Die Ministerpräsidenten der Länder werden heute Abend in ihrem Gespräch beim Bundeskanzler auf die Beteiligung des Bundes und auch darauf drängen, dass sich die EU in angemessener Weise beteiligt. Ich hoffe, dass wir uns da rasch einigen können, denn auf die Länder kommen als Folge der aktuellen BSE-Krise erhebliche Kosten zu. So muss Schleswig-Holstein zum Beispiel unverzüglich wesentlich erweiterte Kapazitäten für BSE-Tests bereitstellen. Auf der Basis der Schlachtzahlen für 1999 rechnen wir mit etwa 160.000 Tests für über 30 Monate alte Rinder aus normalen Schlachtungen. Für ein derartiges Untersuchungsvolumen ist das Lebensmittel- und Veterinäruntersuchungsamt des Landes in Neumünster noch nicht eingerichtet. Bis zum Frühjahr wollen wir die landeseigenen Testkapazitäten jedoch auf 800 Tests täglich ausbauen. Für den Übergang hat der Umweltminister am Freitag der vergangenen Woche einen Vertrag mit der Hamburger Artus GmbH unterschrieben.
Wir haben keine Hinweise, dass diese Firma etwa gemauschelt oder gar betrogen hat; es gibt auch keine Hinweise darauf, dass jemand etwa das Tier mit Absicht angesteckt haben könnte, wie es jetzt in einigen Kreisen behauptet wird. Ich kann das verstehen. Die Angst treibt Leute dazu zu spintisieren, wie das passieren konnte. Aber das sind keine Erklärungen für die BSE-Erkrankungen und damit auch keine Entlastungssignale nach dem Motto: Da hat uns einer reingelegt und jetzt machen wir munter so weiter wie bisher.
Von den täglich 400 Schnelltests an schleswigholsteinischen Rindern, die uns jetzt zur Verfügung stehen, meinen wir, dass sie sauber, ordentlich und nach dem Stand der Wissenschaft ausgeführt werden. Außerdem können von Montag an im Untersuchungsamt Neumünster jeden Tag 100 Proben getestet werden. Um den Aufbau der notwendigen Kapazitäten zu beschleunigen, hat die Landesregierung in einer zweiten Nachschiebeliste noch 18,7 Millionen DM in den Haushalt 2001 eingestellt.
Neben einer ausreichenden Zahl von Schnelltests ist die zweite dringliche Frage für die Landesregierung, was mit den rund 60.000 t Tiermehl und Tierfett geschehen soll, die jedes Jahr anfallen. Ein Gewinn bringendes Wirtschaftsgut ist von einem Tag auf den anderen zu kostenträchtigem Abfall geworden. Hierfür entstehen allein in Schleswig-Holstein im Jahre 2001 Kosten von rund 28 Millionen DM, für die die Tierkörperbeseitigungsanstalten aufkommen müssen.
Es ist unser Ziel, dass diese Kosten zu je einem Viertel von Bund, EU, Land und Landwirten aufgebracht werden. - Ich habe den Zwischenruf „Wer trägt die Kosten?“ durchaus verstanden. Es nützt ja alles nichts, die Maßnahmen müssen ergriffen werden. Wenn das Verfüttern von Tiermehl verboten ist, kann man es ja schlecht in die Ecke eines Schuppens stellen, sondern es muss beseitigt werden.
Die Landesregierung ist bereit, im Rahmen des Programms „Zukunft auf dem Land“ Investitionen in alternative Verwertungen, insbesondere zur Verbrennung in besonderen, auch umweltfreundlichen Anlagen zu fördern. Mittelfristig würden nämlich mit einem wachsenden Angebot auch die Gebührensätze sinken. Da sollten alle die Bundesregierung darin unterstützen, in Brüssel ein unbefristetes Verbot durchzusetzen, weil kein Investor eine große Anlage irgendwo für ein halbes Jahr hinstellen wird.
Ebenso muss erreicht werden, dass die deutsche Regelung EU-Standard wird. Anderenfalls sollte Deutschland - wie vom Bundesrat am 1. Dezember einmütig gefordert - ein nationales Importverbot für Fleisch aus Mitgliedstaaten mit niedrigen Standards verhängen.
