Protocol of the Session on January 24, 2002

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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen allen einen schönen Morgen! Das Präsidium beabsichtigt, die Beratungen wiederaufzunehmen. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Humboldt-Schule, Kiel, sowie Unteroffiziere der Luftwaffe als Gäste der Hermann-Ehlers-Akademie zu Kiel begrüßen. - Allen Besucherinnen und Besuchern ein herzliches Willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Beifall)

Nach Mitteilung der Fraktionen ist Frau Abgeordnete Dr. Gabriele Kötschau beurlaubt. Frau Abgeordnete Monika Heinold ist erkrankt. Wir wünschen Frau Heinold von dieser Stelle aus gute Besserung!

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein. Entsprechend der Vereinbarung rufe ich Tagesordnungspunkt 37 auf, der gestern aus Zeitgründen nicht mehr aufgerufen wurde:

Angebote der Prävention bei Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein

Landtagsbeschluss vom 16. November 2001 Drucksache 15/1306 Nr. 3

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/1499

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1530

Für die Landesregierung erteile ich Frau Jugendministerin Lütkes das Wort zum Bericht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen in Erfüllung des Beschlusses vom November 2001 den Bericht über Angebote der Prävention bei Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein vorgelegt. Dieser Bericht steht in engem Kontext mit der gestrigen Debatte über den Umgang mit dem Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, aber auch in Schleswig-Holstein. Der Bericht geht zunächst von dem Präventionsbegriff der Vorbeugung aus, der seinen Ursprung in der Medizin, aber auch in der Kriminalpolitik hat. Er beinhaltet die Vorbeugung von Gewalt als Mittel gegen die Verschlechterung eines Zustandes.

Wir gehen ebenso wie die Fachwelt davon aus, dass dieser Begriff für die Aufgabe, mit Gewalt in dieser

3800 Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 51. Sitzung - Donnerstag, 24. Januar 2002

(Ministerin Anne Lütkes)

Gesellschaft sowie mit dem Rechtsextremismus fertig zu werden, zu eng gefasst ist. Der Präventionsbegriff muss auf die Akzeptanz der Aufgabe, ein Lebenskonzept zu entwickeln, erweitert werden. Es geht um das Konzept, Kindern und Jugendlichen eine Kultur des Aufwachsens zu garantieren. Es geht um eine Aufwachskultur, die von einer Gesellschaft geprägt ist, die die kulturelle Bedeutung ihrer aktuellen Situation ernst nimmt. Es geht um eine Kultur, die von Wissen, Bildung, ethischen Grundsätzen und der Verantwortungsübernahme für den anderen geprägt ist. Es geht um eine Kultur, die geprägt ist von Aufrichtigkeit und rechtsstaatlichen Grundsätzen.

Kinder und Jugendliche werden die Verantwortung für diese Gesellschaft nur übernehmen können, wenn sie eine grundsätzlich positive und wissensgeprägte Einstellung zu dieser Gesellschaft haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Daher nehme ich an dieser Stelle die Gelegenheit wahr, dem Kinderschutzbund und allen Verbänden der Jugendhilfe zu danken. Ich danke aber auch allen, die sie dabei unterstützt haben, dass im vergangenen Jahr die Kampagne „Mehr Respekt vor Kindern“ sehr erfolgreich durchgeführt worden ist. Insbesondere danke ich auch dafür, dass die Träger dieser Kampagne sich dazu bereit erklärt haben, sie in 2002 fortzuführen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der Abgeordneten Torsten Geerdts [CDU] und Dr. Heiner Garg [FDP])

Unser Ziel muss sein, die Grundeinstellung zu Gewalt in dieser Gesellschaft zu verändern. Dazu gehört die Akzeptanz des Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung. Das darf nicht nur in Form von Presseerklärungen geschehen, sondern muss in Form von grundsätzlichen Einstellungen geschehen, deren Umsetzung beispielsweise in Schweden nach einigen Jahren intensiver Arbeit gelungen ist. Daher gilt mein Dank auch allen in diesem hohen Hause, die diese Kampagne unterstützt haben und sie weiter tragen werden.

