Protocol of the Session on January 27, 2005

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(Beifall bei FDP und CDU)

Bildungsdefizite entstehen in den ersten zehn Lebensjahren. Da liegen die Chancen. Früh starten, das ist die Devise. Hier kann es am ehesten gelingen, im Sinne von sozialen Chancen - -

(Zuruf der Abgeordneten Ingrid Franzen [SPD])

- Das ist völliger Quatsch! Wer das soziale Problem entschärfen will, der muss unten ansetzen.

Ich nenne einen letzten Punkt: PISA II hat durchaus auch Fortschritte gezeigt, nämlich die Verbesserungen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Daraus ergibt sich ganz klar die Botschaft: Dort, wo seit Ende der 90er-Jahre viele Anstrengungen unternommen worden sind, die Unterrichtsqualität zu verbessern, gibt es Erfolge. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre sind hierzu Maßnahmen eingeleitet worden. Dazu zählen das Sinusprojekt, das Programm zur Effizienzsteigerung des mathematischnaturwissenschaftlichen Unterrichts, um das sich gerade in Kiel unser Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften verdient gemacht hat. Darauf können wir stolz sein. In diesen Fächern ist erkennbar, dass im Laufe der Jahre signifikante Verbesserungen der Leistungen eingetreten sind.

Daraus ist abzuleiten, dass wir auf bessere Unterrichtsqualität hinarbeiten müssen, und zwar durch entsprechende effiziente und moderne Fachdidaktik und moderne Lehr- und Lernmethoden, die wirken. Wir müssen die Aus- und Fortbildung der Lehrer darauf ausrichten. Wenn wir auf ein besseres Unterrichtsangebot und auf eine höhere Unterrichtsqualität hinarbeiten, dann zeigt dies auch den gewünschten Effekt. Das wäre richtig, nicht aber das Herumbasteln an Schulstrukturen. Das ist ein Täuschungsmanöver und ist eine Seifenblase. Sie betätigen sich als politische Windmacher und Rauchverkäufer, wenn Sie dem Bürger diese famose Einheitsschule als ein großes Zukunftsmodell versprechen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie werden mit einer solchen Politik das Gegenteil dessen erreichen, was Sie vorgeben erreichen zu können.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Abgeordneter Hentschel hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich: Wenn wir versuchen, uns an den erfolgreichen Schulsystemen in der Welt zu orientieren und daraus zu lernen, dann versuchen Sie hier, Grabenkriege von vor dreißig Jahren aufzuführen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich finde, es ist in unserem Land eine gute demokratische Kultur, wenn man den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl sagt, was man vor hat und worüber sie bei der Wahl einer neuen Regierung abstimmen. Das ist der Grund dafür, dass wir hier einen Antrag stellen, der in vier Punkten knapp, aber sehr deutlich darlegt, was bei allen Unterschieden, die wir durchaus haben, das gemeinsame Vorhaben von SPD und Grünen beim Umbau des Schulsystems ist. Ich glaube, es war nötig, diesen Antrag vorzulegen, weil wir uns ganz klar von einer Kampagne der Opposition abgrenzen wollen, die versucht, unter dem polemischen Stichwort Einheitsschule Debatten alter Zeiten wieder aufzuwärmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Ich nenne noch kurz die Zahlen: Alle sieben Länder, die in den 29 Staaten, die an PISA teilgenommen haben, die Schüler im Alter von zehn bis elf Jahren trennen, liegen in der hinteren Hälfte. Kein einziges dieser Länder liegt in der vorderen Hälfte. In der vorderen Hälfte liegen nur Länder, die die Kinder mindestens dreizehn, überwiegend aber bis zu sechzehn Jahre gemeinsam unterrichten. Das beweist noch nichts, aber es ist Fakt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmc- rone [SPD])

Der PISA-Bericht sagt weiterhin sehr deutlich, dass Gymnasiasten, also starke Schüler, nicht daran leiden, wenn sie mit schwächeren Schülern zusammen sind. Umgekehrt aber profitieren schwächere Schüler enorm, wenn sie mit stärkeren Schülern zusammen sind, weil sie geistige Anregungen kriegen und eine andere Orientieren erhalten, denn die Klugen sind dann der Orientierungspunkt, nicht aber diejenigen, die in der hinteren Reihe sitzen und mosern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Klug, die zweihundert Lehrer, die neu eingestellt wurden, sind natürlich in die Grundschulen