Viele Menschen haben nach den jüngsten Meldungen Bedenken, Rindfleisch zu verzehren. Großküchen haben Rind von ihren Speisekarten genommen. Die Unsicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher beschränkt sich aber nicht nur auf das Fleisch; das wurde aus den Anrufen in der Telefon-Hotline ziemlich deutlich. Das gesamte Image unseres Landes als Standort mit gesunder Natur und gesunder Ernährung ist betroffen. Die Fragen „Kann ich meinen Kindern Milch geben?“, „Darf man Kosmetika benutzen?“, „Dürfen die Teddybärchen gegessen werden?“ und so weiter
zeigen die ganze Palette von Produkten, die wir bis jetzt als unbedenklich eingestuft haben, die in der Zwischenzeit Eltern aber doch in Besorgnis versetzen.
Neben der Ernährungswirtschaft geht es aber auch um den ländlichen Tourismus mit seinen familienfreundlichen Angeboten von Ferien auf dem Bauernhof oder um die vielen kulinarischen Feste während des ganzen Jahres, die als ziemlich einseitig zu bezeichnen wären, wenn eine bestimmte Fleischsorte nicht mehr auf dem Teller erscheinen würde.
Ohne Zweifel bedeutet die jüngste BSE-Krise eine schwere Belastung. Die Nachfrage nach Rindfleisch ist in weiten Teilen der Europäischen Union für unsere Landwirtschaft zumindest vorübergehend dramatisch zurückgegangen, teilweise gar zusammengebrochen. Einige Schlachthöfe haben Schlachttage ganz ausfallen lassen. Der Rindfleischmarkt ist praktisch zum Erliegen gekommen; es gab Tage, da konnte nicht einmal ein einheitlicher Preis festgelegt werden.
Hart trifft es also die rund 11.000 Rinderhalter in Schleswig-Holstein, die ihre Tiere zurzeit kaum vermarkten können. Ähnlich sieht es bei dem Export von Zuchtrindern aus. Die traditionell hohe Nachfrage nach schleswig-holsteinischen Zuchtrindern, weil sie höchste Qualität versprechen, aus der Europäischen Union und aus Drittländern ist vollständig zusammengebrochen.
Einige Betriebe werden also mit ernsthaften wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben. Es ist ihnen nur schwer zuzumuten, die zusätzlichen Kosten, die durch das Vorgehen gegen BSE entstehen, ganz allein zu tragen. Das heißt, auch die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich über den Ladenpreis daran beteiligen. Wer dieselbe Haltung hat, die er damals hatte, Trockenbeerenauslesen für 1,99 DM zu kaufen, und der sich dann hinterher wunderte, dass Glykol darin war, der darf sich nicht wundern, wenn in anderen Produkten genau dieselben systematischen Fehler wieder auftreten. Der Verbraucher muss sich also auch selbst fragen, ob er das tun will.
Die Qualität unserer landwirtschaftlichen Produkte, auch die von Fleisch, muss sich künftig mehr als bisher im Preis ausdrücken. Es macht nun einmal wirklich einen Unterschied in der Kostenlage aus, ob das Fleisch von einem Betrieb mit artgerechter Tierhaltung stammt oder aus einer Agrarfabrik kommt. Dabei ist artgerechte Tierhaltung nicht von der Betriebsgröße abhängig. Tiere können auch in größeren Beständen artgerecht gehalten werden. Allerdings hat eine solche Qualität auch ihren Preis, den der Verbraucher bereit sein muss zu zahlen.
Die europaweite Diskussion um BSE und seine Folgen wirft die Frage auf, welche Lehren für die europäi
sche Agrarpolitik zu ziehen sind. Wie soll es weitergehen? Ein schlichtes „Weiter so!“ wäre die falsche Antwort, das wissen wir in der Zwischenzeit. Anfang des nächsten Jahres werde ich gemeinsam mit dem Umweltund dem Landwirtschaftsministerium zu einem BSE-Symposium einladen, um Fakten und Zukunftsaussichten auf den Tisch zu bringen. Gemeinsam mit allen Beteiligten wollen wir diskutieren, welche Konsequenzen wir für Schleswig-Holstein ziehen können und welche Schritte wir auf bundespolitischer und europäischer Ebene anstoßen oder unterstützen wollen.
