Ich wünsche Ihnen allen einen schönen guten Morgen und eröffne die Sitzung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Gäste im Landtag begrüßen: Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Hans-Brüggemann-Realschule Bordesholm und der Gesamtschule Faldera in Neumünster sowie Vertreterinnen und Vertreter der Elterninitiative „Bildungswüste Grundschule“. - Ihnen allen einen schönen guten Morgen und ein herzliches Willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, erteile ich Herrn Abgeordneten Behm zur Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war die Glocke des Präsidenten verschwunden und dies entwickelte sich zu einem großen Gesprächsthema. Findige Augen - meine gehörten dazu - entdeckten diese Glocke in Sitzungssaal 138. Wie sie dahin gekommen ist, weiß ich nicht, aber wie sie zurückgekommen ist, kann ich Ihnen sagen. Ich übergebe sie jetzt an den amtierenden Präsidenten.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzaussprache. Das Wort für die antragstellende FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die FDPLandtagsfraktion die bisher in § 44 des Schleswig
Holsteinischen Schulgesetzes verankerten Bestimmungen zur örtlich zuständigen Schule ändern und damit die Festlegung starrer Schuleinzugsbereiche abschaffen. Eltern und Schüler sollen die Möglichkeit erhalten, sich im regionalen Umfeld freier als bisher zwischen den einzelnen Schulen der jeweiligen Schulart entscheiden zu können. Zugleich würde mit dieser Reform auch der Wettbewerb zwischen den einzelnen Schulen gestärkt.
Die Abschaffung der Schuleinzugsbereiche ist außerdem die logische Konsequenz aus der Entwicklung unterschiedlicher Schulprofile und Schulprogramme. Dieser Prozess, der seit der letzten größeren Schulgesetznovelle aus dem Jahre 1998 in größerem Umfang eingeleitet worden ist, muss seine logische Konsequenz in der Erweiterung der Wahlmöglichkeiten zwischen Schulen unterschiedlicher Schulprofile und Schulprogramme finden. Die Eltern und Schüler sollen sich aus den regional vorhandenen Schulen künftig jene Schule aussuchen können, deren Schulprofil und -programm sie am meisten überzeugt.
Die FDP-Fraktion hat sich übrigens bereits 1998 im Rahmen der vorhin erwähnten Schulgesetzberatungen für eine entsprechende Deregulierung der althergebrachten, starren Vorschriften über örtlich zuständige Schulen eingesetzt. Mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwurf unternehmen wir also einen weiteren Versuch, in Schleswig-Holstein zeitgemäßere und offenere Zugangsmöglichkeiten zu den Schulen einzuführen.
Gerade in jüngster Zeit ist auch aus den Reihen der Eltern, Schüler und Lehrer der Ruf nach einer solchen Schulgesetzänderung lauter geworden. Als Beispiel nenne ich die Initiative des Schulelternbeirats, der Schülervertreter, der Schulleitung und des Kollegiums der Realschule Timmendorfer Strand in einem Ende November letzten Jahres an die Landtagsfraktionen gesandten Schreiben. Ich zitiere aus diesem Brief:
„Seit Jahren bemühen sich Eltern, Lehrer und Schüler um die Abschaffung der Einzugsbereiche nach § 44 Schulgesetz - bisher ohne Erfolg. Rigoros wird auswärtigen Eltern der Wunsch nach einer Schule ihrer Wahl oder ihres Vertrauens verwehrt und diese stringente Auslegung des § 44 Schulgesetz hat durchaus familienfeindliche Folgen: Scharbeutzer Eltern zum Beispiel, die nur einen Steinwurf von der Realschule Timmendorfer Strand entfernt wohnen oder deren anderes Kind das Timmendorfer Ost
seegymnasium besucht, bleibt es verwehrt, ihr Kind an der Timmendorfer Realschule anzumelden. Ein sicherer Schulweg am Strand zwischen Timmendorfer Strand und Scharbeutz bleibt für Realschüler ungenutzt - sie sind auf den schwierigen Weg ins Landesinnere nach Pönitz angewiesen. Auch Pansdorfer Eltern aus der Gemeinde Ratekau, die wegen der besonderen Profilbildung der Timmendorfer Realschule ihr Kind dort anmelden wollen, scheitern. Eltern aus Travemünde ergeht es nicht anders".
