Protocol of the Session on August 26, 2004

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Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung.

Beurlaubt ist Frau Abgeordnete Renate Gröpel.

Zu Beginn begrüße ich auf der Tribüne Besuchergruppen des Gymnasiums Wentorf, Kreis Herzogtum Lauenburg, der Gesamtschule Neumünster-Faldera und des SPD-Ortsvereins Bad Oldesloe. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Zu Beginn der Sitzung habe ich Ihnen mitzuteilen, dass die CDU-Fraktion ihren Antrag Drucksache 15/3515 (neu) zu Tagesordnungspunkt 8 - Situation der Pflegeheime in Schleswig-Holstein - zurückgezogen hat.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf:

Umsetzung von „Hartz IV“ in Schleswig-Holstein

Landtagsbeschluss vom 28. April 2004 Drucksache 15/3345 Nr. 3

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/3590

Zunächst erteile ich dem Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Herrn Professor Rohwer, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht zum Antrag der FDP liegt Ihnen vor; er ist im Juli erstellt worden und kann daher nicht die allerjüngsten Entwicklungen wiedergeben. Gern geben wir aktuelle Ergänzungen heute hier oder in den Ausschüssen.

Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist eine für manche wahrlich schmerzliche, aber für die Zukunft aller unverzichtbare Reform. Bei aller notwendigen Diskussion über eine sozialverträgliche und funktionierende Ausgestaltung dürfen wir die eigentlichen Ziele nicht aus dem Blick verlieren, meine Damen und Herren. Die Zusammenlegung soll das nachholen, was die meisten anderen Industrieländer längst geschafft haben. Sie soll Doppelstrukturen und Verschiebebahnhöfe beseitigen, um so in den Kommunen und Arbeitsagenturen mehr Personal zur Verfügung zu haben, das sich um die Beratung, Betreuung und Vermittlung Langzeitarbeitsloser und nicht um Verwaltung und Abwicklung kümmert.

9460 Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 122. Sitzung - Donnerstag, 26. August 2004

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

Unser „Fair“-Projekt in Rendsburg - einige von Ihnen werden es kennen - hat gezeigt, wie gut dies funktionieren kann. Natürlich soll auch die Motivation der Betroffenen erhöht werden, sich aktiv um neue Beschäftigungsmöglichkeiten oder eine Existenzgründung zu bemühen. Dass es diesen Effekt gibt, zeigen übrigens die verstärkten Direktbewerbungen von Arbeitslosen bei Unternehmen auch in SchleswigHolstein.

Andere Staaten haben gezeigt, dass solche Reformen nicht auf einen Streich, aber schrittweise zu mehr Beschäftigung führen. Die Reform ist deshalb auch nicht ohne Grund von allen Parteien in Bundestag und Bundesrat mitgetragen worden. Deshalb habe ich auch wenig Verständnis dafür, wenn sich CDUMinisterpräsidenten oder andere kurz vor Wahlterminen in die Büsche schlagen und diese Reform wieder zerreden.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Auch SPD-Politiker!)

Auch Begriffe wie drohender „Super-GAU“ sind nicht besonders hilfreich, Herr Garg. Man muss über die richtige Ausgestaltung reden, aber nicht um die Reform zu gefährden und sie auf den SanktNimmerleins-Tag zu verschieben, sondern um sie zum 1. Januar 2005 zum Erfolg zu führen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen, aber wir dürfen mit ihnen nicht spielen. Deshalb gehört diese Reform auch nicht auf den Hauklotz von Wahlkampfstrategen.

Die Landesregierung übernimmt bei der Umsetzung der Reform seit langem eine moderierende Funktion. Die Umsetzung liegt bei den Arbeitsagenturen und den Kommunen. Wir unterstützen bei Konflikten, haben uns für Nachbesserungen eingesetzt und helfen den Kommunen beziehungsweise auch der Arbeitsverwaltung bei der Gestaltung sinnvoller Strukturen.

Nach allen Aussagen der Beteiligten scheint jetzt die Zahlung des neuen Arbeitslosengeldes II ab Januar 2005 sichergestellt zu sein. Wir werden gemeinsam aufpassen, dass dies auch eintrifft. Die Betroffenen haben darauf einen Anspruch.

