Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen, und eröffne die heutige Sitzung.
Erkrankt sind immer noch die Abgeordneten Irene Fröhlich und Reinhard Sager, denen wir nochmals von hier aus gute Besserung wünschen.
Ebenfalls wünschen wir Herrn Abgeordneten Hay gute Besserung, der trotz seiner Stimmerkrankung unter uns ist.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 7. Juli des vergangenen Jahres hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" beschlossen. Ziel war es, die Voraussetzungen für eine schnelle und unbürokratische Entschädigung von Zwangsarbeitern zu schaffen. Insgesamt sollen 10 Milliarden DM zur Verfügung gestellt werden, je zur Hälfte von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft. Nach langen Diskussionen ist damit endlich eine Lösung erreicht, die den ausländischen Sklaven- und Zwangsarbeitern des NS-Regimes eine finanzielle Entschädigung zukommen lässt.
Seit der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges wurden Menschen aus allen besetzten Gebieten ins Deutsche Reich verbracht, um für die deutsche Kriegswirtschaft zu arbeiten - Zivilarbeiter wie Kriegsgefangene. Die allermeisten von ihnen kamen unfreiwillig, häufig mithilfe ständig wachsender Gewaltmaßnahmen - auch nach Schleswig-Holstein.
Nimmt man alle ausländischen so genannten Fremdarbeiter, die Kriegsgefangenen und ausländischen KZHäftlinge zusammen, die in unserem Land arbeiten und größtenteils leiden mussten, so sprechen wir über eine Zahl von über 200.000 Menschen. Die Zahl der Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein lag damit um zirka ein Drittel höher als im Durchschnitt des Deutschen Reiches. Besonders stark vertreten waren hier bei uns Polen und die so genannten Ostarbeiter, also Bürger der Sowjetunion, die aus rassistischen Motiven besonders schlecht behandelt wurden.
Knapp die Hälfte der ausländischen Arbeitskräfte war in der Landwirtschaft beschäftigt. In neun von zehn bäuerlichen Betrieben arbeiteten Ausländer. Zwangsarbeit war also - das ist keine neue Erkenntnis - im ganzen Land und für jeden sichtbar. Ein gutes Drittel der ausländischen Arbeiter war in der Rüstungsindustrie und bemerkenswerte 10 % im öffentlichen Dienst, also bei Kommunen, Kreisen oder der Provinzialverwaltung untergebracht.
Es gibt - das möchte ich an dieser Stelle gern erwähnen - zurzeit kein anderes Bundesland, das über eine bessere Daten- und Wissenslage über Zwangsarbeit verfügt als Schleswig-Holstein. Deswegen sei an dieser Stelle mit Lob und Dank das umfangreiche Gutachten vermerkt, das das Institut für Zeit- und Regionalgeschichte in Schleswig-Holstein im Auftrag der Landesregierung in nur sehr wenigen Monaten erstellt hat.
Über viele Jahre haben sich die Menschen im Nachkriegsdeutschland kaum für das Schicksal der Zwangsarbeiter interessiert. Andere Themen schienen dringlicher. Anderes in Hitler-Deutschland begangenes Umrecht war scheinbar augenfälliger. Gerade in Schleswig-Holstein, in dem so manche NS-Karrieren im Staats- und Justizapparat nach 1945 erstaunlich bruchlos weitergeführt werden konnten, war das Thema der Opferentschädigung immer ein schwieriges. Die Geschichte der Entschädigung der NS-Opfer ist ohnehin ein trauriges Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Lange blieben viele Verfolgte und Gequälte ausgeklammert - so genannte Asoziale, Homosexuelle, geistig Behinderte, Kommunisten und andere mehr. Und viel zu lange hat es gedauert, bis unsere Gesellschaft auch die Verantwortung für das Verbrechen an ehemaligen Zwangsarbeitern übernahm. Viele von ihnen wurden in Deutschland geschunden oder schlicht ermordet. Manche hatten es besser, kamen über die Runden. Natürlich gibt es auch
Beispiele für menschliche Behandlung. Doch allen diesen Menschen wurde ein wichtiger Teil ihres Lebens geraubt, alle waren erniedrigt und der Macht ausgeliefert, alle aus der Heimat gerissen und von ihren Familien getrennt.
Es verwundert nicht, dass manchen der ehemaligen Zwangsarbeitern die Anerkennung des ihnen zugefügten Unrechts noch wichtiger ist als die vergleichsweise geringe materielle Entschädigung. Es verwundert nicht, es beschämt.
Die Stiftungsinitiative für die Entschädigung der NSZwangsarbeiter, die von allen Bundestagsfraktionen mitgetragen wurde, stellt mit der Beteiligung der öffentlichen Hand in Höhe von 5 Milliarden DM einen großen finanziellen Kraftakt dar. Um so bedenklicher stimmt es, dass dem gleich hohen Anteil der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft nun schon über Monate hinweg immer noch ein Betrag von 1,4 Milliarden DM fehlt. „Alte Nachricht: Endgültige Blamage“ titelte Anfang dieser Woche am Montag der Berliner „Tagesspiegel“. Gerade deshalb steht es uns gut zu Gesicht, das Engagement derjenigen Betriebe 150 an der Zahl - in unserem Land, in Schleswig-Holstein, zu würdigen, die sich zu ihrer historischen Verantwortung eindeutig bekennen.
