Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Unter dem Motto „anders und gleich – Nur Respekt Wirkt“ hat sich die Landesregierung zu ihren Zielen bekannt, die Entwicklung, Betreuung und Umsetzung landesweiter, bewusstseinsbildender Maßnahmen zur Förderung von Respekt, Toleranz und Vielfalt zu unterstützen sowie Homophobie, Transphobie und Gewalt konsequent zu ächten und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Dabei muss es erklärtes Ziel sein, nicht nur in die Zukunft zu schauen und Respekt und Toleranz zu einem integralen Bestandteil unseres jetzigen Lebens und dem der kommenden Generationen zu machen. Es geht vielmehr auch darum, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Die erst 1994 umfassend geänderte Rechtslage macht das notwendig:
Homosexualität fiel in der Bundesrepublik lange unter den Bestand einer Straftat. Diese traurige Geschichte nahm bereits 1935 ihren Ursprung, als Nationalsozialisten die Gesetzgebung zur strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Handlungen in den §§ 175 und 175 a verschärften.
Beschämend daran ist aber, dass genau diese Gesetzgebung nach Ende des Krieges mit der Gründung der Bundesrepublik weiterhin Bestand hatte. In der Ära Adenauer hielt man es ganz offensichtlich nicht für notwendig, eine Änderung der Gesetzeslage auch nur in Betracht zu ziehen. Die konservative Politik der damaligen Zeit sorgte dafür, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung abgeurteilt und strafrechtlich verfolgt wurden. Erst mit der Strafrechtsreform von 1969 sollte sich das ändern.
Doch in den knapp 20 Jahren zwischen der Gründung der Bundesrepublik und der Reform hatten viele Menschen unter der menschenunwürdigen Rechtsprechung zu leiden. Man muss es sich einmal vor Augen führen: Während in Artikel 2 des Grundgesetzes die Rede von einem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit festgelegt wird, unterminierte die völlig antiquierte und menschenverachtende Rechtsprechung – man soll nicht vergessen, woher die damals gültigen Gesetze stammten – genau diesen Grundsatz.
So ist anzunehmen, dass in den Jahren zwischen der Gründung der Bundesrepublik und den umfassenden Rechtsreformen unter Willy Brandt alleine in
Westdeutschland nicht weniger als 100.000 Ermittlungsverfahren gegen Homosexuelle eingeleitet wurden und es zu etwa 50.000 Verurteilungen kam. Die Diktion des § 175 StGB war dabei übrigens sehr eindeutig. Es ging um Strafen im Zuchthaus oder im Gefängnis.
In der DDR erging es Homosexuellen nicht anders. Zwar ging man dort anders mit dem Erbe der Nationalsozialisten um und änderte den betreffenden Paragrafen des Strafgesetzbuches bereits 1950. Jedoch wurde hier kein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Vielmehr griff man zurück in die Zeit vor den Nationalsozialisten und setzte einfach die vornationalsozialistische Fassung des § 175 StGB wieder in Kraft.
Nun ist die Zahlenlage für die ehemalige DDR nicht ganz so eindeutig. Doch bis zum Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuches in der DDR im Jahre 1968 ist von mindestens 1.300 Fällen auszugehen, in denen Homosexuelle verurteilt wurden.
Die Strafrechtsreform 1969 setzte einen Prozess in Bewegung, der bis 1994 dauern sollte und schließlich in der Streichung des § 175 gipfelte. Ein langer Weg zu Respekt und Toleranz!
Festzuhalten ist, dass es auf diesem Weg Opfer gab – 50.000 allein in der Bundesrepublik, 1.300 in der DDR. Alle diese Menschen litten nicht nur unter der eigentlichen Verurteilung und Bestrafung, sondern auch unter der gesellschaftlichen Stigmatisierung und Ausgrenzung ganz erheblich. Soziale Isolation und nichts Geringeres als die Zerstörung der eigenen bürgerlichen Existenz waren die Folgen. Es geht um schwer traumatisierende Erlebnisse.