gegangen. Sie wissen auch genau, warum das so ist. Genau wie Sie wollen wir in den Grundschulen die kleinen Kinder stärken. Wir wissen, das man in der Frühförderung anfangen muss. Ferner haben wir die verlässliche Halbtagsgrundschule eingeführt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten aber auch feststellen, was wir gemeinsam gelernt haben: Es gab in Deutschland Zeiten, als für die Konservativen die Ganztagsschulen und die Kindergärten als Bildungseinrichtungen zu den sozialistischen Schreckgespenstern gehörten. Noch in den 90er-Jahren, es ist also noch keine zehn Jahre her, hat die CDU in Hamburg Proteste gegen die verlässliche Halbtagsschule organisiert, und zwar unter dem Motto, die Linken wollen den Eltern die Kinder wegnehmen und die Erziehung der Kinder übernehmen. Das ist keine zehn Jahre her. Heute reden Sie anders und das begrüße ich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wir haben dazugelernt. Wir haben begriffen, dass die Gesamtschule nichts weiter tut, als das dreigliedrige Schulsystem zu reproduzieren. Dazu waren wir aufgrund der Hamburger Beschlüsse auch gezwungen. Diese Gesamtschule war also nicht die Lösung der Probleme. Wir brauchen eine individuelle und differenzierte Schule, die jedes Kind individuell nach seinen Fähigkeiten fördert. Das ist genau das Gegenteil einer Einheitsschule. Wenn sich dies weltweit in vielen Ländern als Erfolgsmodell erwiesen hat, dann wird das nicht dadurch widerlegt, dass Herr Klug hier eine Rede hält.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir wollen alle Kinder optimal fördern und wir wollen enorme zusätzliche Ressourcen in die Grundschulen und in die Förderung von Kinder stecken. Das sind genau die Ressourcen, die wir an anderer Stelle, nämlich beim Sitzenbleiben, das in SchleswigHolstein immerhin tausend Lehrerstellen kostet, bei der Verkürzung der Schulzeit und bei der Reform der Oberstufe einsparen können. Dadurch kommen wir zu erheblichen zusätzlichen Ressourcen in den Grundschulen, in der Vorschulzeit und in der Sekundarstufe I, um die Kinder zu fördern, um besseren Unterricht zu machen und um individuelle Förderung zu erreichen. Je schneller wir das anpacken, desto günstiger werden wir das hinbekommen.

Es geht aber noch um mehr. Wir brauchen auch selbstständige Schulen. Denn PISA hat mit großer Klarheit bestätigt: Das deutsche Schulsystem ist bürokratisch und überreguliert. Gerade Reformen in

(Karl-Martin Hentschel)

Inhalt und Pädagogik können nicht von oben verordnet werden, sondern sie müssen von unten, von den Schulen selbst im kreativen Wettbewerb ausgelöst werden.

Wir erleben zurzeit anhand des Ganztagsschulinvestitionsprogramms der Bundesregierung, welche Dynamik ausgelöst werden kann. Hunderte von Schulen in Schleswig-Holstein haben sich mit Konzepten beworben, an Dutzenden Schulen werden zurzeit Mensen und Aufenthaltsräume für Mittagessen und Ganztagsbetreuung geplant oder gebaut.

Die Schulen beginnen zu begreifen, welche Chancen die Öffnung der Schulen hat. In Timmendorf legt die Gemeinde drei Schulen zusammen und legt das Jugendzentrum und die Gemeindebibliothek in die Schule. Die Schule wird so zum ganztägig geöffneten Jugend-, Kultur- und Bildungszentrum der Gemeinde.

Auf Fehmarn schlägt ein konservativer Bürgermeister vor, die finnische Gemeinschaftsschule einzuführen. Warum macht er das auf Fehmarn? - Fehmarn hat das Problem, dass die Oberstufe ausläuft, da sie zu wenig Schüler haben. Der Bürgermeister denkt ganz praktisch: Bei uns sind 25 % in der Oberstufe, in Finnland sind 50 % in der Oberstufe. Aha, führen wir das finnische System ein, legen Hauptschule, Realschule und Gymnasium auf Fehmarn zusammen, dann haben wir genügend Schüler, um eine Oberstufe zu betreiben. So praktisch wird dort gedacht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Mein Schlussappell für heute lautet: Versenken wir die dummen Debatten und Kampagnen der Vergangenheit, orientieren wir uns an Fehmarn! Ich wünsche Ihnen heute alles Gute.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, dass uns zu diesem Tagesordnungspunkt ganze drei Anträge vorliegen. Dabei ist es tröstlich, dass es zwischen diesen Anträgen durchaus Gemeinsamkeiten gibt.

Richtig ist, dass sich die Leistungen von deutschen Schülerinnen und Schülern laut PISA II leicht verbessert haben, wenn auch signifikant - wir haben es gelesen - nur in den naturwissenschaftlichen und mathematischen Fachbereichen.

Woran sich aber nichts geändert hat, ist die Tatsache, dass der schulische Erfolg von Kindern und Jugendlichen in keinem anderen OECD-Land so sehr von sozialen Faktoren abhängt wie in Deutschland.

Anders formuliert: Wir müssen uns die Frage stellen, ob es für uns als Gesellschaft weiterhin hinnehmbar ist, dass sich so viele Kinder nicht mit der Schule identifizieren, in der sie tagtäglich gezwungen sind, so viele Stunden zu verbringen. Wer dies als soziale Lyrik abtut, begreift nicht, dass es zu den Hauptaufgaben von Schule gehört, Kinder und Jugendliche zu aktiven Bürgerinnen und Bürgern unserer Gesellschaft zu erziehen.

(Beifall beim SSW)

Der Kollege Klug weist immer wieder darauf hin, wie mittelmäßig die dänischen Ergebnisse bei PISAStudie waren.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

- Das wird auch gar nicht bezweifelt, wobei da auch noch andere Aspekte genannt werden können. Aber es steht außer Zweifel, dass Schülerinnen und Schüler nördlich der Grenze an der Spitze liegen, wenn es darum geht, Demokratie zu leben. Sie wissen, wie sie an der Demokratie partizipieren können, und sie wissen auch, wie sie Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen können. Genau das besagt die Präambel des dänischen Schulgesetzes. In Dänemark hat man erreicht, was die Gesellschaft will. Dieses Ziel haben wir bei uns noch lange nicht erreicht.

(Beifall beim SSW)

Vor diesem Hintergrund sagt der SSW ganz klar: Wir brauchen eine Schule, in der das Kind und nicht die Aufrechterhaltung bestimmter Schulstrukturen im Mittelpunkt steht.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Anke Spoorendonk)