Einen schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen und Ihre Gespräche in die Pause zu verlegen.
Erkrankt ist die Abgeordnete Herlich Marie TodsenReese, der wir von hier aus gute Besserung wünschen.
a) Regierungserklärung zu den BSE-Vorkommnissen sowie zu den getroffenen Maßnahmen in Schleswig-Holstein
Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/573
Ich bitte um etwas mehr Ruhe und Aufmerksamkeit und erteile zunächst Frau Ministerpräsidentin Heide Simonis das Wort.
Frau Präsidenten! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erste in Deutschland geborene und aufgezogene BSE-Kuh kommt leider aus SchleswigHolstein. Das war ein Schock für uns alle, für die Bürgerinnen und Bürger, für die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, für den Tourismus und für alle, die sich bemühen, mit dem Gütezeichen „Qualität aus Schleswig-Holstein“ zu werben. Es war auch ein schwerer Rückschlag in unserem Glauben, dass es BSE in Deutschland nicht geben könne.
Die Landesregierung hat auf diese Meldung sofort reagiert. Weil wir wissen, dass die ersten Tage einer Krise entscheidend sind, haben wir die Weichen für den gesamten weiteren Verlauf des Geschehens gestellt. Ich glaube, dass es uns gelungen ist, mit diesem Krisenmanagement erfolgreich nach außen darzustellen, dass wir zwar nicht alle Fragen beantworten
Wir haben die Öffentlichkeit fortlaufend und umfassend informiert. Am 24. November, kurz nach Bekanntwerden des ersten positiven BSE-Tests, wurde eine Telefon-Hotline geschaltet. Über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Ministerien für Umwelt, Landwirtschaft und Gesundheit sowie Polizistinnen und Polizisten haben im Schichtdienst 14 Stunden am Tag Bürgeranfragen beantwortet. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich insbesondere bei denen, die damit nicht täglich zu tun haben, aber innerhalb kürzester Zeit mit Ruhe und Gelassenheit auch die kompliziertesten Fragen beantworten beziehungsweise weiterreichen konnten.
Bis zum 5. Dezember haben über 6.000 Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland die Hotline genutzt. In Spitzenzeiten waren es bis zu 120 Anrufe in der Stunde. Die Vielzahl der Anrufe zeigt, dass eine solche zentrale Anlaufstelle eine wichtige Funktion hat. Unterstützend hat die Landesregierung 100.000 Faltblätter mit Verbraucherinformationen drucken lassen.
Die enge Zusammenarbeit von Regierungspressestelle, Ministerien, Polizei, Amtsärzten, Veterinärärzten und allen anderen Beteiligten hat sich bewährt. Im Namen der Landesregierung also noch einmal ein herzliches Dankeschön auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der so genannten zweiten Linie, die zugearbeitet und die in den vergangenen zwei Wochen in dem Lagezentrum eine hervorragende Arbeit geleistet haben - auch wenn sie nicht immer gleich mit an den Telefonen waren. Aber sie waren im Hintergrund und konnten helfen, wenn schwierige Fragen gestellt wurden, und dazu beitragen - wir wissen ja bis heute noch nicht, wie BSE entstanden ist und wie es übertragen wird -, dass wir ehrliche Antworten gegeben haben, und zwar nicht nach dem Motto: Wir wissen alles, ihr braucht nicht mehr anzurufen. Wir mussten vielmehr auch zugeben, dass wir auf viele Sachen noch keine richtigen und hundertprozentigen Antworten haben.
Außerhalb des Lagezentrums haben das Ministerium für ländliche Räume und das Umweltministerium von Anfang an eng kooperiert und mit Hochdruck die Aufklärung des Falles vorangetrieben. Wir haben also wie Sie gemerkt haben - aus der „Pallas“-Katastrophe gelernt. Ich hoffe, dass so etwas nie wieder passiert und dass wir lernen, Kräfte zu bündeln, wenn eine Krise, eine Katastrophe oder schwierige Situation auftritt.
