Protocol of the Session on June 16, 2004

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Wie bei der Sozialhilfe besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz nur, soweit der Antragsberechtigte seinen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen bestreiten kann. Allerdings bleiben Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern und Eltern unberücksichtigt. Auch das wurde bereits gesagt. Mit dieser Regelung wollte man verhindern, dass aus Furcht vor dem Unterhaltsrückgriff gegen die Kinder keine Sozialhilfe beantragt wird.

In der Öffentlichkeit wurde das neue Grundsicherungsgesetz dabei gern als das Instrument angepriesen, das letztlich die so genannte verschämte Altersarmut bekämpfen kann. Zugegeben, teilweise - teilweise! - ist es geschehen. Bei vielen Rentnerinnen und Rentnern wurden vonseiten der Politik Erwartungen geweckt, dass sie durch diese neue gesetzliche Errungenschaft eigenständige soziale Leistungen für den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt erhalten würden. „Mehr Geld für Kleinstrentner“, titelte deshalb auch das „Flensburger Tageblatt“ am 6. Januar 2003. Das neue Gesetz sollte - so die Erwartung - vielen Kleinstrentnern monatliche Zusatzeinkünfte bescheren, denn eine hohe Zahl älterer Menschen scheuen - so die Intention des Gesetzes - den Gang zum Sozialamt aus Angst vor den Behörden oder aber auch aus anderen Gründen.

Die Folgen dieser Informationspolitik spiegeln sich in den vom Bericht genannten Zahlen wider. Die Kommunen wurden - auch das wurde gesagt - von Anträgen geradezu überschwemmt. Die Zahlen haben sie mündlich nachgeliefert, Frau Ministerin. Viele der Anträge konnten bis heute noch nicht einmal durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abschließend bearbeitet werden. Einige Kreise konnten die daraus entstehenden finanziellen Belastungen bisher nicht abschließend oder nur sehr vage beziffern. Beispiel Steinburg.

Ein vorläufiges Fazit lässt sich bereits jetzt ziehen. Weniger als die Hälfte der antragstellenden Frauen und Männer haben überhaupt einen Anspruch auf einen positiven Bescheid über die Zahlung einer Grundsicherungsleistung. Das dabei der Anteil der Frauen höher liegt als bei den Männern, ist - das wurde auch gesagt - nicht sonderlich überraschend, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Rentenanspruch vieler Frauen weit geringer ist als der Männer.

Inwieweit tatsächlich eine verschämte Altersarmut verhindert werden konnte, wie im vorgelegten Bericht festgestellt, lässt sich aus diesen Zahlen aus meiner Sicht jedoch absolut nicht entnehmen, zumal die Landesregierung gleichzeitig einräumt, dass die im Rahmen der Berichterstellung angefragten Daten nicht ausreichen, um daraus valide Ergebnisse hinsichtlich der Inanspruchnahme und der finanziellen Mehrbelastung abzuleiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte Bericht zeigt eines deutlich: Die Grundsicherung hat keinen Beitrag dazu geleistet, den grundsätzlich garantierten Rechtsanspruch auf Sozialhilfe zu entstigmatisieren. Vielmehr wurden Erwartungen geschürt, die dann nicht erfüllt werden konnten. Interessant wäre in diesem Zusammenhang schon die Aufschlüsselung gewesen, wie hoch die durchschnittliche Unterstützungszahlung bei Frauen und Männern war, deren Anträge positiv beschieden worden sind, insbesondere in den Altergruppen zwischen 18 und 60 Jahren.

