Protokoll der Sitzung vom 21.01.2010

(Ralf Witzel [FDP]: Sie sagen ständig etwas dagegen!)

Das, was schief läuft, ist, wie die Umsetzung in diesem Land erfolgt. Das können andere Länder besser.

Auch das Stichwort Solidarität greife ich gerne auf. Was hält eine Gesellschaft zusammen? In wenigen Wochen bekommen Viertklässler in NordrheinWestfalen Zeugnisse. Auf diesen Zeugnissen steht, welche Schulform diese Kinder – acht, neun, zehn Jahre alt – besuchen dürfen. Die Entscheidung über diese Empfehlung haben dank Ihrer Politik eben nicht solidarisch Eltern mit Lehrerinnen und Lehrer getroffen, sondern Sie haben diese Verantwortung ausschließlich den Lehrerinnen und Lehrern übertragen. Das ist das Gegenteil von Solidarität in Nordrhein-Westfalen und das Gegenteil von Akzeptanz des Elterwillens!

(Beifall von der SPD – Unruhe und Zurufe von CDU und FDP)

Natürlich ist es so! – Sie wissen genau, was in den Schulen und den Elterpflegschaften an dieser Stelle los ist.

Ich komme jetzt zum Bereich Innovation. Herr Papke hat sehr deutlich gesagt, was er unter „innovativ“ versteht, nämlich die Renaissance der Kernenergie. Meine Damen und Herren, wer die Bilder aus dem Zwischenlager Asse kennt, weiß, was die Verseuchung der Erde mit Atommüll für Generation um Generation bedeutet, und wer heute, an diesem Tag, der Renaissance der Kernenergie das Wort redet, der – das sage ich selten – versündigt sich tatsächlich an Nachfolgegenerationen.

(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)

Das ist wirklich ein Umgang mit der Schöpfung, den Sie nicht verantworten können, wenn Sie diese Bilder bewerten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Durch die Verlängerung der Laufzeiten gefährden Sie natürlich auch die Innovation im Bereich erneuerbare Energien, im Bereich der Kraftwerkserneuerung. Das ist wirklich kein Innovationsmotor, sondern Sie sind mit dieser Politik Innovationsbremse Nr. 1, meine Damen und Herren.

Was brauchen wir? – Wir brauchen ökologische Leitmärkte, wir brauchen Effizienztechnologie, wir brauchen umweltgerechte Mobilitätstechnologie. Das sind Technologiefelder, auf denen wir in Nordrhein-Westfalen punkten können. Aber Sie haben mit Ihrer – man muss es so nennen – talibanösen Politik gegen Windkrafträder auch hier eine Form von Innovationsbremse installiert, die Arbeitsplätze vernichtet. Herr Pinkwart, Sie haben einen Widerspruch aufgebaut, der keiner ist. Wir sind stolz darauf, dass wir in diesem Bereich technologisch vorne liegen. Aber dazu haben Sie keinen substanziellen Beitrag geleistet. Im Gegenteil, beim Thema Windkraft sind Sie diejenigen, die gebremst haben.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Meine Damen und Herren, „Solidarität“ und „Innovation“ sind in der Tat wichtige Begriffe. Die Sozialdemokraten haben in ihrem Landtagswahlprogramm für die Jahre 2010 bis 2015 genau den Zusammenhalt beschrieben, dass wir durch Innovation Nordrhein-Westfalen solidarisch gestalten wollen. Da hilft nicht der Blick zurück, sondern es hilft der Blick nach vorne. Und wenn heute eines deutlich geworden ist, meine Damen und Herren, dann das, dass Ministerpräsident Jürgen Rüttgers dieses Land vielleicht verwaltet, aber dass eine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eine Vision für dieses Land hat und dieses Land gestalten will.

(Lachen von CDU und FDP – Zuruf von der CDU: Wer war das?)

Hochmut, liebe Kolleginnen und Kollegen der Noch-Regierungsfraktionen, kommt vor dem Fall. Wir sehen uns am 9. Mai. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Eumann. – Für die CDU-Fraktion spricht nun die Kollegin Milz.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit es die Menschheit gibt, gibt es Träume, Vorstellungen und Erwartungen über und an unser Leben und auch an unsere Zukunft. Ich bin sicher, dass jeder von uns – ob in seiner Kindheit oder in späteren Jahren, animiert

durch ein Buch oder einen Film – mindestens einmal in seinem Leben von einer Zeitreise geträumt hat. Warum dieser Vergleich? – „Das ist doch reine Fiktion“, mögen Sie jetzt sagen, „und hat mit der Realität nicht viel zu tun“. Ja, das stimmt. Dennoch beflügeln Zukunftsträume und Zukunftsvorstellungen unsere Phantasie.

