Protokoll der Sitzung vom 17.04.2008

Zu den im Antrag geschilderten Einzelfällen liegt mit der Vorlage 14/1737 ein ausführlicher Bericht vor, der am vergangenen Donnerstag, 10. April 2008, im Innenausschuss beraten wurde. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen verzichtet allerdings im Antrag auf sachgerechte Informationen, da diese wahrscheinlich nicht in das Bild der Grünen von einer menschenunwürdigen und gnadenlosen Abschiebungspraxis in NordrheinWestfalen passen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ebenso fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Antrag den Landtag dazu auf, die kommunalen Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen generell an den Pranger zu stellen. Natürlich, Frau Kollegin Düker, haben alle Ausländerbehörden im Fall des Vortrags krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse zu prüfen, etwa ob sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge davon wesentlich verschlechtern wird.

Im Unterschied zur antragstellenden Fraktion stellen wir die Ausländerbehörden allerdings nicht unter Generalverdacht, sondern wir gehen davon aus, dass sie diesen Pflichtaufgaben nachkommen und die Gesundheitsgefahren der Betroffenen berücksichtigen. Außerdem haben die Verwaltungsgerichte durch ihre Entscheidungen bestätigt, dass das Handeln der Ausländerbehörden nicht zu beanstanden ist.

Mit dem im Antrag erwähnten Informations- und Kriterienkatalog ist den Ausländerbehörden aus Sicht der CDU-Fraktion ein Instrumentarium an die Hand gegeben, um Abschiebungen unter Wahrung humanitärer Aspekte durchzuführen, ohne den konsequenten Vollzug der Ausreisepflicht zu gefährden.

Der Informations- und Kriterienkatalog richtet sich aber nicht nur an die Ausländerbehörden. Er soll vielmehr auch den in den Rückführungsvorgang einbezogenen medizinischen Sachverständigen den rechtlichen Rahmen deutlich machen, in dem ihr Votum eine Bedeutung haben kann. Der Katalog sieht nämlich vor, dass beachtlichen Indizien für eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Be

troffenen zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens nachzugehen ist.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Aus dieser Vorgabe, Frau Kollegin Düker, kann nicht gefolgert werden, dass stets ein erneutes, umfassendes medizinisches Gutachten zu erstellen ist.

(Monika Düker [GRÜNE]: Die lagen doch schon vor!)

Es bleibt vielmehr die Aufgabe der zuständigen Behörde, im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Einholung einer ärztlichen oder auch einer fachärztlichen Stellungnahme geboten ist.

Die von Bündnis 90/Die Grünen aufgestellten Behauptungen waren bereits Gegenstand eines in Teilen mit dem vorliegenden Antrag sogar wortgleichen Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/206 vom 6. September 2005.

(Monika Düker [GRÜNE]: Weil sich nichts ändert, Herr Kruse! Es wird ja schlimmer!)

Dieser Antrag wurde am 15. September 2005 im Plenum beraten und abgelehnt, nachdem eine entsprechende Prüfung ergeben hatte, dass sämtliche Vorwürfe unberechtigt waren. Auch jetzt haben sich die im Antrag erhobenen Vorwürfe in keinem der vorgetragenen Fälle bestätigt. Somit bleibt die Vermutung, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen betreibt blanken Populismus.

Richtig bleibt – auch das muss in Erinnerung gerufen werden –: Asylbewerbern wird in Deutschland ein faires und gründliches Verfahren geboten. Wir haben ein weltweit einzigartiges Asylrecht.

Erinnern möchte ich ebenfalls daran, dass es ordnungspolitische Grundkonzeptionen im Ausländerrecht gibt. Diese bedeuten für die Verwaltungspraxis bei uns in Nordrhein-Westfalen: Ausreisepflichtige Ausländer haben die Rechtspflicht zur freiwilligen Ausreise. Falls sie dieser nicht nachkommen und keine Abschiebehindernisse bestehen, müssen sie abgeschoben werden.

Wie wir wissen, differenziert das Aufenthaltsgesetz in aller Klarheit zwischen denjenigen Personen, die ein Abschiebehindernis selbst zu verantworten haben, und denjenigen, die dieses nicht zu verantworten haben. Letztere brauchen unseren vollen Schutz. Das möchte auch die CDU

Fraktion. Das haben wir in den vergangenen Jahren auch immer wieder verdeutlicht.

Die Vermutung liegt aus meiner Sicht nahe: Die antragstellende Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist im Kern gegen jede Form der Abschiebung. Sie sind auch gegen rechtsstaatliche Verfahren im Ausländerrecht. Ich habe die Vermutung, dass Sie somit auch gegen den Grundansatz, sprich: gegen die ordnungspolitische Grundkonzeption des Ausländerrechtes sind.