In diesen Ausführungen werden verschiedene Motive deutlich, die den Wunsch nach größeren Wahlmöglichkeiten zwischen einzelnen Schulangeboten begründen. Ein wichtiger Faktor ist dabei sicherlich das jeweilige Schulprofil, im Falle der Timmendorfer Realschule deren besondere internationale Ausrichtung als Europaschule. Die Sicherheit oder Kürze des Schulweges oder die Nähe zu der von Geschwistern besuchten Schule sind weitere - wie ich meine - sehr gewichtige und ernst zu nehmende Motive.
Aus einer Reihe von anderen Fällen, die mir durch Zuschriften und durch Gespräche mit Eltern erläutert worden sind, will ich weitere Gründe nennen. Nachvollziehbar ist meines Erachtens der Wunsch, ein Kind an einer Grundschule anmelden zu können, die auch von befreundeten Kindern aus einer früheren gemeinsamen Kindergartengruppe besucht wird, also das Verbleiben in einem vertrauten persönlichen Umfeld. Auch der Umfang oder die Qualität eines Betreuungsangebots, das an einer Grundschule besteht, kann ein weiteres gut begründetes Motiv der Eltern sein, ihre Kinder an einer anderen Schule einzuschulen, als es die bislang existierenden Schuleinzugsbereiche vielfach zulassen. Solche Fälle sind mir zum Beispiel durch den Lübecker Kreiselternbeirat der Grund-, Haupt- und Sonderschulen auch mit konkreten Belegen geschildert worden.
Folgt man unserem Vorschlag zur Änderung des Schulgesetzes, so erhalten die Eltern, natürlich im Rahmen der Aufnahmemöglichkeiten der Schulen, eine wesentlich größere Wahlfreiheit bei der Entscheidung für eine bestimmte Schule. Falls, wie wir es beantragen, dabei ergänzend auch die Nähe der Schule zur Wohnung der Schülerinnen und Schüler als Kriterium für die Berücksichtigung der Anmeldung bestimmt wird, brauchte auch niemand zu befürchten, seine Kinder müssten im Falle der Abschaffung der Schuleinzugsbereiche eventuell weitere Schulwege in Kauf nehmen, als dies gewünscht beziehungsweise unbedingt erforderlich wäre.
Eine höhere Belastung der kommunalen Schulträger durch Schülerbeförderungskosten ist durch die von uns beantragte Gesetzesänderung auch nicht zu befürchten. Nach § 80 Abs. 2 des Schulgesetzes können die Kreise durch Satzungsbeschluss festlegen, dass nur solche Schülerbeförderungskosten als notwendig anerkannt werden, die beim Besuch der nächstgelegenen Schule der gleichen Schulart entstehen würden. Außerdem zeigt das vorhin von mir schon geschilderte Beispiel aus dem Bereich Timmendorfer Strand/Scharbeutz, dass die gegenwärtig bestehenden Schuleinzugsbereiche zum Teil sogar eine wohnortnahe und damit auch kostengünstige Beschulung, was die Schülerbeförderungskosten angeht, behindern.
Der Schullastenausgleich regelt darüber hinaus einen Kostenausgleich zwischen den kommunalen Schulträgern. Der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag hat kürzlich angeregt, die hierzu bislang in unserem Land geltenden Bestimmungen durch einen einfacheren Schüler-Kopfbetrag als Vorwegabzug im Finanzausgleichsgesetz zu ersetzen, der unabhängig vom Wohnort der Schüler dann dem jeweiligen Schulträger zugewiesen wird. Für solche ergänzenden Neuregelungen sind wir offen. Das möchte ich ausdrücklich feststellen. Wir werden sicherlich im Rahmen der demnächst im Landtag anstehenden Debatte über die von uns eingebrachte Große Anfrage zu den Aufgaben der Schulträger auch über diesen Komplex zu diskutieren haben, denn der Bereich des Schullastenausgleichs ist in der Großen Anfrage von uns ja ebenfalls angesprochen worden.
Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, die bisherigen starren Gesetzesvorschriften über örtlich zuständige Schulen durch eine freiere, offenere Regelung abzulösen.
Damit erhalten Eltern und Schüler größere Wahlmöglichkeiten und Spielräume bei der Entscheidung für die von ihnen gewünschte Schule. Zwischen Schulen unterschiedlicher Schulprofile und Schulprogramme wird damit zugleich ein Wettbewerb ermöglicht, der Leistung und Qualität fördert. Sobald die Schülerzahlen, wie es mittlerweile bei den Grundschulen bereits der Fall ist, wieder sinken, wird bei Einführung der von uns beantragten Gesetzesänderung auch der Wettbewerb um die Schüler mit Sicherheit wieder stärker. Mit dem Bemühen um ein attraktives Schulangebot werden die Schulen dann auch verstärkt um Schüler werben können und müssen. Ein solcher Wettbewerb wäre gewiss ein hilfreicher Beitrag zur Sicherung und Anhebung der Qualität des Schulangebots.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bislang ist es das Privileg der Eltern von zukünftigen Gymnasiasten und Gesamtschülern, sich die Schule nach eigener Wahl aussuchen zu dürfen, sofern nicht aus besonderen Gründen Einzugsbereiche - das gilt aber nur für ganz wenige Gymnasien im Lande - bestimmt sind. Andere Bundesländer kennen neben der Schulwahlfreiheit in Bezug auf die Gymnasien und Gesamtschulen eine solche auch in Bezug auf die Realschulen, zum Beispiel das Bundesland BadenWürttemberg. Seit vielen Jahren gibt es für die Eltern in der Landeshauptstadt Kiel eine freie Schulwahl bei den weiterführenden Schulen, sofern dort die Aufnahmekapazitäten dies zulassen. Das hat in der Landeshauptstadt im Übrigen dazu geführt, dass ein gutes Dutzend von Hauptschulstandorten geschlossen werden musste. Insoweit kann ich die Zielsetzung Ihres Antrages zur Änderung des Schulgesetzes durchaus nachvollziehen. Wir alle wollen leistungsbewusste Schulen mit eigenständigen Profilen. Auch die Schulträger und die kommunalen Landesverbände als Dachverbände der kommunalen Schulträger wollen nach meiner Einschätzung wettbewerbsfähige Schulen.
Dem stehen indes, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Klug, einige Problemfelder gegenüber, die nach unserer Auffassung zum gegenwärtigen Zeitpunkt der raschen Umsetzung einer solchen Gesetzesänderung entgegenstehen. Ich will dieses auch gleich begründen.
Erstens. Einem Aspekt Ihres Änderungsvorschlages werden wir aber aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zustimmen können, nämlich der Aufhebung der Schuleinzugsbereiche für die Grundschulen. Hier gilt nach wie vor unser Grundsatz, dass kurze Beine auch kurze Schulwege haben sollen, auch in einer Großstadt. Grundschulen sind ein Stück Standortqualität, und zwar in Stadtquartieren genauso wie in den Gemeinden des ländlichen Raumes. Das wollen wir nicht opfern.
Überlegen Sie sich, lieber Herr Kollege Dr. Klug, was in Ihrer Heimatstadt Kiel passieren würde, wenn es eine freie Wahl bei den Grundschulen gäbe. Die
Grundschule am Göteborgring oder die Grundschulen in der Iltisstraße oder in der Stoschstraße würden dann noch stärker zu Grundschulen ausländischer Kinder werden. Was dabei herauskäme, wäre eine noch stärkere soziale Differenzierung von Grundschule zu Grundschule. Wir kennen derart negative Entwicklungen zum Beispiel in den Städten Großbritanniens.
Die Diskussion um die Aufhebung der Schuleinzugsbereiche kann nicht ohne die Beteiligung der kommunalen Schulträger und auch nicht ohne das Einvernehmen mit ihnen geführt werden. Das ist der erste und wohl auch entscheidende Punkt, den es abzuarbeiten gilt.
