Herr Kollege Orth, was verfassungswidrig ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Dabei kommen Sie an einer Tatsache nicht vorbei: dass das Bundesverfassungsgericht Ihr Verfassungsschutzgesetz im Februar 2008 unter dem Gelächter der übrigen Länder für verfassungswidrig erklärt hat.
Für verfassungswidrig wurde unter anderem die Online-Durchsuchung erklärt. Es ist paradox und zeugt von einem Verfall der parlamentarischen Sitten, dass der Innenminister ständig behauptet, man habe die Online-Durchsuchung gar nicht gewollt, obschon alle Richter, die Opposition, die deutsche Öffentlichkeit, alle Sachverständigen in der dem Gesetz vorgeschalteten Anhörung und wahrscheinlich sogar die CDU bis zur Stunde der Verhandlung vom Gegenteil ausgegangen sind.
Herr Kollege Orth, ich rate dazu, etwas mehr Zurückhaltung an den Tag zu legen, wenn es um die Frage geht, wer verfassungswidrige Gesetze vorgelegt hat. Denn Sie sind die ersten, die sich da an die eigene Nase fassen müssen.
Herr Kollege Lohn, ich wäre etwas vorsichtiger mit der Formulierung, wir würden mit der Regelung zum finalen Rettungsschuss eine Rechtsschutzgarantie für einen Todesschuss geben. Denn in Wahrheit kann wohl kein Gesetz der Welt eine Rechtsschutzgarantie für den Fall geben, dass ein Mensch umgebracht wird.
Außerdem würde ich Sie, Herr Kollege Lohn, gerne einmal fragen, ob es in den letzten zehn Jahren überhaupt problematische Fälle gab. Hat ein Polizeibeamter einen Nachteil erlitten, weil er gezwungen war, einen Rettungsschuss anzusetzen? Wie oft ist diese Situation in Nordrhein-Westfalen überhaupt eingetreten? – Das Ergebnis ist, dass es überhaupt keine derartigen Notlagefälle gibt. Insofern fechten Sie für Dinge, die im Polizeialltag in Wahrheit gar keine Rolle spielen.
Wenn man versucht, die Debatte auf eine halbwegs sachliche Grundlage zu stellen, kommt man nicht umhin festzustellen, dass das, was Sie nach viereinhalb Jahren vorlegen, im Grunde genommen eine Verlegenheitslösung ist, mit der von beiden Koalitionsparteien schamvoll versucht wird zu verdecken, dass die schwarz-gelbe Koalition kein Konzept für die innere Sicherheit hat, niemals eines hatte und auch in Zukunft keines besitzen wird und dass Sie sich in wesentlichen Fragen der Innenpolitik in Nordrhein-Westfalen absolut unsicher und uneinig sind.
Deswegen bleiben wir bei der Behauptung, dass diese Landesregierung de facto nicht handlungsfähig ist. Sie tut nicht genug für die Freiheit und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass wir erneut unseren Koalitionsvertrag umsetzen und damit das tun, was wir vorher gesagt haben. Das ist ein Markenzeichen dieser Regierung. Rot-Grün hat immer das eine gesagt und das andere getan. Wir stehen zu dem, was wir vereinbart haben, und das ist auch bei diesem Gesetz so geschehen.
Herr Rudolph beschäftigt sich immer so gerne mit dem Verfassungsgericht. Ich kann ihm etwa zehn Fälle aufzählen, in denen die SPD beim Bundesverfassungsgericht unterlegen ist. Das Bundeswahlgesetz von SPD und Grünen, die Regelung zur Vergabe von Führungsämtern in Beamtenverhältnissen auf Zeit von SPD und Grünen, das Transsexuellengesetz der SPD, der Einsatz deutscher AwacsFlugzeuge in der Türkei durch die SPD, Hartz IV von SPD und Grünen: Zu all dem gibt es Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht, in denen Maßnahmen von Ihnen aufgehoben worden sind.
Durch Wiederholung wird nichts besser. Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass wir Kommunikationsdaten überwachen wollten und nicht mehr. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung getroffen, in der es ein neues Grundrecht entwickelt hat, das vorher weder Sie noch wir noch sonst jemand kannte. Entsprechend ist das Polizeigesetz angepasst worden.
Bei der SPD sind innenpolitische Geisterfahrer unterwegs, die nicht wahrhaben wollen, was richtig ist.