Einige Grundlinien sind in unserem Koalitionsvertrag schon angelegt, an die wir anknüpfen können. In der Vergangenheit haben wir jedoch oft hören müssen: „Das scheitert an europäischen Vorgaben oder an ökonomischen Rahmenbedingungen.“ Ich hoffe also, dass wir in Zukunft mehr Gehör finden und unsere Konzepte leichter umsetzen können. Ökonomisch gesehen scheint mir die jetzige Situation jedenfalls nicht besser zu sein, als sie es vorher war oder als die von uns angestrebte Situation mit vernünftigen Produktionspreisen.
Gott sei Dank ist Schleswig-Holstein keine solche Intensivregion, wie wir sie sonst in den landwirtschaftlichen Gebieten anderer europäischer Nachbarländer entdecken können. Es gibt kaum einen Betrieb, der mehr Tiere hat, als eine Familie allein versorgen kann. Bei uns sind die Tierbestände bis 1997 rückläufig gewesen. Aus ökonomischen Gründen haben wir das sogar beklagen müssen. Es ist daher besonders tragisch, dass der erste deutsche - und offensichtlich auch einzige - BSE-Fall ausgerechnet in einem typisch bäuerlichen Betrieb in Schleswig-Holstein aufgetreten ist. Allgemeine Schuldzuweisungen an die Landwirte sind ebenso fehl am Platz wie persönliche Vorwürfe an den Bauern Lorenzen.
Dennoch muss erschüttertes Vertrauen zurückgewonnen werden. Es kommt jetzt auf Transparenz und verlässliche Qualitätskontrollen an. Deshalb besteht die Forderung nach einer stärker verbraucherorientierten Landwirtschaft. In der Vergangenheit ist unter enormem Wettbewerbsdruck jede Möglichkeit genutzt worden, die Kosten zu senken, um günstiger arbeiten und anbieten zu können. Dies wurde zum Teil sogar mit krimineller Energie verfolgt. Wir Verbraucher haben uns in den letzten Jahren an die niedrigen Preise gewöhnt. Wer kauft nicht gern billig ein, um sein Geld auch noch für andere Sachen zur Verfügung zu haben?
Wer aber den Preis zum entscheidenden Kaufargument macht, erhöht den Druck auf die Agrarwirtschaft, noch billiger zu produzieren und weiß Gott nicht besser. So darf es nicht weitergehen, der Kreislauf muss unterbrochen werden. Wir dürfen die Kostenminimierung nicht über die Qualität der Produkte stellen. Umweltverträgliche Produkte, artgerechte Tierhaltung und Naturschutz sind Leistungen, die von der Landwirtschaft für uns alle erbracht werden. Das beweisen viele schleswig-holsteinische Betriebe Tag für Tag. Wir anderen müssen dafür auch ein Stück weit bezahlen.
Es wäre schön, wenn die Landwirtschaft aus dieser Krise heraus versuchen würde, eine Bewegung nach vorn zu entwickeln und sich mit an die Spitze einer qualitätsorientierten nachhaltigen Landwirtschaft zu stellen. Für die Tierhaltung in den Betrieben heißt das konkret: Hin zur „gläsernen Landwirtschaft“. Wir brauchen eine durchgängige Kennzeichnung von Rindfleisch, Rindfleischprodukten und weiteren Fleischprodukten. Geburts-, Mast- und Schlachtort des Tieres müssen auf dem Produkt erkennbar sein. Die artgerechte Tierhaltung muss dazu beitragen, die Tiergesundheit aufrechtzuerhalten. Arzneimittel dürfen nur nach medizinischer Indikation und nicht einfach so ins Futter gestreut werden. Antibiotische Zusätze zur Leistungssteigerung haben im Futter wirklich nichts zu suchen.
