Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Erkrankt sind die Ministerin Heide Moser und die Abgeordneten Wolfgang Fuß und Bernd Schröder. Wir wünschen allen gute Besserung!
Hierzu hat die Landesregierung heute einen schriftlichen Bericht vorgelegt, der Ihnen als Drucksache 15/1753 vorliegt. Zu dem Bericht erteile ich dem Minister für Finanzen und Energie, Herrn Claus Möller, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 14. Dezember 2001 ist im Sicherheitsbehälter des Atomkraftwerks Brunsbüttel in unmittelbarer Nähe zum Reaktordruckbehälter, dem Herzstück des Kernkraftwerks, eine Rohrleitung abgerissen. Diese Rohrleitung mit einem Durchmesser von 100 mm wurde durch eine Explosion über einen Teilbereich von zirka 3 m regelrecht zerfetzt. Die bei der Befundsaufnahme zu Dokumentations- und Beweiszwecken gefertigten Fotos haben selbst erfahrene Experten sprachlos gemacht. Welche Kräfte müssen gewirkt haben, dass eine solche Schädigung einer Rohrleitung eintreten konnte?
Die Landesregierung und das Bundesumweltministerium messen dem Ereignis vom 14. Dezember 2001 eine hohe sicherheitstechnische Bedeutung bei. Deshalb habe ich unverzüglich - nach bekannt werden der Dimension des Störfalls am 18. Februar 2002 - das BMU, die Öffentlichkeit und die Regierung informiert. Auch die Erkenntnisse, die wir nach einer ersten weiter gehenden Sichtung des Schadens und seiner Umstände gewonnen haben, habe ich in einer Pressekonferenz vom 5. März eingehend erläutert. Es wundert
mich schon, wenn Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, in einer gemeinsamen Presseerklärung am gleichen Tag den Eindruck erwecken, als gehe es hier um eine unbedeutsame Kleinigkeit, um eine Lappalie, die die Bevölkerung nichts angehe. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in ihrer Pressemitteilung vom gleichen Tag vehement Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit eingefordert und das ist richtig so.
Bevor ich die Ereignisse bewerte und zu den veranlassten Maßnahmen komme, möchte ich Ihnen in groben Zügen erläutern, was im Dezember letzten Jahres im Kernkraftwerk Brunsbüttel vorgefallen ist und wie dieser Störfall aufgedeckt wurde. Am 14. Dezember 2001 kam es um 13:08 Uhr im Atomkraftwerk Brunsbüttel zu einer Dampffreisetzung im Sicherheitsbehälter. Die Schichtmannschaft interpretierte verschiedene, auf der Warte auflaufende Anzeigen und Rechnermeldungen als eine Leckage in der so genannten Reaktordruckbehälterdeckel-Sprühleitung. Dieser Bereich wurde mit einer fernbedienten Armatur nach 4 Minuten von der Schichtmannschaft abgesperrt. Das Problem war damit aus der Sicht der Schichtmannschaft der Betreiberin beseitigt.
Am 17. Dezember wurde das Energieministerium als Aufsichtsbehörde von der Betreiberin telefonisch über das Ereignis informiert. Nach Darstellung der Betreiberin handelte es sich bei dem Ereignis vom 14.12.2001 um eine unbedeutende Dichtungsleckage an einem Flansch. Ungeachtet dessen forderte die Reaktorsicherheitsbehörde vom Kernkraftwerk Brunsbüttel die sofortige Vorlage eines Berichts zu dem Ereignis. Am gleichen Tag beauftragte das Ministerium zudem den TÜV Nord, gutachterliche Untersuchungen aufzunehmen. Das Ministerium erstellte noch am 18. Dezember eine ausführliche Fragenliste und forderte die Betreiberin noch am 19. Dezember in einem Aufsichtsgespräch auf, auch die Möglichkeit einer möglichen Radiolysegasexplosion - also einer Wasserstoffexplosion - als Ursache der Leckage in die Untersuchung einzubeziehen. Am 21. Dezember folgte der schriftliche Auftrag an den TÜV Nord, wonach er die sicherheitstechnische Unbedenklichkeit des Weiterbetriebs der Anlage beurteilen und in einem weiteren Schritt die Ereignisse umfassend bewerten sollte.
Die KKB GmbH legte am gleichen Tag einen vorläufigen Ereignisbericht vor, wonach eine spontane Dichtungsleckage die wahrscheinliche Ursache des Ereignisses sei und somit das Ereignis noch unterhalb der Meldeschwelle anzusiedeln sei. Der TÜV legte dann am 16. Januar dieses Jahres seine gutachterliche
Stellungnahme vor. Danach wollte er eine sicherheitstechnische Unbedenklichkeit des Weiterbetriebs der Anlage nur attestieren, wenn spätestens bis Ende Januar ein Riss in der druckführenden Umschließung als Ursache der von der Betreiberin angenommenen Leckage ausgeschlossen werden könne. Dieser Forderung unseres Gutachters haben wir uns angeschlossen.
