Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Erkrankt sind der Landtagspräsident Klaus Schlie und die Abgeordnete Eka von Kalben. - Wir wünschen gute Besserung!
Die Abgeordneten Knöfler und Dirschauer haben nach § 47 Absatz 2 der Geschäftsordnung mitgeteilt, dass sie an der Teilnahme an der heutigen Sitzung verhindert sind. Die Abgeordneten Fehrs, Professor Dr. Dunckel und Schnurrbusch haben nach § 47 Absatz 2 der Geschäftsordnung mitgeteilt, dass sie an der Teilnahme an der heutigen Nachmittagssitzung verhindert sind.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich dem Abgeordneten Bernd Heinemann herzlich zum Geburtstag. - Ich wünsche Ihnen alles Gute für das kommende Lebensjahr!
Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen - Maßnahmen zur Prävention und Intervention verstärken
Tätigkeitsbericht 2018/2019 der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein als Ombudsperson in der Kinder- und Jugendhilfe Drucksache 19/2574
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Heute würdigen wir die Tätigkeit und die Ergebnisse der Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche. Wir haben drei Anträge zusammengefasst. Das macht das Ganze ein bisschen schwierig, aber wir kriegen das gut hin. Wir beschäftigen uns mit dem Kinderschutz während der medizinischen Behandlung, es geht um die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und darum, dass wir dieser besser vorbeugen wollen.
Zuerst bedanke ich mich aber bei unserer Beauftragten für soziale Angelegenheiten und der Ombudsfrau für Kinder und Jugendliche in Heimen und stationären Einrichtungen. Frau El Samadoni, vielen Dank für Ihren Bericht und vielen Dank auch an Ihr Team.
(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])
Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben, darüber habe ich gestern schon etwas erzählt. Das ist uns wichtig. Die Ereignisse vom Friesenhof können, sollen und dürfen wir nicht vergessen. So etwas darf es nie wieder geben. Dass diese Ombudsstelle notwendig ist, kann man an der Anzahl der Eingaben ganz gut sehen. 2018 waren es 295, 2019 waren es schon 320. Die Anzahl steigt immer mehr, je bekannter diese Beschwerdestelle wird. Sie soll auch bekannt werden.
Neu ist der Onlinezugang dieser Beschwerdestelle. Unter www.beschwerdich.sh können sich Kinder und Jugendliche allgemeine Information einholen. Sie können auch eine Selbsteinschätzung zur eigenen Lage vornehmen. Dabei wird ihnen geholfen. Sie haben auch Zugang zu Beratung durch die Messengerdienste WhatsApp und Threema.
Anhand der im Bericht geschilderten Fallbeispiele können wir uns ein Bild über die Vorgehensweise dieser Stelle machen und darüber, wie es in der Praxis aussieht. Zum Einsatz kam die Beschwerdestel
le bei einem Fall, bei dem sich eine junge Mutter mit ihrem drei Monate alten Kind darüber beschwerte, dass sie nicht mit dem Kindsvater zusammenziehen dürfte. Dies würde ihr verwehrt. Im Gesprächsverlauf stellte sich aber heraus, dass der Kindsvater schon seine vorige Freundin bedroht hatte, dass er wegen Körperverletzung und Misshandlung verurteilt war und dass er seine aktuelle Freundin mit dem Baby auch schon verletzt hatte. Diese hatte ihn auch schon angezeigt.
Ein Gespräch mit der Mutter hat dann verdeutlicht, dass das nicht geht und dass das Jugendamt auch einen Schutzauftrag gegenüber dem Kind und der Mutter hat, die minderjährig war. Insofern konnte die Zustimmung gar nicht gegeben werden. Das hat die Mutter auch eingesehen. Sie ist dann mit einer Freundin zusammengezogen. Die Freundin hatte eine zu große Wohnung, und zu zweit ist das alles finanziell zu machen, alles gut. Ich glaube, das zeigt auch, wie wichtig diese Stelle ist und wie wichtig es ist, alle an einen Tisch zu holen.
Das Engagement der Beschwerdestelle war auch im folgenden Fall sehr erfolgreich: Eine 18-Jährige beschwerte sich über erniedrigende und beleidigende Umgangstöne vonseiten ihrer Betreuer. Das Mädchen bat darum, dass sich die Beschwerdestelle erst einmal ohne ihr Zutun darum kümmern sollte. Das erfolgte auch.
Die Heimaufsicht wurde eingeschaltet, und dann hat man festgestellt, dass nicht nur dieses Mädchen Schwierigkeiten mit einer Pädagogin hatte. Die Konsequenz war, dass man sich in der Einrichtung von dieser Kraft getrennt hat. Das wiederum hatte zur Folge, dass sich die Mädchen wieder wohler fühlten und dass sie Vertrauen in die Einrichtung aufbauen konnten.
