Protokoll der Sitzung vom 14.12.2000

(Beifall)

In der Loge begrüße ich unsere ehemalige Kollegin, die Bundestagsabgeordnete Frau Volquartz.

(Beifall - Zurufe)

Wird das Wort zur Begründung der Anträge gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Oppositionsführer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, keiner von uns kann behaupten, dass er nicht erschrocken war, als er am 24. November von dem ersten BSE-Fall in Deutschland - und dann auch noch in Schleswig-Holstein - erfuhr. Das kleine Dorf Hörsten hat über Nacht eine traurige Berühmtheit erlangt. Erstmals in Deutschland war eine typisch norddeutsche rotbunte Kuh, in Hörsten geboren und dort fünf Jahre lang im gleichen Stall gefüttert und umsorgt, von BSE befallen.

Frau Simonis, Sie haben völlig Recht, die Entwicklung für die 11.000 Rinderhalter ist hart, besonders hart ist sie aber für den Landwirt Lorenzen, der nicht nur Bewirtschafter eines typischen landwirtschaftlichen Betriebes war, sondern ganz besonders durch eine artgerechte Haltung seiner Tiere bekannt ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich begrüße Herrn Lorenzen, der uns heute zuhört, in der Loge. Ich kann ihm versichern, dass ihm wirklich das Mitgefühl des ganzen Parlamentes gehört.

(Beifall im ganzen Haus)

Aufgefallen ist dieser BSE-Fall allerdings nur, weil vorher ein großer Fleischabnehmer für die für ihn bestimmten Rinder einen Test erwartete, und zwar aus Marketinggründen. Unter dem Eindruck steigender

BSE-Zahlen in Frankreich wollte das Unternehmen den deutschen Verbrauchern signalisieren: „Unser Fleisch ist getestet.“ Bis zu diesem Zeitpunkt hatten alle verantwortlichen Politiker, insbesondere auch der Bundeslandwirtschaftsminister, immer wieder betont, Deutschland sei BSE-frei. Dabei hatte doch der SSC, der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss der EUKommission, das höchste wissenschaftliche Gremium der EU, Deutschland bereits am 1. August dieses Jahres zusammen mit Frankreich und der Schweiz in die Kategorie 3 eingestuft: „BSE-Risiko-Gebiet“. Der SSC begründete diese Einstufung damit, dass er BSE in Deutschland vermute, dies aber aufgrund der geringen Überwachungsintensität immer noch nicht entdeckt wurde, bis eben zu dem besagten 24. November. Auch wenn es manche nicht hören wollen, so hatten diese von Edeka initiierten freiwilligen Tests doch etwas Gutes. Möglicherweise sind dadurch Menschenleben gerettet worden; denn lange war es auch nur eine Vermutung und wissenschaftlich nicht abgesichert, und es dauerte viel zu lange, bis die Wissenschaft es erkannte, und vor allem, bis die Politiker in Europa überzeugt wurden: BSE kann auch Menschen infizieren.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir nennen dies die neue Variante der CreutzfeldtJakob-Krankheit, deren ursprüngliche Form 1920/21 entdeckt und nach ihren Endeckern benannt wurde. Wir wissen noch zu wenig über Infektionsraten und über Inkubationszeit beim Menschen. Aber wir wissen zum Beispiel, dass bei der Fütterung mit BSEverseuchter Nahrung die Infektionsraten bei Schafen 25 %, bei Ziegen 33 %, bei Mäusen und Nerzen sogar 100 % betragen. Daher ist die bisher für den Menschen angegebene Infektionsrate von 0,0001 % aufgrund des Artensprungs kaum glaubhaft.

Aber wir haben auch erst jetzt gehäufte Fälle der neuen Variante in Großbritannien und die ersten Fälle in Frankreich. Wir müssen in Zukunft mit weiteren Fällen rechnen, wahrscheinlich auch in Deutschland. Welche Ausmaße diese Form der BSE-Erkrankung annimmt, kann man wirklich nicht voraussagen. Die Fallzahl bei Rindern in Großbritannien seit 1989 liegt bei etwa 180.000 und das lässt Schlimmes befürchten.

Eines aber darf auf keinen Fall wieder passieren: Dass Risiken wie in der Vergangenheit kleingeredet werden. Da war Großbritannien ein wirklich unrühmliches Beispiel.

(Beifall im ganzen Haus)

Möglicherweise sind wir mit diesem Thema zu wenig sachlich umgegangen, nach dem Motto: Was nicht sein

(Martin Kayenburg)

darf, das nicht sein kann. Aber ich glaube, in einem sind wir uns heute mit allen Landwirten völlig einig: Verbraucherschutz muss Vorrang vor allem anderen haben.

