Protokoll der Sitzung vom 26.05.2004

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/3456 (neu)

Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/3469

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Aussprache ein. Für die antragstellenden Fraktionen erteile ich dem Herrn Kollegen Peter Eichstädt von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Übergang von guter schleswig-holsteinischer Milch zu Abhängigkeit erzeugenden Stoffen zu finden ist nicht ganz einfach.

(Zurufe)

- Ich wusste, dass Herr Astrup mir da im Zweifelsfall fachkundige Hilfe geben kann.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Sucht- und Drogenpolitik, darin sind wir uns einig, Kolleginnen und Kollegen, nimmt schon seit der Regierungsübernahme durch die SPD im Jahre 1988 eine wichtige Rolle ein. Damals war dieser Politikbereich noch vorwiegend restriktiv angelegt und stark strafrechtlich geprägt. Seitdem haben wir die schleswig-holsteinische Suchthilfelandschaft stark verändert.

Wir sind in diesen Bereichen an der Spitze der Diskussion in Deutschland gewesen. Das wird allgemein anerkannt und ist nicht zuletzt ein Verdienst unserer jetzt ausgeschiedenen Ministerin Moser.

(Beifall)

Auch in Zukunft setzen wir auf ein differenziertes Angebot von Vorbeugung und Hilfen. Wir sagen, Suchtvorbeugung muss auf Zielgruppen ausgerichtet und kontinuierlich angelegt werden. Sie muss illegale wie legale Drogen gleichermaßen erfassen. Sie muss als Gemeinschaftsaufgabe in Familie und Schule, in der Jugend-, Sozial-, Alten- und Gesundheitshilfe verankert werden. Wir wollen ein geschärftes Bewusstsein und mehr Verantwortung aller im Umgang mit Alkohol und Nikotin - auch ein schwieriges Thema in diesem Hause; das wissen wir.

Wir halten an einer an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierten vorurteilsfreien Politik gegen den Missbrauch illegaler Drogen fest und werden leicht zugängliche Hilfsangebote für Drogenabhängige weiter ausbauen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Politik orientiert sich an den Hilfestellungen für Suchtkranke einerseits und an dem klaren Vorgehen gegen organisierten Drogenhandel auf der anderen Seite. Schleswig-Holstein bleibt wegweisend bei der Einführung und Finanzierung der psychosozialen Betreuung.

Anfang 2002 hat der Sozialausschuss in einer Anhörung 28 Stellungnahmen entgegengenommen. Die Ergebnisse bildeten seinerzeit die Grundlage für einen weiteren Bericht der Landesregierung und sind schließlich auch die Grundlage für den Ihnen jetzt vorliegenden Antrag.

Meine Damen und Herren, wir legen heute einen Antrag vor, der die Ergebnisse der umfangreichen Beratungen des Landtages in den letzten Jahren auch

(Peter Eichstädt)

unter Beteiligung der Praktiker zukunftweisend bündelt. Ich will hier nicht auf die 13 Punkte unseres Antrages eingehen; das schon, aber ich will sie nicht vortragen. Lesen können Sie ja alle. Über allem - das sei hervorgehoben - steht der Grundsatz: Sucht ist eine behandlungsbedürftige Krankheit. Suchtprävention und Antidrogenpolitik müssen sich deshalb grundsätzlich am Suchtverhalten orientieren. Primäre Prävention soll als ein Schwerpunkt weiter ausgebaut werden mit dem Ziel, dass das Selbstbewusstsein von Kindern und Jugendlichen so zu stärken ist, dass sie Nein zu Drogen sagen können.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Männer und Frauen haben aufgrund ihrer unterschiedlichen Biografien und ihrer biologischen Voraussetzungen Anspruch darauf, dass es Angebote gibt, die dieses aufgreifen. Migrantinnen und Migranten sollen sowohl bei ambulanten als auch bei stationären Angeboten als Zielgruppe speziell angesprochen werden. Vor Ort muss eine Vernetzung aller relevanten Institutionen stattfinden. Hier ist vor allem die Jugendhilfe zu nennen, aber auch alle Institutionen, die dem Gesundheitsschutz dienen.

Nun ist heute von der CDU-Fraktion ein Änderungsantrag auf den Tisch gekommen. Vieles, was darin aufgeführt wird, deckt sich mit unserer Politik und unseren Vorstellungen; natürlich nicht alles. Aber allein die ausdrückliche Feststellung, dass Sucht eine Krankheit ist, ist ein Fortschritt, weil diese Feststellung Konsequenzen hat. Frau Tengler ist, glaube ich - -

(Zuruf der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

- Doch, da ist sie. Frau Kollegin, ich habe Sie gesehen. Ich bin nicht ganz sicher, Frau Tengler, ob Ihnen wirklich umfassend klar ist, was das für Konsequenzen hat. Wenn es so sein sollte, umso besser; wir werden darüber diskutieren.

