Protokoll der Sitzung vom 03.12.2008

Das haben wir schon mehrfach praktiziert. Ich würde mich freuen, wenn wir in diesem Sinne die Ausschussdebatte führen könnten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hack. – Für die FDP-Fraktion erhält der Abgeordnete Lindner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zweifelsohne schockieren uns alle die Nachrichten, die wir leider zu regelmäßig erhalten, dass Kinder vernachlässigt, dass Kinder gar im familiären Umfeld Opfer von Missbrauch geworden sind. Das rührt uns alle an und nimmt uns als politische Verantwortungsträger in die Pflicht, mit dafür zu sorgen, dass die staatlichen und kommunalen Maßnahmen zum Schutze von Kindern fortwährend optimiert werden. Es ist deshalb richtig, dass dieses Anliegen auch zum wiederholten Male im Landtag Gegenstand unserer Aussprache wird.

Wir haben uns bereits in der Vergangenheit intensiv mit der Problematik, aber auch mit möglichen Handlungsalternativen beschäftigt. Deshalb habe ich gehofft, dass wir, wenn wir uns ein weiteres Mal mit dieser Problematik beschäftigen, qualitativ in der Debatte einen Schritt weiterkommen könnten. Ich bedauere, dass wir diese Debatte heute führen müssen, ohne dass wir qualitativ einen wesentlichen Schritt weiter gekommen wären. Ich mache das insbesondere an einem Umstand fest.

In dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen – leider auch in mancher der Vorreden – wird in nahezu technokratischer Manier über das Problem gesprochen. Es wird über Risikomanagement und über allgemeine Standards gesprochen. Es ist die Rede davon, man benötige Kompetenzzentren. Das ist alles richtig, aber nicht neu.

Der entscheidende und wesentliche Punkt kommt aber nicht oder zumindest zu selten im Landtag und in der Öffentlichkeit zur Sprache. Aus Sicht der Fraktion der FDP ist das der Umstand, dass Missbrauch und Vernachlässigung nur dann möglich ist, wenn eine Gesellschaft die Augen verschließt. Wenn Kinder regelmäßig mit blauen Flecken in die Schule kommen und dies die Eltern nicht nachvollziehbar erklären können, dann müssen Lehrer und Mitschüler diesen Sachverhalt zur Sprache bringen.

(Beifall von FDP und CDU)

Wenn Kinder in der Nachbarschaft nicht gesehen werden, weil sie zu Hause weggeschlossen werden, darf eine Gesellschaft nicht den Blick davon abwenden. Wenn im Verwandtenkreis Skepsis darüber besteht, wie der Verwandtschaftsteil XY eigentlich mit seinen Kleinen umgeht, dann dürfen wir die Augen nicht abwenden, sondern müssen intervenieren und nachfragen.

Diese von uns persönlich zu entwickelnde Sensibilität ist allemal wirksamer als jede staatliche Maßnahme; denn auch mit neuen Maßnahmen werden an manchen Stellen blickdichte Ecken entstehen, in die wir mit unseren öffentlichen Instrumenten nicht gelangen können. Wir benötigen eine Kultur des Hinsehens und keine technokratische Debatte über Einzelmaßnahmen.

(Beifall von der FDP)

Das hätten wir heute vor allem besprechen müssen. Zu der Maßnahmenebene will ich gar nicht mehr zu viel sagen. Herr Kollege Walter Kern hat das schon im Detail dargelegt. Auch die Verwaltung wird uns weiterhin regelmäßig Vorlagen dazu zur Verfügung stellen. Das Ministerium wird gleich berichten.

Wir als Koalitionsfraktionen haben einen Handlungsrahmen für einen besseren Kinderschutz auf den Weg gebracht, der nach und nach abgearbeitet wird. Uns als Parlamentariern sind die einzelnen Ergebnisse schon zugeleitet worden. Denken Sie an das Elternbegleitbuch, das zumindest den Fachpolitikern als dicker Ordner zur Verfügung gestellt worden ist.