Die auch von uns geforderten Nachbesserungen beim Zahlungstermin und bei der Anrechnung von Vermögen von Kindern werden umgesetzt. Der Bundeswirtschaftsminister bemüht sich um eine Lösung, die Härten bei jenen über 58-jährigen Arbeitslosen, die im Zuge der 58er-Regelung auf eine aktive Arbeitsvermittlung verzichtet haben, zu beseitigen.

Mit den 1- bis 2-€-Jobs - ein irreführender Begriff - werden die Beschäftigungschancen für diejenigen verbessert, die nicht sofort in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können. Natürlich gibt der erste Arbeitsmarkt zurzeit nicht genügend Arbeitsplätze her, um allen Langzeitarbeitslosen Jobs zu bieten. Deshalb ist es sinnvoll, durch Zuverdienstmöglichkeiten Anreize für gemeinnützige Arbeit zu geben. Jede sinnvolle Arbeit ist besser als keine Arbeit, und jede Finanzierung von Arbeit ist besser als die Finanzierung von Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dabei müssen wir aber auch darauf achten, dass keine gewerblichen Arbeitsplätze verdrängt und die Tätigkeiten so ausgestaltet werden, dass sich die Chancen der dort Beschäftigten für die künftige Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt tatsächlich verbessern.

Die Landesregierung stellt zur Unterstützung von Arbeit und beruflicher Ausbildung übrigens auch viel Geld bereit. Im Rahmen unseres ASH-Programms stellen wir Mittel für zusätzliche Eingliederungsmaßnahmen von Langzeitarbeitslosen zur Verfügung, und zwar mit dem Ziel, keineswegs nur Zuverdienstmöglichkeiten anzubieten, sondern auch weitere Anreize für die Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Mit unserem Ausbildungssofortprogramm wollen wir dazu beitragen, dass jeder Jugendliche in Schleswig-Holstein eine Berufsausbildung erhält und gar nicht erst in die Arbeitslosigkeit fällt. Auch das ist im Zusammenhang mit dem 1. Januar ganz wichtig. Wir müssen alles tun, damit keine neuen Jugendlichen in die Situation kommen, arbeitslos zu sein.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zahlen bestätigen uns darin, dass wir in Schleswig-Holstein auch in diesem Jahr auf einem guten Weg sind. Wir sind optimistisch, dass das Bündnis für Ausbildung zu einem Erfolg führt.

Die Kommunen in Schleswig-Holstein möchte ich auch an dieser Stelle bitten, ihre Unterstützungsinfrastruktur für kommunale Beschäftigungsangebote zu sichern und auszubauen. Die Auflösung kommunaler Beschäftigungsgesellschaften betrachte ich mit Sorge. Jedenfalls muss sichergestellt werden, dass die Beschäftigungsangebote nicht verringert, sondern ausgebaut werden.

Viele Kommunen in Schleswig-Holstein sind übrigens schon weit in der Vorbereitung. Die meisten wählen das Kooperationsmodell auf ArGe-Basis.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 122. Sitzung - Donnerstag, 26. August 2004 9461

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

Einige wollen eine Kooperation unterhalb einer ArGe. Ich habe Verständnis für solche Bemühungen, ein für die Region maßgeschneidertes Modell umzusetzen. Deshalb appelliere ich an das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesagentur, auch Kooperationsmodelle unterhalb der ArGe finanziell zu unterstützen. Hierzu laufen Gespräche.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass die Rechtsformfrage so gelöst ist, dass gesetzlich öffentlich-rechtliche wie privatrechtliche Formen möglich sind. Auch dafür hatte sich die Landesregierung bekanntlich massiv eingesetzt.

Die Bundesregierung hatte den Kommunen im Vermittlungsverfahren des Bundesrates ein faires Finanzierungsangebot gemacht und die Landesregierung bleibt bei ihrer Zusage, reformbedingte Entlastungen an die Kommunen weiterzugeben.

