Protocol of the Session on January 27, 2005

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(Beifall bei CDU und FDP)

den Sie in Schleswig-Holstein vollziehen wollen.

Lassen Sie es mich deshalb noch einmal Folgendes sagen. Schließlich ist das hier heute der 57. Aufguss der Debatte, die wir hier führen. Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Aus PISA lässt sich die Schlussfolgerung nicht ziehen, dass man eine Einheitsschule aufgrund der Ergebnisse von PISA einführen muss.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das ist eine schlichte Fehlinterpretation, die auch die Kultusministerkonferenz - deshalb haben wir sie in unserem Antrag zitiert - festgestellt hat, die nämlich gesagt hat:

„Zur Schulstruktur kommt der jetzt vorliegende Bericht in ähnlicher Weise wie der Bericht zu PISA 2000 zu dem Ergebnis, dass kein Zusammenhang zwischen dem Differenzierungsgrad des Schulsystems beziehungsweise dem Alter und dem Kompetenzniveau steht.“

Das heißt, Sie können PISA nicht als wissenschaftliche Grundlage für einen Schulsystemwechsel heranziehen.

Ich wäre an Ihrer Stelle übrigens auch vorsichtig mit den Ländervergleichen, die Sie heranziehen, wenn Sie sagen, wir müssten jetzt sozusagen integrierte Systeme schaffen, Einheitsschulsysteme. Einige Länder, die vor uns in der PISA-Tabelle liegen, haben diese integrierten Systeme und Einheitsschulmodelle. Ich sage Ihnen, alle Länder, die hinter uns liegen, haben die Einheitsschule. Insofern stellt sich die Frage, wenn Sie die Einheitsschule hier einführen wollen: In welche Richtung geht es denn - an die Spitze der Tabelle oder an das Ende der Tabelle?

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich sage Ihnen, so wie Sie hier im Begriff sind, die Einheitsschule in Schleswig-Holstein einzuführen,

geht es geradewegs an das Ende der Tabelle von PISA.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie haben ohnehin - Herr Kollege Astrup! - ein bisschen Schwierigkeiten mit den Ländervergleichen. Auch zu dem Stolz, mit dem der Kollege Weber und vorher schon die Kollegin Frau Erdsiek-Rave den Ländervergleichstest VERA vorgestellt haben, woran man sehen könne, wie spitzenmäßig die schleswigholsteinischen Grundschulen dort lägen, sage ich Ihnen, das ist ein Ländervergleichstest ohne die PISA-Sieger. Insofern ist natürlich die Aussagekraft von VERA nicht richtig. VERA hat in allererster Linie erbracht, dass etwa 50 % der Viertklässler ausländischer Herkunft nur auf dem schwachen Kompetenzniveau in Rechnen und Lesen sind. Das ist ein Wert, der uns zu denken geben sollte.

Das führt uns auch haargenau zu dem Punkt, den wir als Schlussfolgerung aus PISA ziehen. Aus PISA geht nicht der Schulsystemwechsel hervor, sondern aus PISA geht hervor, dass wir vor allem die Bildung in den ersten Schuljahren stärken und auf neue Beine stellen müssen, damit es besser wird.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie haben, Herr Kollege Weber, die gemeinsame Diagnose angesprochen. Die ist richtig. Das deutsche Schulwesen schafft es nicht ausreichend, Defizite, die die Kinder in die Schule mitbringen, in der Schule auszugleichen. Nur, der Ort dafür, diese Defizite auszugleichen, ist die Grundschule. Aus dem Grunde geben wir eine Unterrichtsgarantie für die Grundschule ab, weil man dort die Zeit braucht, um tatsächlich diese Defizite auszugleichen, die die Kinder mit in die Schule bringen. Deshalb ist das Thema Unterrichtsversorgung natürlich der Schlüssel auch für eine bessere Leistung im Schulwesen insgesamt.

