Aber es ist, wie es ist. Ich weiß auch, dass die Lobby groß ist. Tönnies hat vor drei, vier Wochen noch gesagt, Laumann habe eine Schlachthofmanie. Tönnies wie auch Westfleisch haben vor drei, vier Wochen noch gesagt: Ohne Werkvertragsarbeitnehmer bricht das System zusammen. – Und heute sagen beide Konzerne, Westfleisch und Tönnies: Wir können es auch ohne Werkvertragsarbeitnehmer
Ein weiterer Punkt ist – auch das habe ich immer wieder erlebt –, dass eine Lobby nicht nur aus dem Bereich der Schlachthöfe, sondern auch aus dem Bereich der Bauernverbände gesagt hat: Bitte mach’ das nicht so! – Das muss ich auch einmal ganz deutlich feststellen. Jetzt erleben wir, dass durch diese Entwicklung nicht nur die Schlachtwirtschaft in Misskredit kommt, sondern auch eine gute, traditionsreiche und ehrenwerte Landwirtschaft in NordrheinWestfalen hiermit in Verbindung gebracht wird. Das ist auch, für die Bauern, für die Landwirtschaft und damit für die ländlichen Räume schlecht.
Die Angelegenheit Tönnies hat einen Vorteil. Ich glaube nämlich, dass es jetzt eine Mehrheit für eine Gesetzesänderung gibt. Dies muss nun gemacht werden. Punkt.
Es gab nicht andauernd von Ihnen und auch nicht von den Grünen Anträge, aber wir haben jetzt eine Mehrheit dafür, und es wird jetzt gemacht. Darauf bin ich auch ein bisschen stolz.
Jetzt komme ich zum Thema „Nordrhein-westfälische Landesregierung und Kontrolle von Schlachthöfen“. Man kann einer Landesregierung viel vorwerfen, aber wir haben mit dem gesamten Arbeitsschutz schon im letzten Jahr 30 Schlachthöfe kontrolliert.
Wir haben erhebliche Mängel festgestellt und sie dokumentiert, weil ich damit eine politische Kampagne machen wollte. Wir haben dem Landtag und den Bundestagsabgeordneten diese Dokumentation zur Verfügung gestellt. Wir haben daraus politische Forderungen an den Bundesgesetzgeber abgeleitet. Im Übrigen steht das Meiste, was im Heil-Paket enthalten ist, auch in diesen politischen Forderungen. Das war die erste Sache.
Dann habe ich, als die Coronapandemie anfing, gesagt: Wir müssen uns jetzt mit Blick auf den Arbeitsschutz in den Wirtschaftsbereichen umsehen, in denen es prekäre Beschäftigungen und prekäre Unterbringungen gibt. Das sind die Fleischindustrie und ihre Unterkünfte, die Zusammenarbeit in der Landwirtschaft, die Paketzustellzentren oder -verteilzentren und die Baustellen.
Der Arbeitsschutz hat seit dieser Zeit in NordrheinWestfalen 650 Unterkünfte mit mehr als 5.300 Personen überprüft. Wir haben insgesamt dabei 1.800 mittlere und gravierende Beanstandungen festgestellt. Ich will das jetzt alles gar nicht näher ausführen. Wir haben natürlich auch in erheblichem Umfang die Schlachthöfe geprüft. Ich will Ihnen, weil es nachher in der Fragestunde sowieso kommt, sagen, dass wir die Schlachthöfe überprüft haben. Wir haben mit dem Arbeitsschutz und den Bezirksregierungen die Pandemiekonzepte überprüft. Wir waren auch mehrfach bei Tönnies und haben Mängel festgestellt. Sie sind auch von der Bezirksregierung in den Verfahren, die notwendig sind, mit Tönnies besprochen worden. Tönnies hat die Mängel teilweise abgestellt, teilweise nicht abgestellt.
Aber zu sagen, dass wir mit dem Arbeitsschutz hier nicht unterwegs gewesen seien und dass wir nicht überprüft hätten, auch bezüglich des Ausbruchs in Coesfeld und jetzt in Rheda-Wiedenbrück, das ist mit Zahlen und Fakten in einer beeindruckenden Art und Weise zu widerlegen.