Wir freuen uns natürlich auf die erneuten Beratungen im Ausschuss. Ich hatte allerdings gehofft, Frau Düker, dass sich diese Diskussion aufgrund des Berichts am vergangenen Donnerstag sowie der Erörterungen und Beratungen erledigt hätte. Wir sind dennoch gerne bereit dazu. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Kruse. – Für die SPD spricht nun Frau Schneppe.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie kann es dazu kommen, dass traumatisierte Flüchtlinge, Opfer von Folter und Gewalt, keinen Schutz in Deutschland finden? Der wesentliche Grund dafür liegt in einem politisch wohl nicht ganz unerwünschten Misstrauen, das traumatisierten Flüchtlingen vor allem auf der Verwaltungsebene begegnet. Nur zu gern wird die Legende vom massenhaften Asylmissbrauch gepflegt und die posttraumatische Belastungsstörung, an der viele Opfer leiden, als „Modekrankheit“ heruntergespielt.

Da Gewaltopfer das im Verfolgerland Erlebte lieber verdrängen und in der Folge ihre Traumata erst spät diagnostiziert werden, gelten sie in den Ausländerbehörden gern als Simulanten. Da werden dann fadenscheinige und nicht aussagefähige Gutachten nur allzu gern zum Anlass genommen, schwer kranke Menschen ins Ausland abzuschieben.

Dass das Innenministerium dies duldet, ist in höchstem Maße inhuman und schlichtweg menschenverachtend. Denn das, was in der WDRSendung „Westpol“ geschildert und naturgemäß von Ihrem Ministerium als nicht zutreffend bezeichnet wurde, ist leider gängige Praxis.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Und das, obwohl der vom Innenministerium vorgelegte Informations- und Kriterienkatalog eine mehr oder weniger deutliche Sprache spricht,

mehr oder weniger deshalb, weil es immer wieder Schlupflöcher gibt, die von den Ausländerbehörden systematisch dazu genutzt werden, Menschen so schnell wie möglich abzuschieben. So heißt es etwa sinngemäß in diesem Katalog: Bei einer im unmittelbaren Zusammenhang mit der Abschiebung zu erwartenden wesentlichen oder lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes soll eine Abschiebung unterbleiben.

Da bei traumatisierten Opfern von Folter und Gewalt nachvollziehbar bei Abschiebung krankheitsbedingt eine gravierende Verschlimmerung ihrer Krankheit und häufig auch eine akute Suizidalität prognostiziert werden kann, müssten Ausländerbehörden derartige Abschiebungen eigentlich unterlassen. Das aber tun sie mitnichten, meine Damen und Herren. Dann wird mal eben schnell die Ursache der zu erwartenden Verschlimmerung wegdefiniert, eine Retraumatisierung verneint. Oder es wird einfach an die Folterung nicht geglaubt. Oder es wird kurzerhand die Behandelbarkeit der Erkrankung im Herkunftsland vorausgesetzt. Dann sieht die Ausländerbehörde eine prognostizierte Suizidalität eben nur noch als technisches Vollstreckungshindernis, dem im Vollzug der Abschiebung mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden kann. Das, meine Damen und Herren, ist bestenfalls noch als zynisch zu bezeichnen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wie sehen denn solche geeigneten Maßnahmen aus? Was ist die geeignete Maßnahme, einen traumatisierten, suizidgefährdeten Flüchtling, der seiner Abschiebung entgegensieht, vom Suizid abzuhalten? Sicherlich nicht die in Ihrem Katalog vorgeschlagene, nicht angekündigte Abschiebung oder die Übergabe in eine Therapieeinrichtung im Heimatland. Einem Land, das nicht selten nichts, aber auch gar nichts mit unseren medizinischen und psychotherapeutischen Standards gemein hat.

Wir dürfen doch eins nicht vergessen, meine Damen und Herren: Die Verschlechterung des Gesundheitszustands von Traumatisierten begründet sich ja nicht aus dem Schock, das schöne Deutschland verlassen zu müssen. Ursache ist doch vielmehr, dass durch die erlittene Gewalt im Heimatland eine erzwungene Rückkehr dorthin für die Betroffenen das Erlebte wieder gegenwärtig macht.

Es sind doch nicht nur die vom WDR herangezogenen Fälle, meine Damen und Herren.

Bereits in der Vergangenheit haben die Ausländerbehörden die Auffassung vertreten, bei vollziehbar ausreisepflichtigen Traumatisierten habe sie nur die Flugreisetauglichkeit zu prüfen. Lebensbedrohliche Verschlimmerungen der psychischen Erkrankungen seien von Traumatisierten ausschließlich im Asylfolgeverfahren geltend zu machen. Da werden dann eben Ausreisepflichtige mit gesundheitlichen Problemen so lange ärztlichen Untersuchungen unterzogen, bis eine Reisetauglichkeit erteilt wird. Und das auch noch häufig von fachfremden Medizinern, was in meinen Augen ein absoluter Skandal ist.

