Protokoll der Sitzung vom 03.02.2010

Natürlich hätte sich die CDU-Fraktion inhaltlich mehr und die Einbringung dieses Gesetzentwurfs durchaus auch früher vorstellen können,

(Dr. Karsten Rudolph [SPD]: Hört, hört!)

aber letztendlich, Herr Kollege Rudolph – und darauf kommt es an –, setzen wir die in 2005 getroffenen Vereinbarungen von CDU und FDP konsequent um und verdeutlichen damit, dass wir halten, was wir versprochen haben.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, folgende Punkte möchte ich kurz ansprechen:

Im neuen Polizeigesetz wird der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung detaillierter und differenzierter neu geregelt. Das vom Bundesverfassungsgericht statuierte Gebot der Vermeidung von Datenerhebungen im Kernbereich privater Lebensgestaltung sowie das Verbot der Verwendung bzw. die Verpflichtung zur Löschung dennoch erlangter Daten wird damit in grundrechtskonformer Weise Berücksichtigung im Polizeigesetz finden.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Darüber hinaus enthält das neue Polizeigesetz eine eindeutige gesetzliche Regelung zum sogenannten finalen Rettungsschuss, die den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in lebensbedrohlichen Situationen die erforderliche Klarheit und die nötige Rechtssicherheit verschafft. Damit erreichen wir unser Ziel, dass sich der Staat in einer besonderen Ausnahmesituation, in der sprichwörtlich Leben gegen Leben steht, für das Leben des Opfers und gegen das Leben des Täters entscheiden darf. Mit dieser eindeutigen gesetzlichen Regelung können sich die Polizeibeamtinnen und -beamten zukünftig auf eine klare gesetzliche Grundlage stützen, die ihnen im Extremfall Rechts- und Handlungssicherheit gibt.

Einen weiteren Aspekt möchte ich kurz ansprechen: Mit der Verabschiedung des neuen Polizeigesetzes wird die Sicherstellung der öffentlichen Ordnung wieder zu den Aufgaben der Polizei zählen. Das bedeutet, dass die Polizei zukünftig wieder neben den Ordnungsbehörden dazu befugt ist, Gefahren für die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln abzuwehren, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird – siehe hierzu auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1985 im sogenannten Brokdorf-Beschluss.

Wir wissen, dass die öffentliche Ordnung gegenüber der öffentlichen Sicherheit subsidiär ist. Da nahezu jedes menschliche Verhalten durch ein Gesetz erfasst ist, schrumpft der Anwendungsbereich auf Verstöße gegen Anstand und Sitte, gegen die Moral, gegen religiöses Empfinden oder gegen

die Totenruhe. Aber für uns als CDU-Fraktion und auch für die FDP sind die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit ein Begriffspaar. Es ist für uns mehr als Symbolik. Es ist auch ein klares Signal an die Bevölkerung, deren Schutz wir insgesamt optimieren und umfassend sicherstellen möchten.

Die SPD hat im Übrigen 1990 – warum eigentlich? – die öffentliche Ordnung aus dem Polizeigesetz gestrichen, damals wahrscheinlich ausschließlich aus ideologischen Gründen.

(Frank Sichau [SPD]: Nein!)

Aus dem Plenarprotokoll, Herr Kollege Sichau, 10/131 vom 19. Januar 1990 geht nicht nur dieser Tatbestand hervor, sondern diesem Protokoll ist auch zu entnehmen, dass die damalige Regierung weit mehr als eine Legislaturperiode gebraucht hat, um ein neues Polizeigesetz zu verabschieden. Mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich aus diesem Protokoll zitieren:

Dass wir seit 1984 bis jetzt gebraucht haben, um einen solchen Gesetzentwurf jetzt zu verabschieden, macht doch deutlich, wie schwer wir uns dabei tun, jeweils die richtigen Formulierungen zu finden:

So der damalige SPD-Innenminister Dr. Schnoor. Also zum einen der Rausschmiss der öffentlichen Ordnung aus dem Polizeigesetz und zum anderen das klare Bekenntnis, dass man weit mehr als eine Wahlperiode benötigt hat, um ein Polizeigesetz auf den Weg zu bringen! Das zu den wahrscheinlich gleich zu hörenden Vorwürfen, dass wir zeitlich so lange gebraucht haben.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Änderungsantrag, der im Innenausschuss die Zustimmung erfahren hat, ist die Konsequenz der Anhörung der Sachverständigen am 14. Januar 2010. Er sieht inhaltliche und redaktionelle Änderungen zu den §§ 16 ff. vor, die die rechtliche Ausgestaltung des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betreffen.