Zugleich gelangte das Ministerium bei seiner intensiven aufsichtlichen Verfolgung der Gesamtproblematik zu dem Ergebnis, dass die Erklärungen der Betreiberin nicht schlüssig waren und forderte weitere Betriebsaufzeichnungen an. Wir drängten auf eine Inspektion, mit der zweifelsfrei geklärt werden sollte, ob die Erklärung der Betreiberin hinsichtlich einer spontanen Flanschleckage zutreffend war. In einem weiteren Fachgespräch am 17. Januar erklärte die Betreiberin, bis Ende Januar die vom Ministerium geforderte Inspektion durchzuführen. Unabhängig davon forderte das Ministerium von der KKB erneut die Vorlage von Analysen zur Radiolysegasreaktion, das heißt die Vorlage von Analysen zur Explosion, in denen sich detailliert mit den vorhandenen Betriebsaufzeichnungen auseinander gesetzt werden sollte.
In einem nachfolgenden Aufsichtsgespräch vom 25. Januar widerrief die Betreiberin ihre Erklärung zur Durchführung der Inspektion. Sie trug weiter gehende Analysen vor, mit denen sie die Vermutungen des Ministeriums über unzulässige Belastungen des Rohrleitungssystems widerlegen wollte. Am 31. Januar geschah dies in schriftliche Form.
Die Zweifel der Reaktorsicherheitsbehörde an der Richtigkeit der Einschätzung des Ereignisses durch das Kraftwerk konnten auch nach intensiver Prüfung dieser Analysen nicht beseitigt werden. In einem weiteren Aufsichtsgespräch bekräftigten wir am 5. Februar die Notwendigkeit, dass eine Inspektion durchzuführen ist. Da die Betreiberin diese nicht freiwillig durchführen wollte, forderte das MFE in einem abschließenden Schreiben vom 8. Februar das Kraftwerk auf, die Inspektion durchzuführen oder sich abschließend bis zum 13. Februar zu äußern. Erst unter dem Druck einer drohenden Anordnung erklärte sich die Betreiberin mit Fristablauf bereit, die Inspektion durchzuführen.
In Anwesenheit von Mitarbeitern der Aufsichtsbehörde und unter Beteiligung von Sachverständigen wurde am 18. Februar die Anlage auf circa 10 % Leistung heruntergefahren und inspiziert. Festgestellt wurde, dass es sich bei dem Ereignis vom 14. Dezember eben nicht um eine bloße Flanschleckage, sondern um den Abriss einer Rohrleitung im Sicherheitsbehälter gehandelt hat.
Das Ministerium unterrichtete wegen der übergreifenden Bedeutung dieses Ereignisses noch am selben Tag das Bundesumweltministerium. Eine aufsichtliche Begehung des Sicherheitsbehälters des Atomkraftwerkes zu einer ersten Schadensaufnahme erfolgte unter Beteiligung von Sachverständigen am 20. Februar, eine zweite am darauf folgenden Tag mit Vertretern des Bundesumweltministeriums aus Berlin.
Mit einem umfangreichen Untersuchungs- und Aufklärungsprogramm fordert das Ministerium von der Betreiberin eine detaillierte und vollständige Aufklärung des Vorfalls und benennt die Themenfelder, die im Detail abgearbeitet werden müssen. Unser Ziel ist eine einwandfreie Klärung des Schadensmechanismus. Die Möglichkeit einer Wiederholung, auch in anderen sicherheitstechnischen wichtigen Bereichen der Anlage, muss mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können.
Sämtliche Schäden müssen sachgerecht repariert werden, die Funktionssicherheit der beeinflussten Systeme muss gewährleistet werden.
Die Betreiberin des Kernkraftwerkes Brunsbüttel hat ihre Bereitschaft, den Fragenkatalog - er ist dem Bericht ausführlich abgehandelt; ich will ihn nicht im Einzelnen verlesen - abzuarbeiten, erklärt. Sie beschäftigt, das Kernkraftwerk Brunsbüttel nicht ohne eine ausdrückliche Zustimmung des MFE wieder anzufahren.
Die Landesregierung hält den Störfall vom 14. Dezember 2001 in Übereinstimmung mit dem BMU und anderen Fachkundigen für gravierend. Die sicherheitstechnische Bedeutung des Vorfalls liegt zum Ersten in der Tatsache begründet, dass eine Explosion im Sicherheitsbehälter aufgetreten ist, die zumindest die Betreiberin für sehr unwahrscheinlich hielt.