Nun ist es mit der Phantasie nicht bei jedem gleichgestellt. Ich nehme als Beispiel den Beitrag von Frau Löhrmann. Sie hat die Rede des Ministerpräsidenten kritisiert, es hätte drei Puzzleteile gegeben, die man nicht zu einem Bild zusammensetzen könne. Es kommt natürlich auf die Reihenfolge an, in der man die Puzzelteile zusammensetzt. Wenn ich Regierungshandeln und die Erfahrungen nehme, um dann, in einem zweiten Schritt, das Puzzleteil Zukunftskommission zu legen und zu schauen, welche Anstöße mir gegeben werden, dann kann ich im dritten Schritt ein Puzzleteil legen, in dem ich Visionen für die Zukunft entwickle. Dazu – auch das ist hier kritisiert worden – muss ich natürlich Fragen stellen dürfen. Ich brauche Fragen, um auf Antworten zu kommen. Unabhängig davon, ob diese Fragen einen abschreckenden Charakter haben oder ob sie uns ins Schwärmen versetzen: Sie regen zum Denken an und erinnern uns vor allen Dingen daran, dass es eben nicht nur das Hier und Heute gibt, sondern auch ein Morgen, ein Übermorgen, ein nächstes Jahrzehnt und auch ein nächstes Jahrhundert.

Genau an dieser Stelle möchte ich auf die heutige Debatte und den Abschlussbericht zu sprechen kommen. Hier haben sich Menschen mit einer spannenden Mischung aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf eine Art Zukunftsreise begeben. Ich fand zwei Dinge ungewöhnlich, aber auch sehr ansprechend gelungen. Zum einen ist es die Wortwahl der zentralen Frage, wie wir im Jahr 2025 leben wollen. Mit diesem zunächst unwesentlich erscheinenden Wort „wollen“ verdeutlicht man einen nicht unwesentlichen positiven Anreiz. Das heißt, wir haben es selbst in der Hand, welche Weichen wir für unsere Zukunft stellen. Im Ergebnis stellt sich dann eine interessante Vorausschau auf unsere Gesellschaft von morgen dar. Zum anderen finde ich es auch sehr förderlich, dass der Abschlussbericht sowie die Formulierung der sogenannten kritischen Fragen keine Art Handbuch für die Gesellschaft darstellen oder auch kein Wahlprogramm sein sollen, sondern ein sinnvoller Anstoß für gesellschaftliche Debatten.

Eine dieser Debatten ist uns allen mittlerweile bekannt, nämlich dass sich die demografischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in unserem Land verändert haben und sich in den nächsten Jahren weiterhin bedeutend verändern werden. Bei diesem Befund dürfen wir es natürlich nicht belassen. Um Nordrhein-Westfalen zukunftsfähig zu machen, müssen wir frühzeitig wissen, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Heute sind alle Lebensphasen

auch Bildungsphasen. Um die damit verbundenen politischen Schlussfolgerungen zu ziehen und die Konsequenzen zu gestalten, sind die zahlreichen Empfehlungen der Zukunftskommission sehr wertvoll. Einige Punkte bestätigen unseren eingeschlagenen Weg, andere lenken unseren Blick aber auch in neue Richtungen. Der demografische Wandel hat viele Gesichter. Um ihn erfolgreich gestalten zu können, müssen sich sowohl die Ballungszentren unseres Landes als auch die ländlichen Räume den Herausforderungen stellen sowie die Chancen und gleichzeitig die Risiken erkennen.

Die ländlichen Räume sind in besonderer Weise betroffen. Gerade junge Menschen, die für ihre Ausbildung ihre Heimat verlassen, kehren oftmals nicht dorthin zurück. Sie finden Karrieremöglichkeiten in hoch qualifizierten Jobs häufig eher in den Städten. Die Folge ist eine zunehmende Überalterung der Bevölkerung im ländlichen Raum und eine Abnahme der dortigen Siedlungsdichte. Ballungszentren und ländliche Regionen gehören aber untrennbar zur Identität unseres Landes. Gemeinsam geben sie ihm sein unverwechselbares Gesicht und bieten eine hohe Lebensqualität, die wir auch in einem bereits eingesetzten Wandlungsprozess erhalten wollen.