Am 22. November ist im Schlachtbetrieb Basche in Itzehoe nach einem freiwilligen Schnelltest der erste
BSE-Verdacht für ein in Deutschland geborenes Rind aufgetaucht. Alle 153 geschlachteten Rinder dieses Tages wurden sichergestellt und verbrannt. Vier Tage später wurde der BSE-Befund durch eine Untersuchung der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere in Tübingen bestätigt. Die Tiere aus dem Betrieb Lorenzen mussten leider alle getötet und auf BSE untersucht werden. Dies hat uns viel Kritik von Tierschützern eingebracht, aber das Tierseuchengesetz schreibt das leider vor. Jeder dieser Schnelltests hatte ein negatives Ergebnis. Letzte Gewissheit werden aber erst histologische Untersuchungen bringen.
Um jedem Verdacht zu den Infektionswegen nachgehen zu können, hat der Umweltminister am 29. November vorsorglich Bodenproben aus den Weideflächen des betroffenen Betriebes entnehmen lassen. Der wissenschaftliche Beirat Bodenschutz vom Bundesumweltministerium hat die Sorge geäußert, dass Prionen im Boden überleben könnten. Wir müssen also diesem Hinweis nachgehen. Es liegen uns allerdings zurzeit keine wissenschaftlichen Ergebnisse vor, die in diese Richtung weisen.
Am Montag wird im Bundesumweltministerium ein internationales Fachgespräch stattfinden, um den aktuellen Wissensstand und mögliche praktische Konsequenzen zu diskutieren. Ich wäre allen Fachleuten dankbar, wenn sie ihre Thesen, Überlegungen, Gedanken oder Geistesblitze nicht gleich in der Öffentlichkeit diskutierten, sondern erst am runden Tisch. Die Aufregung ist immer schwer zu legen, wenn sich irgendein neuer Verdacht auftut.
Das ist kein Vorwurf gegen Erkenntnisse, sondern es stellt sich nur die Frage, ob man sie gleich auf den Markt werfen oder sich erst einmal in Ruhe in einem Fachkreis darüber unterhalten sollte.
In ganz Schleswig-Holstein ermittelt die Landwirtschaftskammer in den Mischfutterwerken die Restbestände tiermehlhaltiger Futtermittel, die dann vernichtet werden müssen. Eine Abfrage bei Herstellern und Händlern von Tierfutter hat ergeben, dass Tiermehl Gott sei Dank in der schleswig-holsteinischen Futtermittelindustrie kaum eine Rolle spielt.
Das war nur ein kurzer Überblick über die Sofortmaßnahmen, die wir seit dem 22. November ergriffen haben. Aber BSE ist ja leider keine kurzfristige Krise. Schon seit 15 Jahren diskutieren wir immer wieder, wie man diese Seuche bekämpfen kann. Leider hat sich Europa nicht an die Spitze der Diskussion gestellt. BSE ist nämlich nicht ein Problem von Schleswig
Holstein. Es ist ein nationales und ein europäisches Problem und es kann nur national und europäisch bekämpft werden.
Bundestag und Bundesrat haben schnell reagiert und das Gesetz über das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel beschlossen, das am 2. Dezember 2000 in Kraft trat. Auch hier hat sich gezeigt, wenn es darauf ankommt, können in einer Krise Beschlüsse über alle Parteigrenzen hinweg tatkräftig gefasst und umgesetzt werden.
Die Bundesgesundheitsministerin hat eine Verordnung erlassen, nach der vom 6. Dezember an alle geschlachteten Rindern über 30 Monate auf BSE untersucht werden müssen.
Auf europäischer Ebene hat der Agrarministerrat am 4. Dezember ein auf sechs Monate befristetes Verbot von Fleisch- und Knochenmehl als Futtermittel beschlossen. Das ist ein trauriges Kapitel; denn das ist eine völlig unzureichende Entscheidung.
Ein halbes Jahr ist nun wirklich eine zu kurze Frist, um tief greifende Veränderungen anzustoßen. Außerdem entstehen erhebliche Probleme mit der Zulässigkeit verschiedener Futtermittel. In der europäischen Entscheidung werden zum Beispiel tierische Fette ganz ausgenommen. Auch die Fischmehlverfütterung an Nichtwiederkäuer ist außerhalb Deutschlands zulässig und es bleibt die Frage erlaubt: Was passiert nach dem halben Jahr? Darf dann wieder verfüttert werden?
