Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir treten in die Tagesordnung ein. Erkrankt sind die Abgeordneten Frau Aschmoneit-Lücke und Frau Kähler. Wir wünschen ihnen von hier aus nochmals gute Genesung.
Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen des Finanzausschusses möchte ich von dieser Stelle aus unserer verehrten Vorsitzenden, Uschi Kähler, beste Genesung wünschen.
Erlauben Sie mir, auch im Namen von Uschi Kähler allen Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss für die sehr konstruktive und kooperative Zusammenarbeit in diesem Ausschuss im Zusammenhang mit der Aufstellung des Nachtragshaushalts zu danken.
Ebenfalls danken möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung für die zügige Zuarbeit, die sie für uns geleistet haben.
Die Landesregierung hat dem Landtag am 21. November 2002 den Entwurf eines Nachtragshaushalts 2002 vorgelegt. Dafür gab es drei besondere Gründe. Erster Grund: Steuerausfälle nach der Steuerschätzung in Höhe von 430 Millionen €. Zweiter Grund: Einnahmeausfälle in Höhe von 100 Millionen € wegen der Nichtveräußerung von Anteilen der Landesbank. Dritter Grund: Mehrausgaben, vor allen Dingen ein Bürgschaftsfall.
Diese Belastungen sollten nach den Vorschlägen der Landesregierung durch eine Erhöhung der Neuverschuldung um rund 590 Millionen € ausgeglichen werden. Die neue Kreditaufnahme in Höhe von rund 1,1 Milliarden € überschreitet die verfassungsmäßige Grenze der Kreditaufnahme um rund 540 Millionen €. Eine Überschreitung dieser Grenze ist nur zulässig, wenn entweder das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist oder wenn die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes ernsthaft und nachhaltig gestört sind.
Die Landesregierung hat mit dem Entwurf des Nachtragshaushalts dargelegt, dass diese Voraussetzung vorliegt. Nachdem der Landtagspräsident den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan für das Jahr 2002 gemäß § 29 unserer Geschäftsordnung unmittelbar dem Finanzausschuss zur Beratung überwiesen hatte, hat sich der Ausschuss am 28. November mit dem Nachtragshaushalt befasst und ihn in der Sitzung am 5. Dezember mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen unverändert angenommen.
Im Mittelpunkt der Diskussion am 28. November stand die Frage, inwieweit tatsächlich eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt und wie neben einer strikten Ausgabenbegrenzung die Einnahmen durch Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung und eine entsprechende Steuergesetzgebung stabilisiert werden können. Die Mehrheit des Finanzausschusses ist der Darlegung der Landesregierung gefolgt, dass eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt und die erhöhte Kreditaufnahme geeignet ist, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Zu dieser Bewertung, die ich soeben wertfrei vorgetragen habe, werden wir in der Aussprache sicherlich noch einiges hören.
Im Namen der Mehrheit des Finanzausschusses empfehle ich Ihnen, den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 unverändert anzunehmen.
Dann eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile dem Minister für Finanzen und Energie, Herrn Möller, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass die November-Steuerschätzung unter der Mai-Steuerschätzung liegen wird, haben wir alle vermutet. Dass aber ein derartiger Einbruch erfolgt, hat niemand erwartet. Bereits die Mai-Steuerschätzung reduzierte die Steuerbasis aller Haushalte 2002 um 7,7 Milliarden €. Die Steuerschätzung im November ergab für dieses Jahr zusätzliche drastische Steuereinbrüche von über 14,5 Milliarden €. Auf den Bund entfielen 5,7, auf die Länder 6,4 und die Kommunen 2,4 Milliarden €.
Am 14. November hat die Bundesregierung die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklärt. Länder wie Hessen, Niedersachsen, SachsenAnhalt und Schleswig-Holstein sind dem gefolgt.
Befragt man das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967, so ist das Gleichgewicht dort durch die Eckpunkte des magischen Vierecks aus Preisstabilität, hohem Beschäftigungsstand, angemessenem Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht beschrieben. Es liegt auf der Hand, dass nach zweien dieser Kriterien, nämlich dem Beschäftigungsstand und dem Wirtschaftswachstum, eine Störung vorliegt, auch wenn die Wachstumsquote in SchleswigHolstein im ersten Halbjahr bei 1,5 % lag.