Einstellungen werden auch durch das Alltagsgeschehen in der Politik geprägt. Herr Präsident, insofern erlauben Sie mir an dieser Stelle die Bemerkung, dass auch das Umgehen mit rechtsstaatlichen Verfahren Bedeutung hat, wenn wir über Einstellungen zur Zivilgesellschaft diskutieren. Insofern erlaube ich mir die Bemerkung, dass das Verhalten des Bundesinnenministeriums sicher nicht hilfreich war.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Heiner Garg [FDP])

Gerade das höchste Verfassungsorgan, das Bundesverfassungsgericht, muss in jeder Lage des Verfahrens geachtet werden. Der Sachvortrag muss umfassend sein.

Wenn wir über die Kultur des Aufwachsens sprechen, dann sprechen wir auch von Vorbildern. Jeder Mensch macht Fehler, aber wir müssen uns alle bemühen, diese Vorbildfunktion - auch in der Politik - zu erfüllen. Ich bin sicher, dass sich die Landesregierung dieser Verantwortung bewusst ist und dass die Landesregierung sich gerade dieser Kultur verpflichtet fühlt. Sie muss nicht - wie es am Ende der gestrigen Debatte anklang - den Vergleich mit anderen Landesregierungen scheuen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Was die rechtsstaatlichen Grundsätze angeht, muss sie gerade den Vergleich mit Ländern nicht scheuen, in denen die FDP an Regierungen beteiligt ist. Wenn wir darüber sprechen, dass wir Präventionsaufgaben zu erfüllen haben, müssen wir auch darauf achten, dass die Reaktion auf strafrechtlich relevantes Verhalten bei Jugendlichen rechtsstaatlich ist. Gerade die Vorschläge, die von Regierungen unter Beteiligung der FDP gemacht werden, beispielsweise das Jugendgerichtsverfahren zu verwässern, sind nicht geeignet, die Einstellung der Jugendlichen zu dieser Zivilgesellschaft positiv zu unterstützen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Aus der Ferne ist es leicht, die Hände in Unschuld zu waschen. Die eigenen Grundpositionen durchzuhalten, ist aber auch in der Politik entscheidend und hat Vorbildcharakter. Ich wiederhole, dass wir hier Vergleiche nicht zu scheuen haben.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In diesem Sinne leistet die Landesregierung weiter Präventionsarbeit. Wir werden im Sinne des Auftrags des Landtags intensiv die Zusammenarbeit mit den Kommunen fördern und fortsetzen. Ich bin mir in diesem Punkt einer breiten gesellschaftlichen Übereinstimmung sicher.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts das Wort.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 51. Sitzung - Donnerstag, 24. Januar 2002 3801

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat in seiner Sitzung am 16. November 2001 beantragt, zu dieser Tagung einen Bericht über das Angebot an präventiven Maßnahmen zur Bekämpfung des Extremismus und der Ausländerfeindlichkeit vorzulegen. Ich hätte mir von der Landesregierung bei der Auflistung dieser Maßnahmen etwas mehr Redlichkeit gewünscht. Oder können Sie mir die Frage beantworten, was zum Beispiel Prävention zum Thema Essstörung mit der Extremismusbekämpfung oder der Ausländerfeindlichkeit zu tun hat?

Sie listen hier Präventionsmaßnahmen jeglicher Art auf und tun so, als würden Sie damit Extremisten von links oder rechts bekämpfen können. Was hat das Projekt „Schutzengel“ mit dem Thema Ausländerfeindlichkeit gemeinsam? Dort werden präventive Angebote für Eltern zur Vermeidung von Erziehungsproblemen bei Kleinkindern angeboten. Was hat das in Schafflund existierende Projekt „Schule im ländlichen Raum - auf dem Weg vom Lernort zum Lebensort“ mit der Ausländerfeindlichkeit oder dem Extremismus zu tun?