(Beifall im ganzen Haus)

Ihr Regierungshandeln, Frau Simonis, lässt bei mir allerdings den Verdacht keimen, dass Reden und Handeln nicht immer übereingestimmt haben. Wie wollen Sie es denn in dieser Situation den Verbrauchern erklären, dass Sie gerade dabei sind, die Verbraucherzentrale als d i e unabhängige Institution, auf deren Urteil die Verbraucher vertrauen, kaputtzusparen? Die Verbraucherzentrale verliert im nächsten Jahr 325.000 DM oder 20 % an Landesmitteln. Sie steht kurz vor dem Konkurs. Sie muss zwölf qualifizierte Berater in die Arbeitslosigkeit entlassen und fast alle Zweigstellen schließen. Warum eigentlich werden die Mittel für die Landwirtschaftskammer, die Beratungsstelle für die Bauern unseres Landes, ebenfalls gekürzt, sodass auch diese an die Grenze ihrer Existenzfähigkeit gerät? Überhaupt nicht verständlich ist für uns, dass die Mittel für das Gütesiegel „Hergestellt und geprüft in Schleswig-Holstein“ gestrichen werden sollen.

(Zuruf von der CDU: Skandal!)

Der Verbraucher wird künftig nicht mehr wissen, woher die Lebensmittel kommen, die er einkauft. Das Vertrauen in die Wirtschaft des Landes geht verloren. Wir fordern daher, dass die Herkunftsinformation auch für verarbeitete Fleischwaren gelten muss. Wir wollen wissen, woher die Wurst kommt und was darin ist. Deshalb ist die Absicht der Landesregierung, das Gütesiegel finanziell nicht mehr zu unterstützen, absolut kontraproduktiv und im Übrigen auch nicht im Einklang mit Ihrer Rede, Frau Simonis, denn Sie selbst haben eben Herkunftsnachweise gefordert.

(Beifall bei der CDU und der F.D.P.)

Richtig, besonders in der jetzigen Situation, wäre es, diese Mittel zu verstärken, damit zusätzliche Aufgaben erfüllt werden können. Sie wissen genau: Die Ernährungswirtschaft ist ein wichtiger Faktor in unserem Land. Vor allem - da stimme ich Ihnen 100-prozentig zu -: Das durch BSE verloren gegangene Vertrauen muss kurzfristig zurückgewonnen werden.

Unabhängig davon will ich Ihnen gern attestieren, dass Sie, was das Kapitel „Information der Öffentlichkeit“ angeht, aus dem Fall „Pallas“ viel gelernt haben. Die Einrichtung der Leitstelle im Innenministerium, sogar die Einschaltung von Polizeibeamtinnen und -beamten als Berater war schon in Ordnung. Formal hat das Krisenmanagement sicherlich gestimmt. Was ich

allerdings eher als peinlich empfand, war der hektische Aktionismus Ihres Umweltministers.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Christel Hap- pach-Kasan [F.D.P.] Auch er hat aus dem Fall „Pallas“ gelernt. Während Sie, Frau Simonis, seinen Vorgänger noch anweisen mussten, sich doch endlich einmal an den Ort des Un- falls zu begeben, hat er schnell reagiert. Vielleicht hat er auch Angst gehabt, in einen Kuhstall geschickt zu werden. Aber dieser Umweltminister stand immer in der ersten Reihe, wenn Kameras da waren. Müller packt Testgeräte im Labor in Neumünster aus, Müller sitzt als erster Minister am Beratungstelefon, Müller verteilt Prospekte auf dem Wochenmarkt. (Demonstrativer Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Umweltminister, ich bescheinige Ihnen gern, dass Sie in Ihrer Zeit im Bundestag von Bundeskanzler Schröder viel gelernt haben: Es kommt auf Bilder an, weniger auf politische Inhalte.

(Beifall bei der CDU)

Herr Müller, Sie haben sich mehr um den eigenen Bekanntheitsgrad verdient gemacht als um die Lösung der BSE-Problematik in unserem Lande.

(Beifall bei der CDU)

Ihr Aktionismus passt so gar nicht zu dem Umgang mit dem betroffenen Landwirt. Kaum taucht die Vermutung einer Verseuchung der Böden auf - übrigens durch nichts belegbar -, schicken Sie Ihre Mitarbeiter auch gleich mit Kamerateam auf die Grundstücke des Landwirts, ohne ihn darüber auch nur zu informieren. Ihn selbst haben Sie wirklich erst nachträglich informiert.

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das stimmt aber nicht!)

In dieselbe Kategorie der Missachtung von Betroffenen fällt die Idee des Bundeslandwirtschaftsministers, zu Forschungszwecken den ganzen Hof in Hörsten aufkaufen zu wollen. Der Landwirt selbst hat darüber aus dem ZDF erfahren. Das ist in meinen Augen einfach ungehörig. Herr Müller, Sie sollten endlich erkennen, dass BSE nicht dazu dienen kann, mit ideologischen Aktionen für ökologischen Landbau zu sorgen, sondern es geht um die Erhaltung einer artgerechten Tierhaltung. Auch bei Ökolandbau sind Sie nicht vor BSE geschützt, Frau Fröhlich!

