Protokoll der Sitzung vom 27.06.2019

Bei der Ausstellungseröffnung des Centrums Schwule Geschichte im Landeshaus des LVR, das sich mit der Geschichte des § 175 beschäftigt, hat Minister Stamp, der heute nicht hier sein kann, in seiner Einführungsrede die Opfer um Vergebung gebeten. Für diese Geste und dieses wichtige Zeichen möchte ich ihm, auch wenn er jetzt persönlich nicht anwesend ist, ausdrücklich danken.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, dieses Jahr ist das Jahr von vielen großen Jubiläen, unter anderem auch 70 Jahre Grundgesetz. Ich finde, es ist an der Zeit, unserem Grundgesetz ein gewisses Makeover angedeihen zu lassen. Denn unsere Gesellschaft ist bunt und vielfältig, und das Grundgesetz bildet die Grundlage unseres Zusammenlebens. Deshalb sollten wir endlich auch LSBTI in den Schutz und in die Sichtbarkeit des Art. 3 Grundgesetz mit ein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielfalt ist in diesem Land Realität, aber Diskriminierung ist leider auch noch alltäglich. Wir erleben, dass aller Errungenschaften und auch der in weiten Teilen gestiegenen Akzeptanz zum Trotz die offene Gesellschaft unter Druck gesetzt wird. 50 Jahre Stonewall erinnern uns eben nicht nur daran, dass es im Kampf gegen Diskriminierung und für Emanzipation auch ein historischer Weg gewesen ist, sondern es muss uns auch ein Ansporn sein, jeder Form von Diskriminierung und Anfeindung entschieden entgegenzutreten – in NRW, in Deutschland, aber auch in der Solidarität mit den weltweiten Aktivistinnen und Aktivisten.

Es sind die vielen Engagierten damals in der Christopher Street, also vor heute genau 50 Jahren, es sind diejenigen, die mit Beharrlichkeit dafür gestritten haben, dass der § 175 endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird, und die später auch für gleiche Rechte gekämpft und 2017 auch die Öffnung der Ehe erreicht haben. Und es sind all jene weltweit, die bis heute unter Einsatz ihres Lebens für Menschenrechte – denn darum geht es ja im Kern beim Einsatz für die Rechte von LSBTI – eintreten und denen heute und auch an allen anderen Tagen unserer besonderer Dank gebührt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen in unseren Bemühungen nicht nachlassen, denn Recht und Akzeptanz sind eben keine Selbstverständlichkeit, und es bleibt auch noch einiges zu tun. Wir leben hier nicht auf der Insel der Glückseligen, und das bedeutet, dass wir sehr begrüßen, dass der Aktions

plan gegen Homo- und Transphobie auch unter einem Beteiligungsprozess weiterentwickelt werden soll. Es gilt aber auch, alle Ressorts daran zu beteiligen. Man kann LSBTI nicht in ein Ressort outsourcen und dann sagen, damit ist es getan. Wir wollen, dass alle Ressorts mit am Tisch sitzen, denn es ist ein breites Thema. Es ist ein Querschnittsthema, das als solches behandelt werden muss.

Es gilt auch weiterhin, sich für ein Transsexuellengesetz einzusetzen, was endlich Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt und Schluss macht mit der Pathologisierung.

Auch die Frage von Konversionstherapien gilt es endlich so in Angriff zu nehmen, dass sie verboten werden, was dann für alle Gruppen gilt, auch für Trans- und Interpersonen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zum Schluss möchte ich noch einmal darum bitten, dass die Landesregierung prüft, ob die vielfältigen Engagierten bei all den CSDs, die wir heute in kleinen und großen Kommunen haben, und dieses wichtige ehrenamtliche Engagement für gleiche Rechte und für Sichtbarkeit von Landesseite deutlich finanziell unterstützt werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Paul. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Müller.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor 50 Jahren – oder genauer gesagt: in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 – hat sich erstmals eine größere Gruppe von Homosexuellen und Transpersonen gegen fortdauerndes Unrecht und Drangsalierung gewehrt und sich der Verhaftung widersetzt. Dieses Ereignis gilt zu Recht als wichtiges Symbol für den Kampf für Gleichbehandlung und für Anerkennung.

In den vergangenen 50 Jahren hat sich gewiss vieles zum Besseren verändert. Dennoch ist das kein Grund, sich zurückzulehnen. In Deutschland, Europa, aber auch international sind Bewegungen am Werk, die unserer offenen und aufgeklärten Gesellschaft den Kampf angesagt haben. Dadurch wird deutlich: Rechte, die wir heute als selbstverständlich empfinden, sind nicht gottgegeben; sie wurden mit großem Einsatz und vor allem mit persönlichen Opfern – teilweise unter Einsatz des eigenen Lebens – erkämpft.

