Protokoll der Sitzung vom 30.11.2012

16/1273 an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Spricht sich jemand gegen diese Überweisungsempfehlung aus? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung angenommen.

Wir kommen zum heutigen letzten Tagesordnungspunkt:

7 Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Siche

rungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/1435

erste Lesung

Ich eröffne die Beratung und erteile erneut Herrn Minister Kutschaty das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2011 die wesentlichen rechtlichen Normen zur Sicherungsverwahrung für nicht mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen erklärt. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht drei Aufträge verteilt.

Erstens. Der Bundesgesetzgeber hat den Auftrag, eine bundesgesetzliche Regelung zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung zu treffen.

Zweitens. Die Landesgesetzgeber haben den Auftrag, eine entsprechende gesetzliche Vollzugsregelung für die zukünftige Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung zu treffen.

Drittens. Die Landespolitik hat die Aufgabe, nach dem Abstandsgebot wirksam und vernünftig die räumlichen und baulichen Voraussetzungen zu schaffen, um eine entsprechende Sicherungsverwahrung zukünftig verfassungsgemäß durchführen zu können.

Meine Damen und Herren, ich bedaure etwas, dass wir Ihnen diesen Gesetzentwurf nunmehr erst anderthalb Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorlegen können, und möchte an dieser Stelle sehr deutlich sagen, wie es dazu gekommen ist, dass wir als Land so lange darauf warten mussten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Bundesgesetzgeber aufgegeben, die Leitlinien für das Abstandsgebot und zur zukünftigen Neuorientierung der Sicherungsverwahrung gesetzlich zu gestalten. Schon wenige Wochen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben die Justizministerinnen und -minister der Länder auf einer Sonderjustizministerkonferenz der Bundesjustizministerin ganz konkrete Wünsche und Vorschläge mitgeteilt.

Leider hat sich Schwarz-Gelb in Berlin ein Jahr lang Zeit gelassen, eine entsprechende bundesgesetzgeberische Initiative vorzulegen. Es gab einen erheblichen Streit zwischen CDU und FDP – der auch heute noch nicht ausgeräumt ist –, wie Sicherungsverwahrung zukünftig zu gestalten ist.

Das hat nicht nur dazu geführt, dass das zwischenzeitlich am 8. November 2012 erlassene Bundesgesetz lückenhaft ist, es hat auch uns Länder unter unnötigen Zeitdruck gesetzt.

Gleichwohl, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir parallel dazu natürlich schon Vorbereitungen getroffen und legen Ihnen heute 113 Paragrafen eines Gesetzentwurfs zur zukünftigen Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen vor.

Schwerpunkt dieser Regelungen zum Vollzug der Sicherungsverwahrung ist auch nach Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts die Behandlung. Die Untergebrachten haben nach diesem Gesetz einen Anspruch auf wissenschaftlich fundierte Behandlungs- und Therapieangebote. Diese sind individuell auszugestalten. Wenn Standardangebote keinen Erfolg versprechen oder keine Wirkung zeigen, müssen Einzellösungen gefunden werden.

Für jeden Untergebrachten gibt es gleich zu Beginn einen ganz konkreten Vollzugsplan, eine umfangreiche Diagnose, um eine vernünftige Behandlung gewährleisten zu können. Auch Experten außerhalb des Vollzuges wollen wir ergänzend hinzuziehen.

Eine wesentliche Ergänzung des Behandlungsanspruchs ist die Motivationsförderung, also die fortwährende Verpflichtung, die Bereitschaft der Untergebrachten zur Therapie zu wecken und zu fördern.

Darüber hinaus werden die Regelungen zum Abstandsgebot geregelt. Einschränkungen des Alltagslebens des Untergebrachten sollen auf ein Minimum reduziert werden: nur auf das Unumgängliche. Die Untergebrachten dürfen deshalb beispielsweise sich selbst verpflegen und sich außerhalb der Zeiten der Nachtruhe frei in der Einrichtung bewegen.