Die Kommunen wurden bei der Erfassung und bei der Bearbeitung der Anträge allein gelassen. Daher fehlen diese Zahlen. Bekannt ist auch nicht, auf welcher Grundlage die angefallenen Verwaltungskosten für die Bearbeitung der Anträge abgerechnet werden können. Dafür dürfen sich die Kommunen bis weit in das Jahr 2005 hinein mit der Abrechnung der letzten beiden Jahre herumschlagen, während sie sich bereits mit weiteren Neuerungen beschäftigen dürfen, denn ab 1. Januar 2005 ist die bedarfsorientierte Grundsicherung eine Leistung des SGB XII. Ob die Finanzierung dann noch durch Bund und Land gesichert ist, steht in den Sternen, zumal die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kommunen in dieser Hinsicht bis heute absolut nicht ausgeräumt werden konnten.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile Frau Abgeordneter Birk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt muss ich kritisch bekennen: Die Umsetzung des Grundsicherungsgesetzes durch die Kommunen ist zu schleppend. Das macht der Bericht deutlich. Frau Kolb, Sie haben hier auf die Arbeitsbelastung der Kommunen hingewiesen. Ich denke aber, dass wir es uns damit zu einfach machen. Man muss den Bericht in dieser Hinsicht kritisch lesen.

(Veronika Kolb [FDP]: Habe ich!)

Nun zum Positiven: Die Grundsicherung wird in der Zukunft ein stetig steigender Faktor sein. Frauen brauchen sie am meisten. Insofern ist es ein deutlicher Fortschritt, dass wir sie geschaffen haben. Die Ministerin hat auf die beeindruckenden Zahlen hingewiesen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen uns darüber klar sein: All diese Menschen - insbesondere die weiblichen unter ihnen - hätten das Geld nicht in der Tasche, wenn wir hier nicht gesetzlich einen neuen Tatbestand verankert hätten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das heißt aber natürlich auch, dass die Renten der Frauen auch heute keinesfalls überall existenzsichernd sind, denn sonst hätten wir nicht so viele Fälle. So ist das immer mit einem halb vollen oder einem halb leeren Glas.

Eineinhalb Jahre nach der Einführung des Grundsicherungsgesetzes sind laut Bericht in Kiel nach eigener Aussage noch über 1.000 Anträge unbearbeitet. Je nachdem, wann die Leute den Antrag gestellt haben, warten sie bis zu eineinhalb Jahre auf ihr Geld. Die Hansestadt Lübeck sowie die Landkreise Dithmarschen und Steinburg wissen laut Statistik noch nicht einmal, wie viele Anträge bei ihnen eingegangen sind. Sie wissen erst recht nicht, wie viele Anträge sie positiv entschieden haben. Ich finde, das ist im Computerzeitalter ein unbegreiflicher Skandal!

Wer nicht weiß, wie viel Arbeit anliegt und wie viel Arbeit er erledigt hat, weiß auch nicht, wie viele Beschäftigte er für diese Arbeit braucht. Frau Kolb, er weiß auch nicht, wie viel Geld seit Antragstellung noch an die Bürgerinnen und Bürger nachgezahlt werden muss. Dies zum Thema Haushaltsklarheit.

Die Berge der unbearbeiteten Anträge in vierstelliger Höhe waren beispielsweise wiederholt Thema in der örtlichen Lübecker Presse, insbesondere dann, wenn

Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger versehentlich wochenlang weder Grundsicherung noch Sozialhilfe oder Wohngeld erhielten. Wohngeld ist in diesem Zusammenhang ein Stichwort. Vielerorts mussten diejenigen, die aufgrund ihres bisherigen Einkommens Wohngeld erhalten hatten, dies mit der Grundsicherung noch einmal neu beantragen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Die bisher eingeführte Grundsicherung ist allerdings nur ein bescheidener Anfang, denn häufig deckt sie keineswegs die Existenzkosten. Lobend ist vor diesem Hintergrund zu erwähnen, dass in den Fällen, in denen zusätzlich zur Grundsicherung ergänzend Sozialhilfe für besondere Bedarfe - zum Beispiel für einmalige große Anschaffungen oder Heimaufenthalte - beantragt wurden, einige Kommunen - so auch Lübeck - die Akten nicht doppelt im Sozialamt führen, sondern dass auch diese Anträge von der Grundsicherungsstelle bearbeitet werden, auch wenn es sich um zwei verschiedene Etats handelt.