Dazu will ich erst einmal feststellen, dass ich dem Arbeitsschutz sehr dankbar bin. Während andere in den Behörden in Heimarbeit gegangen sind, keine Außendienste mehr gemacht haben, war der Arbeitsschutz pausenlos unterwegs, gerade in den Hotspots, die es in Nordrhein-Westfalen gibt. Deswegen auch einmal ein Dankeschön an den Arbeitsschutz in Nordrhein-Westfalen für diese Arbeit!
Dann will ich in dieser Rede mit einer Sache aufräumen, die immer wieder erzählt wird: Wir hätten die Schlachthöfe zur Systemrelevanz gemacht. Ich will nur sagen: Das hat mit Hygienekonzepten und Schlachtung gar nichts zu tun gehabt. Wir haben in der Landesregierung und auch nach Beratungen in den Ausschüssen bestimmte Teile der deutschen Wirtschaft für systemrelevant für das Versorgungssystem erklärt. Da ging es um die Frage, ob die Beschäftigten einen Anspruch darauf haben, dass ihre Kinder in den Systemen betreut werden.
Da haben wir zu den Schlachthöfen, weil sie in der schlimmsten Phase der Pandemie wegen der Fleischversorgung funktionieren mussten, gesagt: Selbstverständlich können die Menschen, die in Schlachthöfen arbeiten, auch die Betreuung ihrer Kinder in den Kindertagesstätten usw. bekommen. Deswegen haben wir sie in die Liste der systemrelevanten Bereiche aufgenommen. Das hat überhaupt keine Auswirkungen auf die Frage der Hygiene- und Arbeitsschutzbestimmungen in einer Produktion – weder für Schlachthöfe noch für Industriebetriebe noch für Handwerksbetriebe. Das hat damit überhaupt nichts zu tun.
Was die Schlachthöfe angeht, gab es jetzt in der Coronazeit klare Anweisungen des Bundesarbeitsministeriums, wie diese Konzepte aussehen müssen. Die sind in Nordrhein-Westfalen auch von den Schlachthöfen bei den Bezirksregierungen eingereicht worden. Sie sind im Fall Tönnies von der Bezirksregierung sehr stark hinterfragt worden, weil sie teilweise unvollständig waren. Aber wir haben uns auch um dieses Thema sehr gekümmert.
Der letzte Gedanke, der vielleicht auch wichtig ist: Wir wissen heute ziemlich genau, dass die Ausbrüche in Coesfeld eher mit den Transporten von der Unterkunft zur Arbeit und mit der Situation in den Unterkünften zu tun hatten. Und heute können wir es noch nicht genau sagen – wir haben Professor Exner von der Uni Bonn in Rheda-Wiedenbrück –: Aller Wahrscheinlichkeit nach könnte es bei Tönnies so gewesen sein, dass es nicht an Transporten aus den Unterkünften in den Schlachthöfen oder an den Wohnverhältnissen lag, sondern dass es wahrscheinlich sehr stark mit einem Problem in der Zerlegung zu tun hat, was dann eine ganz andere Dimension hat.
Zum Schluss möchte ich nur sagen: SchlachthofHotspots haben wir in Deutschland in Bayern gehabt, wir haben sie jetzt in Nordrhein-Westfalen zum zweiten Mal. Wir haben die gleiche Problematik auch mit Hotspots in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein gehabt. Überall da, wo wir eine starke Landwirtschaft haben, und überall da, wo wir auch relativ starke Schlachtbetriebe haben, gibt es diese Probleme. Deswegen ist es schon richtig, dass Schlachthöfe in einer Pandemieentwicklung, wie wir sie jetzt haben, auch ein besonderer Ort sind.
Aber ich will noch einmal sagen: Wir werden die Schlachthöfe nicht abstellen können, sondern es ist aus vielerlei Gründen schon eine systemrelevante Institution. Es geht um die Landwirtschaft. Die Landwirte können die Schweine nicht viel länger halten als bis zu dem Tag, an dem die Schlachtungen vorgesehen sind. Die Ställe müssen frei werden für Ferkel, die schon längst in den Ferkelaufzuchtställen stehen. Für die Sauen, die jetzt oder zu Weihnachten Ferkel bekommen, gibt es jetzt schon eine Belegung. Das ist kein System, das Sie so schnell verändern können.