Lassen Sie mich einen besonderen Punkt ansprechen, der uns ganz besonders wichtig ist, nämlich dass auch die Interessen der Tatopfer und die Interessen der Allgemeinheit in diesem Gesetz besondere Berücksichtigung finden.

Das geschieht durch die zentrale Vorschrift zum Opferschutz in diesem Gesetz. Der Gesetzentwurf versteht Opferschutz dabei nicht als Widerspruch zu der notwendigen Behandlung der Untergebrachten, Behandlung und Opferschutz sollen sich vielmehr ergänzen. Die Untergebrachten sollen im Rahmen der Behandlung das Tatgeschehen aufarbeiten und lernen, tatgeneigte Situationen zu erkennen, zu vermeiden sowie eine Opferempathie zu entwickeln. Die Behandlung der Untergebrachten ist insoweit

zugleich der beste Schutz für die Opfer und für die Allgemeinheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit drängt. Insofern freue ich mich auf ein zügiges Gesetzgebungsverfahren hier im nordrhein-westfälischen Landtag.

Lassen Sie mich noch kurz den dritten Part erwähnen, den das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat. Wir haben auch für eine konkrete Therapie und eine räumliche Ausgestaltung vor Ort zu sorgen. Wir haben schon im Rechtsausschuss darüber berichtet, dass die Landesregierung einen Neubau am Standort Werl plant, in dem wir zukünftig zentral in einer Größenordnung von 140 Plätzen die sicherungsverwahrten Menschen in NordrheinWestfalen therapieren und behandeln können. Aus wirtschaftlichen Gründen – auch das hat das Bundesverfassungsgericht zugelassen – können Teile der Infrastruktur der benachbarten Justizvollzugsanstalt mitgenutzt werden. Das ist ein vernünftiger Weg.

Das Raumprogramm ist beschlossen und genehmigt. Ich gehe davon aus, dass wir in der ersten Hälfte des nächsten Jahres mit den Bauarbeiten beginnen können, sodass wir in Nordrhein

Westfalen gut vorbereitet sind, zukünftig eine verfassungsrechtlich abgesicherte Sicherungsverwahrung vollstrecken zu können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Meine Damen und Herren, ich informiere Sie darüber, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 61 Sekunden überzogen hat.

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Marquardt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich dem Justizministerium und dem Minister für den vorgelegten Gesetzentwurf danken. Die Landesregierung zeigt darin auf, wie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hier in Nordrhein-Westfalen rechtssicher umgesetzt werden können.

Bereits 2011 hatte die Konferenz der Justizminister Eckpunkte vorgelegt und die Bundesregierung aufgefordert, zügig gesetzliche Grundlagen zu beschließen. Weil sich die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht einig war, wurde die Verabschiedung verzögert, sodass die Länder die Umsetzung nun im Eiltempo beschließen müssen.

Die Anregungen von Minister Kutschaty zur Regelung einer nachträglichen Verwahrung wurden leider nicht aufgegriffen. Deshalb kann Sicherheit derzeit nur durch aufwendige und kostenintensive polizeiliche Maßnahmen der Länder gewährleistet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir behandeln heute einen Gesetzentwurf, der einen der stärksten Eingriffe in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zum Gegenstand hat. Es ist der Freiheitsentzug in seiner stärksten Ausprägung: die Sicherungsverwahrung von hoch gefährlichen und psychisch gestörten Straftätern.

Was bedeutet eigentlich Sicherungsverwahrung? Zur Erklärung für Nichtjuristen, von denen es hier im Landtag ja einige gibt: Sicherungsverwahrung erfolgt im Gegensatz zu Freiheitsstrafen, die bereits begangene Straftaten sanktionieren, zur Vorbeugung von Straftaten. Die Verurteilten haben in diesem Fall bereits Haftstrafen verbüßt. Von ihnen geht aber objektiv weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft aus, sodass sie zum Schutz der Allgemeinheit auch nach ihrer Haft weiter verwahrt werden müssen.

Die bestehenden Regelungen wurden mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 für verfassungswidrig erklärt. Dies macht es nun nötig, dass die Regelungen zur Sicherungsverwahrung bis zum 31. Mai 2013 neu getroffen werden.