Festzuhalten ist auch, dass die Opfer dieser Unrechtsprechung niemals rehabilitiert wurden. Hier läuft die Zeit ab. Nur noch wenige der Opfer sind heute am Leben. Diejenigen, die noch leben, sind mittlerweile zwischen 70 und 90 Jahre alt. Wenn wir anerkennen, dass der bis 1994 geltende sogenannte Schwulenparagraf und die darauf gestützten Verurteilungen ein fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte …
… und insbesondere gegen das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit sind, dann kann die logische Folge nur die Rehabilitierung dieser Opfer sein. Die Aufhebung der ergangenen Urteile ist zu prüfen. Wir brauchen auch eine gründliche Aufarbeitung des totgeschwiegenen Kapitels dieser Geschichte der Bundesrepublik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu, im Bundesrat diese Initiative mit zu unterstützen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ein 19-Jähriger springt vom Goetheturm, nachdem er eine gerichtliche Vorladung erhalten hat“, „ein Zahntechniker und sein Freund vergiften sich mit Leuchtgas“. Diese Zitate stammen aus einem Artikel der „Frankfurter Rundschau“ vom 4. August 2012. Sie beschreiben die Situation schwuler Männer im Frankfurt der 50erJahre.
Zu dieser Zeit ist der § 175 Strafgesetzbuch in der Bundesrepublik noch in Kraft. Mehr noch: Er ist in einer Version in Kraft, die 1935 durch das NSRegime verschärft wurde. Im Wortlaut lautet der § 175 StGB bis 1969:
„Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.“
Das heißt: Homosexualität wurde als Verbrechen betrachtet, nicht als Bagatelle oder als kleiner Verstoß gegen die guten Sitten, die mit einem erhobenen Zeigefinger abgegolten werden; Homosexuelle wurden wie Verbrecher verfolgt und verurteilt.
Etwa 10.000 Männer wurden durch die Nationalsozialisten in Konzentrationslagern inhaftiert. Nur etwa 40 % der mit dem rosa Winkel gekennzeichneten Häftlinge überlebten – und das, um in eine Gesellschaft entlassen zu werden, die ihnen nach wie vor feindlich gegenüberstand; eine Gesellschaft, die sie auch nach 1945 weiter verfolgte und kriminalisierte.
Die Geschichte Homosexueller in Deutschland ist vor allem eine Geschichte der Verachtung und Verfolgung – und leider erst seit sehr kurzer Zeit auch eine Geschichte der Emanzipation.
Der § 175 StGB existierte seit Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches 1872. Im Gegensatz zur DDR – Kollegin Kieninger hat es schon erwähnt – kehrte man in der Bundesrepublik nicht etwa zu der etwas schwächeren Version der Weimarer Republik zurück, sondern behielt die verschärfte Variante der NS-Zeit bei. Erst eine Reform des Sexualstrafrechts aus dem Jahre 1969 entschärfte die Lage ein wenig. Danach durften zumindest Männer über 21 sich frei ihren Sexualpartner wählen.
Allein bis 1969 kam es unter diesem Paragrafen zu etwa 100.000 Ermittlungsverfahren und ca. 50.000 Verurteilungen. Kollegin Kieninger hat es gesagt: Erst 1994 – das muss man sich einmal vorstellen – wurde der sogenannte Schwulenparagraf aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
Doch noch heute sehen sich die Opfer der bundesrepublikanischen Verfolgung Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt. Nach zähem Ringen wurde 2002 endlich beschlossen, die Opfer, die nach § 175 in der NS-Zeit verurteilt worden sind, zu rehabilitieren. Doch bis heute haben die Urteile, die nach 1945 ergangen sind, Bestand. Bis heute sind diese Menschen vorbestraft.
Es wird Zeit, dass wir uns auch diesem dunklen Fleck der bundesrepublikanischen Geschichte zuwenden, uns damit auseinandersetzen und das Unrecht anerkennen, das diesen Menschen widerfahren ist. Es ist höchste Zeit, diese Unrechtsurteile aufzuheben und die Opfer dieser Willkür zu rehabilitieren.
Vor allem ist es für diejenigen Zeit, die noch leben; denn ein Großteil der nach dem § 175 StGB Verurteilten ist leider schon verstorben, ohne dass ihnen noch Gerechtigkeit widerfahren wäre. Für diejenigen, die noch leben, gilt es, die politische Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.
