Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie ganz herzlich.
Folgende Abgeordnete sind erkrankt: von der CDU-Fraktion Frau Abgeordnete Ostmeier und Herr Abgeordneter Jensen, von der FDP-Fraktion Herr Abgeordneter Kumbartzky und von der Fraktion der PIRATEN Frau Abgeordnete Beer. - Wir wünschen allen Abgeordneten von dieser Stelle aus gute Besserung!
Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel. Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Dann haben wir wieder etwas ganz Besonderes. Der Herr Abgeordnete Flemming Meyer hat heute Geburtstag. - Herzlichen Glückwunsch!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor drei Tagen ist die Europäische Union in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs der EU waren bei der Feier anwesend. Für die „hohe Politik“ war dies ein Tag großer Freude. Doch die Reaktion vieler Menschen und insbesondere der Jüngeren in Europa zeigen eine andere Sicht. Die Verleihung ist längst nicht unumstritten, und die Menschen bekommen keine glänzenden Augen mehr, wenn von Europa als Friedensprojekt gesprochen wird. Dafür gibt es viele und auch berechtigte Gründe, und darüber müssen wir reden, auch hier im Landtag.
Europa geht uns alle an, es darf uns nicht gleichgültig sein. Wir müssen Europa und die innere Haltung vieler Bürgerinnen und Bürger dazu wieder auf die richtige Kompasspeilung bringen.
Für mich ist diese Regierungserklärung daher eine Herzensangelegenheit. Für jüngere Abgeordnete im Landtag mag dies vielleicht irritierend klingen, ein wenig kitschig. Aber ich bin noch in zwei Welten aufgewachsen. Ich kenne Europa noch aus einer Zeit, in der man nicht eben schnell bei Kruså oder anderswo die Grenze nach Dänemark passieren konnte. Das war in einer Zeit, in der Deutsche und Dänen getrennt voneinander, bestenfalls nebeneinander, aber nie miteinander lebten. Das galt nicht nur für Menschen beiderseits der Grenze, sondern das galt auch für die Minderheiten im jeweils anderen Land. Glauben Sie mir, ich weiß, worüber ich rede.
Die Europäische Union ist sicherlich nicht perfekt. Vielleicht wird sie es auch nie sein können. Aber, meine Damen und Herren, ich sage: Europa ist ein ungeheurer Mehrwert für Schleswig-Holstein. Darum muss Europa uns Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern auch mehr wert sein.
Machen wir uns nichts vor. Die Europäische Union, mehr noch die europäische Idee, befinden sich in einer gefühlten Dauerkrise, in der fast alles auf die Bewältigung der Wirtschafts-, der Banken- und der Finanzkrise reduziert wird. Ich halte es für äußerst problematisch, dass bei aller Konzentration auf die Krisenbewältigung der Blick für zentrale Fragen verloren geht, die jetzt gestellt werden müssen: Welches Europa wollen wir nach der Krise?
Überlebt der Konsens, dass wir nur gemeinsam in der globalen Welt bestehen können? Oder kurz: Erkennen wir, dass Europa mehr bedeutet als Bankenaufsicht und Finanzmarktkontrolle?
In den letzten Wochen und Monaten wurden viele Vorschläge auf den Markt geworfen. Sie reichen vom Erarbeiten einer neuen Verfassung, dem Fokussieren auf die wirtschaftliche Koordinierung oder dem Senken von Staatsausgaben bis hin zur Schaffung eines Kerneuropas.
All diesen Ansätzen ist eines gemeinsam: Eine Gemeinschaft, bei der zwar die Institutionen in Nachtsitzungen immer irgendwie einen Kompromiss finden, zerfällt gleichwohl irgendwann, wenn sie nicht auf das Vertrauen der Menschen bauen kann.
Lösungen, bei denen die Prognosen immer freundlicher aussehen als die dann eintretende Realität, sind für alle nur schwer erträglich. Sie zerstören die Akzeptanz. Europa wird letztlich am sichtbaren Erfolg gemessen, nicht am formalen Kompromiss, der allen wieder erklärt werden muss. Der Mehrwert Europas für alle muss erkennbar sein, damit allen das Eintreten für Europa auch mehr wert ist.
Das wird nach meiner Überzeugung einer der größten Kraftakte in der Geschichte Europas sein. Wie Sie wissen, hat der Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 keine Entscheidung getroffen. Es ist nicht das erste Mal, dass es mehrere Treffen braucht. Doch diesmal ist es etwas anders. Durch den zeitlichen Ablauf wird Einigungsdruck aufgebaut, insbesondere dem Europäischen Parlament gegenüber. Zugleich wird aber versucht, den übergeordneten Ansatz einer verstärkten Kontrolle durchzusetzen. Hierbei ist - lassen Sie es mich vorsichtig ausdrücken - die von der Bundesregierung verfolgte Strategie hinsichtlich der Berücksichtigung der Anliegen der Länder eher suboptimal.
Wir werden das, wenn die Verhandlungen insgesamt erst Mitte des nächsten Jahres zum Abschluss kommen sollten, an geringeren Mitteln für Schleswig-Holstein zu spüren bekommen.
Währungsunion beschließen soll, tagt gerade. Auch hier deutet sich an, dass unterschiedliche Interessen aufeinanderstoßen.
