Protocol of the Session on November 11, 2004

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(Beifall)

Gibt es zur Geschäftsordnung noch weitere Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall.

Auf der Rednerliste stehen noch drei Wortmeldungen. Aber ich entnehme der Geschäftsordnungsdebatte, dass wie folgt verfahren werden soll: Die Redner bleiben auf der Liste für die Diskussion heute Nachmittag. Ich werde die Beratung der Tagesordnungspunkte 28 und 36 nun unterbrechen und sie werden heute Nachmittag nach der Mittagspause wieder aufgerufen. Besteht Einigkeit hierüber? - Dann werden wir so verfahren.

Entsprechend der Vereinbarung der Fraktionen rufe ich nun auf:

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

Tagesordnungspunkt 18

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung

Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3752

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dies ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Puls.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der eine oder die andere mag sich wundern, dass die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute kurz vor Toresschluss der Legislaturperiode noch einmal den Versuch unternehmen, unsere Landesverfassung um Gegenstände zu ergänzen, die schon mehrfach hier debattiert wurden und die bisher niemals die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit des Hauses erhalten haben. Wir bringen diesen Antrag ein, obwohl wir wissen, dass wir dafür die bisher verweigerte Zustimmung insbesondere der CDU-Fraktion benötigen, weil wir die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass sich auch die CDU-Fraktion inhaltlich den Zielen unseres Antrages nicht verweigern kann, nämlich erstens bestimmte schützenswerte Gruppen unserer Gesellschaft auch und ausdrücklich unter den Schutz unserer Landesverfassung zu stellen und zweitens endlich auch für Schleswig-Holstein ein Landesverfassungsgericht einzurichten.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Einen Moment bitte, Herr Abgeordneter Puls. - Meine Damen und Herren, wenn einige Herrschaften erhöhten Gesprächsbedarf haben, so sollten sie diesen bitte draußen befriedigen, aber nicht hier. - Sie haben wieder das Wort, Herr Abgeordneter Puls.

Wir sind das letzte Bundesland, das seine Verfassungsrechtsstreitigkeiten nach wie vor im fernen Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht verhandeln lassen muss. Alle anderen Bundesländer haben ein eigenes Landesverfassungsgericht. In SchleswigHolstein wäre die Einrichtung sinnvoll, zweckmäßig und kostengünstig und wäre zum Beispiel mit vorhandenen Räumen und vorhandenem Personal in Schleswig kurzfristig realisierbar. Alle Personen und Institutionen in unserem Lande, auch die Kreise, Städte und Gemeinden, hätten für kommunalrechtli

che Verfassungsstreitigkeiten umgehend eine Appellationsinstanz, die die Streitfragen ortsnah, sachnah und zeitnah beantworten könnte.

(Beifall bei der SPD)

Nur zur Auffrischung der parlamentarischen Erinnerung will ich darauf hinweisen, dass in einem Verfassungsänderungsantrag vom 7. Mai 2003 auch die Abgeordneten des SSW und, Herr Kollege Kubicki, auch die Fraktion der FDP mit fast gleichlautendem Text die Errichtung eines schleswig-holsteinischen Verfassungsgerichts gefordert haben.

(Beifall der Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Um die Ehrlichkeit und Kontinuität Ihrer Politik nicht zu diskreditieren, meine Damen und Herren von SSW und FDP, werden Sie sicherlich unserem heutigen Antrag nach den Ausschussberatungen mit Überzeugung Ihre Zustimmung geben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP])

Wichtige gesellschaftliche Gruppen und Minderheiten, die auch in Schleswig-Holstein immer wieder der Gefahr ausgesetzt sind, benachteiligt oder nicht angemessen berücksichtigt zu werden, wollen wir mit dem zweiten Teil unseres Antrags ausdrücklich durch die Formulierung politischer Staatsziele unter den Schutz unserer Verfassung stellen. Auch dies haben wir schon mehrfach versucht und versuchen es heute erneut, um insbesondere - ich nenne sie wieder - die CDU-Fraktion von der Notwendigkeit des besonderen Schutzes dieser besonderen gesellschaftlichen Gruppen zu überzeugen. Denn FDP und SSW haben auch insoweit bereits mit dem genannten Antrag vom 7. Mai 2003 ausdrücklich die Aufnahme von Staatszielen in die Landesverfassung gefordert.

Lassen Sie uns endlich einvernehmlich als Gesamtparlament von Schleswig-Holstein Nägel mit Köpfen machen und die gut gemeinten Erklärungen umsetzen. Wir jedenfalls halten es für erforderlich, dass die Minderheit der deutschen Sinti und Roma den gleichen verfassungsrechtlichen Status erhält, den heute schon die nationale dänische Minderheit und auch die friesische Volksgruppe haben.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir jedenfalls halten es auch für erforderlich, dass in Schleswig-Holstein niemand wegen seiner Herkunft, seiner Abstammung, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner sozialen Stellung, seiner Sprache, seiner politi

(Klaus-Peter Puls)

schen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Identität bevorzugt oder benachteiligt wird.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

- Im Grundgesetz steht es als Grundrecht. Grundrechte haben wir in unserer Verfassung nicht. Hier ist es als Staatsziel, als objektive Verpflichtung für uns, formuliert, Herr Kollege Schlie. Machen Sie sich bitte einmal schlau.

