Kurz: Sie haben vieles begonnen und in der Landschaft der frühen Bildung viele Baustellen aufgemacht, von denen sich einige aber als unterfinanziert oder schlecht durchdacht oder beides erweisen. Aus unserer Sicht ist dies keine gute Grundlage für das gedeihliche Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. Um Ihre Replik vorwegzunehmen, dass es viele dieser Instrumente zu rot-grüner Zeit gar nicht gab, stelle ich fest:
(Holger Ellerbrock [FDP]: Ich bin nicht aufge- regt! – Wolfgang Jörg [SPD]: Herr Ellerbrock, Sie sind nie aufgeregt! Man könnte fast sa- gen: Sie sind leblos!)
Hier und heute geht es um Ihre Kinder- und Jugendpolitik, um die fünf Jahre Ihrer Regierungszeit und um die Umsetzung Ihrer Versprechen und Ihrer Ansprüche. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure zunächst, dass sich die Grünen dieser Debatte entzie
hen, die die Große Anfrage auf den Weg gebracht haben. Aber so ist das: Man kann als Redner viel in den Raum stellen und Nebel verbreiten. Und wenn andere darauf reagieren und Antworten liefern wollen, ist man eben einfach nicht da. Dann weiß man auch, wie ernst das gemeint ist.
Zur Diskussion über die Kürzungen: Es ist richtig, dass unterschiedliche Landesregierungen in den letzten Legislaturperioden der Notwendigkeit unterlagen, aus ihrer Gesamtverantwortung heraus Haushalte zu konsolidieren. Deshalb ist nicht immer all das, was im Jugendbereich wünschenswert ist, auf Anhieb finanzierbar gewesen. Viele Projekte haben ihre Anlaufzeit gebraucht.
Dann muss man aber auch sehen, was an anderen Stellen neu entstanden ist wie zum Beispiel unser Programm, ein Programm dieser Regierung, weil wir es ja so ernst meinen, niemanden zurückzulassen, speziell in Bezug auf die Förderung von Kindern in sozialen Brennpunkten. Wir haben das auch in der Kinderkommission hier im Haus diskutiert: Die Perspektive sind die Eingliederung dieser Mittel und die Zusammenführung zu einem einheitlichen Haushaltsposten.
Es gibt aber sehr wohl auch neue haushalterische Akzente, die nur diese Koalition gesetzt hat. Wenn ich mir den von Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode eingeleiteten Abbau in der offenen Jugendarbeit anschaue, haben Sie keinerlei Veranlassung, mit dem Zeigefinger zu winken.
Unser Ansatz als Koalition der Erneuerung ist es ganz ausdrücklich, eine ganzheitliche Kinder- und Jugendpolitik zu betreiben,
die bei früher Bildung ansetzt und bis zur Schaffung von Familienzentren weitergeht. Sie bietet neue Perspektiven für Ausbildung und Wissenschaft. Diese eigenständige Jugendpolitik ist für uns eine Querschnittsaufgabe, die selbstverständlich mit Belangen der Sozial-, Arbeits-, Ausbildungs-, Bildungs- und Familienpolitik vernetzt werden muss. Das betrifft die Perspektive Jugendlicher insgesamt.
Der 9. Kinder- und Jugendbericht zeigt eindrucksvoll die Erfolge der Arbeit der Mehrheit im Land in den letzten Jahren. Unter Regierungsverantwortung von FDP und CDU ist die Kinder- und Jugendpolitik in einen größeren gesellschaftlichen Kontext gestellt worden. Wir haben uns der Zukunftsfrage gestellt: Wie geht es mit unserer Gesellschaft im demografischen Wandel weiter? 2020, 2025, 2040 kommen neue Herausforderungen auf uns zu. Wir sind hier im Land entsprechend tätig geworden, um uns einzurichten und Vorkehrungen für die Entwicklungen der Zukunft zu treffen.
Wir haben uns insbesondere der Situation von Kindern in defavorisierten Verhältnissen angenommen, deshalb in der Bildungspolitik zusätzliche Mittel für die Einstellung von Lehrern nach dem Sozialindex bereitgestellt und bei der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen ganz bewusst mit Zuschlägen nach sozialen Kontextfaktoren gearbeitet. All das sind Vorschläge, die in der Kinderkommission dieses Hauses von allen Fraktionen und allen externen Experten positiv aufgenommen wurden.