Deswegen ist der Umstand, dass wir relativ schnell nach Konzepten suchen müssen, damit diese Schlachthöfe wieder ihre Aufgabe für die Gesellschaft, für die Landwirtschaft wahrnehmen, auch von einer gewissen Bedeutung. Klar ist, dass das System der industriellen Schlachtung, was wir dort haben, vor allen Dingen mit den Arbeitsverhältnissen, die dort herrschen, keine Zukunft haben kann. Und das muss in Deutschland, finde ich, klar und deutlich gesetzlich geregelt werden. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön, Herr Minister Laumann. – Herr Minister, ich muss eine kleine Mahnung aussprechen. Sie haben in Ihrer Rede einen Ausdruck gebraucht, der unparlamentarisch war. Obwohl ich persönlich sagen muss: Ich kann ihn hundertprozentig unterstreichen in Bezug auf das, was Sie gesagt haben. Aber es gehört sich nicht in diesem Hohen Hause. Deshalb muss ich das an der Stelle auch erwähnen. – Danke schön für Ihre Rede
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Da bald die Ferienzeit beginnt, kann ich Ihnen einen schönen Tipp geben. In der Bundeskunsthalle in Bonn gibt es aktuelle eine Ausstellung, die heißt: „Wir Kapitalisten. Von Anfang bis Turbo“. Wenn Sie diese Ausstellung besuchen und in die erste Halle gehen, finden Sie zwei Bereiche. Der eine beschäftigt sich mit Bildern aus dem Schlachthof von Chicago des Jahres 1890, und der zweite beschäftigt sich mit Bildern einer Schafsauktion in London aus dem Jahre 1810.
In Chicago wurden damals 9 Millionen Stück Vieh geschlachtet, was man auch auf den Bildern sehen kann. Die Überschrift des Bildes aus London lautet – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –: Tierhaltung verwandelt sich von einem bedarfsgerechten Versorgungszweig in eine optimierte Zuliefererindustrie.
Herr Minister, der Arbeitsschutz in Nordrhein-Westfalen war einmal das Steckenpferd dieses Landes. Im Jahr 2007 ist der unabhängige und eigenständige Arbeitsschutz in einer sogenannten Verwaltungsstrukturreform – Reform klingt ja immer gut – durch einen Minister namens Karl-Josef Laumann zerschlagen worden.
Im Jahr 2013 – das ist noch nicht so lange her – hat die CDU-Fraktion in diesem Hause mit Drucksache 16/3446 einen Antrag gestellt, in dem es heißt:
„Die rot-grüne Landesregierung verweigert sich der Anstrengung struktureller Reformen im Bereich des Landespersonals mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung.“
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Das würden wir heute auch nicht wieder machen!)
Weil wir manchmal sehr vergesslich sind, will ich hier nur auflisten, wie der Arbeitsschutz in diesem Lande einmal aufgestellt war und wer dafür verantwortlich ist, dass es heute anders ist.
Sie haben eben von der Systemrelevanz gesprochen, worüber man sich sicherlich streiten kann. Dass aber ein Fleischereischlachtbetrieb, dessen Produktion zu 50 % in den Export geht – somit also der Export von Fleisch –, für die Bundesrepublik systemrelevant sein soll, muss man mir erklären.
Herr Minister, hätte man diesen 50-%-Anteil an der Zerlegung des Fleisches reduziert, wäre Ihr Erlass, der die Abstandsregelung von 1,50 m in diesem Betrieb abgeschafft hat, nicht notwendig gewesen.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Den habe ich doch gar nicht abgeschafft!)
In Nordrhein-Westfalen gab es im Mai Massentestungen, wie Sie ausgeführt haben. Der Arbeitsschutz, der hier mitverantwortlich und anwesend war, und das Gütersloher Gesundheitsamt hatten die Aufgabe, zu testen. Seit dem Wochenende kennen wir das Problem: Sie wussten gar nicht, wen sie testen.