Zu dieser Lebensqualität gehört ebenso ein intensiver Dialog zwischen den Generationen, der den Zusammenhalt unserer Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht. Wir alle können und müssen darauf Einfluss nehmen, dass negative, nicht zeitgemäße und ungerechtfertigte Bilder vom Alter, aber auch von der Jugend aus den Köpfen einiger Unbelehrbarer verschwinden. Negative Beurteilungen und unwürdige Behandlungen von Menschen nur aufgrund ihres Lebensalters sind zu verhindern. Wir werden alle alt, und wir waren alle jung. Gemeinsam müssen wir daran arbeiten, dass beide Potenziale nicht ungenutzt bleiben. Da sind wir uns mit der Zukunftskommission einig.

Einig bin ich auch – ich sage bewusst „ich“ – mit den Aussagen zu den Potenzialen von Frauen. Niemand kann es sich leisten – die Gesellschaft nicht, die Politik nicht und die Unternehmen nicht – , diese Potenziale als nebensächlich zu betrachten.

(Beifall von der CDU)

Um den Wünschen und berechtigten Ansprüchen von Frauen nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf Rechnung zu tragen, gilt es, Erwerbsarbeit familienintegrierend zu gestalten. Zudem wird man oder auch Mann – groß geschrieben – nicht mehr lange verhindern können, dass Frauen mit hoher Berufsqualifikation die oberen Karriereetagen oder Aufsichtsratsmandate erobern.

Wenden wir uns anderen Themenbereichen zu, finden wir auch dort Übereinstimmungen in unse

rer politischen Schwerpunktsetzung für mehr Chancen, mehr Gerechtigkeit und mehr Bildung mit den Empfehlungen der Kommission.

Der qualitative und quantitative Ausbau unserer Betreuungsangebote für die Kleinsten hat Vorfahrt, und dies wird sich auch in Zukunft fortsetzen.

Die Kommission empfiehlt eine bessere Beteiligung der Eltern und formuliert am Ende ihrer Zeitreise, also im Jahr 2025 – ich zitiere –: „An die Stelle des einstigen Nebeneinanders trat ein stärkeres Miteinander von privater und öffentlicher Erziehung und Bildung.“

Ich stimme der Kommission voll und ganz zu, dass wir die Partnerschaft von Eltern und Pädagogen noch offensiver unterstützen müssen.

(Beifall von der CDU)

Die bereits realisierten Familienzentren – das sind keine Visionen mehr – machen sehr deutlich, wie unerlässlich und erfolgreich eine innovative Vernetzung von Kompetenzen ist. Nur wenn wirklich jedes Kind im Mittelpunkt steht, können wir ihm das Rüstzeug vermitteln, welches es im Leben braucht. Grundwissen, Lernbereitschaft und -fähigkeit und das Zusammenspiel mit anderen, davon werden alle – sozial stark oder schwach, in Deutschland geboren oder zugezogen – profitieren. Für Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund ist gerade die Kita zudem oftmals ein leichter Weg, direkt mit ihren Nachbarn in Kontakt zu kommen und dort ihre Sprache zu lernen.

Die Zukunftskommission spricht hier von Müttern und Vätern als dem Schlüssel zur Integration. Egal, ob wir von sozialer oder kultureller Integration sprechen, auch hier stimme ich zu und sehe trotz aller Erfolge noch einen langen Weg vor uns; denn nur wenn alle an Bildungs- und Arbeitsmarktchancen teilhaben, gelingt ein fruchtbares Zusammenwachsen der verschiedenen Kulturen.

Leider endet hier meine Zeit, die mir für diese Zeitreise zur Verfügung steht. So bleibt es mir nur noch, den Mitgliedern der Kommission für die Denkanstöße herzlich zu danken und uns allen zu wünschen, dass wir im Interesse unserer Nachkommen gute Ergebnisse erzielen. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Milz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Priggen.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon spannend. Herr Stahl hat von der Hefe kluger unabhängiger Geister, die man zu Hilfe ziehen soll, gesprochen. Als ich das erste Mal gehört habe, dass der Minister

präsident eine Zukunftskommission eingesetzt hat, habe ich gedacht: Es wird spannend sein, zu lesen, was dort herauskommt, vor allen Dingen weil sie in einer Zeit gearbeitet hat, in der wir ganz andere interessante Gutachten vorliegen hatten. Ich erinnere an den Report von Sir Nicholas Stern, der 2006 erschien, der die Diskussion zum IPCCReport beflügelt hat, den Bericht des Weltklimarates, der dann 2007 kam und im gesamten politischen Raum die erste grundlegende Diskussion darüber eröffnet hat, was tatsächlich mit dem Weltklima passiert.