(Beifall bei der SPD)

Wir halten es auch für erforderlich, dass Menschen mit Behinderung unter den besonderen Schutz des Landes gestellt werden und dass das Land die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen schützt sowie eine Versorgung fördert, die allen Pflegebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich, aber nicht zuletzt wollen wir auch Kinder und Jugendliche in unserem von allen immer wieder in höchsten Tönen proklamierten kinder- und jugendfreundlichen Land unter den besonderen Schutz der Landespolitik und der Landesregierung stellen.

Meine Damen und Herren, Staatsziele - das wissen wir - vermitteln keine Ansprüche rechtlicher oder gar finanzieller Art, aber sie verpflichten uns als Staat, als Landesparlament, Landesregierung und Landesverwaltung, bei jeder staatlichen Maßnahme und bei jeder politischen Entscheidung die schutzwürdigen Interessen der genannten gesellschaftlichen Gruppen zu bedenken und zu beachten. Dem kann sich doch eigentlich niemand in diesem Haus verschließen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Eigentlich nicht!)

Geben Sie unserem Antrag im Sinne der Menschen, für den wir ihn stellen, eine breite parlamentarische Mehrheit.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Schlie das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

„Die Auswahl und Normierung weiterer Staatsziele muss sorgfältig und behutsam er

folgen. So sollte einerseits deutlich gemacht werden, dass das Land wichtige Belange seiner Menschen erkennt und sie ernst nimmt, andererseits aber nicht unrealistische Erwartungen weckt. Bei der Aufnahme neuer Staatsziele muss besonderes darauf Bedacht genommen werden, dass nicht der Anschein von Beliebigkeit entsteht oder Konkurrenzen auftreten, die zu einer Entwertung der Staatsziele führen könnten.

Die Bürgerinnen und Bürger können wegen des objektiven Regelungsgehaltes von Staatszielen und ihrer Bindungswirkung nur gegenüber der Staatsgewalt aus Staatszielbestimmungen keine subjektiven, einklagbaren Rechte ableiten.“

Soweit das Zitat des ehemaligen Innenministers Wienholtz in seiner Stellungnahme zur Aufnahme weiterer Staatsziele. Sie versuchen das ja nun zum wiederholten Male.

Ich will im Interesse der wichtigen Gruppen, die dahinter stehen, nicht sagen, dass Sie Ihren Schreibtisch am Ende der Legislaturperiode aufgeräumt haben. Aber ich frage mich schon, warum Sie solch eine Diskussion irgendwie nebenbei anfangen.

(Beifall bei CDU und FDP)

So weit also die Stellungnahme der Landesregierung zur Aufnahme von Staatszielbestimmungen in die Landesverfassung aus dem Jahre 1997. Übrigens, der abschließende Satz aus dieser Stellungnahme des Innenministers lautete: „Die Landesregierung nimmt daher diesbezüglich eine zurückhaltende Haltung ein.“ Ich meine, das war richtig so.

Die Aufnahme neuer Staatszielbestimmungen in die Landesverfassung muss deshalb mit äußerster Sorgfalt durchgeführt werden. Es kann nicht darum gehen, den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes in der Landesverfassung neu zu definieren oder zu überbieten. Das hat nichts mit der unterschiedlichen Qualität von Grundrechten und Staatszielbestimmungen zu tun. Aber manchmal hat man schon den Eindruck, Sie wollen das. Staatszielbestimmungen müssen sich aus einer eigenen Zuständigkeit des Landes aufgrund des föderativen Staatsaufbaus oder aus einem landestypischen Merkmal heraus ergeben.

Vor diesem Hintergrund sehen wir über die bisherigen und ja auch einvernehmlich gefundenen Regelungen hinaus keine Notwendigkeit zur Erweiterung der Staatszielbestimmungen in unserer Landesverfassung. Es wäre unangemessen und auch der Sache nicht dienlich, wenn wir als Landesgesetzgeber durch

(Klaus Schlie)

die Aufnahme weiterer Staatszielbestimmungen den Eindruck erwecken würden, dass das Land den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes in seiner Verfassung wiederholen müsste

(Zuruf von der SPD)

- das kann ich Ihnen nachher noch einmal erklären - oder dass wir durch die Formulierung weiterer Programmsätze eventuell ableitend daraus weitere landesgesetzgeberische Kompetenz hätten. Das ist eben nicht der Fall. Sie sollten sich dazu vielleicht auch noch einmal die Föderalismusdebatte vor Augen führen.