Im Namen der CDU-Fraktion bitte ich um Zustimmung sowohl zum vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung als auch zu den entsprechenden Änderungsanträgen von CDU und FDP. – Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat Dr. Rudolph für die SPD-Fraktion.

Ich mache auf Folgendes aufmerksam: Wir haben noch eine ziemlich lange Tagesordnung vor uns, überschlägig zwei Stunden. Ich freue mich, wenn wir so freundlich zusammenbleiben. Aber wenn wir

früher fertig würden, wäre es ja auch nicht falsch. Vielleicht kann man sich ein bisschen in der Redezeit beschränken. Das ist kein Zwang, sondern eine herzliche Bitte. – Dr. Rudolph, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Nach dieser freundlichen Aufforderung möchte ich nur auf den Kollegen Kruse verweisen. Es gibt ja Dinge in der Innenpolitik, die anscheinend Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern. Deswegen wollen wir hier nicht um Minuten feilschen.

Herr Kollege Kruse, bei aller Wertschätzung Ihnen gegenüber: Aber die Geschichte mit der öffentlichen Ordnung jetzt noch einmal zu rechtfertigen, das war – auch historisch – schon ziemlich weit hergeholt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es in die Zeit passt, den Auftrag der Polizei als Sittenpolizei vorzustellen.

(Theo Kruse [CDU]: Hat keiner gemacht!)

Viel entscheidender ist doch eigentlich Folgendes – das ist doch der bemerkenswerte Vorgang, der wirklich interessiert –: Bevor Ihr Gesetzentwurf die zweite Lesung erreicht hatte, hatte sich die CDUFraktion bereits kollektiv von diesem Gesetzentwurf distanziert

(Beifall von der SPD)

und angekündigt, dass, wenn man noch einmal Regierungsverantwortung tragen würde, man ein richtiges Polizeigesetz machen würde, weil das, was seitens der Landesregierung dem Parlament vorgelegt worden sei, nichts anderes als der FDPGesetzentwurf sei. So viel zur Handlungsfähigkeit und zur Aufrichtigkeit der Koalition in innenpolitischen Fragen.

Meine Damen und Herren, so wie die Aufgabe demokratischer Politik bekanntlich darin liegt, bindende Entscheidungen zu ermöglichen und zugleich die individuellen Freiheitsrechte aller Beteiligten zu gewährleisten, sehen wir die Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik für die innere Sicherheit darin, bestmögliche Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger zu garantieren und die Ausübung individueller Freiheitsrechte für jedermann möglich zu machen. Wir sind nämlich davon überzeugt, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger sich stets beides wünschen, sowohl Freiheit als auch Sicherheit – und nicht Sicherheit mit weniger Freiheit, aber auch nicht Freiheit mit weniger Sicherheit.

Unser Staat, der demokratische Staat des Grundgesetzes, bürgt für die Menschen- und Bürgerrechte und setzt sich für die Sicherheit seiner Bürger ein, damit diese Freiheit, Demokratie und Wohlstand genießen können. Dies ist und bleibt die Richtschnur sozialdemokratischer Politik für die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen.

Der von meiner Fraktion bereits im Sommer letzten Jahres vorgelegte Gesetzentwurf zur Modernisie

rung des nordrhein-westfälischen Sicherheitsrechts folgt diesem Credo. Dort, wo den Sicherheitsbehörden neue oder erweiterte Befugnisse zur Bekämpfung des transnationalen Terrorismus oder anderer schwerster Verbrechen zugestanden werden, werden diese präzise und verfassungsfest beschrieben und einer effektiveren richterlichen und parlamentarischen Kontrolle unterworfen; denn nur so können Freiheit und Sicherheit in einen neuen, zeitgemäßen Ausgleich gebracht werden.

