Protokoll der Sitzung vom 22.03.2002

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Solange eine solche Technologie noch betrieben wird, muss Sicherheit oberste Priorität haben. Die Landesregierung handelt nach diesem atom- wie grundgesetzlich geforderten Prinzip. Darauf können sich die Bürger verlassen.

Der Vorwurf der Opposition - ich zitiere aus der schon erwähnten Presseinformation -, die Landesregierung müsse sich fragen lassen, ob in der Vergangenheit ihr ausstiegsorientierter Vollzug der Reaktoraufsicht wirklich genutzt habe, die Sicherheit der Kernfraftwerke zu erhöhen, ist gerade aus der Feder von denen, die für diese Energie sind, mehr als zynisch.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Minister Claus Möller)

In Zusammenarbeit mit dem BMU und der Reaktorsicherheit verfolgen wir den Aufklärungsprozess weiter kritisch und konstruktiv. Wir werden die Öffentlichkeit weiter informieren und deshalb auch den vom Landtag geforderten Bericht öffentlich machen.

(Zuruf von der Zuschauertribüne: Die Öf- fentlichkeit beteiligen!)

Einen Moment bitte! Es ist absolut unzulässig, Bemerkungen von der Tribüne aus zu machen. Beim nächsten Mal müssen wir Sie des Saales verweisen.

Ich werde heute Mittag gemeinsam mit meinem Staatssekretär ein Gespräch mit Vertretern der Initiativen führen.

Auf die Fragen im Einzelnen - Stillstände, Prozesse bin ich im schriftlichen Bericht eingegangen. Das will ich hier nicht wiederholen. Er liegt Ihnen vor.

Lassen Sie mich zum Abschluss meine tiefste Überzeugung, die ich oft genannt habe, wiederholen.

Herr Minister, in Kürze bitte. Ich erinnere an die Redezeit.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich wiederhole meine Überzeugung: Die größtmögliche Sicherheit ist das Abschalten von Kernkraftwerken.

(Beifall bei der SPD)

Auf der Tribüne begrüße ich die Besuchergruppe der Bruno-Lorenzen-Schule aus Schleswig.

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graf Kerssenbrock.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal muss ich sagen, Herr Noch-Minister,

(Lars Harms [SSW]: Das fängt ja gut an!)

dass es eine bodenlose Frechheit ist, dass wir erst vor zehn Minuten den Bericht des Ministers in schriftlicher Form auf den Tisch bekommen haben.

(Beifall bei CDU)

Das ist unparlamentarisch und nicht in Ordnung. Wenn wir nicht zufällig schon eine beantwortete Kleine Anfrage von mir auf dem Tisch hätten, dann wären wir von Ihren Ausführungen völlig überrascht worden. Das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU)

Dieser Minister ist offensichtlich so sehr mit seiner Selbstverteidigung in Sachen Pröhl und Lohmann beschäftigt, dass er keine Zeit mehr findet, seine Hausaufgaben zu machen.

(Beifall bei der CDU und FDP - Zurufe von der SPD)

(Zurufe von der SPD)

Wenn versucht worden wäre, einen schwerwiegenden Vorfall zu vertuschen, dann müssten bei uns allen die Alarmglocken schrillen, und die würden auch schrillen, wenn es irgendwelche Anzeichen dafür gäbe. Das würde Zweifel an der Zuverlässigkeit der Betreiberin aufwerfen. Ich will freimütig einräumen, dass die Tatsache, dass seinerzeit keine Presseerklärung der Betreiberin zu dem Vorfall herausgegeben worden ist, uns ausgesprochen hellhörig und misstrauisch gemacht hat. Das will ich freimütig einräumen.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Wenn gelogen worden ist, Herr Staatssekretär Voigt - so werden Sie im „Spiegel“ zitiert -, dann kann damit nicht gespaßt werden, auch nicht mit uns.

(Beifall bei der CDU)

Wenn der Weiterbetrieb angeordnet worden wäre oder worden ist, obwohl es sicherheitstechnische Risiken gegeben hätte oder hat, dann wollen wir auch das, wenn dieser Verdacht im Raum steht, aufgeklärt wissen. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Nicht mit uns!

(Beifall bei der CDU)

Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit. Das ist ganz klar auch unsere Linie und unsere Politik.