Es bleibt allerdings zu hoffen, dass spätestens bis zur geplanten kommunalen Abrechnung der Grundsicherung mit der Bundesregierung, wie die Abgeordneten Kolb und Kalinka es angemahnt haben, auch die säumigen Kommunen genaue Zahlen über die Anträge dieser beiden Etats - Grundsicherung und zusätzliche Sozialhilfe - getrennt vorlegen können. Der Landtag ist deshalb gut beraten, dieses Thema genau zu verfolgen. Wer zu Recht vom Bund faire Behandlung fordert, muss auch eine transparente Datenlage liefern.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Ich möchte an dieser Stelle noch auf einige Dinge hinweisen, die mir Fragen aufgeben: Wenn wir die vorliegenden Daten - einige Gebietskörperschaften haben keine geliefert - prozentual aufschlüsseln, so fällt beispielsweise auf, dass die positiv beschiedenen Anträge im Kreis Plön für Männer bei 53 % liegen. In der Stadt Kiel sind es nur 32,8 %. Ähnlich unterschiedlich verhält es sich bei den Frauen. Bei einem Durchschnitt von etwa 44 % positiv beschiedener Anträge gibt es also erhebliche Schwankungen. Ich glaube, das kann man nicht allein durch die Zusammensetzung der Bevölkerung erklären. Hier haben wir im Ausschuss noch ein wenig zu tun.

Ich danke deshalb für diesen Bericht. Es bedarf offensichtlich doch einiger Abstimmungen zwischen Land und Kommunen, um die Kommunen zu befähigen, ihre Arbeit ordentlich zu machen. Ich bedaure das, weil ich eine Anhängerin der Autonomie der Kommunen bin. Das nach wie vor nicht glückliche Ergeb

(Angelika Birk)

nis hat mich etwas entsetzt. Ein Dank auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die trotz dieser Misslichkeiten wahrscheinlich sehr viele Überstunden gemacht haben, um das Ergebnis vorzulegen und um den Betroffenen ihr Geld pünktlich auszuzahlen. Organisation ist nicht allein eine Sache der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier bedarf es der Verwaltungsreform vor Ort.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Frau Abgeordnete Hinrichsen hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der SSW hat die Einführung der Grundsicherung ab 2003 begrüßt. Das Ziel dieses Gesetzes ist und war es, vor allen Dingen Altersarmut zu verhindern. Es gab zu viele Fälle, in denen Menschen im Alter oder bei Invalidität wegen einer zu geringen Rente Sozialhilfe beantragen mussten. Mit der bedarfsorientierten Grundsicherung wird zumindest den Menschen geholfen, die kein ausreichendes Arbeitseinkommen erzielen können oder konnten, weil sie heute alt oder erwerbsunfähig sind.

Gerade Frauen sind die Gewinnerinnen der Reform, denn sie werden abgesichert, wenn die Rente nicht ausreicht. Dies ist leider auch heute noch die Situation von Frauen, weil sie meistens wegen der Kinder Zuhause bleiben oder blieben und deshalb weniger Rente bekommen. Das zeigen auch die Zahlen des vorliegenden Berichts, nach dem fast zwei Drittel der Personen, die in Schleswig-Holstein eine Grundsicherung erhalten, Frauen sind.

Ein anderer wichtiger Punkt bei der Grundsicherung ist, dass im Gegensatz zum Sozialhilferecht gegenüber Kindern und Eltern kein Unterhaltsrückgriff stattfindet, es sei denn, diese haben ein Jahreseinkommen von über 100.000 €. Der Gang zum Sozialamt und die damit verbundene mögliche Belastung der eigenen Kinder ist älteren Menschen, die jahrelang gearbeitet haben, nicht nur nicht zuzumuten, sondern er ist für einen Wohlfahrtsstaat unwürdig.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus Sicht des SSW waren das größte Problem bei der Einführung der Grundsicherung die ungelöste Finanzierungsfrage und insbesondere die Befürchtung der Kommunen, dass auf sie große zusätzliche Kosten zukommen. Der Bericht zeigt, dass diese Befürchtun

gen voraussichtlich übertrieben waren. Dennoch weist die Landesregierung darauf hin, dass man erst in 2005 abschließend beurteilen kann, ob die knapp 33 Millionen €, die die Kreise und kreisfreien Städte von Bund und Land erhalten, wirklich die Mehrkosten ausgleichen.