Es ist Ihnen wahrscheinlich nicht verborgen geblieben, dass unser Gesetzentwurf auch in der Anhörung des Innenausschusses viel Lob und Unterstützung erfahren hat.

(Monika Düker [GRÜNE]: Na, na, na! – La- chen von der CDU)

Professor Dr. Hansjörg Geiger, früher Staatssekretär im Bundesjustizministerium, davor Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie Präsident des Bundesnachrichtendienstes und jetzt an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main in der rechtswissenschaftlichen Lehre tätig, stellte fest – ich zitiere ihn hier aus dem Protokoll der Anhörung vom 26. November 2009 –:

Der Gesetzentwurf stellt eindeutig eine Verbesserung im Vergleich zu dem dar, was bisher im Polizei- und Sicherheitsrecht zu finden ist.

Er bezog dieses Urteil nicht nur auf Nordrhein-Westfalen, sondern auf die Bundesrepublik Deutschland insgesamt.

Prof. Dr. Dieter Kugelmann von der Deutschen Hochschule der Polizei urteilte – ich zitiere ebenfalls aus dem Protokoll dieser Anhörung –:

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein mutiger Gesetzentwurf, weil er die Probleme anpackt.

Auch Prof. Dr. Fredrik Roggan von der Polizeiakademie Niedersachsen lobte den Gesetzentwurf insbesondere für seine, wie er sagte, „ausführliche, differenzierte verfassungsrechtliche Argumentation“, weil die Sachverständigen „dabei üblicherweise alles andere als verwöhnt“ seien.

Von der Gewerkschaft der Polizei wurde die Gesetzesinitiative ebenso ausdrücklich begrüßt wie vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.

Natürlich gab es in der Anhörung auch Kritik an einzelnen Normen. Diese greifen wir mit unseren Änderungsanträgen, die wir Ihnen hier vorgelegt haben, auf.

Sie betreffen im Einzelnen die Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts, die Entscheidung über heimliche Ermittlungsmaßnahmen durch ein Kollegialgericht – und nicht durch ein Amtsgericht, wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen –, die Konkretisierung des Straftatenkatalogs und eine strikte Begrenzung präventiver Maßnahmen auf ein klar umrissenes Vorfeld möglicher schwerer Strafta

ten, sodass eine Ausdehnung der Prävention auf ein, wie die Experten sagen, Vor-Vorfeld unterbunden ist.

Wir bleiben allerdings bei unserer Generalklausel für den Kernbereichsschutz, weil wir glauben: Wenn dieser Schutz gilt, muss er immer und überall gelten, egal ob im Schlafzimmer, auf der Parkbank oder sonst wo.

Meine Damen und Herren, wie ärmlich sich der von der Landesregierung eingebrachte FDP-Gesetzentwurf ausnimmt, zeigt sich im direkten Vergleich mit unserem Entwurf. Die schwarz-gelbe Bilanz in der Gesetzgebung für die innere Sicherheit ist und bleibt blamabel.

In Karlsruhe ging die Verfassungsschutznovelle, in der den Nachrichtendiensten freie Hand bei der Onlinedurchsuchung gegeben werden sollte, unter. Die Landesregierung hat es bis heute nicht verstanden, dem Parlament eine verfassungsgemäße Novelle vorzulegen, und vertröstet den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen seit Monaten.

Ich begrüße es in diesem Zusammenhang, dass der Verfassungsgerichtshof uns nunmehr mitgeteilt hat, dass er dem verfassungsgerichtlichen Verfahren Fortgang gibt.

(Beifall von der SPD)

Nimmt man den deutlichen Abbau von Stellen bei der Polizei und das Versagen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität hinzu, dann ist zu verstehen, dass die Landesregierung das Thema innere Sicherheit im Eildurchgang erledigen möchte, um es nicht in die Wahlauseinandersetzung zu ziehen; denn weder die Freiheitsrechte noch das Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger sind in den fünf Jahren, die Sie regieren, in guten Händen gewesen. Stattdessen gingen lautstarke Parolen Hand in Hand mit konkreter Untätigkeit und Unfähigkeit.

(Beifall von der SPD)

Somit vernachlässigte Schwarz-Gelb in fünf Jahren beides, die Sicherheit ebenso wie die Freiheit unserer Bürger.