Diese Opfer müssen für uns Verpflichtung sein, denn für den Bestand von zivilisatorischen Errungenschaften gibt es keine Garantien, wie uns die Geschichte

zeigt. Es ist noch keine 74 Jahre her, dass in deutschen Konzentrationslagern massenhaft Menschen auf brutalste Art und Weise ermordet, misshandelt oder verstümmelt wurden, weil sie an die falsche Sache glaubten, anders aussahen oder ihre sexuelle Orientierung oder ihre Identität lebten.

Auch nach dem Ende des NS-Terrors gab es keinen Grund, aufzuatmen. Die Rosa Listen der Nazis wurden von der Polizei in der Bundesrepublik bis in die 80er-Jahre fortgeführt. Eine Verurteilung hatte für die schwulen Männer nicht nur juristische Folgen, sondern bedeutete zugleich den sozialen Tod, manchmal auch den Freitod. Das ist auch gerade einmal 50 Jahre her, also in jüngerer Geschichte passiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass wir aus der Geschichte gelernt haben und gemeinsam Verantwortung übernehmen, aber nichts ist garantiert und nichts ist für die Ewigkeit. Der Kampf für Gleichstellung und für vollständige Akzeptanz muss allein deshalb schon weitergehen, und er braucht unser aller Unterstützung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Arbeit braucht tatsächlich mehr als nur warme Worte. Es braucht auch mehr als nur das Verwalten bestehender Projekte der rot-grünen Vorgängerregierung.

Ich will keinen Zweifel zurücklassen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es in diesem Haus unter allen demokratischen Fraktionen einen breiten Konsens gibt, dass das ein wichtiges Thema ist. Aber es hat zuletzt auch Rückschläge gegeben. Erinnern möchte ich zum Beispiel an das Aus für das Filmfestival „homochrom“, gewiss keine Auszeichnung für diese Landesregierung.

(Jörn Freynick [FDP]: Quatsch!)

Das ist kein Quatsch. Aber Sie können ja eine Kurzintervention anmelden oder eine Zwischenfrage stellen. Dann können wir das ja klären.

Hinweisen will ich auch auf die ehrenamtlich organisierten CSD-Trägervereine – das hat die Kollegin Paul gerade getan. Ein Regentag reicht ja häufig aus, um die Gesamtkalkulation über den Haufen zu werfen. Die CSDs in unserem Land sind doch im besten Sinne Heimat und hätten doch auch eine entsprechende Unterstützung verdient.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem Koalitionsvertrag versprachen CDU und FDP, eine Allianz für Vielfalt und Chancengleichheit zu gründen und das heutige Beauftragtenwesen innerhalb der Landesregierung zu einem ganzheitlichen Diversity-Management zusammenzuführen. Bis heute sind die Koalition und die Regierung konkrete Arbeitsschritte schuldig geblieben. Das sind nur einige Punkte, die vielleicht ein bisschen zum Nachdenken anregen könnten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits im letzten Jahr haben wir über die Frage diskutiert, ob der Art. 3 des Grundgesetzes um den Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität und Orientierung erweitert werden müsste. Kritiker finden, das sei Symbolpolitik. Ich finde das nicht. Mag auch auf der rechtlichen Ebene beim Abbau von Diskriminierungstatbeständen vieles erreicht sein, so will ich ganz klar sagen:

Auch das Grundgesetz muss eine unmissverständliche Sprache sprechen, und das auch als klares Signal in die Gesellschaft. Vor allem aber wäre es eine Garantie, die man eben nicht mit einfacher Mehrheit wieder abwickeln könnte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle haben das Recht, ihre geschlechtliche oder sexuelle Identität frei zu leben. Dafür braucht es nicht nur den gesetzlichen Rahmen der rechtlichen Gleichstellung, sondern auch eine aktive Politik, die die Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft fördert. Beides ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Teil unserer Werteordnung und Politik, und ich glaube, dass das auch ein Punkt ist, der uns hier im Haus eint.

So leben zu können, wie man ist, das ist seit 50 Jahren einer der Leitgedanken der weltweiten LSBTIQBewegung. Auch deshalb ist es gut, wenn wir heute an die Stonewall-Aufstände in der Christopher Street erinnern. Sie ermahnen uns nicht nur, sondern sie sind zugleich Verpflichtung für die Zukunft. We shall overcome.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Müller. – Jetzt hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Kamieth das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ereignisse in der New Yorker Bar Stonewall Inn jähren sich in diesen Tagen zum 50. Mal. Mit Recht wird dieses Aufbegehren gegen Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung heute als Beginn der Emanzipation der LSBTI-Bewegung verstanden. Zehntausende Menschen feiern und gedenken dieses Aufbruchs im Rahmen von CSD-Paraden und begleitenden Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen, Deutschland und der ganzen Welt.