Weiter bleibt die Frage erlaubt: Was für ein Gesetz gilt dann - unseres, das strengere, oder das europäische? Dies ist also eine ziemlich unsichere Situation vor allem für die betroffene Landwirtschaft, die zu bezahlen hat -, was da an Signalen, die sich widersprechen, kommt.
Dieser Zustand kann nicht hingenommen werden. Nach den Regeln des Binnenmarktes darf so erzeugtes Fleisch nach Deutschland importiert werden. Schon haben einige die Gesetzeslücke entdeckt, lassen kurz hinter der Grenze schlachten, nicht prüfen und führen das Fleisch wieder zurück - völlig legal -, und die Kette der Kontrollen ist bei uns unterbrochen. Damit läuft ein Teil des Verbraucherschutzes ins Leere.
Über das Tiermehlverbot hinaus hat der Agrarministerrat festgelegt, dass von Januar 2001 an in den 15 Mitgliedstaaten BSE-Tests für alle Schlachtrin
der über 30 Monate obligatorisch sein sollen. Nicht getestete Tiere gelten dann nicht mehr als Lebensmittel und müssen beseitigt werden.
Schließlich hat der Agrarministerrat eine so genannte „Rauskaufaktion“ beschlossen. Rinder, die über 30 Monate alt und nicht getestet sind, werden unmittelbar nach dem Schlachten aufgekauft und beseitigt. Die Kosten sollen zu 70 % von der EU und zu 30 % von den Mitgliedstaaten der Union getragen werden.
Wirklich ohne Vorwurf sage ich: Wer eine solche Regelung erlässt, darf sich nicht wundern, wenn die Leute anfangen zu überlegen, was sich lohnt - nicht zu testen und über 30 Monate alte Tiere zu schlachten oder vorher auf den Markt zu gehen. Im Moment sind die Preise so, dass die andere Lösung interessanter zu sein scheint. Das sind wiederum völlig falsche Signale an eine verunsicherte Produzentenschaft.
Für diese rein marktpolitische Maßnahme stellt die Europäische Union über 800 Millionen Euro in Aussicht, Geld, das an anderer Stelle für die Landwirtschaft besser angelegt wäre. Dem Gesundheits- und Verbraucherschutz wird diese Aktion gewiss nicht gerecht. Kein Wunder also, dass sich die Bürger verunsichert zurückziehen und bestimmte Waren nicht mehr kaufen. Es hilft also niemandem, wenn man versucht, alle zu schonen. So bleibt das Ausmaß der BSESeuche weiterhin unsichtbar und die Menschen bleiben verunsichert.
Ziel muss es sein, alle Tiere zu testen, wobei es - wie wir wissen - für Tiere unter 30 Monaten eine hohe Fehlerwahrscheinlichkeit gibt; das heißt, wir können nicht garantieren, dass der Test bereits völlig ausschließt, dass ein Tier krank ist, oder völlig garantiert, dass ein Tier gesund ist, auch wenn nichts festgestellt werden kann. Wir brauchen die Ergebnisse dennoch, um die einzelnen Tiere für den Verzehr freizugeben. Wir brauchen die Daten aber auch deshalb, um die BSE-Situation realistisch einschätzen zu können.
In der rein marktorientierten Intervention der Europäischen Union wären die Mittel in Forschungsprojekte sinnvoller angelegt. Außerdem müssen die Europäische Union und die Bundesregierung zu ihrer Verantwortung stehen und sich an den Kosten für die Schnelltests und für die Entsorgung von Kadavern und Tiermehl beteiligen. Es kann nicht angehen, dass unter dem Eindruck des Schocks oder der Krise am Samstag versprochen wird, „wir zahlen alle Mittel“, am Montag aber, nachdem alle eine Nacht darüber geschlafen haben, alles an Schleswig-Holstein hängen bleibt. So geht es nun wirklich nicht. Dies ist kein schleswig