Zum Zweiten befindet sich der Explosionsort in unmittelbarer Nähe des Reaktordruckbehälters. Wäre die Explosion drei bis vier Meter weiter in Richtung Reaktordruckbehälterdeckel aufgetreten, hätte dies zu einem Kühlmittelverluststörfall mit der dann notwendigen Anforderung der Notkühleinrichtungen führen können.
Der Störfall wirft komplexe Sicherheitsfragen auf. Er hat daher eine Bedeutung, die weit über SchleswigHolstein hinausgeht. So überrascht das nationale und internationale Interesse nicht. Unter anderem beschäftigt sich das Bundesumweltministerium unter Hinzuziehung der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und unter Beteiligung der Reaktorsicherheitskommission sehr intensiv mit der Problematik. Natürlich sind auch
alle anderen vergleichbaren Siedewasserreaktoren angeschrieben worden, vergleichbare Fälle zu untersuchen. Der Umweltausschuss des Bundestages hat sich umfangreich informieren lassen.
Die Landesregierung hält den Störfall aber auch deshalb für bedeutsam, weil die Behandlung des Ereignisses durch die Betreiberin die Frage nach dem Sicherheitsmanagement und der Zuverlässigkeit der Betreiberin auslöst.
Die Reaktorsicherheitsbehörde wird auch der Frage nachgehen, ob wirtschaftliche Erwägungen für das Verhalten der Betreiberin maßgeblich waren und warum die Betreiberin nicht zu einem früheren Zeitpunkt und letztlich erst durch das Ministerium gezwungen eine Inspektion durchgeführt hat.
Die Betreiberin hat im Verlauf des aufsichtlichen Prozesses immer wieder die für sie harmloseste Variante unterstellt und alle Anzeichen auf größere Belastungen ignoriert. Die Frage nach dem Vorhandensein eines ausreichenden Sicherheitsmanagements und die Frage der atomrechtlichen Zuverlässigkeit stehen damit auf dem Prüfstand.
Erste zum Themenkomplex Zuverlässigkeit eingeholte Stellungnahmen verantwortlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Betreiberin sind bei uns eingegangen. Sie werfen eine Reihe weiterer Fragen auf. Teilweise haben wir Widersprüche aufgedeckt, denen wir weiter nachgehen müssen.
Auch wegen dieser offenen Fragen habe ich am 20. März 2002 unter Beteiligung des zuständigen Abteilungsleiters des Bundesumweltministeriums mit dem für Kernkraftwerke zuständigem HEWVorstandsmitglied, Herrn Lubitz, ein ausführliches und konstruktiv-kritisches Aufsichtsgespräch geführt. HEW hat uns daraufhin am 21. März ausdrücklich noch einmal bestätigt, dass sie konstruktiv an einer vollständigen, lückenlosen Aufklärung mitarbeiten wollen, und die Erfüllung von vier Forderungen zugesagt, die im Zusammenhang mit der Frage der Zuverlässigkeit des Betreibers und der Kommunikationswege aufgetaucht sind.
Erstens. Die HEW stellen eine unabhängige Durchführung der Aufklärungsmaßnahmen sicher. Ich denke nicht, dass nur die direkt betroffenen Verantwortlichen diese Untersuchung durchführen können.
Zweitens. Die HEW stellen sicher, dass die Betreiberin KKB an alle Mitarbeiter einen Fragenkatalog verwendet, mit dem eine vollständige, detaillierte und präzise Analyse der Entscheidungsabläufe bis zum 18. Februar erfolgen soll.
Drittens. Infolge dieses Fragenkatalogs und der Antworten wird eine Human-Factor-Analyse erarbeitet.
Viertens. Das ist für uns der wichtigste Punkt. Die HEW legen noch in diesem Jahr das Konzept eines Sicherheitsmanagementssystems auf der Basis subjektiver und objektiver Sicherheitsindikatoren vor.
Die Landesregierung misst dem Sicherheitsmanagement gerade auch vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Strommärkte für den künftigen Betrieb von Kernkraftwerken eine besondere Bedeutung bei. Es muss gewährleistet sein, dass in Kernkraftwerken jederzeit bis zur endgültigen Stilllegung die bestmögliche Sicherheit gewährleistet bleibt.
Dazu gehört ein effektives Sicherheitsmanagement. Sicherheit darf niemals hinter wirtschaftlichen Erwägungen zurückstehen.
Die Landesregierung verfolgt konsequent das Ziel, aus der Atomenergie auszusteigen. Mit dem Bundesratsbeschluss vom 1. Februar ist dieser Weg nun auch gesetzlich festgezurrt. Dieses Ziel verfolgen wir wegen der aus unserer Sicht letztlich nicht verantwortbaren Gefahren der Kernenergie.