Wir haben im Landtag darüber beraten, die Vorsorgeuntersuchungen verbindlicher auszugestalten, etwa indem wir eine gesetzliche Meldepflicht der Kinderärzte in Nordrhein-Westfalen verankert haben.

Es ist bereits eine Menge auf den Weg gebracht und getan worden. Über Details kann man spre

chen. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen noch über Einzelmaßnahmen zu diskutieren, die hinzugefügt werden könnten.

Entscheidend ist, dass wir gemeinsam für einen Mentalitätswechsel werben. Verantwortung für Kinder darf nicht an den Staat abgeschoben werden. Dieser hat zweifelsohne ein Wächteramt. Zuallererst liegt die Verantwortung für Kinder aber bei den Familien – ich sage nicht nur: bei den Eltern –, bei den Nachbarschaften und in der Kommune, eben in der Gemeinschaft und damit überall dort, wo Menschen ihr Leben miteinander gestalten. Wir dürfen nicht darauf verzichten, darauf hinzuweisen, dass hier die eigentliche Verantwortung liegt. Das kommt in der politischen Debatte leider zu oft zu kurz. – Schönen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Landesregierung erhält Herr Minister Laschet das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme der antragstellenden Fraktion ausdrücklich zu. Nordrhein-Westfalen und die Kommunen des Landes sind Vorreiter im Kinderschutz. Ich freue mich darüber, dass es das gemeinsame Anliegen aller Fraktionen in diesem Hause ist, diese Vorreiterrolle auch in Zukunft zu sichern.

(Zuruf von der SPD: Herr Lindner will sie ge- rade aufgeben!)

Ich frage mich allerdings, ob der Antrag der Grünen zum heutigen Zeitpunkt wirklich notwendig ist.

Erstens. Anders als der Titel es nahelegt, gibt es heute schon Standards für einen wirksamen Kinderschutz in Nordrhein-Westfalen. Es gibt verbindliche Standards im Sozialgesetzbuch VIII. Es ist auch richtig, dass der Bundesgesetzgeber dies geregelt hat. Sonst hätten wir unterschiedliche Standards in 16 deutschen Bundesländern. Es ist gut, dass der Bundesgesetzgeber sagt, was vor Ort von den Jugendämtern geleistet werden muss. Es gibt klare Beurteilungskriterien.

Als Landesregierung haben wir die Kommunen, die Träger der Kinder- und Jugendhilfe vor Ort sind, dabei unterstützt, dies umzusetzen. Dies ist auch unsere landespolitische Aufgabe.

Zweitens. Wir befinden uns mitten in einem laufenden Evaluationsprozess, der Ende des nächsten Jahres abgeschlossen sein wird. Insofern ist auch Ihr Antrag zum heutigen Zeitpunkt falsch. Man kann aber immer wieder über dieses Thema sprechen. Beschließen kann man Ihren Antrag heute aber nicht.

Mehrere Kollegen haben beschrieben, dass die meisten Kinder in Nordrhein-Westfalen in einem liebevollen Umfeld aufwachsen und individuell gefördert werden. Die überwiegende Zahl der Väter und Mütter in Nordrhein-Westfalen nimmt ihre Verantwortung für die Kinder ernst. Das ist eine gute Sache; denn ohne die Eltern geht es nicht. Wir können noch so perfekte Jugendämter haben und noch so viele Sozialpädagogen und sonstiges Personal einstellen. Wenn die Eltern nicht mitziehen, kann Kinder- und Jugendschutz nicht gelingen.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern ist es, ihre Kinder vor Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen. Leider gelingt es nicht allen Eltern, ihren Kindern ein sicheres Aufwachsen zu ermöglichen.

Wenn es zu Missbräuchen kommt, sind es in vielen Fällen sogar die Eltern selbst, die die Quelle der Gewalt gegen die Kinder darstellen. Die meisten Kindestötungen in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland insgesamt finden in den Familien statt.

(Zuruf von der SPD: Die meisten Tötungen überhaupt!)

