Protocol of the Session on September 22, 2004

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Frage, der Versuch, im vergangenen Jahr auf deutschen Autobahnen die LKW-Maut einzuführen, war alles andere als ein Glanzlicht. Aber - um auch das einmal deutlich zu sagen - das, was heute gelegentlich als Desaster bezeichnet wird, war in erster Linie eines des Betreiberkonsortiums Toll Collect. Was man der Politik vorwerfen kann: Sie hat den vollmundigen Versprechungen und Ankündigungen der Unternehmen, die das Mautsystem einrichten und schließlich auch betreiben sollten, zu sehr vertraut. Das waren immerhin so renommierte Namen wie DaimlerChrysler und Telekom, Unternehmen also, die zweifellos zur Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft zählen wollen. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: Die geplante Einführung des Mautsystems wurde im vergangenen Jahr abgeblasen und nunmehr auf den 1. Januar 2005 verschoben. Die Bundesregierung fordert in einem Schiedsverfahren 3,56 Milliarden € Schadenersatz. Ob diese Forderung durchgesetzt werden kann, müssen wir abwarten.

Wichtig ist derzeit vielmehr, dass das Mautsystem nunmehr im zweiten Anlauf pünktlich und hoffentlich auch störungsfrei zum 1. Januar eingeführt werden kann. Natürlich wird jetzt, nach dem technischen K.o. in der ersten Runde, von vielen Seiten skeptisch auf das Projekt geschaut und so manche reiben sich vor lauter Schadenfreude schon wieder in der Erwartung die Hände, auch der zweite Versuch, das Mautsystem einzuführen, ende im Chaos. Das kann nicht unser Wunsch sein. Es ist völlig klar und im Übrigen auch unumstritten, dass wir in Deutschland schleunigst die LKW-Maut brauchen, um die Verkehrsinfrastrukturprojekte finanzieren zu können, die wir in Deutschland, aber auch in Schleswig-Holstein dringend brauchen.

Ich kann mir gut vorstellen, meine Damen und Herren von der CDU - da gibt es wieder die politische Auseinandersetzung -, dass es wahlkampfmäßig ganz gut in Ihr politisches Kalkül passen würde, wenn es hier wieder Schwierigkeiten gäbe und daher gesagt werden könne: Wichtige Verkehrsprojekte in SchleswigHolstein werden gefährdet. Das wäre Wahlkampfmunition; machen wir uns nichts vor. Doch lassen Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU, sagen: Bis jetzt hat es durch die Ausfälle der Mauteinnahmen bei der Realisierung von Verkehrsprojekten in Schleswig-Holstein keine Verzögerungen gegeben, im Gegenteil. Wenn man betrachtet, welche Projekte in Schleswig-Holstein im vordringlichen Bedarf in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wurden, kann man dieser Landesregierung und dem Verkehrsminister insbesondere zu ihrem Verhandlungsgeschick nur gratulieren.

(Beifall bei der SPD)

Wie dagegen Ihr verkehrspolitisches Konzept - wenn es denn eines ist - aussieht, konnte man ja dieser Tage lesen, ein Konzept, das Ihr Kandidat im Auftrag der Parteichefin erarbeitet hat. Was dabei herausgekommen ist, ist ganz typisch „PHC“: viel heiße Luft und die Absicht, nach einer Regierungsübernahme durch die CDU eine PKW-Maut einzuführen. Zitat aus der „Financial Times Deutschland“: „Wir brauchen die PKW-Maut für neue Projekte, aber auch für sechsspurige Autobahnen, wenn wir das Geld nicht anders reinkriegen, aber der Verkehrsdruck hoch ist“, so der Kandidat. Von einem Ausbau der Autobahnen auf sechs oder acht Spuren habe schließlich jeder etwas, so Carstensen weiter. Kein Wunder, dass diese Vorstellung sogleich den ADAC voller Empörung auf den Plan gerufen hat.

Meine Damen und Herren, ein seriöses und tragfähiges Konzept sieht anders aus. Dazu gehört auch das Luftverkehrskonzept, über das wir nachher noch sprechen werden.

Natürlich sollten bestimmte Projekte, beispielsweise Brücken oder Tunnel, auch mit privater Finanzierung realisiert werden. Das ist jedoch ein alter Hut; denn das tun wir längst. Natürlich gehört die LKW-Maut gerade für Deutschland zu einem zukunftweisenden Verkehrskonzept. Bekanntlich sind wir ein Transitland, dessen verkehrliche Infrastruktur in besonders hohem Maße belastet ist und deshalb mit ebenso hohem Aufwand instand gehalten und weiter ausgebaut werden muss.