Der SSW bleibt bei seiner Forderung, dass den Kommunen durch dieses Bundesgesetz nachweisbar keine zusätzlichen Kosten entstehen dürfen. Dass der Bericht von einer auffälligen Diskrepanz zwischen den gestellten Anträgen und den positiven Bescheiden spricht, kann niemanden verwundern. Die Rentenversicherungsträger haben Anfang 2003 allen Rentnerinnen und Rentnern in einem Brief empfohlen, einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen, wenn ihre Rente weniger als 844 € im Monat beträgt.

Dieser Richtwert war aber aus zweierlei Gründen missverständlich: Zum einen wurde es versäumt, darauf aufmerksam zu machen, dass eigenes zusätzliches Einkommen und Vermögen beim Antrag auf Grundsicherung berücksichtigt werden. Zum anderen ist der Richtwert von 844 € als Bundesdurchschnitt zu verstehen. Der Sozialhilfesatz, an dem sich dieser Richtwert orientierte, ist in den Ballungszentren der großen Städte anders als der, den wir beispielsweise in einem Flächenstaat wie Schleswig-Holstein haben. Deshalb wurden viele Anträge als unbegründet abgelehnt. Man muss daher feststellen, dass der Brief der Rentenversicherungsträger für die Umsetzung und Akzeptanz der Grundsicherung nicht hilfreich war. Viel zu viele ältere Menschen wurden durch diesen Brief verwirrt und hinterher enttäuscht.

Insgesamt bleiben wir bei der Bewertung, dass die Einführung der Grundsicherung ein Schritt in die richtige Richtung ist, um Armut und insbesondere Altersarmut zu verhindern.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung an den Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

Umsetzung des Programms „Fahrradfreundliches Schleswig-Holstein“

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/3494

Ich erteile dem Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Herrn Professor Rohwer, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich allen, die an diesem Bericht mitgewirkt haben, für ihre Arbeit herzlich danken, ganz besonders auch dem ADFC, der ja hier bekannt ist und mit dem wir bei dem Bericht sehr gut kooperiert haben.

(Beifall bei der SPD)

Zwei Ergebnisse möchte ich besonders herausstellen. Erstens sind wir auf dem Weg zur Umsetzung unseres Programms bereits sehr weit vorangekommen. Zweitens haben wir nicht zuletzt durch die konstruktive Zusammenarbeit mit Kommunen und Verbänden die Qualität des Radverkehrssystems in SchleswigHolstein in den letzten Jahren weiter steigern können. Wir können festhalten: Wir sind in Deutschland das Land mit der größten Radwegedichte, und - dies ist ebenfalls wichtig - wir investieren auch im Jahr 2004 in neue Radwege. Wir dürfen festhalten - dies ist im Bericht im Einzelnen dargestellt -, dass es in diesem Jahrzehnt Fertigstellungen von Radwegen an Bundes- und Landesstraßen in Schleswig-Holstein gibt, dass drei Maßnahmen allein im Landesbereich neu begonnen werden, dass wir im kommunalen Bereich 78 Maßnahmen in der Planung für 2004 haben. Dies macht deutlich, dass wir dieses Thema auch weiterhin sehr ernst nehmen, und zwar nicht nur für die Sicherheit der Menschen, die häufig auf die Radwege angewiesen sind, sondern auch wegen der Bedeutung für die Touristen, die Fahrradurlaub in SchleswigHolstein machen.

Das vielleicht wichtigste Projekt bei der weiteren Umsetzung, das mir auch persönlich am Herzen liegt, ist das landesweite Radverkehrsnetz. Dieses steht kurz vor dem Abschluss. Die Stellungnahmen der Regionen liegen vor. Es wird die Grundlage für alle weiteren Planungen sein. Wir haben damit ein klares Ziel, an dessen Umsetzung wir in den nächsten Jahren schrittweise weiterarbeiten werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)