Protocol of the Session on November 11, 2004

Login to download PDF

Wozu neue Staatszielbestimmungen, um soziale Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige oder Kinder und Jugendliche plakativ in ihren Rechten zu schützen und diese Gruppen zu fördern, fragt man sich. Wichtiger wäre im Interesse der Beteiligten eine aktive Politik für diese Gruppen.

(Zuruf von der SPD)

- Dazu komme ich, warum Sie das nicht können. Dazu sind Sie als Mehrheitsfraktion leider nicht in der Lage. Dazu ist diese rot-grüne Landesregierung nicht in der Lage, weil sie unser Land in den finanziellen Ruin gewirtschaftet hat

(Beifall bei CDU und FDP)

und überhaupt keine Spielräume hat, um anschließend das, was Sie plakativ in die Landesverfassung schreiben wollen, durch aktive Politik zu unterlegen. Nein, es wird, so lange Sie Regierungsverantwortung haben, keine Förderung dieser Gruppen geben können, weil Sie alle freien Finanzspielräume vernichtet haben. Was Sie vorhaben, ist ein grandioses Ablenkungsmanöver. Geld zum Fördern gibt es nicht, aber wir schreiben den Anspruch auf Förderung mal eben in die Landesverfassung. So kann man mit unserer Verfassung nicht umgehen!

(Beifall bei CDU und FDP)

So kann man mit den betroffenen Menschen nicht umgehen! Das lassen wir nicht zu. Das ist ein Scheingefecht, das Sie hier führen.

Auch der ständig von den rot-grünen Fraktionen in die Diskussion gebrachten Einrichtung eines eigenen Landesverfassungsgerichts werden wir am Ende der Legislaturperiode mit Sicherheit nicht zustimmen. Es gibt Gründe dagegen, es gibt auch Gründe dafür. Ich will sie im Einzelnen nicht aufführen. Wir sind das letzte Bundesland - Herr Kollege, das haben Sie gesagt -, das kein eigenes Landesverfassungsgericht hat. Ich meine schon, dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode darüber auseinander setzen und das auch

überlegen müssen. Aber sicher nicht mit diesem Schnellschuss, den Sie abgeben wollen. Wir haben die Debatte vor anderthalb Jahren angefangen. Leider haben Sie das in den Ausschüssen nicht aufgegriffen. Jetzt räumen Sie, wie gesagt, Ihren Schreibtisch auf. Ich meine, dass es sich lohnt, über diese Frage in der nächsten Legislaturperiode sachgerecht zu diskutieren.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal deutlich machen: Die CDU wird in dieser Legislaturperiode keiner Änderung der Landesverfassung zustimmen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Kollege Puls, mit etwas Erstaunen nehmen wir den vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zur Änderung der Landesverfassung zur Kenntnis. Wer nämlich - das gilt ja insbesondere für das Selbstverständnis der Grünen - die Verfassung dieses Landes ernst nimmt, der bringt nicht in der drittletzten Sitzung des Landtages kurz vor Weihnachten einen solchen Gesetzentwurf ein. Es handelt sich bei dem Gesetz, das geändert werden soll, um das höchste und wichtigste Regelwerk unseres Landes. Da bricht man Änderungen nicht ohne weiteres über das Knie. Da bekannt ist, wie sehr die Fraktionen von SPD und Grünen und die Regierung einander zuarbeiten, frage ich mich, wo eigentlich bei diesem Entwurf das Veto der Justizministerin gewesen ist. Ich frage mich allen ernstes, wie wir innerhalb der nächsten zwei Monate mit Weihnachtspause noch ein ordentliches, einer Verfassungsänderung würdiges Verfahren mit schriftlichen und mündlichen Anhörungen hinbekommen sollen. Meines Erachtens ist das gar nicht möglich.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das interessiert die gar nicht!)

Es interessiert Sie möglicherweise auch gar nicht: Die Verfassung ändert man nicht einfach mal so „by the way“. Dieses geordnete Verfahren halten wir aber für notwendig, wenn auch die Zielrichtung und die Bestimmungen des vorliegenden Entwurfes zur Verfassungsänderung bereits bekannt sind. Leider scheint dies weder für die Justizministerin noch für den Innen- und Verfassungsminister, der ja auch Abgeordneter der SPD-Fraktion ist, zu gelten. Ich weise nur darauf hin - Anke Spoorendonk wird dazu sicherlich auch noch einiges sagen -, dass die damals von FDP,

(Wolfgang Kubicki)

Grünen und SSW beabsichtigte Verfassungsänderung auch mit den Stimmen der SPD abgelehnt wurde. Die SPD macht sich mit diesem Vorstoß also lächerlich.