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Über so viel Ignoranz kann man nur stauen!)

Ich nenne weitere Beispiele, die hier aufgezählt werden - ganz ruhig, Frau Fröhlich, wir fangen doch erst an -: „Flux-Kinderwege für das Land“, „Sicherheitswesten für Erstklässler“, „Fahrradprüfungen“. Damit bekämpfen Sie den Extremismus in diesem Land!

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Diese Fragen muss man zu einer Vielzahl der von der Landesregierung aufgezählten Projekte präventiver Jugendarbeit stellen. Was Sie hier vorgelegt haben, ist in weiten Teilen Aktionismus und die CDU-Landtagsfraktion hat ihre Zweifel daran, ob es richtig ist, jede jugendpolitische Initiative nur noch unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der Ausländerfeindlichkeit und des Extremismus von links oder rechts zu stellen. Die jungen Menschen wollen sich nicht ständig in solche Ecken gestellt sehen. Die übergroße Mehrzahl der jungen Menschen ist ausländerfreundlich, tolerant und lehnt jede Form des Extremismus ab.

(Beifall bei CDU und FDP)

Neben den eben genannten Kritikpunkten schmückt sich die Landesregierung auch noch mit falschen Federn in dem Bericht. Unter den von Ihnen gelobten präventiven Maßnahmen befindet sich auch das Kinder- und Jugendtelefon sowie das Elterntelefon, also

ein Angebot für Kinder und Eltern, wo man ohne Hemmschwellen, ohne dass Kosten entstehen, unbürokratisch Hilfe abrufen kann. Hier werden ganz konkrete Hilfestellungen organisiert und Kontakte hergestellt, um Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie Gewalt unter Kindern und Jugendlichen zu verhindern. Was ist es für eine Unaufrichtigkeit, dieses ehrenamtliche Angebot an Prävention als rot-grünen Erfolg zu nennen? Es waren im Dezember 2001 die Sozialdemokraten und die Grünen, die hier im hohen Hause eine finanzielle Unterstützung des Kinder- und Jugendtelefons abgelehnt haben.

(Zurufe von der CDU: Hört, Hört!)

Ihre in dem Bericht vorgelegte Aufzählung von Vereinen und Verbänden, die Angebote der Prävention bei Kindern und Jugendlichen unterbreiten, haben mit den Leistungen dieser Landesregierung nur wenig zu tun.

(Beifall des Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU])

Erinnern muss ich Sie an dieser Stelle daran, dass SPD und Grüne den Antrag der CDU, für die Förderung der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit 2 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung zu stellen, abgelehnt haben. Mit diesem Geld hätten die Jugendämter vor Ort gemeinsam mit den Aktiven der Jugendarbeit passgenaue Präventionsangebote entwikkeln können. Es waren SPD und Grüne, die die Maßnahmen der außerschulischen Jugendbildung gekürzt haben. Und es waren SPD und Grüne, die dafür gesorgt haben, dass die Haushaltsmittel für die Jugendbildungsreferenten deutlich gekürzt worden sind. Diese Referenten sorgen dafür, dass die vielen Ehrenamtler der Jugendverbandsarbeit eine professionelle Unterstützung erhalten. Wo, wenn nicht in der Jugendverbandsarbeit, wird eigentlich mehr zur Bekämpfung von Jugendgewalt und Extremismus geleistet? SPD und Grüne haben hier allerdings die Mittel gekürzt.

Genau diese Fraktionen fordern jetzt eine Vernetzung bestehender Projekte. Das mag im Einzelfall richtig sein, aber bevor wir vernetzen, müssen wir uns über die finanziellen Grundlagen und die Ausrichtung einzelner geförderter Projekte überhaupt erst einmal unterhalten.

Insgesamt gilt: Wer das Augenmaß verliert und nur das Problem des Rechtsextremismus beschreibt, alle anderen Probleme aber ausblendet, trägt zur Abstumpfung in der Bevölkerung bei.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch der Ab- geordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Torsten Geerdts)