Protokoll der Sitzung vom 23.01.2003

(Jost de Jager)

auch die finanziellen Auswirkungen für die entsendenden Gemeinden vor Augen. Das darf man nicht komplett ignorieren.

(Beifall bei CDU und SSW)

Zurück zu den Schuleinzugsbereichen. Die CDUFraktion hat sich in einem Beschluss vom Frühjahr vergangenen Jahres, einem Grundsatzbeschluss nach PISA, als eine Schlussfolgerung daraus zum Wettbewerb der Schulen untereinander bekannt und gefordert, diesen Wettbewerb untereinander durch die mittelfristige Aufhebung der Schuleinzugsbereiche zu ermöglichen. Wir haben mit Bedacht den Begriff Mittelfristigkeit hinzugefügt, weil es ja nicht nur darum geht, Kollege Kubicki, die Schuleinzugsbereiche einfach aufzuheben, sondern auch die Folgen dieses Schrittes zu beherrschen.

(Beifall bei CDU und SPD - Zuruf von der FDP)

- Sie beherrschen diese Folgen nicht.

Der Gesetzentwurf der FDP will nun schneller ran, äußert sich aber nicht zu den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Der Gesetzentwurf der FDP, wenn man ihn genau liest, will zunächst einmal nur das Prinzip der Gemeindezugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einem Einzugsgebiet durch das Prinzip der Wohnortnähe ersetzen. Das ist eigentlich der Wortlaut dieses Gesetzentwurfes. Zunächst einmal ist das kein schulpolitischer Ansatz, sondern das ist ein rein geographischer Ansatz. Nach wie vor werden die Schüler einer Schule zugeordnet, nur eben nicht mehr nach Gebietszugehörigkeit, sondern nach Schulweglänge. Damit nimmt die FDP - das hat der Kollege Klug auch selbst gesagt - eine Initiative der Realschule Timmendorfer Strand auf, wo der Zuschnitt der Gemeinde und damit der Schuleinzugsbereich es will, dass diejenigen, die besonders nahe an der Schule in Timmendorfer Strand wohnen, den weiteren Weg zu der Realschule nach Pönitz gehen müssen und umgekehrt. Das ist in der Tat unpraktisch. Es ist natürlich ein Anliegen der Eltern und der Schülern, das aufzuheben.

Es gibt auch - das ist angesprochen worden - schulpolitische Gründe, die für eine Aufhebung oder zumindest für eine Flexibilisierung der Schuleinzugsbereiche sprechen. Die Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Schulen ist die logische Konsequenz der Schulprofile, auch die logische Konsequenz von Schulleistungsvergleichen, die wir ja auch einführen wollen. Sie sind ein Schritt hin zu einem Wettbewerb der Schulen untereinander, von dem wir glauben, dass er tatsächlich positive Kräfte freisetzen würde.

Aber: Schulpolitik findet nicht im luftleeren Raum statt. Eine solche Wahlfreiheit verursacht Kosten. Der Kollege Klug hat die Konsequenzen und die Kosten angesprochen sowie die Aspekte genannt. Sie finden sich aber im Gesetzentwurf nicht wieder. Es wäre eigentlich der richtige Weg gewesen, das gleich mit zu regeln.

(Beifall bei CDU und SPD)

Eine weiter gehende Mobilität von Schülerinnen und Schülern würde also auf der einen Seite Mehrkosten bei der Schülerbeförderung nach sich ziehen. Die Probleme der Konzentration von Schülern auf eine Schule im Verhältnis zu den Schulbaumaßnahmen, die dann auf der anderen Seite ergriffen werden müssen, sind auch bereits genannt worden. Zu all diesen Problemfeldern schweigt der FDP-Antrag. Deshalb denken wir, dass man Schuleinzugsbereiche nicht freigeben kann, wenn man nicht die Folgemaßnahmen mit beantragt. Für uns ist deshalb die Voraussetzung für eine mittelfristige Freigabe der Schuleinzugsbereiche, dass es ein ganzes Maßnahmenpaket gibt. Dieses Maßnahmenpaket muss als obersten Leitsatz beinhalten, dass die weiter gehende Mobilität der Schülerinnen und Schüler nicht zusätzliche Kosten für die Kommunen generiert, weder in der Schülerbeförderung noch bei den Schulbaukosten.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das ist die Quad- ratur des Kreises! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das geht gar nicht!)