Am Dienstag haben wir im Kabinett den Entwurf für ein Landesausführungsgesetz zum SGB II verabschiedet, das nun mit den kommunalen Landesverbänden beraten und nach einer weiteren Kabinettsbefassung diesem hohen Haus zur September-Tagung zugeleitet wird. Die Befassung im September ist erforderlich, um die rechtlichen Fragen rechtzeitig vor Januar 2005 geklärt zu haben.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte hier keine Zwischenfrage, das können wir nachher machen. - Ich möchte erst einmal meinen Bericht abgeben, denn in ihm sind - so glaube ich - eine ganze Reihe von wichtigen Informationen enthalten.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Ausführungsgesetz regelt neben der Umsetzung des bundesrechtlich vorgegebenen Aufsichtsrechts auch die Möglichkeit, kreisangehörige Gemeinden zur Durchführung von SGB-II-Aufgaben heranzuziehen, und natürlich auch die Sicherung der finanziellen Entlastung der Kommunen.

Die im FDP-Antrag geforderte Änderung der Finanzverfassung zur Absicherung einer kommunalen Dauerzuständigkeit für alle SGB-II-Bereiche hat sich mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in Bundestag und Bundesrat erledigt.

Zum weiteren Verfahren der Option! Wir haben die Kreise und kreisfreien Städte des Landes aufgefordert, sich bis zum Ende dieser Woche offiziell um die Schleswig-Holstein rechnerisch zur Verfügung stehenden vier Optionsplätze zu bewerben. Die bisherigen Signale deuten daraufhin, dass es möglicherweise weniger als vier Kommunen werden. Vielleicht hat das Hickhack um das Optionsmodell also mehr Zeit gekostet, als es ansonsten für die Betroffenen gebracht hat.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch einmal einen herzlichen Dank aussprechen. Sehr viele Menschen und auch Institutionen in Schleswig-Holstein arbeiten seit Monaten intensiv und mit Überstunden an einer funktionierenden Umsetzung der Hartz-IV-Reform. Das gilt für Kommunen, das gilt für die Arbeitsverwaltung, das gilt für Dienste der Landesverwaltung, für manche in den Verbänden und ehrenamtlich Tätige. Ich glaube, dafür haben sie unser aller Dank verdient und etwas weniger Panikmache in Politik und Medien.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und keiner kann sagen, es geht nicht. Wenn Sie beobachten, wie konstruktiv in Lübeck, in Kiel und auch in Nordfriesland, in einigen Kommunen des Landes, bereits Modelle entwickelt worden sind, kann niemand sagen, es geht nicht. Es geht nämlich und mit unser aller Hilfe wird es auch in den anderen Kommunen funktionieren.

Ich möchte noch etwas anführen: Die Hartz-IVReform ist unerlässlich und sie muss gelingen, damit wir wieder mehr Vertrauen aufbauen, statt Misstrauen und Ängste zu schüren. Aber klar ist auch, diese Reform - das müssen wir auch überall sagen - allein wird in Deutschland nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Experten sagen, dass durch diese Reform die Beschäftigungsschwelle, ab der also zusätzliche Arbeitsplätze in der Wirtschaft neu entstehen, von etwa 1,8 % pro Jahr Wachstumsrate auf 1,4 bis 1,5 % sinken wird. Künftig könnten also - bereits im nächsten Jahr - ab einem Wachstum von 1,4 bis 1,5 % neue Beschäftigungen aufgebaut werden. Das ist gut, denn ob wir dauerhaft wieder Wachstumsraten über 2 % bekommen, ist nicht gesichert. Aber wir müssen auch alles dafür tun, um Wachstum anzukurbeln. In Schleswig-Holstein tun wir das mit unserem Zukunftsinvestitionsprogramm, mit unseren Unterstützungsmaßnahmen für den Mittelstand, die Stärkung der Aus- und Weiterbildung und den konsequenten Ausbau der Infrastruktur. Auf Bundesebene brauchen wir aber dringend eine Entlas

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

tung bei dem Beschäftigungshemmnis Nummer eins, den zu hohen Lohnnebenkosten.