Die meisten, ja. Das ist eine unerfreuliche Entwicklung.

Die Frage ist, wie man darauf reagiert. Wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist, muss der Staat eingreifen.

In unserem Grundgesetz kommt es auf jedes Wort an. Deshalb ist man manchmal skeptisch, wenn viel Lyrik in das Grundgesetz hineingeschrieben wird.

(Zurufe)

Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger dieses Grundgesetzes.

(Beifall von der CDU)

Jedes Wort sitzt da.

(Zuruf von Wolfgang Jörg [SPD])

Das gehört da auch nicht rein, Herr Kollege Jörg. Und die Kultur, der Sport und was man da alles als Staatsziele haben will, gehört da nicht hinein. Jedes Wort sitzt. Das Wächteramt des Staates ist schon 1949 im Artikel 6 so präzise formuliert worden, dass genau dann, wenn die Eltern ihrer Pflicht nicht nachkommen, der Staat im Interesse des Kindes eingreift. Das gilt es für uns jetzt konkret umzusetzen.

Die Einstellung allerdings, dass der Staat das prinzipiell besser weiß, ist auch nicht immer richtig. Der einzelne Sachbearbeiter im Jugendamt, der die schwierige Entscheidung fällen muss, ob er das Kind aus der Familie herausholt, ja oder nein, kann auch irren. Er kann quasi eine Familie zerstören, wenn er zum falschen Zeitpunkt ein Kind aus einer Familie herausholt und irgendwo anders unterbringt. Er steht allerdings am Pranger, wenn er es zu spät tut. Wenn etwas schief geht, wenn ein Einzelfall

passiert, fällt die gesamte Republik – das ist heute immer eine bundesweite Wahrnehmung – über diesen einzelnen Sachbearbeiter her. Deshalb ist das eine ganz verantwortungsvolle Aufgabe, die allerdings auch keine Garantie abgibt. Der Staat macht es nicht prinzipiell besser, aber er kann Netzwerke schaffen, um beim Kinderschutz genauer hinzuschauen.

Das ist es, was die Landesregierung mit ihrem Handlungskonzept für einen besseren und wirksamen Kinderschutz am 30. Januar 2007 beschlossen hat. Frühe Prävention und schnelle zielgenaue Hilfe stehen dabei im Mittelpunkt. Durch die Einbindung der Kommunen in das Handlungskonzept ist es gelungen, die notwendige Sensibilisierung für Fragen des Kinderschutzes auf breiter Ebene zu stärken.

Wenn man im Land unterwegs ist, merkt man, welche Energien in den Jugendämtern freigesetzt sind. Sehr viele arbeiten an konkreten Projekten, wie sie das noch besser machen können. Ich habe vor wenigen Tagen hier in Düsseldorf bei der Evangelischen Familienbildungsstätte das elfte WelcomeKoordinationsbüro eröffnet. In Essen, Moers, Euskirchen, Lüdinghausen, Waltrop, Selm und zweimal in Köln gibt es bereits solche Teams, die ganz früh in die Familien gehen und die Familien unterstützen.

Es gibt bei vielen Familien – selbst bei gutbürgerlichen Familien, nicht nur bei Problemfamilien – eine monatelange Vorbereitung auf die Geburt des Kindes. Dann ist das Kind da. Dann begleitet ein paar Tage noch die Habamme die Familie. Ab diesem Zeitpunkt merkt man erst, welche Anforderungen auf jemanden zukommen. Da zu helfen – das ist die Idee von Welcome –, ist ein ganz wichtiger Schritt, Familien zu stabilisieren.

Im weitesten Sinne sind das soziale Frühwarnsysteme, von denen Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland bereits seit einigen Jahren Konzepte erprobt hat. Wir haben in den Jahren 2007 und 2008 je 1,2 Millionen € als Anschubfinanzierung für solche sozialen Frühwarnsysteme den Kommunen zur Verfügung gestellt. Sie sollen niederschwellig Angebote schaffen, um sozial belastete und benachteiligte Eltern zu erreichen.