Meine Damen und Herren, wir werden oftmals belehrt, auch von der Landesregierung, über soziale Diskrepanzen und soziale Ungerechtigkeiten, die wir im System hätten. Das ist eine Ungerechtigkeit, die wir im System haben, die Sie in Teilen selbst mit herbeigeführt haben. Zu der Bilanz dieser Regierung gehört, dass diejenigen Kinder, die besonders viel Unterricht brauchen, in Schleswig-Holstein besonders wenig Unterricht erhalten. Das sind nämlich die Hauptschüler, die 17 % weniger haben als im Bundesdurchschnitt, und das sind die Förderschüler, die 20 % weniger haben als im Bundesdurchschnitt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wer eine solche Bilanz hinlegt, der braucht uns nicht über soziale Ausgrenzung, Selektion oder soziale

(Jost de Jager)

Gerechtigkeit zu belehren. Die soziale Ungerechtigkeit in Schleswig-Holstein haben sie selbst geschaffen!

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie haben die Umfrage angesprochen, dass die Menschen angeblich gegen die Unterschriftenaktion seien. Ich sage Ihnen, in diesen Tagen und Wochen unterschreiben Tausende Menschen in diesem Land für unsere Schulen und gegen die Einheitsschule. Das ist haargenau das, was wir erreichen wollen.

(Beifall bei CDU und FDP - Glocke der Prä- sidentin)

- Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Sie sollten den Leuten nicht vorgaukeln, wir brauchten die Einheitsschule aus PISA heraus, Sie sollten die Wochen, die wir vor uns haben, nutzen, um den Leuten zu sagen, was Ihre Einheitsschule bedeutet: Sie bedeutet, dass alle Kinder vom Hauptschüler bis zum Hochbegabten in einer Klasse sitzen und von einem Lehrer unterrichtet werden und hinterher einen Abschluss machen sollen. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über PISA wurde und wird viel geredet und viel geschrieben und darunter ist Richtiges und Falsches. Falsch ist zum Beispiel die in der Öffentlichkeit oft zu hörende oder zu lesende Behauptung, in den beiden PISA-Studien seien für Deutschland „die im internationalen Vergleich nur mittelmäßigen Fähigkeiten der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler“ festgestellt worden. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben das zwar in ihrem Antrag so formuliert und die Union hat es ohne viel geistige Anstrengung auch so wortwörtlich abgeschrieben, das macht aber die Sache nicht richtiger. Selbstverständlich sind die Rankingpositionen, die in internationalen PISA-Ländervergleichen auftauchen, Durchschnittswerte. Gott sei Dank gibt es auch bei uns, und zwar in allen Schularten, Schüler mit guten Leistungen und herausragenden Fähigkeiten. Man braucht etwa nur auf die jährlich stattfindenden „Jugend forscht“-Wettbewerbe hinzuweisen.

(Zuruf von der SPD)

- Sie haben diese Pauschalbehauptung doch in Ihrem Antrag genauso aufgestellt, wie das im CDU-Papier steht.

(Beifall bei der FDP)

Differenzierung ist eben nicht nur beim Schulsystem wichtig, sondern auch bei der Beurteilung und Analyse solcher Studien.

(Beifall bei der FDP)

Es kommt doch darauf an, Gutes zu bestärken und das Verbesserungsbedürftige wirklich zu verbessern. Das Problem in unserem deutschen Schulwesen liegt doch darin, dass die große Spannweite zwischen den leistungsstärkeren und den schwächeren Schülern größer ist als anderswo und dass der Anteil der Gruppe der leistungsschwächeren Schüler, die so genannte Risikogruppe, bei uns viel größer ist als in vielen anderen Ländern; bei den extrem leseschwachen mit über 22 %. Beim innerdeutschen PISA-Ländervergleich hatte Schleswig-Holstein dann noch einen Wert, Frau Erdsiek-Rave - Textverständnis, Lesefähigkeit, unterste Stufe - mit über 26 % über Bundesdurchschnitt. Das war ein hoher Anteil, der zeigt, wo gerade ein Ansatzpunkt ist, um durch eine bessere Förderung gerade der leistungsschwächeren Schüler dann eben bei den folgenden Untersuchungen den Durchschnittswert deutlich anzuheben.