Der finale Rettungsschuss ist in den Polizeigesetzen fast aller Bundesländer verankert, also auch eine sinnvolle Ergänzung des Polizeigesetzes NRW. Die Polizisten vor Ort wollen diese Änderung, und dafür stehen wir ein.
Nachdem Herr Stotko wieder Gegenteiliges behauptet hat, ist es mir wichtig, noch einmal zu sagen, dass Sie nicht nur bei den Lehrern, sondern auch bei den Polizisten den Stellenabbau eingeleitet haben.
Sie wollten einen massiven Stellenabbau. Sie haben sich gebrüstet, dass statt 24.000 nur noch 16.000 Lehrerstellen abgebaut werden sollten. Bei der Polizei waren 841 Stellen zum Abschuss freigegeben. Wir haben sie gerettet, im System belassen und darüber hinaus die Einstellungszahlen mehr als verdoppelt.
Vielen Dank, Herr Innenminister. – Meine Damen und Herren, jetzt liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen erstens ab über den Änderungsantrag der SPDFraktion Drucksache 14/10635. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPDFraktion. Wer ist dagegen? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wir stimmen zweitens ab über den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion Drucksache 14/9386. Der federführende Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 14/10603, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Wer dieser Empfehlung des Innenausschusses seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Das ist die SPDFraktion. Damit ist die Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen, mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung abgelehnt.
Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/10089. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 14/10603, diesen Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüs
se anzunehmen. Wer ist dafür? – Die Fraktionen von CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich eröffne die Beratung, erinnere an die Tagesordnung und die Uhrzeit, die wir schon haben, und erteile Frau Kollegin Veldhues von der SPDFraktion das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! 1992 ist das Betreuungsgesetz in Kraft getreten. Mit der rechtlichen Betreuung wurde die frühere Vormundschaft ersetzt. Der Gesetzgeber verfolgte mit dieser Reform das Ziel, an die Stelle der Entmündigung die Betreuung zu setzen, um den Betroffenen Hilfe zu einem freien und selbstbestimmten Leben zu geben.
Meine Herren – es scheinen nur Männer zu sein, wie Frau Veldhues gerade sagte –, ich möchte Sie bitten, sich ein bisschen zu disziplinieren.
Ich danke, Herr Präsident. – Die Betreuung greift massiv in die Grundrechte der Betroffenen ein; das hatte ich gerade ausgeführt. Daher sind Verantwortungsbewusstsein und die kenntnisreiche und sorgfältige Handhabung eigentlich selbstverständliche Voraussetzungen.
Ob die Praxis der Betreuung diesen Ansprüchen gerecht wird, wollten wir mit der Großen Anfrage kritisch hinterfragen.
Meine Damen und Herren, die Beantwortung durch die Landesregierung zeigt deutlich, dass die bisher vornehmlich von der Justiz und der Rechtspolitik verwaltete Rechtsfürsorge einer Revision zu unterziehen ist.
Die gerichtlich angeordnete Betreuung wird aber zunehmend ein sozial- und gesundheitspolitisches Thema. Lassen Sie mich anhand der aufgeworfenen Fragen darstellen, warum uns die Beantwortung so nicht zufriedenstellen kann und wir langfristig eine andere Ausrichtung im Interesse der betroffenen Menschen erreichen wollen.
Uns allen liegt der Bericht über die Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vor. Hinsichtlich sozialpolitischer Fragestellungen zum Betreuungswesen ist die Datenlage sehr unbefriedigend, da sie sich vorrangig an den administrativen Bedürfnissen der Justizverwaltung orientiert.
Dieser im April 2009, also recht aktuell veröffentliche Endbericht sagt aber sehr deutlich – ich zitiere –:
Nach Einführung der pauschalierten Vergütung gibt es weniger persönliche Kontakte zwischen den beruflichen Betreuern und ihren Betreuten. Dies trifft insbesondere die Kontakte zwischen selbstständigen Berufsbetreuern und deren Betreuten. Sie sehen ihren Betreuer nur noch sehr selten.
Um eine auskömmliche Vergütung zu haben, erhöhten die beruflichen Betreuer die Anzahl ihrer Betreuungen und haben dadurch deutlich weniger Zeit für den Einzelnen. Auch haben nach Angaben der Gerichte seit Einführung des Zweiten Änderungsgesetzes die Beanstandungen sehr stark zugenommen. Circa 11 % der Gerichte haben eine feste Grenze bezüglich der Anzahl der Betreuungen.