Wir haben sie in der letzten Legislaturperiode beantragt, als es eine rot-grüne Mehrheit gab. Fast schon flehentlich haben wir im Interesse der Kinder darum gebeten, eine andere Schwerpunktsetzung vorzunehmen und nicht einigen etwas zu nehmen. Das haben Sie nicht getan. Wir haben zusätzliche Ressourcen ins System gegeben. Wir haben allen das belassen, was sie vorher hatten, aber mit den neuen, zusätzlichen Ressourcen schwerpunktmäßig die Zielgruppen bedacht, die einen besonderen Förderbedarf haben. Wir finden, dass das der richtige Weg ist, für den wir in der letzten Legislaturperiode geworben haben. Damit sind wir bei Rot-Grün auf taube Ohren gestoßen. Die Kinderkommission hat begrüßt, dass wir das jetzt anders machen und umgesteuert haben. Das sollte Maßgabe jeder Politik in der neuen Legislaturperiode dieses Landtags sein.
Deshalb stehen wir ausdrücklich zum Modell des Kinderbildungsgesetzes. Wir haben zugesagt, dass wir in die Evaluation eintreten. Daher wird dieses Haus im kommenden Jahr in den Details Bilanz ziehen. Wir haben gesagt, dass wir uns grundlegend um Perspektiven junger Menschen kümmern, indem wir über Aufstiegschancen reden.
Deshalb fangen wir auch früher mit Bildungsprozessen an: Wir fassen den Elementarbereich ausdrücklich als den ersten wichtigen Abschnitt des Bildungsprozesses auf. Wir sorgen dafür, dass Kinder nicht schon vom ersten Schultag an in bestimmten Stadtteilen zu 80 % nicht dem Unterrichtsgeschehen folgen können – nicht, weil sie intellektuelle Mängel hätten, sondern weil es an Sprachbarrieren scheitert.
Diese Problematik haben wir ganz ausdrücklich nicht mehr, weil wir jetzt im Rahmen eines zentralen Verfahrens der Sprachstandsfeststellung bei jedem Vierjährigen schauen, was er kann. All denjenigen, die Defizite haben, helfen wir, weil Fördern und Fordern zusammengehören, damit Kinder zu Beginn ihrer Schullaufbahn die gleichen Chancen haben, am Unterricht teilzunehmen. Dieser Aspekt unserer Jugend- und Bildungspolitik ist zugleich auch gelebte Sozialpolitik. Davon kann sich RotGrün eine ganz dicke Scheibe abschneiden.
Deshalb haben wir mit fast 30 Millionen € so viel in die frühkindliche Sprachförderung investiert, wie das
unter Rot-Grün nie vorstellbar gewesen wäre. Sie haben auch mal das eine oder andere Progrämmchen gehabt, aber in der Breitenwirkung gar nicht das Potenzial erkannt, das in diesem Bereich für die Zukunft der Kinder und Jugendlichen steckt. Das gilt gerade in einer Gesellschaft, die immer stärker durch Migration gekennzeichnet ist.
Wir sind froh und finden es im Nachhinein richtig, dass wir die Familienzentren so systematisch ausgebaut haben und landesweit eine ordentliche vierstellige Zahl an Familienzentren hinzugekommen ist, weil wir auch hier ganzheitlich denken: Was gestern die reine Kindertageseinrichtung war, wird zukünftig die Generationeneinrichtung im Stadtteil sein, die sich auch in Zeiten des demografischen Wandels weitergehenden Fragestellungen stellen muss. Das ist richtig. Deshalb freuen wir uns, dass wir nach all den Planungen noch in diesem Jahr die Marke von 2.000 Familienzentren überschreiten werden.
Wir freuen uns für die Kinder und Jugendlichen in unserem Land, dass wir die Ganztagsangebote so konsequent und systematisch ausgebaut haben, wie Rot-Grün davon nur hätte träumen können, es teilweise aber auch gar nicht gewollt hat. Ganztag war für Sie Ideologie. Das gab es dann privilegiert für die Gesamtschulen. Da stand im Schulgesetz, dass die das automatisch alle bekommen konnten. Das Gymnasium, die Realschule und die Hauptschule, die auch auf der Matte standen und gesagt haben „Wir haben hier Nachfrage; wir wollen das machen“, haben von Ihnen keine Mittel bekommen; die haben Sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen.
Uns freut, dass wir uns mit einem ideologiefreien Ansatz darum kümmern, dass wir den Bedürfnissen aller Schulformen nachkommen, und zwar nach unserer Philosophie in der Koalition der Erneuerung eben als Ganztagsangebot für die, die es wollen, und nicht als Zwangsganztag für alle. Das ist die richtige Philosophie, und es wird angenommen.