Laut Bundesverfassungsgericht muss eine Neuregelung in erster Linie dem sogenannten Abstandsgebot Rechnung tragen. Standards für die Sicherungsverwahrung müssen sich deutlich von den Regelungen zum Strafvollzug unterscheiden.

Es soll vor allem die Behandlung der Untergebrachten im Vordergrund stehen. Therapeutische Maßnahmen sollen zukünftig bereits während der Zeit des Strafvollzuges und nicht erst mit Beginn der Sicherungsverwahrung einsetzen. Sämtliche Therapiemaßnahmen sollen auf jeden Untergebrachten individuell zugeschnitten werden. Es wird Behandlungsteams geben, die sich um die Therapie jedes einzelnen Untergebrachten kümmern werden.

Der freiheitsorientierte Vollzug soll den Untergebrachten ein annähernd alltagsnahes Leben ermöglichen, sofern dem keine Sicherheitsbelange entgegenstehen. Sie sollen sich selbst verpflegen und außerhalb der Nachtruhe auch frei in der Anstalt bewegen dürfen. Durch erhöhte Vergütung für geleistete Arbeit soll die Bereitschaft zur Kooperation erhöht werden. Der regelmäßige Kontakt nach außen soll gefördert werden.

Auch nach der Entlassung darf die Betreuung nicht abbrechen. Die Bemühungen um die Nachsorge müssen grundsätzlich intensiviert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie von Minister Kutschaty erläutert, möchten wir, dass die Sicherungsverwahrten am Standort der Justizvollzugsanstalt Werl untergebracht werden. Die Planungen für den notwendigen Neubau sind schon weit vorangeschritten, die Hausaufgaben sind gemacht.

Ich will abschließend aber auch noch feststellen, dass die Umsetzung dieses Gesetzes Geld kosten wird. Neben der Finanzierung der Infrastruktur werden unter anderem auch Kosten für die Aus- und Weiterbildung des Fachpersonals anfallen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Marquardt. Ich habe mir sagen lassen, dass das Ihre Jungfernrede in diesem Hause war. Ist das richtig? – Dann darf ich Ihnen im Namen des Hohen Hauses herzlich dazu gratulieren.

(Allgemeiner Beifall)

Nächster Redner ist der Kollege Kamieth für die CDU-Fraktion.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurzeit sind in Nordrhein-Westfalen nach Angaben der Landesregierung 106 Personen in Sicherungsverwahrung untergebracht. Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl vermutlich auf 140 Personen steigen. Zum Vergleich: Etwa 17.600 Gefangene saßen am 31. März 2012 in nordrhein-westfälischen Gefängnissen ein. Sie sehen: Die Sicherungsverwahrten sind nicht sehr zahlreich. Aber gerade diese wenigen sind besonders gefährlich. Sie haben die schlimmsten für uns vorstellbaren Straftaten begangen. Deshalb ist die besondere Schwere der Schuld im Urteil festgestellt worden.

Wir Christdemokraten wollen, dass die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen auch künftig vor gefährlichen Gewalt- und Sexualstraftätern effektiv geschützt wird. Das steht bei uns in der ganzen Diskussion im Vordergrund: die Sicherheit unserer Mitbürger.

Ja, ich hätte mir in dem Zusammenhang auch sehr gut vorstellen können, die nachträgliche Sicherungsverwahrung miteinzuführen. Aber, Herr Minister, dass Sie da eine Lücke konstruieren und Ängste schüren, ist unlauter. Wir haben zum einen die Möglichkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, und zum anderen haben wir natürlich einen sehr viel stärkeren Therapieansatz, sodass ich davon überzeugt bin, dass wir uns keine Sorgen um die Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger machen müssen.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen aber auch, dass in unserem Rechtsstaat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt wird. Danach haben die Sicherungsverwahrten einen Anspruch auf einen freiheitsgerichteten und therapiegerichteten Vollzug. Das gebietet auch das christliche Menschenbild, von dem wir Christdemokraten uns in unserem Handeln leiten lassen. Dies