Diese Ärzte werden oft lediglich befragt, ob der Patient reisefähig, sprich: flugfähig ist, ohne geklärt zu haben, ob die Medikation in dem Einreiseland für den Kranken gewährleistet ist. Nach Aussage einiger Untersuchten beschränkt sich die zehn- bis 15-minütige Untersuchung auf eine Feststellung des körperlichen Befundes und der eingenommenen Medikamente. Da wird dann schnell Flugreisetauglichkeit attestiert, auch bei solchen Menschen, die zuvor als besonders gefährdet und traumatisiert gemeldet wurden.

Das ist inhuman, aber sicherlich nicht nur ein Problem eines gewissen Bonner Arztes.

Wenn es denn den Informations- und Kriterienkatalog zur Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei Rückführungsfragen gibt, dann kann und darf es nicht sein, dass in der Praxis diese Vorgaben missachtet und unterlaufen werden.

Auch wenn Herr Staatssekretär Karl Peter Brendel behauptet, keinen Anlass zu sehen, um an der Praxis etwas zu ändern, so entlässt das niemanden aus der Verantwortung. Hier ist es vielmehr die Pflicht des Innenministeriums, bei Bekanntwerden solcher Unterlassungen die Fälle zumindest zu prüfen.

(Theo Kruse [CDU]: Ist passiert!)

Es kann und darf außerdem nicht sein, dass schwerkranke Menschen unter Zuhilfenahme nicht aussagefähiger Gutachten ins Ausland abgeschoben werden. Hier scheint zu gelten: Wenn erst einmal die Landesgrenze verlassen ist, schert es uns herzlich wenig, was weiter mit diesen abgeschobenen Menschen passiert – getreu dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

(Theo Kruse [CDU]: So ein Quatsch!)

Sehr geehrter Herr Innenminister, hier drängt sich die Frage auf, welches Menschenbild Sie haben. Oder anders gesagt: Wo beginnt Humanität für Sie, wo hört sie auf? Ich fordere Sie auf, der Häufigkeit von „Gefälligkeitsgutachten“ nachzugehen

und den Ausländerbehörden Listen zu erstellen, die zugewiesene Experten benennen, auf die die Behörden dann zurückgreifen können,

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

damit das Schicksal traumatisierter Flüchtlinge nicht vom möglicherweise parteiischen Urteil eines x-beliebigen Arztes abhängt. Ich habe schon von Fällen gehört, bei denen ein Sport- oder Tropenmediziner über die Schwere der psychischen Erkrankung eines Flüchtlings zu befinden hatte.

Abschließend komme ich zu dem Ergebnis, dass die Begutachtung der Reisefähigkeit von kranken Menschen in der Praxis den Zielen des Informations- und Kriterienkatalogs der Landesregierung tatsächlich oft nicht entspricht. Nicht selten finden sie bei den zuständigen Ausländerbehörden keine Berücksichtigung.

Jetzt kommen Sie mir bitte nicht schon wieder mit dem Argument: „Die Westpol-Darstellung trifft nicht zu.“ Ich brauche keine WDR-Sendung, um mir ein Bild von der gängigen Praxis, von der Realität in nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden zu verschaffen. Dazu braucht es lediglich eines gesunden Menschenverstandes, wacher Augen und Ohren, meine Damen und Herren.

Aus der Arbeit in meiner Heimatstadt Krefeld bin ich nur allzu vertraut mit dem oftmals unmenschlichen Umgang der Ausländerbehörde mit hilfesuchenden, verzweifelten Menschen. Zu meinem großen Bedauern ist die Krefelder Behörde schon berühmt-berüchtigt für ihre inhumane und indiskutable Art, ihrer Arbeit nachzugehen. Fast könnte man meinen, die Mitarbeiter werden pro abgeschobenem Flüchtling mit einer Prämie oder einem extra Urlaubstag belohnt. Dass diese Behördenmitarbeiter oftmals tatsächlich mit Lug und Trug konfrontiert werden, möchte ich gar nicht bestreiten. Aber gleich alle Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen und ihre Erkrankungen als bloße Simulation abzutun, zeugt nicht nur von einem kranken Menschenbild, das ist schlichtweg skandalös.

(Beifall von Britta Altenkamp [SPD])

Ich sollte vielleicht nur kurz erwähnen, dass auch in Krefeld eine schwarz-gelbe Koalition am Werk ist, die diesem Treiben offenbar tatenlos zusieht.

Zurzeit betreue ich eine äthiopische Familie, die man sich aus integrationspolitischer Sicht nur wünschen kann. Die Kinder sind Vorzeigeschüler, eins wird nach den Ferien auf ein Gymnasium wechseln, falls diese Familie bis dahin nicht auf Wunsch der Behörde abgeschoben wird. Das Kind, das auf das Gymnasium gehen will, ist epi

lepsiekrank. Die Mutter leidet unter starken Depressionen, weswegen sie auch schon häufig in stationärer Behandlung war.