Protokoll der Sitzung vom 12.03.2008

In der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland – Herr Löttgen, ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal damit zu beschäftigen – wollen Sie den einmaligen Fall einer Wahl auf Vorrat kreieren. Dem kann man sich sowohl unter demokratietheoretischen als auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten nur widersetzen.

Ich kann und muss Sie dazu auffordern: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben bereits angekündigt, wie es weitergeht. Wir schließen uns der Ankündigung an. Dann sehen wir in Münster wieder – darin ist Ihr Innenminister ja Profi –, wie es ausgeht. Na ja! – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Becker.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es heute? Es geht heute – das will ich zunächst einmal deutlich feststellen – nicht um die prinzipielle Frage – auch wenn vonseiten der Koalition immer dieser Eindruck versucht wird zu vermitteln –: Kann man

Europawahlen mit Kommunalwahlen zusammenlegen? Um diese Frage geht es nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht heute ganz offensichtlich um die Frage: Was können Sie unternehmen, um die eigentlich naheliegende Zusammenlegung von Bundestagswahl und Kommunalwahl – beide würden normalerweise im September nächsten Jahres anstehen – zu vermeiden? Dass das so ist, kann man belegen. Man kann es belegen an den Presseartikeln des letzten Jahres. Man kann es auch daran belegen, wie Sie Ihre Begründungsfiguren geändert haben. Ich will Ihnen an dieser Stelle kurz einige Zitate vortragen.

Zitat von Christian Lindner, FDP-Fraktion, aus der „FAZ“ vom 21. August 2007 – damals die Debatte nicht wegen der Europawahl, sondern nur zum Thema Entkopplung –:

„Bei einem gemeinsamen Wahltermin könnte die Kommunalwahl aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet werden.“

Bei einem gemeinsamen Wahltermin!

„Da das Landesparlament gerade daran arbeite, die Stichwahlen beim Bürgermeister und Landratswahlen entfallen zu lassen, sei Raum für eine weitere Wahl.“

Es ging um eine weitere Wahl! – Ein weiteres Zitat von Christian Lindner aus der „NRZ“:

„Wir müssen vermeiden, dass sich Wahlen gegenseitig kannibalisieren und dabei kommunale Belange untergehen.“

Das alles ist offensichtlich dann kein Argument, wenn es nicht um die Kopplung mit der Bundestagswahl, sondern um die Kopplung mit der Europawahl geht, da sich nach Ihrer Theorie dann keine Wahlen kannibalisieren, weil die Wahlbeteiligung nicht mehr so hoch ist. Da ist dann alles in Ordnung. Dafür nehmen Sie auch in Kauf, dass Sie eine Debatte führen, die an Scheinheiligkeit, die an intellektueller Unrätlichkeit kaum noch zu überbieten ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich will Ihnen ganz deutlich machen, warum das so ist. In Ihrem Entschließungsantrag führen Sie andere Bundesländer an, die die Europawahl und die Kommunalwahl miteinander gekoppelt haben. Ja, das haben die gemacht. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich, jedenfalls für unsere Fraktion: Kein Mensch hat etwas dagegen, dass man in einem geordneten Verfahren – ich lege großen Wert auf das geordnete Verfahren, und das geht

frühestens ab 2014 – Europawahlen und Kommunalwahlen zusammenlegt. Warum ist das ein geordnetes Verfahren und das, was Sie jetzt machen, das pure Chaos und Tricksen und die Demokratie wirklich mit Füßen treten?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich sage Ihnen das: Weil Sie etwas machen, was ganz offensichtlich unter normalen, demokratischen, anständigen Abgeordneten nicht gemacht würde. Sie entkoppeln nämlich einen Wahltermin vom Auslaufen der Wahlperiode um viereinhalb Monate. Und viereinhalb Monate, meine Damen und Herren, sind keine Peanuts. Das sind immerhin 7,5 % einer gesamten Wahlperiode.

In diesen 7,5 % – übrigens dreieinhalb Wochen vor den Sommerferien nächsten Jahres und sieben Wochen nach den Sommerferien nächsten Jahres – kann und wird eine ganze Menge von den alten, noch im Amt befindlichen Mitgliedern der Räte und so manchem Bürgermeister gemacht werden.

Ich darf Sie an ein demokratisches Instrument erinnern, das eigentlich Standard sein sollte, nämlich dass eine Wahl immer eine Abrechnung über Unterlassenes und über Getanes ist. Die Abrechnungsmöglichkeit – eine der wenigen, die Wählerinnen und Wähler haben – ist, zeitnah zu dem Gemachten und dem Unterlassenen eine Sanktion aussprechen zu können, und zwar eine Sanktion mittels einer Wahl. Und genau diese Sanktionsmöglichkeit entkoppeln Sie von dem Handeln nach der Wahl, und zwar in relevantem Ausmaß.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Und das, meine Damen und Herren, machen Sie alles, nicht weil Sie Wahlen koppeln wollen, wie Sie vorgeben, weil Sie keine naheliegende Kopplung vornehmen wollen, nämlich die zwischen Bundestagswahl und Kommunalwahl im nächsten Jahr, sondern weil Sie das fürchten.

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Und die Kom- munalwahlen!)