Seit zwei Jahren haben wir in Deutschland mit einer Wachstumsschwäche zu kämpfen. Sehr niedrige Wachstumsraten und eine erneut steigende Arbeitslosigkeit sind die Folge. Davon kann sich auch Schleswig-Holstein nicht abkoppeln, auch wenn unser Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr mit 1,5 % ganz befriedigend war. Seit vier Jahren sind die Steuereinnahmen in Schleswig-Holstein rückläufig. Während dies 1999 und 2000 noch durch höhere Bundesergänzungszuweisungen und höhere Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich überkompensiert werden konnte, so ist seit zwei Jahren die durchschnittliche Steuerentwicklung in den anderen Ländern wesentlich schlechter als in Schleswig-Holstein, sodass unsere relative Finanzkraft zwar steigt, unsere Gesamteinnahmen aber seit zwei Jahren sinken. Unsere Steuereinnahmen für 2002 liegen um 529 Millionen € unter denen des Jahres 2000. Sie liegen - nach Einbeziehung von LFA und BEZ - sogar um 120 Millionen € unter den Steuereinnahmen von 1998.
Die Gefahr sinkender Einnahmen und steigender Belastungen war bekannt. Schleswig-Holstein hat bereits im Februar mit einer ersten Maßnahme zusätzliche vorsorgliche globale Minderausgaben in Höhe von fast 28 Millionen € festgesetzt. Auch im Mai, nach der ersten Steuerschätzung dieses Jahres, haben wir den Ernst der Lage keineswegs verheimlicht und deutliche Sparanstrengungen gemacht. Fragen Sie doch einmal in den Projekten und Vereinen nach den Auswirkungen der Haushaltssperre und der zusätzlichen globalen Minderausgabe. Wir haben das nicht gemacht, weil wir es für ideologisch richtig halten, Musikschulen und Verbänden Geld zu kürzen.
Demgegenüber standen bis in den Spätsommer hinein zahlreiche Prognosen durchaus namhafter Institute, die einen baldigen Aufschwung und entsprechende Steuereinnahmen voraussagten. Ich nenne an dieser Stelle das Institut für Weltwirtschaft. Alle Prognosen für eine wirtschaftliche Erholung wurden im Laufe dieses Jahres immer wieder nach unten und zeitlich nach hinten korrigiert. Die Dresdner Bank, eine unverdächtige Quelle, ging beispielsweise im April noch von einem Wachstum von 1,3 % und im Juli noch von einem Wachstum von 1 % aus. Erst im Oktober wurde diese Prognose auf 0,4 % reduziert. Bei der Aufstellung des Haushalts 2003 für das kommende Jahr und bei dessen Einbringung im September habe ich auf drohende Einnahmeausfälle hingewiesen und auf die Gefahr eines Haushaltsdefizits aufmerksam gemacht. Deren tatsächliches Ausmaß überstieg aber selbst pessimistische Annahmen. Auch die Finanzausschussmitglieder wussten dies, obwohl sich unsere Steuereinnahmen im Lande im zweiten Halbjahr - insbesondere in den Monaten September und Oktober - im Plus bewegten.
Wie wir in den vergangenen Jahren lernen mussten, trägt auch die Steuerschätzung ihren Namen zu Recht. Sie bleibt eine Schätzung. Da sie aber sehr sorgfältig und von Fachleuten aus Wissenschaft, Verwaltung und Politik getroffen wird, ist sie nach meiner Meinung nach wie vor die beste Orientierung, die wir haben, wenn es um die Basis unserer künftigen Haushaltsplanung geht. Aber auch die Steuerschätzungen gingen von einem möglichen Wirtschaftswachstum aus. Wenn das nicht eintritt, sind die Einnahmen entsprechend. Nach dem Ergebnis des Bund-Länder-Arbeitskreises Steuerschätzung vom 12. und 13. November werden die Steuermindereinnahmen gegenüber dem Haushaltssoll 430 Millionen € betragen. Für das kommende Jahr werden es 515 Millionen € sein.
Einnahmeausfälle in dieser Höhe lassen sich nicht wegsparen, schon gar nicht innerhalb der letzten acht
Wochen. Dies gilt umso mehr, als das Einsparpotenzial durch die Wachstumsschwäche des vorigen Jahres und die seit 2002 geltende Steuerentlastung der zweiten Stufe der Steuerreform weitgehend ausgeschöpft ist. Immerhin haben die Haushaltsbewirtschaftungsmaßnahmen noch 74 Millionen € erbracht. Viel mehr wird der Haushalt - neben den Steuerausfällen - noch durch eine weitere Anzahl von Dingen belastet, die ebenfalls konjunkturelle Ursachen haben. Dies gilt insbesondere für Bürgschaftsausfälle, die wir jetzt etatisieren mussten. Erfreulicherweise werden eine Reihe von eingetretenen Bürgschaftsausfällen von der Investitionsbank getragen.