Wenn man sich den Bericht der Zukunftskommission ansieht – ich will jetzt speziell für den Energiebereich sprechen –, dann stellt man fest, dass bestimmte Teile schon skurril sind. Ich zitiere aus der Arbeitsgruppe 3, die sich mit Energie beschäftigt hat. Dort steht unter der Überschrift „Ein Tag im Jahr 2025, ein guter Tag für NRW“: „Im Braunkohlegebiet zwischen Köln und Aachen erfolgt der erste Spatenstich für den ersten kommerziellen Fusionsreaktor der Welt.“ – In 15 Jahren. „Das Demokraftwerk ist doppelt so groß wie sein Prototyp und soll bis zu 2 Gigawatt elektrische Leistung liefern, …“ – Also zwei große Kohlekraftwerksblöcke als Fusionsreaktor.

Wenn man einmal nachschaut, wie der Stand bei diesem Reaktortyp tatsächlich ist, dann halten es die Forscher für gelungen, wenn der erste kommerzielle Fusionsreaktor 2050/2060 zur Verfügung steht. Es geht beim Fusionsreaktor darum, bei Temperaturen von rund 100 Millionen Grad Wasserstoffatome zu schmelzen und daraus Energie zu gewinnen. In Cadarache in Frankreich wird europaweit am ersten Versuchsreaktor gearbeitet. Wenn man die Vision hat, 2025 als erster einen solchen Reaktor im rheinischen Braunkohlerevier zu haben – Herr Großmann von RWE war ja Mitglied in der Zukunftskommission für den Energiebereich –, und gleichzeitig weiß, was in der Braunkohle läuft, dann kann ich Ihnen dazu nur meine grüne Vision für 2025 vorstellen: Diese wäre, dass im rheinischen Braunkohlerevier ganz erfolgreich der letzte Braunkohleblock mit trockener Braunkohle befeuert wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bis heute, 2010, wird dort klatschnasse Braunkohle mit 60 % Wasseranteil in den Kesseln verfeuert. Wenn man es schaffen würde, in 15 Jahren, das, was da steht, endlich mit trockener Braunkohle zu befeuern, und das, was an Abwärme ungenutzt in die Landschaft verstreicht, zu nutzen, um nicht mehr nasse Kohle einsetzen zu müssen, dann wäre das wirklich eine visionäre Leistung im rheinischen Braunkohlerevier. Alles andere ist Wolkenschieberei und Spinnerei, um es ganz klar auf den Punkt zu bringen. Das hat mit einer Zukunftsvision für NRW nichts zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt, den ich gerne aus diesem Bericht, dem Bericht des Vorsitzenden, zitieren will, ist die Frage: Warum nicht Kernkraft fortentwickeln und als Energiequelle weiternutzen? Das sind die beiden wichtigen Punkte im Energiebereich für NRW im Bericht der Zukunftskommission 2025. Das hat aber mit der Realität nichts zu tun, weil niemand glaubt, dass es für Nordrhein-Westfalen in 15 Jahren irgendeine Rolle spielen wird, auch vor dem Hintergrund der heutigen Situation.

Deswegen war ich ganz gespannt, als ich gehört habe, der Ministerpräsident hält eine Regierungserklärung zu dem Thema, zu einem Bericht, der im April letzten Jahres vorgelegt wurde.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Ganze – Frau Löhrmann hat das schon richtig gesagt; das kann man auch ganz nüchtern einordnen – ist ein Teil der Öffentlichkeitskampagne. Wenn man uns an der Stelle erzählt, der Wahlkampf fängt erst im April an, dann wissen wir, die Realität sieht anders aus. Jetzt wird dieser Bericht im Prinzip nur noch vermarktet. Normalerweise hätte man ja die Kommission auch eingeladen. So haben wir das in den Enquetekommissionen gemacht. Die Leute, mit denen man gearbeitet hat, werden eingeladen und man diskutiert mit ihnen über den Bericht. Das wird hier gar nicht gemacht, weil es ja nur eine Vermarktungsaktion ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)