Zweitens. Wir brauchen angesichts der bevorstehenden sinkenden Schülerzahlen wiederum eine konsequente Schulentwicklungsplanung, und zwar auch auf der übergeordneten Ebene der Kreise unseres Landes. Ohne dieses Instrument kann über eine Veränderung von Einzugsbereichen oder deren Aufhebung nicht befunden werden.
Drittens. Die Schülerbeförderungskosten in den Kreisen werden nach den gesetzlichen Regelungen zu einem Drittel vom Schulträger und zu zwei Dritteln von den Kreisen getragen. Die Kostenschraube hat sich - das wird jeder aus dem kommunalen Bereich wissen -, seitdem es diese gesetzliche Regelung gibt, nur nach oben entwickelt. Eine Aufhebung der Schuleinzugsbereiche durch Wahlfreiheit kann nach unserer Auffassung nur im Zusammenhang mit einer Überarbeitung der Finanzierungsgrundsätze der Schülerbeförderung erfolgen.
Viertens. Bei der Schulwahlfreiheit sind die Fragen der Pflichtträgerschaft der Schulen und des Schullastenausgleichs zu klären. Bislang gibt es bei der Errichtung und Unterhaltung von Schulen Regelungen der pflichtigen Trägerschaft, wonach die Gemeinden Träger der Grund-, Haupt- und Förderschulen und die zentralen Orte Träger der Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien sind, wenn nicht aus der jüngeren Geschichte heraus auch die Kreise Träger von Gymnasien sind. Unser Schullastenausgleich ist so organisiert, dass die Wohnsitzgemeinde immer für ihre Schülerinnen und Schüler an den Schulträger zahlt, dessen Schule diese besuchen. Bei Schulwahlfreiheit kann eine Situation eintreten, durch die eine Gemeinde auf der einen Seite verpflichtet ist, eine eigene Grund- oder Hauptschule vorzuhalten, aber bei einer Wahlfreiheit der Eltern zur Zahlung von Schulkostenbeiträgen an einen anderen Träger verpflichtet wird und damit doppelt belastet wäre. Diese Situation würde sich an vielen Realschulstandorten unseres Landes ähnlich darstellen.
Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass es nach den Regelungen des § 44 unseres Schulgesetzes durchaus die Möglichkeit gibt, Anträge im Hinblick auf die persönliche Verbesserung der Schulverhältnisse zu stellen, und dass es selbstverständlich auch eine freie Wahlmöglichkeit zum Besuch einer Schule aus dem Bereich aller Schularten gibt, die ein besonderes Angebot vorhält.
Auch wenn wir im Grundsatz die Zielsetzung Ihres Antrages, die Profilbildung von Schulen durch Wettbewerb zu erhöhen, befürworten, können wir derzeit einer grundsätzlichen Aufhebung von Schuleinzugsbereichen nicht zustimmen. Ich bitte, Ihren Antrag federführend an den Bildungsausschuss und hinsichtlich des Aspektes des Finanzausgleichs weiterhin an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aufhebung der Schuleinzugsbereiche lag irgendwie in der Luft und insofern ist es kein Wunder, dass wir jetzt tatsächlich einen Antrag vorliegen haben, der sich damit beschäftigt. In verschiedenen schulpolitischen Zusammenhängen ist gerade nach PISA, als es um die Frage von Profil und Wettbewerb ging, auch über die Schuleinzugsbereiche geredet worden. Es hat - der Kollege Höppner hat es angesprochen - in den vergangenen Jahren auch schon Veränderungen gegeben. In den kreisfreien Städten gibt es die Schuleinzugsbereiche für die weiterführenden Schulen nicht mehr in der bisherigen Form. Dadurch ergab sich, wie ich hinzufügen möchte, eine spürbare schulpolitische Veränderung. Denn dadurch ist es einerseits möglich geworden, dass die Schulen - vor allem die Gymnasien - um ihre Schüler werben, und das tun sie auch mit einem gehörigen Aufwand. Wer im Frühjahr in den Städten in die Zeitungen schaut - etwa in die „Kieler Nachrichten“ -, der wird feststellen, dass die Schulen sich dort vorstellen und dass es zu einem Wettbewerb kommt.