Nach allem, was wir derzeit wissen - meine Vorrednerin hat dies gesagt -, ist mit einer störungsfreien und pünktlichen Einführung des Mautsystems zu

(Bernd Schröder)

rechnen. Die Technik, so heißt es von Toll Collect, läuft inzwischen rund und ist in der Praxis erfolgreich erprobt. Das sind die offiziellen Zahlen und Statements zur Technik des Mautsystems, denen wir so lange Glauben schenken sollten, wie wir keine anders lautenden Informationen haben. Dass das System immer wieder von interessierter Seite madig gemacht wird, ist uns allen bekannt. Es sollte aber niemand darauf spekulieren, das System werde nicht kommen und eine LKW-Maut auf den deutschen Autobahnen nicht oder erst in ferner Zukunft erhoben. Solche Dinge sollen trotz Wahlkampf nicht noch politisch genährt werden.

Nach der Pressemitteilung vom 21. September 2004 ist davon auszugehen, dass das Mautsystem pünktlich zum 1. Januar 2005 voll funktionsfähig eingeführt wird. Darauf sollten sich alle, die es betrifft, rechtzeitig einstellen, damit wir auch zukünftige Verkehrsprojekte finanziert bekommen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion der FDP erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Christel Aschmoneit-Lücke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich könnte er einem ja Leid tun, der Minister Professor Dr. Rohwer. Als Wirtschaftsminister darf er HDW nicht retten, weil er derzeit offensichtlich zum Wahlkampfbeauftragten der Landesregierung für die Westküste ernannt worden ist.

(Beifall bei FDP und CDU)

Was die Versuche rot-grüner Arbeitsmarktpolitik angeht, ist er als Arbeitsminister nur noch Handlanger des Finanzministers. Als Verkehrsminister muss er heute ja das Verkehrsprojekt schön reden, das wie kaum ein anderes Symbol für die Unfähigkeit der rotgrünen Bundesregierung geworden ist, politische Entscheidungen vernünftig umzusetzen, so umzusetzen, dass das Chaos ausbleibt und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht noch draufzahlen müssen.

Es gibt viele Symbole für rot-grüne Unfähigkeit, aber drei überstrahlen alle anderen: Hartz IV, das Dosenpfand und die LKW-Maut. Die LKW-Maut ist übrigens die einzige politische Initiative, die in der Harald-Schmidt-Show die zweifelhafte Würde „Liebling des Monats“ erlangte. Die Geschichte des Mautdebakels ist noch zu jung, um einen „Asbach Uralt“ wert zu sein. Allerdings machten die Verantwortlichen im Bund allzu oft den Eindruck, sie hätten zu tief in ir

gendwelche Becher geschaut, anstatt sich mit der Maut zu befassen. Nicht, dass sich die beiden Großen der deutschen Industrie mit Ruhm bekleckert hätten - DaimlerChrysler und die mehrheitlich bundeseigene Telekom ganz gewiss nicht. Vollgekleckert ja, aber bestimmt nicht mit Ruhm.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Kurz die Geschichte dieses Debakels: Am Anfang stand eine gute Idee: LKW verursachen mehr Straßenschäden als PKW und sollten nach dem Verursacherprinzip auch dafür bezahlen. Eine strecken-, gewichts- und achszahlabhängige Bundesautobahnbenutzungsgebühr wurde erdacht, die genauso kompliziert ist wie ihr Name. Bedeutende deutsche Firmen sollten nicht etwa eine einfache Technik entwickeln, sondern eine, die der Komplexität dieser Bezeichnung auch angemessen ist. Schon damit war das Projekt im ersten Anlauf zum Scheitern verurteilt. Aber RotGrün setzte noch vier oben drauf:

Erstens schafften sie die Autobahnvignette ab, bevor das Mautsystem außerhalb von PowerPoint-Präsentationen erprobt worden war. Zweitens träumte der Bundesverkehrsminister davon, dass das Mautsystem sofort funktionieren und die theoretisch möglichen Einnahmen in voller Höhe fließen würden. Drittens verbuchte der Finanzminister diese Träume sofort als echte Einnahme und verpulverte das nicht vorhandene Geld. Viertens war die Bundesregierung unfähig, sich vertraglich gegen die möglichen finanziellen Schäden abzusichern, die entstünden, wenn die technischen Luftschlösser wie Seifenblasen zerplatzen und aus den virtuellen Einnahmen echte Haushaltslöcher würden.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, so kam es dann auch. Die technischen Luftschlösser zerplatzten wie Seifenblasen, als sie den harten Asphalt deutscher Autobahnen berührten. Aus den virtuellen Einnahmen wurden echte Haushaltslöcher. Viele Investitionsprojekte fielen aus oder wurden verschoben, zum Beispiel auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

Lieber Herr Kollege Schröder, wenn Sie heute sagen, Schleswig-Holstein habe darunter nicht gelitten, muss ich mich doch wundern. Wenn insgesamt Milliardenausfälle bestehen, wird das auch Auswirkungen auf Verkehrsprojekte in Schleswig-Holstein haben.