Meine Damen und Herren, warum fürchten Sie das in diesem Ausmaß im nächsten Jahr? Da hilft ein Blick in die Geschichte. Wir hatten das nämlich schon einmal, und zwar 1994. Das war übrigens eine Zeit, in der CDU und SPD bei der Kommunalwahl leicht unter ihren Bundestagswahlergebnissen gelegen haben, die Grünen leicht darüber. Eine Partei aber hat dramatisch unter ihrem Bundestagswahlergebnis gelegen.

(Ralf Jäger [SPD]: Lassen Sie mich raten! Wer könnte das sein?)

7,6 % bei der Bundestagswahl an Zweitstimmen für die FDP und am gleichen Tag 3,8 % landesweit bei der Kommunalwahl. Das war die Zeit, in der sie noch mehr als heute als relevante Kraft aus den Kommunalparlamenten verschwunden waren. Das ist die Angst, die Sie umtreibt.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: So ist es!)

Das ist das Motiv, aus dem Sie kommunale Demokratie mit Füßen treten. Das ist das gleiche Motiv wie bei der Entkopplung der Wahlen für Bürgermeister und Räte und beim Wegfall der Stichwahlen. An all diesen Stellen lassen Sie sich nicht an einer durchgängigen Argumentation und an der Stärkung der Demokratie messen, sondern Sie tricksen. Sie sind immer noch die alte „Möllemann-FDP“, die herumtrickst. Sie machen es heute handwerklich nur so auffällig, dass es jeder direkt merkt.

Ich muss Ihnen deutlich sagen: Kehren Sie um! Lassen Sie wenigstens diesen Unsinn! Behalten Sie Berechenbarkeit für den Wahltermin!

Herr Wolf, Sie haben – auch das Zitat kann ich Ihnen gerne gleich noch einmal vorhalten, wenn Sie es bestreiten – letztes Jahr gesagt: Bevor Sie eine Entscheidung zur Kommunalwahl und ihrem Termin träfen, würden Sie sich mit allen Parteien ins Benehmen setzen. Ich habe bei uns nachgefragt. Sie haben es nicht getan, Sie haben sich nicht ins Benehmen gesetzt. Sie tricksen. Kommen Sie zurück zum ordentlichen Brauch unter Demokraten, setzen Sie sich mit allen Parteien zusammen und machen Sie nicht dieses Gehampel zulasten kommunaler Demokratie!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion spricht der Herr Abgeordnete Wüst.

(Zuruf von Rüdiger Sagel [fraktionslos])

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck, Herr Sagel, der Einzige, der in die Wüste geschickt wird, sind Sie. Sie beantragen heute eine Zusammenlegung von Wahlterminen. Aber in Wahrheit geht es Ihnen nicht um die abstrakte Zusammenlegung von Wahlterminen, sondern ganz konkret um ein gewünschtes Ergebnis, nämlich die Zusammenlegung der Kommunalwahl mit der Bundestagswahl. Wer die Zahlen kennt, der kann das nachvollziehen. Aber wir müssen hier ja nicht jeden Ihrer Wünsche erfüllen.

(Zurufe von der SPD)

Ich stelle mir allerdings die Frage, warum Sie Ihren eigenen Kommunalpolitikern an Rhein und Ruhr dermaßen misstrauen, dass Sie Themen wie Hindukusch, Mindestlohn und Ähnliches über die Kommunalpolitik legen wollen. Denn nichts anderes würde passieren, wenn man diese beiden Wahltermine zusammenlegte.

(Beifall von CDU und FDP)

Für so schlecht können Sie doch wenigstens selbst Ihre eigene Kommunalpolitik nicht halten.

Die Bundestagswahl im vierjährigen Turnus – es ist wohl kein Zufall, dass das bisher nicht angesprochen worden ist –, die Europawahl im fünfjährigen Turnus und die Kommunalwahl im fünfjährigen Turnus: Es wäre nur eine einmalige Lösung, die Sie wollen. Wir wollen eine dauerhafte, nachhaltige Lösung.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE] – Zurufe von der SPD)

Es bringt nichts, in Sonntagsreden darüber zu schwadronieren, dass die Wählermüdigkeit zunimmt – in Berlin wird über Superwahltage und Ähnliches diskutiert –, und wenn man die Chance hat, eigene kommunalpolitische Erfolglosigkeit zu kaschieren, sind all diese Sonntagsreden nichts mehr wert.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Sie wollen tricksen! Krankhafter Machterhalt ist das, was dahinter steht! – Zuruf von Carina Gö- decke [SPD])

Wir wollen, dass erfolgreiche Kommunalpolitik christdemokratischer Kommunalpolitiker auch zur Geltung kommt. Das kann sie natürlich bei einer Europawahl viel besser.

Jetzt lügen wir uns mal nichts in die Tasche. Die Wahlbeteiligungen sind bekannt. Und jeder, der hier sitzt, hat sicherlich schon mehrere Wahlkämpfe gemacht. Bei der Bundestagswahl geht es unter, bei einer Europawahl hat man zumindest noch die Chance, über Kommunalpolitik zu reden.

Herr Wüst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Remmel?

Nein, danke.

Gut.

Wir reden viel über das Ehrenamt. Was wollen Sie Ihren Leuten im Ehrenamt eigentlich sagen, wenn Sie diese dauerhafte

Lösung verhindern? Sie bekommen ja noch nicht einmal die Stadtratskandidaten zusammen und laden Ehrenamtler aus dem vorpolitischen Raum ein, auf Ihren Ratslisten zu kandidieren. Wie wollen Sie mit diesen Argumenten eine dauerhafte Einsparung eines Wahltermins verhindern?