Wir appellieren gleichzeitig an alle Unternehmen und an die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, sich an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zu beteiligen, unabhängig davon, ob diese Unternehmen in der jetzigen Form damals bereits existierten.
Ich möchte einen weiteren Punkt hinzufügen. Der Respekt vor den noch lebenden Opfern gebietet es, vorhandene Informationen, beispielsweise aus Firmenarchiven, zur Verfügung zu stellen, um die laufenden Entschädigungsverfahren zu beschleunigen. Die oft hochbetagten Menschen müssen laut Stiftungsgesetz die Leistungsberechtigung nachweisen. Ihnen dies zu erleichtern, sollte uns allen Verpflichtung sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich einen schwierigen Punkt ansprechen. Die jetzt gefundene Regelung definiert drei Gruppen von Leistungsberechtigten. Ich will das nicht im Detail ausführen. Eine dritte Gruppe, die man zynisch „minderschwere Fälle“ nennen könnte und unter die ohne Weiteres vermutlich auch die damals in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen subsumiert werden müssen, haben vermutlich wenig
Chancen, auch nur eine kleine symbolische Entschädigung zu erhalten. Es gehört wenig Fantasie dazu, sich das auf Grund der Unterlagen vorzustellen.
Die Entscheidung über die Vergabe der Entschädigungsmittel nach dem Grad der Verfolgung wurde den Opferverbänden übertragen. Ich bin nicht davon überzeugt, dass das eine richtige Entscheidung war.
Ich will das gern begründen. Das Ausklammern der Zwangsarbeit auf dem Land gilt leider auch für viele dieser Verbände. Vielleicht mag das dadurch erklärbar sein: Wer selbst in den Rüstungsbetrieben dem Programm "Vernichtung durch Arbeit" ausgeliefert war, mag ein verharmlosendes Bild von Zwangsarbeit auf dem Land im Kopf haben. Die aggressiven Reaktionen amerikanischer Opferanwälte auf entsprechende vorsichtige Einlassungen des Beauftragten der Bundesregierung Graf Lambsdorff nähren ein wenig diese Befürchtungen.
Gerade weil die Sorge besteht, dass diejenigen, die in Schleswig-Holstein waren, nicht unter die Entschädigungsrichtlinien fallen, sollten wir das wenige tun, was wir vermögen:
Nur wenn wir unseren Teil an historischer Verantwortung leben, können wir uns guten Gewissens gegen jene zur Wehr setzen, die heute unter Leugnung und Verdrehung der Geschichte wieder Rassismus, Gewalt und Fremdenhass predigen.
Mit unserer heutigen Resolution im Landtag wollen wir auch eine Brücke schlagen zu dem, was morgen aus Anlass der 56. Wiederkehr des Tages der Befreiung von Auschwitz bekundet werden wird: den Anfängen von Intoleranz, Gewalt und Rassismus zu wehren. Auch dieser demokratischen und zutiefst humanistischen Verpflichtung soll unsere heutige Resolution dienen.
Ich möchte hinzufügen: Wir haben - deswegen liegt Ihnen eine neue Drucksache auf dem Tisch - einige Anregungen von der CDU aufgenommen und hoffen, dass damit eine gemeinsame Verabschiedung dieser Resolution im Hause möglich ist.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Juli des vergangenen Jahres legte das Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte eine umfängliche historische Statuserhebung zur Zwangsarbeit beziehungsweise Ausländerbeschäftigung im Land Schleswig-Holstein während des Zweiten Weltkrieges vor.
Seit Beginn des Zweiten Weltkrieges war es Ziel der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, aus den besetzten Ländern Kriegsgefangene und so genannte Zivilarbeiter zur Stützung der deutschen Kriegswirtschaft ins Deutsche Reich zu verbringen. 1944 betrug die Zahl dieser Arbeitskräfte zirka 8 Millionen. Der größte Teil stammte aus Osteuropa: 2,8 Millionen aus den besetzten Teilen der Sowjetunion - Russen, Ukrainer, Weißrussen - und 1,7 Millionen aus Polen. Aber auch aus westeuropäischen Ländern kamen Fremdarbeiter, allein aus Frankreich 1,2 Millionen. Insgesamt waren zwischen 1940 und 1945 im so genannten Reichseinsatz zirka 9,5 Millionen Ausländer tätig.
Dabei übertraf die Zahl der Personen, die durch Zwangsaushebungen ins Reich kamen, die Zahl der Freiwilligen bei weitem. Zwar gab es in allen besetzten Ländern Personen, die sich aus den verschiedensten Beweggründen freiwillig zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich meldeten. Da deren Zahl aber weit hinter den Erwartungen der Nationalsozialisten zurückblieb, griffen sie zum Mittel der gewaltsamen Zwangsaushebung, insbesondere in Polen und in den besetzten Teilen der Sowjetunion.
Die Hauptausbauphase der Ausländerbeschäftigung in Schleswig-Holstein fiel in den Zeitraum 1941 bis 1942. Im Sommer 1942 wurde die Marke der 100.000 überschritten, um 1944 mit 134.000 Zivilarbeitern den Höchststand der von der Arbeitsverwaltung gesteuerten Ausländerbeschäftigung zu erreichen. Mehr als zwei Drittel von ihnen waren aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion und aus Polen nach SchleswigHolstein deportiert worden.