Wir haben bereits an 80 % der nordrhein-westfälischen Grundschulen – immerhin über 3.000 in unserem Land – entsprechende Angebote der offenen Ganztagsgrundschulen. Wir haben die Ganztagsoffensive im Bereich der Hauptschulen, die bei Ihnen völlig chancenlos waren, und wir haben jetzt auch über 200 Standorte im Bereich von Gymnasien und Realschulen, die wir mit auf den Weg bringen.
Das ist unsere Vorstellung davon, auf Augenhöhe die Schulformen in den Wettbewerb treten zu lassen, fair zu sein in der Ausstattung entsprechender Einrichtungen. All das war für Sie überhaupt nicht vorstellbar.
Wir glauben, dass dieser Ganztagsausbau eine wesentlich stabilisierende Wirkung haben wird, gerade für die Kinder und Jugendlichen, die aus schwierigen sozialen Kontexten kommen und des
Es ist viel an begleitenden Programmen erfolgt. Wir haben uns auch um Aspekte der kulturellen Bildung Jugendlicher gekümmert. Darüber werden wir morgen unter einem anderen Tagesordnungspunkt reden. Wir haben die offene Kinder- und Jugendarbeit in unserem Land stabilisiert und weiter ausgebaut. All das ist wichtig, um zukünftig Strukturen für den Aufstieg zu sichern.
Herr Remmel, da können Sie rufen, was Sie wollen. Ihre Bilanz in diesem Bereich ist bis zur Abwahl von Rot-Grün 2005 ernüchternd gewesen.
Ich will auf diesen Zuruf von Ihnen, Herr Remmel, im Rahmen meines Beitrags gerne noch eine Antwort geben. Wir können nicht jedem eine goldene Zukunft zusichern, wir können aber dafür sorgen, dass alle faire Startchancen haben,
und dass jeder, der will, und jeder, der Hand anlegt, der etwas aus sich und seinem Leben machen und Leistung zeigen will, dazu entsprechend die Chance bekommt. Dafür stehen wir in der Tat. Nicht jedem kann man alles schenken,
aber derjenige, der will, braucht faire Startchancen, um seinen eigenen Aufstieg entsprechend zu realisieren. Das ist unsere Politik, und das wird sie auch weiterhin bleiben.
(Beifall von der FDP – Wolfgang Jörg [SPD]: Für faire Chancen stand die FDP ja schon immer! – Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich das sicher anders vorgestellt. Sie hat 314 Fragen zur Kinder- und Jugendpolitik in unserem Land zusammengestellt und gedacht, das sei eine Steilvorlage für den Wahlkampf. Aber sie bekommt nun eine Antwort auf 250 Seiten, die eine Steilvorlage für die Regierungskoalition ist.
Wenn Sie den 9. Kinder- und Jugendbericht abgewartet hätten – der kam fast zeitgleich –, dann wären Sie quasi automatisch an die Ihnen wichtigen Antworten zur Jugendpolitik gekommen. Dann hät
ten Sie bemerkt, was ich immer sage: Wir haben wichtige Weichen in der Jugendpolitik unseres Landes gestellt, Weichen, die jedem Kind und jedem Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen zum sozialen Aufstieg den Weg weisen.
Als Jugendminister bin ich froh, dass es in den letzten fünf Jahren gemeinsam mit vielen Partnern für die Kinder und Jugendlichen möglich war, dass Nordrhein-Westfalen zu einen Land der neuen Chancen wurde, unabhängig davon, ob es für die Kinder schon Startchancen im Elternhaus gab, unabhängig davon, ob die Situation von sozialen, gesundheitlichen oder anderen Benachteiligungen geprägt ist, unabhängig auch davon, ob jemand eine Zuwanderungsgeschichte hat oder nicht.
Nun machen insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD immer den Versuch, einen Teil herauszugreifen und so zu tun, als wenn es dieser These widersprechen würde. Frau Kollegin Hack hat das hier mit den Elternbeiträgen getan. Man kann ja über die Elternbeitragsfreiheit oder Elternbeiträge, wie sie gestaffelt sind, diskutieren wie man will. Man kann auch darüber diskutieren, ob man wieder das alte Steuerungsverfahren haben will. Dieser Streit findet aber zwischen Kommunen und Land statt. Für Kinder von einkommensschwachen Eltern werden in ganz Nordrhein-Westfalen keine Elternbeiträge gezahlt.