In dieser Marktsituation sind Veräußerungen zu diesem Zeitpunkt nicht sinnvoll. Wir haben deshalb den Verkauf einiger Grundstücke und den Verkauf von Forderungen zurückgestellt. Vor allem haben wir die Anteile der Landesbank Schleswig-Holstein nicht verkauft. Unsere Verhandlungen mit dem Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein hätten zwar die Einnahme von 100 Millionen € gesichert, doch wäre dies kein wirtschaftliches Ergebnis gewesen. Aufgrund der gegenwärtigen Marktbedingungen ist es zurzeit nicht angebracht, Anteile - zum Beispiel von Banken - zu verkaufen. Schauen Sie sich nur einmal die Börsenwerte der Privatbanken an. Ein Verkauf wäre gegenüber der aktuellen Bewertung mit erheblichen Abschlägen verbunden. Dies wäre jedoch auch nach außen hin das falsche Signal. Ein potenter Markteintritt des fusionierten Instituts ist im Hinblick auf die zukünftige Wertentwicklung von entscheidender Bedeutung. In jedem Fall wäre mit einer direkten Reaktion der Ratingagenturen zu rechnen gewesen. Statt einer ebenfalls angedachten Parklösung bei einer Tochter haben wir uns entschieden, den Verkauf der Anteile erst einmal zurückzustellen. Die direkte Finanzierung über den Haushalt stellt die transparentere und risikofreiere Lösung für das Land dar. Die Ermächtigung zum Verkauf ist im Sparkassengesetz, das wir gestern verabschiedet haben, enthalten geblieben. Ich habe den Finanzausschuss und die finanzpolitischen Sprecher zeitnah über den jeweiligen Verhandlungsstand informiert. Ich freue mich, dass in dieser Frage ein weitgehender Konsens besteht. Das ist gestern deutlich geworden.
Was weitere Haushaltsverschlechterungen angeht, zum Beispiel durch erhöhte Lehrerpersonalkosten durch die zügigere Wiederbesetzung von Stellen, die Frage der Nachversicherung und die Altersteilzeit, gibt es zusätzliche Belastungen für den Haushalt.
Gleiches gilt für die Einnahmen aus Gerichtskosten und die Auslagen in Rechtssachen. Schließlich belasten die Beihilfezahlungen den Haushalt über den geplanten Ansatz hinaus. Die Kosten für Beihilfe sind von 1998 bis 2003 um fast 21 % gestiegen. Dem müssen wir - zum Beispiel durch die Senkung der Gebührenhöchstsätze - begegnen. Ein entsprechender Antrag Schleswig-Holsteins ruht im Bundesrat. Wir werden ihn vermutlich gemeinsam mit allen Ländern reaktivieren und zur Beschlussfassung führen.
Für den Haushalt 2002 und den Haushaltshaltsabschluss zeichnet sich somit ein Haushaltsdefizit in Höhe von 490 Millionen € ab. Weiter gibt es Einnahmeausfälle von 100 Millionen €. Diese hätten spätestens im Jahre 2004 im Rahmen der zulässigen Kreditaufnahme ausgeglichen werden müssen. Sowohl im laufenden Haushalt als auch in den kommenden beiden Haushaltsjahren würde ein Ausgleich dieses Defizits durch erneute Ausgabenkürzungen die wirtschaftliche Entwicklung erheblich stören. Allein die Ausschöpfung aller Einsparmöglichkeiten bei den konsumtiven Ausgaben - also auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und der Personalbudgets - würde nicht reichen.
Um aber überhaupt Einsparungen in einer solchen Höhe zu erzielen, müssten wir in 2003 und 2004 einen großen Teil unserer laufenden und fest geplanten Investitionen streichen. Das allerdings wäre politisch, zum Beispiel im Bereich der Hochschulen, unverantwortlich und Gift für die Konjunktur.
Ein Nachtrag, der die Nettoneuverschuldung im Jahre 2002 um 590 Millionen € erhöht, ist sehr ungewöhnlich.
Ich denke aber, dass es - auch in der derzeitigen Situation - konjunkturpolitisch die beste Lösung wäre. Es verpflichtet uns allerdings, in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2006 zu versuchen, diese erhöhte zusätzliche Kreditaufnahme zusätzlich zu tilgen.
Ich möchte meinen hessischen Kollegen Weimar zitieren, der sich in der gleichen Situation befindet. Er sagte:
„Das Land sieht sich in sachlicher und zeitlicher Hinsicht mit einer Sondersituation konfrontiert, die mangels ernsthafter und tragfähiger Alternativen die zusätzliche Kreditaufnahme ausnahmsweise rechtfertigt.“