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Schwierig wird es für unser Land allerdings, wenn es um Kosten geht. Sie, Frau Simonis, sind nicht müde

(Martin Kayenburg)

geworden, den Bund zu Recht dafür anzugreifen, dass er sich an den Kosten der Tiermehlbeseitigung nicht beteiligen will. Aber ich will Sie dann doch fragen: Warum haben Sie dann im Bundesrat diesem Gesetzentwurf zugestimmt, obwohl die Kostenfrage bis zur Stunde ungeklärt ist? Warum haben Sie dem Gesetzentwurf zugestimmt, obwohl Sie doch wissen mussten, dass zumindest in unserem Lande keine ausreichenden Laborkapazitäten für die nun vorgeschriebenen Untersuchungen vorhanden waren? Ich glaube, Frau Simonis, da haben Sie sich vom Aktionismus Ihres Umweltministers ein bisschen anstecken lassen.

Aber nicht nur in Schleswig-Holstein verhindert Hektik gründliches Nachdenken. Bei der EU sieht das nicht besser aus. Ich frage mich, ob in Zukunft überhaupt noch eine Kuh in unserem Lande älter als 29 Monate und 29 Tage wird. 30 Monate alt wird sie jedenfalls bestimmt nicht mehr werden, denn dann müsste sie nach dem Schlachten teuer getestet werden. Solange aber die Kosten für die Tests beim Bauern, beim Schlachthof oder beim Händler hängen bleiben, wird es bestimmt keine 30 Monate alten Schlachtrinder mehr geben.

Aber aus Gründen des Verbraucherschutzes sollten wir auch - denn keiner ist sicher, dass nicht auch vor diesem Datum Infektionen möglich sind - solche Tests erforschen und anwenden, die auch schon früher eine entsprechende Krankheit erkennen ließen. Und aus diesem Grunde ist es sicherlich zu begrüßen, dass Frau Bulmahn jetzt angekündigt hat, ein entsprechendes Testprogramm auflegen zu wollen. Hier sind Forschungsmittel und deren EU-weite Koordinierung gefordert.

Die Frage, die wir uns allerdings außerdem alle stellen müssen, ist, warum trat BSE ausgerechnet und vor allem in der EU auf. Ich glaube, heute gibt es niemanden mehr, der daran zweifelt, dass der Umgang mit BSE im Vereinigten Königreich damit etwas zu tun hat.

Der Europaabgeordnete Reimer Böge hat schon früh von der britischen Regierung und auch von den EUKommissaren ein konkretes und konsequentes Handeln gefordert, also das Keulen kompletter befallener Herden und das Ex- und Importverbot von britischem Tiermehl. Ihm ist leider auch nicht gefolgt worden.

Mir macht darüber hinaus Sorge, dass die Marktmacht der großen Lebensmittelkonzerne bisher dazu führt, dass die Landwirte als Fleischproduzenten für die zusätzlichen Kosten aufkommen müssen. Deren Erlöse werden also erneut sinken, obwohl ihr Anteil am Ladenpreis für Fleisch schon immer bei weitem der geringste war.

Es sind aber nicht nur die BSE-Tests, die mit einer Eilverordnung geregelt wurden, sondern auch Bundestag und Bundesrat, die sonst Monate für ein Kleingesetz brauchen, haben in der vergangenen Woche innerhalb weniger Tage das schnellste Verfahren abgeschlossen, das je in der Bundesrepublik zu einem Gesetz geführt hat, nämlich das Verbot der Verfütterung von Tiermehl ausnahmslos an alle Tiere.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bedauerlich ist, dass die EU dem nicht gefolgt ist beziehungsweise nur bereit war, ein befristetes Verbot auszusprechen. Uns jedenfalls war seit 1994 die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer verboten. Wenn Tiermehl - hergestellt auch aus von BSE oder Scrapie befallenen Tieren - der Auslöser für BSE ist das ist zurzeit die Vermutung der Wissenschaft -, dann hätte die 1995 in Hörsten geborene Kuh die Krankheit überhaupt nicht haben dürfen, es sei denn, der Weg über die Nahrungskette könnte nachgewiesen werden. Und dieses „es sei denn“ ist das wirklich große Fragezeichen.

Bisher kann man wirklich nur spekulieren. Bestimmte Krankheiten können spontan auftreten. Gab es vielleicht noch Futterreste von vor 1994 in dem Stall? Waren in den Futtermitteltransportern Reste von Fuhren mit Tiermehl an Schwein- oder Geflügelzüchter? Waren die Weiden kontaminiert? All diese Fragen werden nur schwer aufzuklären sein, insbesondere aber die Frage: War es das Milchaustauschfutter bei der Kälberaufzucht, das tierische Fette enthält und auch enthalten wird, die auch stets geringe Mengen tierischen Eiweißes binden?

Da alle Tiere aus dem Stall getötet wurden, die Krankheit aber erst bei über 30 Monate alten Tieren wirklich feststellbar ist, wird man dazu auch keine konkreten Aussagen machen können, ob die Nachkommen der verseuchten Kuh vielleicht auch schon die Krankheit in sich hatten. Wir sollten auch ehrlich genug sein, bei den Tests zu sagen, dass ein positiver Test zwar nachweist, dass ein Tier befallen ist, ein negativer Test uns aber lediglich zeigt, dass die Probe nicht befallen war.

(Beifall des Abgeordneten Friedrich-Carl Wodarz [SPD])