Es stellt sich auch die Frage, ob man die Schuleinzugsbereiche von vornherein komplett aufheben muss oder ob man sie nicht zumindest als eine Richtgröße beibehält, die dann allerdings flexibilisiert wird und über mehr Ausnahmeregelungen verfügt.

Ein Aspekt ist in der bisherigen Debatte nicht angesprochen worden. Das ist der Aspekt: Was mache ich denn, wenn sich tatsächlich mehr Kinder oder mehr Eltern für eine Schule bewerben, als Plätze vorhanden sind? Nach welchem Auswahlverfahren sollen gerade bei einer Grundschule Kinder abgelehnt werden? Bei mir in Eckernförde ist es so, dass die begehrteste Schule in der Innenstadt liegt. Dort wollen alle hin. Das ist aber leider auch die kleinste Schule. Nach welchen Kriterien will man bei dem einen Grundschüler sagen „du darfst dahin“ und bei dem anderen „du darfst da nicht hin“? Wenn es allein die Wohnortnähe ist, würde sich zu dem jetzigen Punkt nichts verändern.

Meine Damen und Herren, wir glauben, dass die Idee, die die FDP hier aufgenommen hat, so neu nicht ist,

(Jost de Jager)

aber die Tatsache, dass wir sie behandeln, ist in Ordnung. Wir wollen die Anhörung, die wir dazu haben werden, dazu nutzen, im Ausschuss auszuloten, mit den Ansprechpartnern in den Kommunen, mit den kommunalen Landesverbänden, mit allen an den Schulen Beteiligten, um zu sehen, ob es tatsächlich ein Maßnahmenpaket geben kann, von dem ich gesprochen habe. Dann kann man darüber nachdenken, die Aufhebung der Schuleinzugsbereiche zu verfolgen. Wenn das Maßnahmenpaket nicht zustande kommt, wird dies auch nicht möglich sein.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Herr Präsident! Meine liegen Kolleginnen und Kollegen! Schuleinzugsbereiche oder Schulbezirke auflösen: ein diskussionswürdiger Vorschlag. Meine Fraktion begrüßt eine Diskussion über dieses Thema. Wir erinnern daran, dass wir im Rahmen der Schulgesetzdebatte in der letzten Legislaturperiode diesen Vorschlag bereits gemacht haben. Wenn die Schulen autonom ein Schulprofil entwickeln und untereinander um die besten Möglichkeiten konkurrieren, dann ist es nur konsequent, wenn die Eltern für ihre Kinder eine wirkliche Wahl treffen können. Dazu müssen die Grenzen aufgehoben werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Nun komme auch ich - ich denke, dass müssen wir bei einer redlichen Prüfung tun - zu den Gegenargumenten. Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung vor Ort sollen gemeinsam konzipiert werden und darauf bauen, dass die Kinder und Jugendlichen auch dort zur Schule gehen und ihre Freizeit gestalten, wo sie wohnen. Die Kids sind in ihrem Freizeitverhalten aber längst nicht mehr ortsgebunden, und auch seitens der Behörden werden leider immer noch nicht die Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung aufeinander abgestimmt. Wir hoffen, dass Letzteres durch die vom Land unterstützten Initiativen zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule besser wird. Eine Aufhebung der Schuleinzugsbereiche verlangt dann allerdings eine genaue zeitnahe Beobachtung - etwas, was wir immer schon eingefordert haben - und Planungsflexibilität.