(Beifall bei FDP und CDU)

Es handelt sich aus unserer Sicht bei diesem Entwurf nicht um einen ernst gemeinten Antrag. Es ist nichts anderes als ein populistischer Wahlkampfgag. Sozialdemokraten und Grüne wissen genau, dass sie in diesem Haus die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht bekommen werden. Der Kollege Schlie hat, wie ich meine, zu Recht darauf hingewiesen, dass man zweieinhalb Monate vor Ablauf einer Legislaturperiode nicht die Zweidrittelmehrheit in diesem Haus herstellen kann, um die Verfassung entsprechend zu ändern. Es bleibt also dabei, dass SPD und Grüne nur Wahlkampf machen wollen und dazu die Landesverfassung als Instrument benutzen.

(Zuruf der Abgeordneten Ingrid Franzen [SPD])

- Ich komme gleich darauf zurück, Frau ehemalige Ministerin Franzen.

Was ist konkret mit diesem Gesetzentwurf gewollt? Es soll ein Landesverfassungsgericht eingerichtet werden. Das entspricht auch der Forderung meiner Partei aus dem aktuellen Wahlprogramm. Das können wir in der neuen Legislaturperiode relativ zügig und zeitnah auf den Weg bringen, meine ich. Es soll ein besonderer Schutz und eine besondere Förderung von Minderheiten wie Sinti und Roma, Friesen und Dänen und weiterer Gruppen verankert werden. Auch dies entspricht unserer Intention.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- Keine Förderung, wie wir gehört haben; Förderung soll nicht verankert werden. Es soll damit kein Anspruch verbunden werden. Das hat der Kollege Puls doch gesagt. Herr Fischer, Sie sollten ehrlich sein und zugeben, dass Sie nur einen Programmsatz hineinschreiben ohne jeden Hintergrund.

Es soll der Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf Schutz und Förderung direkt in der Landesverfassung verankert werden. Das alles haben wir im Mai 2003 - übrigens viel intensiver, als Sie es jetzt vorschlagen - bei der gemeinsamen Initiative von FDP, Grünen und SSW mitgetragen und mitgefordert.

Den besonderen Schutz der Tiere in Artikel 7 haben Rote und Grüne aber in diesem Gesetzentwurf unter den Tisch fallen lassen. Das hat insbesondere bei meinem Kollegen Garg für helle Empörung gesorgt. Ich habe gelesen, dass der Finanzminister gestern

gesagt hat, der Kollege Garg sei die Reclam-Ausgabe von Kubicki. Ich habe in meiner Schulzeit die ledergebundene Literatur nicht kaufen können, die der Finanzminister möglicherweise kauft. Ich habe immer aus Reclam-Büchern gelernt und ich empfehle der Regierung, das Gleiche zu tun, aus Reclam-Büchern zu lernen. Jedenfalls kann ich die Empörung verstehen. Die Änderung der Landesverfassung mit Aufnahme des Tierschutzes war für uns - Anke Spoorendonk kann sich erinnern - einer der tragenden Kernpunkte der gemeinsamen Initiative mit SSW und Grünen. Es ist bedauerlich, dass die Grünen diesen Aspekt nun unter den Tisch fallen lassen. Vielleicht hören wir dazu ja noch etwas.

Es bleibt festzuhalten: Wir stehen dieser Änderung inhaltlich sehr wohlwollend gegenüber. Der Gesetzentwurf greift für uns aber insgesamt zu kurz. Wenn wir eine Verfassungsdebatte haben wollen, sollten wir auch über weitere mögliche Änderungen nachdenken. Diese könnten sich im Rahmen einer Anhörung ergeben. Wir sind sicher, dass eine entsprechend fundierte Anhörung in der verbleibenden Zeit nur oberflächlich geführt werden könnte. Deswegen sprechen wir uns auch dagegen aus, so etwas ins Werk zu setzen. Dieses Verfahren ist einer Verfassungsänderung nicht würdig und erinnert mich fatal an das, was wir bei der Diätenstrukturreform erlebt haben. Da wurde im Rahmen einer Wahlrechtsreform mal schnell die Verfassung geändert, um die Diätenstrukturreform zu finanzieren. Die Verfassung haben wir geändert, die Diätenstrukturreform ist nicht gekommen. Das sollten wir hier vermeiden.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Fröhlich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Verfassung gibt Auskunft darüber, welche Gefahren sie auf die Gesellschaft zukommen sieht. Schon die zehn Gebote sahen die Gefahr voraus, dass die Bürger in Streit geraten, durch Lügen, Diebstahl, Eifersucht, Totschlag, dass die Alten nicht geachtet werden, dass Eigentum nicht geschützt wird und noch einiges mehr.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU] - Heiterkeit)

- Das können Sie gern vervollständigen. Insofern ist

(Irene Fröhlich)

natürlich eine Verfassung zu diskutieren - - Habe ich jetzt irgendeinen Witz nicht mitgekriegt?