Da ist der größte Spielraum oder das größte Potential, um für Deutschland wirklich etwas zur Verbesserung der Rankingposition im internationalen Vergleich zu tun. Es geht vor allem darum, etwas für bessere Bildungschancen der jungen Leute zu tun. Was man machen müsste, ist die gezielte Förderung für leistungsschwächere Schüler mit einem verbesserten Bildungsangebot. Es wurde schon gesagt: Die amtierende Landesregierung hat in den letzten Jahren exakt das Gegenteil getan.

(Beifall bei der FDP)

Vor einem halben Jahr haben wir den Bericht zur Unterrichtversorgung diskutiert. Wir haben festgestellt, dass im Jahr 2003 nur zwei Schularten weniger Lehrerstunden hatten als im Jahr 2002. Das waren die Förderschulen und die Hauptschulen. Alle anderen Schularten wurden mit mehr Lehrerstunden ausgestattet. Bei den leistungsschwächsten Schülern kürzen Sie Lehrerstunden. Für das neue Schuljahr stehen im Landeshaushalt 200 neue Lehrerstellen zur Verfügung. Was machen Sie? - Nicht eine einzige dieser 200 Lehrerstellen ist an die Hauptschulen gegangen. Da ist es pure Heuchelei, wenn Sozialdemokraten

(Dr. Ekkehard Klug)

behaupten, sie würden etwas für Benachteiligte tun. Mit ihrer Politik praktizieren Sie exakt das Gegenteil!

(Beifall bei FDP und CDU)

Natürlich gibt es das Problem des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungsergebnis. Der Ruf nach Zerschlagung des gegliederten Schulwesens ist aber die falsche Antwort darauf. Die PISAForscher haben es deutlich gemacht.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Lesen Sie es im Bericht nach, statt solche dummen Sprüche zu klopfen, Herr Hentschel!

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie unterteilen die Gesellschaft in vier Gruppen der sozialen Schichtung. Sie stellen fest: In den Gymnasien ist der Abstand zwischen denen, die aus dem unteren Viertel der sozialen Schichtung stammen, und denen, die aus dem oberen Viertel stammen, mit 24 Kompetenzpunkten am geringsten. In den Gesamtschulen liegt dieser Wert mit 76 Kompetenzpunkten am größten. Haupt- und Realschulen liegen in der Mitte.

(Beifall bei der FDP)

Die Konsequenz ist, dass die Gesamtschulen es mit längerem gemeinsamen Lernen am wenigsten schaffen, die durch soziale Herkunft bedingten Nachteile der Schüler auszugleichen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das wird noch mehr für eine Kümmer- und Schmalspurvariante zutreffen, die Sie Gemeinschaftsschule nennen und die Sie den Bürgern in einem bildungspolitischen Winterschlussverkauf verkaufen wollen. Diese Schulen hätten mit den Ressourcen, die da sind, eine um ein Siebtel schlechtere Lehrerversorgung als die jetzigen Gesamtschulen im Land. Damit können sie eben nicht differenzieren und fördern. Fast 17,5 Schülerinnen und Schüler pro Lehrerstelle auf der einen Seite und 15 Schülerinnen und Schüler pro Lehrerstelle bei den Gesamtschulen auf der anderen Seite machen eine ganz klare Differenz aus. Das würde bedeuten, dass Sie eine Gesamtschule light hätten. Deshalb nennen Sie diese Schule auch nicht Gesamtschule. Wer etwas dafür tun will, dass die soziale Herkunft nicht so stark auf das Bildungsergebnis durchschlägt, der muss in den ersten zehn Lebensjahren der Kinder ansetzen, der muss im Vorschulbereich, in den Kindergärten und in den Grundschulen ansetzen.