(Zurufe von der SPD)

Festzuhalten ist, dass die Berichterstattung der Betreiberin Ende Februar bruchstückhaft und nebulös gewesen ist. Ich sage ganz deutlich: Das habe auch ich für sehr unbefriedigend gehalten. Was aber war wirklich?

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

- Es sind starke Worte im Raum, es sind starke Worte gebraucht worden. Es sei gelogen worden, es habe keine Information gegeben, es habe beinahe einen GAU gegeben, es sei fahrlässig gehandelt worden und es sei aus wirtschaftlichen Gründen der Weiterbetrieb gegen den Willen des Kraftwerkdirektors in Brunsbüttel angeordnet worden. Das sind ganz schwerwiegende Vorwürfe, die hier im Raum sind und die Sie in - ich sage einmal - subtilerer Form eben vorgetragen haben.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

- Doch! Der wirkliche Ablauf war aber möglicherweise anders, als Sie ihn hier dargestellt haben, Herr Minister.

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Ich habe hier die Chronologie des Ereignisses Bruch der Reaktordruckbehälterdeckel-Sprühleitung, ein interner Bericht der Kernkraftwerksbetreiberin. Hierin lesen sich die Dinge etwas anders. Deshalb wollen wir wissen, was wirklich geschehen ist.

Es war ein Freitagnachmittag um 13:08 Uhr, als der Störfall passiert ist. Die erste telefonische Meldung hat es offenkundig erst am Montag gegeben. Wenn ich die Öffnungszeiten und die Besetzzeiten von Behörden sehe, dann frage ich mich, was eigentlich geschehen wäre, wenn es die erste Meldung bereits am Freitagnachmittag gegeben hätte.

(Konrad Nabel [SPD]: Das ist ja unerhört!)

Nach Ihrer Logik hätte am Montag, dem 17. Dezember 2001, sofort etwas passiert sein müssen. Nach dem mir vorliegenden Bericht hat es erst am 19., also zwei Tage später, eine schriftliche Aufforderung des Ministeriums an die Kraftwerksbetreiberin gegeben mit der Bitte um Darlegung und Erläuterung des Ereignisses im Rahmen des Betriebsgespräches mit dem MFE und einem Gutachter. Am 21. Dezember 2001, also vier Tage nach der Meldung, haben Sie einen Auftrag an den TÜV Nord gerichtet nach dem Motto: Der möge bitte ein Gutachten erstellen, und zwar bis zum 10. Januar 2002 - so lange haben sie sich Zeit gelassen. Wissen Sie, wann das Gutachten eingetroffen ist? Am 16. Januar 2002, also sechs Tage später! Sie haben also kaum Veranlassung gesehen, einmal nachzuhaken. Auch Sie haben bis zum 16. Januar 2002 Zeit gehabt. Der TÜV hat am 16. Januar die Unbedenklichkeit des Weiterbetriebs attestiert. Am 22. Januar, also sechs Tage später, haben Sie einen neuen Brief mit Nachfragen an das Kraftwerk und an den TÜV gerichtet. Am 25. Januar hat ein Fachgespräch im Kraftwerk stattgefunden. Am 5. Februar hat ein weiteres Fachgespräch mit dem TÜV im MFE stattgefun

den. Hierbei ist erstmals, und nicht am 17. Dezember, die Frage nach einer weiteren Schadensursache gestellt worden, die möglicherweise vom TÜV nicht berücksichtigt worden war, nämlich die Radiolysegasexplosion, die zum Bersten dieser Leitung geführt hätte. Anschließend haben Sie sich noch einmal drei Tage Zeit gelassen, um an die Kraftwerksbetreiberin einen Brief zu richten mit der Forderung nach einer Inspektion des Kraftwerkes, die dann am 17. Februar stattgefunden hat.

Dies ist mein Informationsstand und der ist überprüfungsbedürftig. Wir wollen wissen, was wirklich stimmt. Fest steht ja - Sie haben gesagt, es sei sehr ernst; ich will das auch in keiner Weise verniedlichen -: Auf der Skala der Einstufung der Störfälle, die von null bis sieben reicht - das wissen Sie ganz genau -, ist dieser Störfall kein schwerer Störfall, sondern nur ein ernsthafter Fall in der Kategorie 2.2.1 der atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten-Meldeverordnung - so heißt sie korrekt.

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch verniedlicht!)

- Das soll nichts verniedlichen, aber mehr ist es nun einmal nicht. Auch das sollte festgehalten werden.

(Zuruf bei der SPD: Das ist Verniedlichung!)