(Zurufe: Nein, nein!)

Anscheinend sind die zehn Gebote für die CDU immer eine Quelle der Erheiterung. Ich nehme das zur Kenntnis.

Für uns ist die Debatte über die Verfassung des Landes immer eine relativ ernste Angelegenheit. Wenn sich für uns abzeichnet, dass es eine Möglichkeit geben könnte, vielleicht eine Mehrheit für das zu gewinnen, was wir in der Verfassung wollen, dann zögern wir natürlich nicht, auch zwei oder drei Monate vor Ende einer Legislaturperiode von unserem Recht Gebrauch zu machen, dies in die Mitte des Parlaments zu stellen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Deshalb haben Sie vorher auch bei uns angefragt!)

Das ist allemal ein lohnendes Ziel, und es ist allemal richtig und gut, auch am Ende einer Legislaturperiode sich in diesem hohen Hause darüber zu verständigen, welches die wichtigen, die wirklich großen Ziele dieses Landes sind.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Dann machen wir das ab Januar alles noch einmal!)

Staatsziele dienen der Integration von Minderheiten, der Identifikation der Bürger und Bürgerinnen mit ihrem Staat und spiegeln oft genug das Ergebnis von historischen Umbrüchen wider. Verfassungen dürfen sich nicht auf die Aufzählung gesellschaftlicher Realität beschränken, sie sind auch Abbild eines gewandelten Bewusstseins, haben also in der Geschichte eines Landes ihre besondere Bedeutung. Wir haben dies schon einmal durchgenommen, als wir aus der Landessatzung eine Landesverfassung machten.

Wir Grüne haben in dieser und in der vorigen Legislaturperiode an mehreren Verfassungsänderungen mitgewirkt. Die Festlegung des Konnexitätsprinzips resultierte aus der Gefahr, dass Gemeinden mit immer neuen Aufgaben ohne entsprechende Kostenentlastung be- und damit überlastet würden.

Die Förderung des Niederdeutschen wurde wichtig, da die Sprache auszusterben drohte.

Die in Schleswig-Holstein seit dem 15. Jahrhundert lebenden Sinti und Roma sind eine regionale Minderheit, von der wir wissen, dass sie einmal - dies war Staatsziel - in höchster Gefahr war, ausgerottet zu werden. Es lohnt sich unserer Ansicht nach, ihren Schutz als Staatsziel festzulegen, so wie wir andere Minderheiten ebenfalls schützen und fördern wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Sinti und Roma sind selbst sehr daran interessiert, in der Verfassung genannt zu werden. Wir unterstützen sie übrigens - damit das nicht untergeht - in dem bescheidenen Rahmen, in dem es uns möglich ist, nämlich indem wir eine Landesgeschäftsstelle fördern, in dem wir Schulunterricht - Sprachunterricht - für die Kinder der Sinti und Roma fördern. Gemeinsam mit der Stadt Kiel wird zudem versucht, mit ihnen wunderbare Wohnungsbauprojekte auf die Reihe zu bringen, was nicht leicht ist. Wir machen uns also auf den wirklich schwierigen Weg, gemeinsam mit den Menschen vor Ort etwas zu schaffen.

Neben all diesen Förderungen möchten Sinti und Roma in der Verfassung genannt werden. Ich meine, dies ist ihr gutes Recht und es lohnt sich auf jeden Fall, dieses Anliegen hier vorzutragen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Kommen Sie erst jetzt auf die Idee?)

Ich verzichte auf weitere Aufzählungen und weise nur noch darauf hin, dass sich auch zu den Pflegebedürftigen eine Volksinitiative geäußert hat. In der Folge haben wir uns dazu entschlossen, das Anliegen im Pflegegesetz zu verankern. Jetzt besteht erneut die Möglichkeit, dem Anliegen einer Volksinitiative zu entsprechen. Dem sollte man sich ernsthafter widmen, als Sie es getan haben.