Für die weiterführenden Schulen gibt es insbesondere in den kreisfreien Städten faktisch sowieso keine

starren Einzugsbereiche mehr, insbesondere nicht für Gymnasien und Gesamtschulen. Zum Thema, das Herr de Jager gerade angesprochen hat, nämlich nach welchen Kriterien wir denn die Schülerinnen und Schüler abweisen, sage ich: Wenn sie einmal mit den Gesamtschulleitungen sprechen sehen sie, dass wir dieses Problem schon längst haben, aber nicht wegen der aufgehobenen Schuleinzugsbereiche, sondern weil es zu wenig Gesamtschulen gibt. Über diese Härte haben Sie aber offensichtlich noch nie nachgedacht, das fällt Ihnen nur jetzt ein.

Auch im Grundschulbereich gibt es aufgrund der unterschiedlichen Betreuungsangebote schon heute viele berufstätige Eltern, die, auf welchem Wege auch immer, durchsetzen, dass ihr Kind dort zur Schule geht, wo sie es verlässlich länger betreut wissen. Für die wenigen Schulen in freier Trägerschaft können sowieso keine starren Schulbezirke gelten.

Die Gefahren sozialer Segregation, sogar ethnischer Segregation - darauf hat Herr Höppner hingewiesen - und die größeren Schwierigkeiten bei der Planbarkeit der Angebote sind uns bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass in dünn besiedelten Regionen sowieso nur jeweils eine Schule in erreichbarer Nähe existiert. Trotzdem: Angesichts der tatsächlichen Mobilität und angesichts der Prioritäten, die die Eltern beim Schulbesuch ihrer Kinder setzen wollen, und angesichts dessen, dass wir Schulprofile fordern, ist es nur konsequent, die Schulbezirke oder -einzugsbereiche aufzulösen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Natürlich müssen die Folgekosten bedacht werden. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass von heute auf morgen hier alle Grenzen fallen. Wir müssen uns aber ein schrittweises Konzept machen. Damit komme ich auf ein Beispiel zu sprechen, das Herr Klug am Anfang gebracht hat. Die Realschule in Timmendorf hat natürlich einen ganz konkreten Hintergrund, weswegen sie hier an vorderster Front steht. Es gibt eine Auseinandersetzung um das Thema, wo die Gesamtschule Pansdorf hin soll. Da ist natürlich auch Timmendorf im Gespräch. Die Real- und Hauptschule dort leidet an einem Schülerschwund. Das hängt auch mit Gemeindegrenzen zusammen, die Sie beschrieben haben, aber es hängt auch mit vielen anderen Dingen zusammen. Es hängt unter anderem auch mit der Neugründung einer Gesamtschule Pansdorf zusammen. Diese Fragestellung muss gelöst werden, nicht mit Überlegungen über zu starre Schulbezirke, sondern sie muss gelöst werden, indem man schaut, wie viele Kinder in der Region sind und was es für Aussagen zum Elternwahlverhalten für die weiterführen

(Angelika Birk)

den Schulen gibt. Vor dem Hintergrund muss es eine sinnvolle Lösung geben. Ich glaube nicht, dass sich die Realschule Timmendorf allein „rettet“ indem sie sagt, wir dürfen ein paar Kinder mehr aus der Nachbargemeinde aufnehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie kann sich nur retten, wenn sie ein überzeugendes Schulprofil hat. Dazu muss sie natürlich auch die Möglichkeit haben, das unter Beweis zu stellen. Wir können in dünn besiedelten Regionen oder auch dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge zurückgehen, nicht so argumentieren: Jede Schule muss erhalten bleiben, komme, was wolle. Das ist klar. Wenn wir Schulprofile haben, wenn wir die Schulbezirke auflösen, dann wird der Eltern- und Jugendlichenwille entscheiden, welche Schule besteht.