Das alles zeigt, dass das Hilfesystem gut funktioniert. Das war auch in einem Fall so, als es Hygienemängel gab. Kakerlaken und verdreckte Kühlschränke waren dort ein Problem, es gab aber auch andere hygienische Mängel. Ferner gab es den Vorwurf der sexuellen Belästigung durch Bewohner. Die Heimaufsicht wurde auch hier eingeschaltet. Sie stellte fest, dass es zudem eine widerrechtlich angebrachte Kamera im Wohnzimmer und im Badezimmer - das muss man sich einmal überlegen gab. Das wurde dann verboten, die Kamera musste abgebaut werden. Es wurde auch deutlich, dass der Personalschlüssel nicht eingehalten worden ist.
Darüber hat man sich ausgetauscht, und die Mängel wurden beseitigt. Die Kinder und Jugendlichen wollen trotz der immer noch nicht ganz optimalen
Die Beschwerdestelle wirkt auch deshalb, weil es seit dreieinhalb Jahren die Vertrauenshilfe gibt; sie steht unter der Leitung des Kinderschutzbundes. Die Details habe ich gestern schon lang und breit erklärt; daher brauche ich heute dazu nicht mehr so viel zu sagen. Es ist wirklich hervorragend, dass wir dort zweigleisig fahren können. Die wichtige Arbeit direkt am Kind muss auch nach dem Auslaufen der Förderung durch die „Aktion Mensch“ fortgesetzt werden. Dafür sind 60.000 € gut angelegtes Geld.
Kinderschutz auch in den Schulen zu fördern ist ebenfalls unsere Absicht. Bereits Ende September letzten Jahres haben wir im Landtag beschlossen, das IQSH zu beauftragten, ein Schutzkonzept zur Erstellung eines Leitfadens gegen Gewalt, insbesondere sexuelle Gewalt, an Schulen zu erstellen.
Konsequenter Kinderschutz ist unser Ziel. Das bedeutet auch, dass sich dieser Leitgedanke im Bereich der medizinischen Versorgung von Kindern fortsetzt. Wir bitten die Landesregierung, sich auf Bundesebene für eine gesetzliche Anpassung - auch des SGB V - einzusetzen, um den besonderen Schutz von Kindern und Jugendlichen in medizinischer Behandlung zu gewährleisten. Entsprechende Schutzkonzepte sind festzuschreiben. Verbindliche Konzepte erhöhen die Sicherheit. Je früher Auffälligkeiten festgestellt werden, desto schneller kann geholfen und Leiden vermindert werden.
Daher bitten wir um Zustimmung zu unseren Anträgen. Die Anträge der SPD müssen wir ablehnen. Herzlichen Dank.
(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Müssen muss man nur sterben! Ihr wollt es einfach nicht!)
Meine Damen und Herren, bevor wir zu der nächsten Rednerin kommen, begrüßen Sie bitte mit mir sehr herzlich auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes SchleswigHolstein, heute hier in ihrer Funktion als Ombudsperson in der Kinder- und Jugendpflege, Samiah El Samadoni, und weitere Gäste. - Herzlich willkommen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz von Kindern und Jugendlichen muss höchste Priorität in unserer Gesellschaft haben. Unsere Aufgabe ist es, insbesondere im politischen Handeln dieser hohen Priorität tatsächlich Ausdruck zu geben, und zwar in allen Lebenslagen.
Leider müssen wir feststellen, dass trotz all unserer Bemühungen, Schutzkonzepte und -maßnahmen Kinder und Jugendliche Gewalt, auch sexualisierter Gewalt, ausgesetzt sind. Dieses Leiden müssen wir beenden.
Daher fordern wir ein Landespräventionsprogramm, das die Kinder in allen Lebensbereichen umfassend schützt: im Sport, in den Jugendeinrichtungen, in der Kita, in der Schule. - Hier brauchen wir besondere Schutzkonzepte.
Besonders betroffen - das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen - sind Kinder mit Behinderung. Laut BKA-Chef Münch unterliegen Kinder mit Behinderung einer deutlich höheren Gefahr, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden, als andere Kinder. Auch wenn die Zahlen in der Pandemie nicht signifikant gestiegen sind, warnt der BKA-Chef, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt. Wir müssen auf dieses Problem jedenfalls besonderes Augenmerk legen.
Vor allem durch Corona hat sich die Situation noch einmal verschärft. Der Kontakt in den Institutionen - Kita, Schule, Sportverein, Jugendtreff - und damit auch zu Vertrauenspersonen fehlt. Viele Jugendämter sagen uns: Wir haben die Kinder nicht mehr im Blick. Wir sehen sie nicht mehr. Wir erkennen Gewalt nicht mehr so schnell, wie es früher der Fall war.
Auch in der Expertenanhörung, die in der vergangenen Woche stattfand, ist deutlich geworden, dass die Kinder und Jugendlichen für ihre Anliegen viel zu wenig Gehör finden.
Wir müssen feststellen - das ist eine bittere Erkenntnis, zumal wir immer dachten, wir seien hier sehr gut aufgestellt -, dass unsere bisherigen Beteiligungskonzepte für Kinder und Jugendliche in der Krise nicht funktionieren. Das müssen wir verändern, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Daher ist es wichtig, neue Formen der Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen. Vor allem sind die Konzepte entsprechend zu erweitern.