Die Familienzentren ihrerseits verfolgen genau diesen Gedanken. Bei vielen Eltern ist es kein böser Wille, wenn ein Kind verwahrlost, sondern schlichte Überforderung. Und dass man die Familien sehr früh auch mit Familienbildung, mit Familienberatung erreicht, dass man sie in der Kindertagesstätte erreicht, dass sie nicht mühsam selbst eine Familienbildungsstätte aufsuchen müssen, wo heute vielleicht eher eine gutbürgerliche Mittelschicht hingeht, die noch besser werden will, aber nicht die, die man eigentlich erreichen will, das ist der Grund, in der Kita die Angebote bereit zu halten. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Schritt.

Frau Kollegin Hack, in der Tat, die Kinder, die nicht im Kindergarten sind, sind das allergrößte Problem. Da gibt es überhaupt keine Berührung. Da sieht man auch nicht die blauen Flecken, von denen Kollege Lindner eben gesprochen hat. Auch die in den Blick zu nehmen, zu werben und zu sagen, wir brauchen mehr Kinder in den Kindergärten, ist wichtig. Ich bin froh, dass das mit KiBiz gelungen ist. Es sind 30.000 Kinder mehr angemeldet in den Kindergärten. Das zeigt das Vertrauen in unser Kinderbildungssystem. Aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen bei den Drei- bis Sechsjährigen hundert Prozent ab dem dritten Lebensjahr, möglichst freiwillig. Dieses Werben müssen wir fortsetzen.

Das Zweite: Neben der Prävention ist das Risikomanagement eine ganz wichtige Frage. Darüber haben wir heute noch zu wenig gesprochen. Die Jugendämter müssen selbst erkennen: Wo sind wir denn selbst Risiko? Wo handeln wir vielleicht falsch? Wir haben auch Fälle erlebt, in denen es professionelle Stellen sind, die zu Risiken für Kinder beigetragen haben. Ein solches Risikomanagement hat eine andere Blickrichtung als die Frühwarnsysteme. Hier geht es nicht um die gefährdeten Familien und ihre Kinder, sondern um die Institutionen, die für den Kinderschutz verantwortlich sind. Ihnen wollen wir dabei helfen, solche Risiken zu identifizieren und zu beseitigen, die vom Handeln der professionellen Akteure selbst ausgehen können.

Frau Kollegin Asch, das hängt übrigens nicht mit armen und reichen Jugendämtern zusammen. Sie haben hier eben so hereingebracht, manche Städte könnten das weniger gut als Düsseldorf. Ich glaube, dass auch in anderen Städten, selbst in Städten mit Haushaltssicherung höchst verantwortlich Kinder- und Jugendschutz gemacht wird. Manches reiche Jugendamt macht es vielleicht nicht so gut wie die Jugendämter, die sich um die Kinder kümmern. Wir sollten hier nicht die Kommunen spalten und bei jeder Gelegenheit versuchen, dieses Thema auch in den parteipolitischen Streit zu tragen.

(Beifall von der CDU)

Hilfestellung für die professionellen Akteure soll darum eine spezielle Handreichung zum kommunalen Risikomanagement bieten, die Anfang 2009 erscheinen wird. Das ist übrigens nicht am grünen Tisch entstanden, sondern in vielen Workshops mit Jugend- und Gesundheitsämtern, mit Ärztinnen und Ärzten, Hebammen, der Polizei, der Wissenschaft und mit Experten aus unserem Ministerium. Hier haben auch mehrere Ministerien zusammengearbeitet, weil es eben nicht nur um eine Kinder- und Jugendschutzfrage geht, sondern die gesamte Gesellschaft anspricht.

Der dritte wichtige Punkt ist die Fortbildung der Fachkräfte. Es gibt zum Beispiel inzwischen die Herner Materialien für Erzieherinnen und Erzieher, aber auch Schulungen der Familienpflegekräfte. Wir haben eine berufsbegleitende Zusatzqualifikation