Die Vignette hatte Rot-Grün so früh und so gründlich abgeschafft, dass es preiswerter war, die Einnahme

(Christel Aschmoneit-Lücke)

ausfälle bei der Maut einfach auszusitzen, als die Vignette wieder einzuführen.

(Zuruf des Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU])

So wird dieses Mautdebakel für immer ein leuchtendes Symbol für die Unfähigkeit von Rot-Grün sein, aus guten Ideen mehr als gut gemeintes Versagen zu machen.

(Beifall des Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU])

Jetzt muss der Verkehrsminister versuchen, uns frohen Mutes weiszumachen, dass Rot-Grün ab dem 1. Januar 2005 eine LKW-Maut erheben wird, aus deren Einnahmen ganz viel Infrastruktur ganz schnell bezahlt werden kann. Wer’s glaubt, wird selig. Bei aller Hoffnung, die wir natürlich auch haben, dass es diesmal funktionieren wird - es gibt in diesem Haus überhaupt keinen Streit darüber, dass wir diese Hoffnung haben sollten -, glauben tun wir es zu dieser Zeit leider nicht mehr.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Karl-Martin Hentschel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob die Maut Anfang nächsten Jahres funktioniert, wissen wir alle nicht.

(Veronika Kolb [FDP]: Hört, hört! - Dr. Hei- ner Garg [FDP]: Guter Satz! - Claus Ehlers [CDU]: Ein bisschen schneller!)

Das tiefe Misstrauen meiner Kollegin AschmoneitLücke in die deutsche Technik teile ich nicht. Wir haben im Land immer noch ganz gute Ingenieure. Das Problem, das wir mit der Maut hatten, lag in erster Linie nicht an den Ingenieuren, sondern vielleicht an sehr ehrgeizigen Managern, die nicht auf ihre Ingenieure gehört haben. So etwas habe ich auch schon einmal erlebt.

(Zuruf der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Ich freue mich, dass wir uns in diesem Haus einig sind, dass wir die Maut für LKWs wollen. Das war nicht immer so. Das muss man festhalten, dass es eine

Einigkeit über alle Fraktionen hinweg gibt. Das ist sehr erfreulich. Das ist nicht immer so.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt keine Einigkeit, was die Maut für PKWs betrifft. Die Vorschläge des Spitzenkandidaten der CDU zu diesem Thema - in verschiedenen Zeitungen nachzulesen - sind vom Bundesvorstand der CDU offensichtlich schon wieder zurückgezogen worden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch dieser Ausflug des Kandidaten aus der Landwirtschaft in ein anderes Politikfeld mit einem Dementi des Kandidaten geendet hat. Das finde ich in Ordnung.

Ich möchte trotzdem ein Argument dazu bringen. Die Belastung der Autobahnen durch LKWs macht nach Schätzungen ungefähr zwischen 90 und 95 % der Straßenabnutzung aus. Von daher ist es bei verursachergerechter Belastung richtig, dass die Hauptlast für die Straßenreparaturen von den LKWs getragen werden.

Außerdem gibt es bereits eine Maut für PKW. Das ist die Ökosteuer. Sie ist verursachergerecht, weil sie die Anzahl der gefahrenen Kilometer auf allen Straßen verursachergerecht anlastet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Eine sehr praktische Angelegenheit. Eine entsprechende Belastung für LKWs wäre nicht möglich, weil wir keine differenzierten Besteuerungen des Diesels vornehmen können. Sie wäre auch deswegen nicht möglich, weil wir die LKWs nicht erfassen. Bei einer Anhebung der Dieselpreise für LKWs würden die LKWs durch Deutschland durchfahren und nicht mehr in Deutschland tanken. Eine Erfassung der LKWs, gerade der ausländischen, der Transit-LKWs, die quer durch Deutschland fahren, ist nur über ein Mautsystem möglich. Deswegen ist es richtig, ein gesondertes Mautsystem für LKWs, aber nicht für PKWs einzuführen.

Zu den Investitionen, die hier angesprochen sind. Ja, es hat erhebliche Ausfälle bei Investitionen gegeben. Wir müssen aber immer auch berücksichtigen, wodurch sie entstanden sind. Die Ausfälle bei den Investitionen durch Maut sind zwischenfinanziert. Das muss man immer festhalten.

(Roswitha Strauß [CDU]: Das stimmt nicht!)

Die Kürzungen sind bewusste Entscheidungen gewesen, die im Vermittlungsausschuss des Bundesrates getroffen worden sind. Ich wiederhole das gern, Frau Strauß, auch wenn das von Ihnen noch so sehr bestritten wird. Sie können das alles nachlesen. Die Kür

(Karl-Martin Hentschel)

zungen, die dort beschlossen worden sind, sind durch die angeblichen Subventionsabbauprogramme verursacht worden.