Die EU kann und darf sich aber nicht in inneren Auseinandersetzungen verlieren und damit ihre globale Rolle und ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung aufs Spiel setzen. Die simple Weisheit, die über Jahre hin den Erfolg der EU ausgemacht hat, gilt auch heute: Nur gemeinsam sind wir stark. Das Markenzeichen, für das die EU zu Recht den Friedensnobelpreis erhalten hat, muss als oberste Maxime auch in turbulenten Zeiten gelten: gemeinsamer Fortschritt durch friedlichen Interessenausgleich.
Meine Damen und Herren, was bedeutet das nun konkret für unser Land? Schleswig-Holstein gehört historisch, ökonomisch, geografisch und politisch zum europäischen Zentrum. Wir gehören dank der EU zum wohlhabenden Teil Europas. Wir profitieren massiv vom europäischen Binnenmarkt, von europäischen Verkehrsströmen, von gemeinsamen Regeln und Vorschriften und natürlich auch von einem funktionierenden Wettbewerb. Wir profitieren genauso von guter Nachbarschaft, von gemeinsamen grenzüberschreitenden Projekten, vom Schüleraustausch, von wissenschaftlicher Zusammenarbeit und von vielem mehr. Die neuen Schwerpunkte der Landesregierung, die Ministerpräsident Torsten Albig in der Regierungserklärung vom 13. Juni 2012 formuliert hat, werden auch Leitfaden der Europapolitik Schleswig-Holsteins sein: Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wirtschaft und Arbeit sowie Klimaschutz und Energiewende werden in weiten Bereichen von den durch Europa vorgegebenen rechtlichen, politischen und finanziellen Rahmenbedingungen geprägt. Diese Politikbereiche haben daher auch immer eine europäische Perspektive, die wir nutzen, die wir aber auch beeinflussen wollen.
Damit bin ich bei der Frage, wie wir als Land und als Landesregierung unsere Rolle im europäischen Meinungsbildungsprozess begreifen. Natürlich ist es notwendig, eine realistische Selbsteinschätzung zu haben, also wie stark wir wirklich sind, und zwar im europäischen Maßstab. Das ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken und Europa nur staunend aus der Ferne zu betrachten. Hier haben wir in der Vergangenheit doch etwas zu viel Zurückhaltung an den Tag gelegt.
Die Leitplanken der Europapolitik dieser Landesregierung heißen: Kreativität, Kompetenz und Kooperation.
Kreativität heißt, wir müssen einfallsreich sein, wie wir mit unseren begrenzten Ressourcen den bestmöglichen Erfolg zeitigen. Schon aufgrund der schieren Komplexität der europäischen Entscheidungsprozesse und der Größe der Europäischen Union droht ein einzelnes Bundesland mit seinen Vorstellungen leicht unterzugehen. Wir müssen aber nach Einflussmöglichkeiten jenseits der formellen Verfahren suchen und kreative Lösungen entwickeln. Es gilt, das Land top zu vernetzen. Wir müssen beste Plätze an den europäischen Informationsströmen besetzen, und wir brauchen den unmittelbaren Zugang zu den maßgeblichen europäischen Entscheidungsträgern und den Vorbereitern von Entscheidungen. Oft, meine Damen und Herren, ist ein einziges Gespräch mit der richtigen Person zur richtigen Zeit effektiver als Hunderte von Seiten Papier mit Voten und Stellungnahmen, die zwischen den Mühlen der Entscheidungsprozesse untergehen.
Hier sehe ich großes Potenzial für unsere Europapolitik. Wir verfügen mit unserer „Botschaft“ in Brüssel, dem Hanse-Office - sie ist klein, aber fein - über eine hervorragende Plattform, die uns solche Politikkanäle öffnet. Ich habe die von dort bereitgehaltenen Kontakte in den vergangenen Monaten schon intensiv genutzt. So müssen wir uns von Fall zu Fall überlegen, welche Wege wir einschlagen, um den schleswig-holsteinischen Interessen auf europäischer Ebene Geltung zu verschaffen. Für mich findet die Europapolitik der Länder jedenfalls nicht nur im Bundesrat statt. Wir brauchen die Kontakte nach Brüssel. Deshalb wird das Kabinett nächstes Jahr eine Sitzung in Brüssel abhalten.
Neben Kreativität ist und bleibt Kompetenz gefragt. Wir müssen unsere Expertise auf allen Ebenen hellwach halten und von ihr ausgehend angrenzende Felder bestellen. In unserer Europaabteilung mitsamt dem Hanse-Office und den in Berlin angesiedelten Mitarbeitern haben wir Experten, die alle Politikfelder im Auge haben und uns hervorragend mit Informationen versorgen.
- Das ist wirklich ein Applaus wert. - Im Übrigen damit bin ich bei der Leistungsfähigkeit der Landesregierung insgesamt - haben wir die Experten in
den Fachministerien, von denen mittlerweile jede und jeder zugleich ein Experte in der zugehörigen Europapolitik ist; denn Europa wirkt in alle Politikbereiche tief hinein. Es gibt kein größeres Fachthema mehr ohne Europabezug. So ergänzen sich das Europaministerium und die Fachministerien, und ihre Zusammenarbeit und Verzahnung sind für den Erfolg essenziell. Wir müssen und wir werden in der Querschnittsmaterie Europa eng, unkompliziert und vertrauensvoll Hand in Hand zusammenarbeiten.