Wollen wir diese Freiheit, ja oder nein? Das ist die Grundfrage, die wir entscheiden müssen. Wenn wir uns entschieden haben, kommen wir zu pragmatischen Lösungsschritten, die wir kurzfristig und mittelfristig umsetzen. Wir werden nicht - wie die CDU - mit dem Argument der Mittelfristigkeit unsere eigenen pragmatischen Grundsätze über den Haufen werfen. Es war sehr verdächtig, wie Sie argumentiert haben, Herr de Jager.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut! - Bei- fall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Sprecherin, Frau Abgeordneter Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick sieht der FDP-Gesetzentwurf verlockend aus. In Zukunft sollen sich die Eltern und Schüler in ihrer Region freier zwischen den einzelnen Schulen der jeweiligen Schulart entscheiden können. Wir haben es schon gehört. Das ist die Zielsetzung der vorgeschlagenen Änderung des Schulgesetzes. Die Eltern und Schüler sollen sich also aus den regional vorhandenen Schulen künftig jene Schule aussuchen, deren Schulprofil oder Schulprogramm sie am meisten überzeugt.

Die FDP will durch die Abschaffung der starren Schuleinzugsbereiche also mehr Wettbewerb zwischen den Schulen und Schularten schaffen, frei nach dem liberalen marktwirtschaftlichen Prinzip, dass ein freierer Wettbewerb in diesem Bereich die Qualität

des Produkts, hier also die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, verbessert. So weit die liberale Theorie.

Leider gibt es - wie immer im Leben - einen großen Unterschied zwischen theoretischen Überlegungen und real existierender Praxis.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Natürlich weiß das der Kollege Klug auch. Deswegen hat er in seinen Gesetzentwurf vorsorglich zwei Bestimmungen eingebaut, die seine liberalen Träume etwas abschwächen. Da wird nämlich festgelegt, dass die Aufnahmemöglichkeit der Schulen auch in Zukunft von ihren räumlichen Voraussetzungen und durch die vorhandene Unterrichtskapazität begrenzt wird.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist eine fakti- sche Feststellung!)

Dazu schlägt die FDP vor, dass Anmeldungen von Kindern und Jugendlichen, deren Wohnung in der Nähe der jeweiligen Schule liegt, bei der Aufnahme vorrangig berücksichtigt werden sollen. - Das ist eine Feststellung, richtig. Mit dieser Abschwächung ihrer eigenen Intention gibt die FDP aber auch zu, dass ihr Vorschlag mit großen Problemen beladen ist.

(Beifall beim SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sind die Kriterien der Auswahl!)

Trotz dieser Einschränkungen bleibt der Gesetzentwurf, wie er vorliegt, für den SSW ungenießbar. Wir befürchten, dass die FDP-Vorschläge letztlich zu einem verschärften Wettbewerb zum Nachteil der schwächeren Schulen führen wird. Mit schwächeren Schulen meine ich genau die Schulen, die zum Beispiel der Kollege Höppner in seinem Redebeitrag ansprach. Dass es so kommen würde, liegt allemal auf der Hand.

Wir sehen auch die Probleme für viele Kommunen, die oft die Träger der verschiedenen Schulen sind. Wenn die Schulwahl an den öffentlichen Schulen für die Eltern und Schüler völlig frei wird, verlieren die Schulträger ihre Planungssicherheit. In letzter Konsequenz können die Kommunen mit hohen Fixkosten bei leeren Schulen zurückbleiben. Das kann keiner wollen.

Dazu laufen wir auch Gefahr, dass sich die Schülerbeförderungskosten, die insbesondere in den ländlichen Kommunen einen großen Posten ausmachen, erheblich erhöhen können.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Ich habe in mei- ne Rede auch darauf hingewiesen, dass das kein Problem ist!)

(Anke Spoorendonk)

Das kann nicht in allgemeinem Interesse sein. Mag sein, dass man da eine andere Regelung finden muss. So, wie der Gesetzentwurf vorliegt, ist das nicht hinnehmbar.