Vergleich zwischen den anlagebezogenen Keimemissionen und den Hintergrundwerten vorsieht. Allerdings wird in dem Entwurf darauf hingewiesen, dass sich die Erwartungen einer Vielzahl von Organisationen und Institutionen hinsichtlich der Etablierung von Grenzwerten für Bioaerosole auf der Basis von Erkenntnissen aus toxikologischen und umweltepidemiologischen Untersuchungen aus methodischen Gründen auf absehbare Zeit nicht verwirklichen lassen. Der Entwurf bezeichnet aus Gründen der Vorsorge eine erhöhte Konzentration von Bioaerosolen in der Abluft als umwelthygienisch unerwünscht. Der Entwurf konkretisiert jedoch nicht, ob und inwieweit damit gesundheitliche Risiken verbunden sind. Konkrete Handlungsmaßnahmen werden nicht aufgezeigt.
Deshalb ist der Richtlinienentwurf im Moment nur bedingt praxistauglich. Ob, wann und in welchem Umfang Maßnahmen zur Reduzierung der Keimbelastung in der Abluft erforderlich sind, ist von der Prüfung des Einzelfalles abhängig. Hierbei spielen u. a. die Größe, die Lage, die bauliche Ausgestaltung, die Hintergrundbelastung, die Nähe zu Wohngebieten und weitere Faktoren eine Rolle. Die Erkenntnisse aus den vor Ort in Auftrag gegebenen Gutachten wird die Landesregierung in ihre weiteren Überlegungen einbeziehen.
Zu Frage 1: Die Anforderungen zum baulichen Brandschutz sollen bei den unterschiedlichen Stallanlagen zu einem insgesamt einheitlichen Schutzstandard führen. Sie müssen jedoch in jedem Einzelfall insbesondere die Größe und Lage der Stallanlage und die Zahl der Tiere, die Tierart und die Art und Weise ihrer Haltung berücksichtigen. Bei hinsichtlich des Brandschutzes gleichen Fallgestaltungen können von allen Bauaufsichtsbehörden in Niedersachsen im Genehmigungsverfahren gleiche Anforderungen an die Bauvorlagen gestellt werden.
Eine Risikobewertung und die Festlegung möglicherweise erforderlicher Maßnahmen bezüglich Keimemissionen aus genehmigungsbedürftigen Tierhaltungsanlagen können nach dem derzeitigen Kenntnisstand nur auf der Basis der Umstände des konkreten Einzelfalles, gegebenenfalls im Rahmen eines Sachverständigengutachtens gemäß § 13 der 9. Verordnung zur Durchführung des Bundes
Immissionsschutzgesetzes in Anlehnung an die Festlegungen in Nr. 4.8 der TA Luft erfolgen. Die Entscheidung hierüber trifft die Genehmigungsbehörde.
Zu Frage 2: Für Stallanlagen sind grundsätzlich folgende Anforderungen zum Brandschutz zu beachten: Wände und Decken müssen unter Berücksichtigung ihrer Beschaffenheit, Anordnung und Funktion, nach ihrer Bauart und ihren Baustoffen widerstandsfähig gegen Feuer sein. Dies gilt auch für Verkleidungen, Kabelisolierungen und Dämmschichten. Die Dachhaut muss gegen Flugfeuer und strahlende Wärme widerstandsfähig sein, soweit nicht der Brandschutz auf andere Weise gesichert ist. Das Tragwerk der Dächer einschließlich des Trägers der Dachhaut muss widerstandsfähig gegen Feuer sein. Ausreichend breite, unmittelbar ins Freie führende Fluchtwege müssen vorgehalten werden. Stalltüren müssen nach außen aufschlagen. Ihre Zahl, Höhe und Breite müssen so groß sein, dass die Tiere bei Gefahr ohne Schwierigkeiten ins Freie gelangen können. Zur Brandbekämpfung muss eine ausreichende Wassermenge entsprechend den örtlichen Gegebenheiten zur Verfügung stehen. Feuerlöscheinrichtungen müssen nach Art und Umfang der Brandgefährdung und der Größe des zu schützenden Bereiches in entsprechender Anzahl bereitgehalten werden. Öffnungsmechanismen von Gittern bzw. Gattern sind so zu kennzeichnen, dass Helfer sie im Notfall schnell finden können. Zusätzlich sollten einzelbetriebliche Brandschutz- und Tierrettungspläne vorgehalten und Brandschutzübungen durchgeführt werden.