Schließlich brauchen wir ein durchgängiges System zur Qualitätssicherung in der Vermarktungskette. Um all dies zu erreichen, muss die gesamte Branche bei aller wirtschaftlichen Konkurrenz - eine gemeinsame Strategie entwickeln und umsetzen. Wer als Erzeuger und Vermarkter in Zukunft nicht in der Lage ist, den Nachweis einer umweltverträglichen und tiergerechten Produktion zu liefern, wird seine Kunden verlieren. Das Ziel muss eine gläserne Kette der Wertschöpfung zwischen Stall und Tisch sein. Wer es dann als Glied in dieser Kette noch wagt, die Regeln zu verletzen, der muss nicht nur von staatlichen Kontrollen erwischt werden, sondern von den anderen Partnern aus dieser Kette entfernt werden, weil er sie alle gefährdet, wenn er in dieser Kette bleibt. Das ist wie die Seilschaft beim Bergsteigen.
Ich hoffe, Sie nehmen es nicht als Zynismus auf, wenn ich sage, dass alle Beteiligten - Politik, Erzeuger,
Händler oder Verbraucher - die jetzige BSE-Krise auch als eine Chance begreifen. Jetzt kann man diskutieren und umsteuern. Es gibt Gelegenheit, grundsätzlich darüber nachzudenken, wie in Deutschland und Europa Lebensmittel produziert und vermarktet werden.
Es ist aus meiner Sicht jedenfalls sinnlos, das Problem zu verdrängen. Es geht längst nicht mehr um Rindfleisch. Schon tauchen neue Fragen auf, ob nicht auch das Verfüttern von Tiermehl an Schweine und Hühner eines Tages Folgen zeigen wird. In den vergangen Jahren wurden immer wieder neue Lebensmittelskandale bekannt. Dioxinverseuchte Hühnchen in Belgien, Würmer im Fisch, Schweinepest, Hormone im Kalbfleisch; da kann man nur sagen: Guten Appetit! So etwas kaufen und essen zu sollen, reizt nicht sehr.
Die Zahl der Lebensmittelallergien wächst von Jahr zu Jahr. In den so genannten Entwicklungsländern ist Hunger nach wie vor ein drängendes Problem, während wir die Sachen angeekelt wegschmeißen, weil wir sie nicht runterschlucken können. Gleichzeitig verursachen wir in den reichen Ländern der Welt die Folgen falscher, zu fetter und einseitiger Ernährung mit horrenden Kosten im Gesundheitswesen. Viele Menschen machen sich Sorgen über die Sicherheit ihrer Nahrung. Im Übrigen gilt nach wie vor, dass die Deutschen gemessen am europäischen Standard - zu viel Fleisch essen. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn die Produzenten versuchen, dem Wunsch nachzukommen.
In dieser Situation ist BSE ein heilsamer Schock. Schleswig-Holstein kann aus dieser Erfahrung heraus viel zu einer Diskussion über Verantwortung und verantwortungsvolle und qualitativ hochwertige Landwirtschaft beisteuern. Wir können unsere Erfahrungen aus den vergangenen Jahren einbringen. Landwirtschaftsministerin Franzen wird deshalb noch in diesem Jahr die Führungskräfte aus Land- und Ernährungswirtschaft im Beirat Ernährungswirtschaft an einen Tisch bringen. Zu unserem Konzept einer Gesundheitsadresse Schleswig-Holstein gehört auch gesunde Ernährung und ein vernünftiger Umgang. Hier haben wir einiges zu bieten. Die Zusammenarbeit zwischen dem Umweltministerium mit Herrn Müller und der Landwirtschaftsministerin Frau Franzen soll an dieser Stelle intensiviert werden.
Wir wollen unsere Erfahrungen und die von uns erarbeiteten Kompetenzen in die bundesweite Diskussion auch mit Kritik - einbringen, weil wir selber wissen, dass - bei aller Kontrolle - Fehler gemacht werden. Eines ist sicher: Den Ruf, BSE-Land zu sein, hat Schleswig-Holstein nicht verdient. Wir müssen alles
tun, um diesen schrecklichen Ruf wieder loszuwerden. Vielmehr müssen wir das Image zurückgewinnen: Gesunde, qualitativ hochwertige und gute Nahrung kommt aus unserem Land, aus Schleswig-Holstein.
(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie der Abgeordneten Peter Jensen-Nissen [CDU] und Joachim Behm [F.D.P.])