Interessant ist in Ihrem Antrag auch die Feststellung, dass der straffreie Besitz von Mindestmengen illegaler Betäubungsmittel bundeseinheitlich definiert und festgelegt werden soll. Hört, hört! Das wollen wir auch gern mit Ihnen diskutieren. Auch dies ist etwas Neues aus Ihrem Mund.

Ihr Hinweis hingegen, dass die begrenzten Mittel, die in Schleswig-Holstein zur Verfügung stehen, nicht ständig - wie Sie schreiben - in neuen Modellversuchen und neuen Einrichtungen versanden sollen, ist allerdings weniger erfreulich. Wenn wir in Schleswig-Holstein diesem Grundsatz in den vergangenen

15 Jahren gefolgt wären, wäre es in diesem Politikbereich nicht vorangegangen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir brauchen - das will ich ganz deutlich auch im Hinblick auf diejenigen sagen, die die Arbeit machen, Frau Tengler - Modellprojekte, wenn wir Drogenhilfen weiterentwickeln wollen. Außerdem finde ich Ihre Aussage gegenüber all den Praktikern im Lande, die sich auf neue, oft auch beschwerliche Pfade begeben, ziemlich ignorant.

Angesichts Ihres Antrages sind wir bereit, auf eine Abstimmung - was wir ursprünglich vorhatten - unseres Antrags zu verzichten und mit Ihnen gemeinsam beide Anträge an den Sozialausschuss zu überweisen. Vielleicht gelingt es da, etwas Gemeinsames auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Da wird sich dann auch die Frage beantworten, ob Kalinka das hält, was Tengler verspricht. Ich bin mir da nicht so sicher.

(Beifall und Heiterkeit)

Denn von Ihrem sozialpolitischen Sprecher hört man zu diesem Thema eher Rückwärtsgewandtes. Aber wir lassen uns gern auch von Ihnen überraschen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt Frau Abgeordneter Frauke Tengler.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Sozialministerin, die CDU-Fraktion begrüßt Sie von dieser Stelle aus noch einmal herzlich in diesem Haus.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Eichstädt, Herr Kalinka hat den Antrag gelesen und fand ihn sehr gut.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Das heißt noch nichts! - Heiterkeit und Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Ihr Antrag liest sich zunächst eingängig und ich war auch hoffnungsvoll. Aber da es sich um Schwerpunkte der

(Frauke Tengler)

schleswig-holsteinischen Drogenpolitik handeln soll, tut es mir leid, Ihnen sagen zu müssen: Das ist für unsere Fraktion zu wenig konkret, zu wenig verbindlich, a la: Auf irgendeine Art und Weise müssen wir ja die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens verwursten und es muss zum Abschluss gebracht werden, schön; dass wir darüber gesprochen haben.

Bevor ich unsere weit konkreteren Forderungen darlegen werde, ist es mir wichtig, positiv zu erwähnen, dass das mischfinanzierte integrative System der Substition wohl in keinem anderen Bundesland so gut ausgebaut ist wie bei uns,

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

obwohl die Versorgung - daran krankt es - durch psychosoziale Begleitung nicht ausreicht.

(Beifall der Abgeordneten Werner Kalinka [CDU], Dr. Heiner Garg [FDP] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Vielen Dank, Herr Kollege.

Wir müssen in der Drogenpolitik konkreter werden. Wenn das Statistische Bundesamt, Gruppe V c Verkehr, 2002 feststellt, dass der Alkoholunfall mit Personenschaden überproportional häufig ein Unfall junger Verkehrsteilnehmer ist, Tendenz steigend, dann ist ein verbindliches Drogenhilfeangebot nicht nur ratsam, sondern es ist verbindlich einzuführen. Das Gleiche gilt selbstverständlich für jugendliche Verkehrsteilnehmer, die unter Drogen am Straßenverkehr teilnehmen und gefasst werden. Da reicht eine freundliche und gut gemeinte Empfehlung für ein Drogenfrühhilfeangebot nicht aus. Kinder und Jugendliche sollen vor dem Konsum legaler Drogen geschützt werden. Das will Rot-Grün - zumindest ein bisschen. So startete das Gesundheitsministerium die Kampagne „Nichtrauchen - tief Durchatmen“. Dr. Krohn - auch er ist da - beklagt im Grußwort zur Fachtagung „Rauchfrei - Auf dem Weg zur rauchfreien Schule“ die Gefahren des Rauchens.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten gemeinsam „Schleswig-Holsteins Schulen - rauchfreie Zonen“ schon mindestens seit einem Jahr haben können, wenn Sie und die Landesregierung die Notwendigkeit etwas entschlossener gesehen hätten.

(Beifall bei der CDU)

Ein Erlass, um Eltern, Lehrer und die Landestelle gegen die Suchtgefahren in ihren Bemühungen zu unterstützen und zu bestärken, hätte genügt. Stattdessen nur Kampagnen - schade, Chance vertan.