Meine Damen und Herren, ich möchte dieses historische Ereignis dafür nutzen, den Vorkämpferinnen und Vorkämpfern, allen, die sich auf diesem Wege engagiert haben, im Namen meiner Fraktion und, ich denke, von uns allen Respekt, Dank und Anerkennung auszusprechen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Die Wahrheit ist: Nach der Überwindung des Naziregimes hat es auch in Deutschland noch lange gebraucht, bis sich die politischen Kräfte dieses Landes auf die richtige, nämlich auf die Seite der LSBTICommunity, gestellt haben.

Es waren die LSBTI-Aktivistinnen und -Aktivisten, die lange für die Abschaffung des Unrechtsparagrafen 175 StGB alt gekämpft haben. Es waren die Aktivistinnen und Aktivisten von LSBTI, die sich für eine Rehabilitierung für die zu Unrecht verurteilte und strafrechtlich verfolgte Liebe zwischen Männern eingesetzt haben. Es waren LSBTI-Aktivistinnen und -Aktivisten, die folgerichtig für einen Entschädigungsfonds gekämpft haben. Und es waren LSBTIAktivistinnen und -Aktivisten, die sich für jeden weiteren Schritt der gesellschaftlichen Akzeptanz und der rechtlichen Gleichstellung engagiert haben.

Alle, die dies über Jahre getan haben, haben dies im Geiste der Vorkämpferinnen und Vorkämpfer aus New York getan. Und sie haben es in der Gewissheit getan, dass Liebe niemals Unrecht und Diskriminierung, niemals Recht sein kann.

Meine Damen und Herren, um vieles, was hart erkämpft wurde, Freiheit, Gleichheit, Respekt, Miteinander, muss jeden Tag neu gerungen werden. Wir als schwarz-gelbe Koalition fühlen uns einem Nordrhein-Westfalen verpflichtet, das die Vielfältigkeit als Quelle seiner Stärke versteht. Deshalb schützen und unterstützen wir aus christlich-liberaler Überzeugung die Arbeit derjenigen, die sich Tag für Tag im Geiste von Stonewall im ganzen Land für Zusammenhalt und gegen Diskriminierung einsetzen.

Wir haben im vorliegenden Entschließungsantrag einige unserer Punkte für Zusammenhalt und gegen Diskriminierung aufgezeigt: erstens die Stärkung der psychosozialen LSBTI-Beratungsstellen, zweitens die Wanderausstellung zur Verfolgung Homosexueller nach § 175 StGB alt, drittens die Förderung der LSBTI-Jugendarbeit durch den Kinder- und Jugendförderplan und viertens unser proaktives Engagement mit Blick auf die CSDs, die im ganzen Land stattfinden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich sehr deutlich sagen: Die NRW-Koalition und die Landesregierung begrüßen und unterstützen das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angestoßene Verbot sogenannter Konversionstherapien. Es muss endlich Schluss damit sein, mit diesem pseudo-medizinischen Ansatz, Menschen von ihrer sexuellen Orientierung heilen zu wollen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der AfD)

Und was auch wichtig ist: Wir werden jetzt, Herr Kollege Müller, den Landesaktionsplan gegen Homo- und Transphobie im engen Schulterschluss mit den

beteiligten Akteurinnen und Akteuren weiterentwickeln. Das zeigt unser nachhaltiges Engagement für und in diesem Bereich.

Meine Damen und Herren, die Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Interpersonen, die vor 50 Jahren Widerstand geleistet haben, können auf die beschriebenen Fortschritte stolz sein. Ich bin stolz und glücklich, dass ihre Interessen nunmehr auch im politischen Raum breite Unterstützung finden.

Lassen Sie mich mit einer ganz persönlichen Anmerkung zum Ende meiner Rede kommen. Für mich gehören die unterschiedlichen Formen von Liebe, Leben und der Geschlechtlichkeit gleichwertig zur unglaublichen Vielfalt der Schöpfung und damit zum christlichen Menschenbild.

Meine Damen und Herren von der Oppositionskoalition, erlauben Sie mir noch einen letzten Hinweis: Es gibt Themen, bei denen ich mir wünschen würde, dass man nicht fünf vor zwölf oder vielmehr eins vor zwölf gefragt wird, ob man eine gemeinsame Initiative auf den Weg bringen möchte. Das war hier aber leider der Fall.

Wir haben uns deshalb entschieden, in unseren Entschließungsantrag neben einigen richtigen und wichtigen Aspekten aus Ihrem Antrag weitere Punkte aufzunehmen. Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Antrag ab, laden Sie aber herzlich dazu ein, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. – Danke.

(Beifall von der CDU – Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist schon einigermaßen unverschämt! Das ist wirklich unverschämt!)