Deshalb wollen wir uns der Bundesratsinitiative des Berliner Senats anschließen, die genau das zum Ziel hat, und diese Initiative unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe sehr auf Ihre breite Unterstützung in diesem Hohen Haus; denn was in einer Diktatur unrecht war, wird nicht weniger menschenrechtswidrig, wenn es in einer Demokratie fortgeführt wird.
Ich will die Gelegenheit aber auch nutzen, um kurz auf das Leid lesbischer Frauen einzugehen; denn oftmals wird vergessen, dass auch sie unter Repression und Verfolgung gelitten haben, obwohl der § 175 StGB in Deutschland nie für sie galt. Diese Tatsache darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch lesbische Frauen eine lange Geschichte von Diskriminierung und Marginalisierung hinter sich haben. Auch sie mussten sich verstecken, sich verleugnen, sich dem repressiven Frauenbild der jungen Bundesrepublik unterordnen.
Die Tatsache, dass der § 175 nicht auf sie angewendet wurde, darf nicht als falsche Menschenfreundlichkeit missverstanden werden, sondern ist einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass man Frauen nicht einmal eine eigene Sexualität zugestanden hat.
Das Leid lesbischer Frauen sichtbar zu machen und mitzudenken, führt aber keineswegs zu einer Relativierung des Unrechts, welches homosexuellen Männern in diesem Land widerfahren ist. Es ist aber auch an der Zeit, deutlich zu machen, dass lesbische Frauen in Deutschland durch Marginalisierung, Missachtung und teilweise tatsächlicher Verfolgung
unter fadenscheinigsten Gründen auch zu Opfern einer homosexuellenfeindlichen Gesellschaft geworden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, homosexuelle Menschen haben in diesem Land eine sehr lange Geschichte hinter sich, die sie an den Rand dieser Gesellschaft und auch weit darüber hinaus gedrängt hat. Und auch heute noch, 40 Jahre nach der ersten deutschen Schwulendemo in Münster und elf Jahre nach Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft, ist ein diskriminierungsfreies Leben für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle keine Selbstverständlichkeit. Die Geschichte der Emanzipation von LSBTTI ist leider noch lange nicht zu Ende erzählt.
Lassen Sie uns aber gemeinsam ein weiteres wichtiges Kapitel schreiben und uns unserer Verantwortung für erlittenes Unrecht stellen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Antrag der Fraktionen von SPD und Grünen auf Rehabilitierung aufgrund des § 175 Strafgesetzbuch verurteilter homosexueller Menschen. Um es vorweg deutlich zu sagen: Selbstverständlich war die damalige Strafgesetzgebung aus unserer heutigen Sicht falsch und unangemessen hart.
Bis 1969 waren homosexuelle Handlungen grundsätzlich strafbar, seit 1973 solche zwischen Männern über 18 Jahren und männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren. 1994 – wir haben es gehört – strich der Deutsche Bundestag den § 175 aus dem Strafgesetzbuch. Darüber hinaus hat sich der Deutsche Bundestag im Jahre 2000 ausführlich mit dem Schicksal homosexueller Menschen in der Nachkriegszeit beschäftigt und für das angetane Leid um Entschuldigung gebeten. Das halte ich für richtig. Ich unterstütze diesen Beschluss ausdrücklich.
So schlimm das Leid der betroffenen homosexuellen Menschen war, geht es bei dem Antrag heute um eine ganz andere, ebenfalls wichtige Frage: Kann ein Parlament rechtskräftige Urteile unabhängiger Gerichte aufheben? Wollen wir die Gewaltenteilung beenden, möglicherweise mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft? Ich erinnere an das Gewaltenteilungsprinzip. Ich erinnere an die Unabhängigkeit der Justiz der Bundesrepublik Deutschland, die ich für sehr wichtig halte.
§ 175 Strafgesetzbuch war zur Zeit seiner Gültigkeit verfassungskonform. Das hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Über ähnliche
Anträge, wie ihn SPD und Grüne heute einbringen, wurde im Deutschen Bundestag regelmäßig, zuletzt zweimal im Jahr 2011, debattiert. Ich beziehe mich auf eine Debatte aus dem Jahre 2009. Damals wurden ähnliche Anträge der Linken und der Grünen eingebracht.