Protocol of the Session on August 27, 2021

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Ich eröffne die Sitzung. Nach Mitteilungen von Fraktionen und Regierung sind die Abgeordneten Klaus Schlie, Wolfgang Baasch, Jette WaldingerThiering und Jörg Nobis sowie Minister Claussen erkrankt. Wir wünschen gute Besserung.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Elektrifizierung der Marschbahn zügig realisieren

Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/3212

Elektrifizierungsoffensive im SPNV

Alternativantrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/3240

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Dr. Andreas Tietze.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen!

(Zurufe: Morgen! Moin! Mahlzeit! - Weitere Zurufe)

Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Die letzte Oberleitung im Bahnverkehr kam 1994 nach dem Mauerfall. 29 % der Strecken bei uns in Schleswig-Holstein sind elektrifiziert. Das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen: 27 Jahre später hat das Land der Energiewende die rote Laterne bei der Elektrifizierung der Bahn in Deutschland, Platz eins aller Bundesländer bei den Erneuerbaren und den letzten Platz bei der Bahnelektrifizierung - ich finde das schon krass.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Kay Richert [FDP])

Der Bund will heute von 60 % auf 70 % Elektrifizierung bis 2025 kommen - aber kein einziger Vorschlag für Strecken in Schleswig-Holstein.

Meine Damen und Herren, 90 % Förderung ist angedeutet. Das GVFG ist geändert worden. Wir kön

nen für einen investierten Landeseuro 9 € Bundesgeld für Bahnelektrifizierung nach Schleswig-Holstein holen.

(Zuruf CDU: Machen wir auch!)

Das Geld sollten wir nicht liegenlassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Auch all denjenigen, die sagen, wir könnten doch mit Wasserstoff oder mit Akku fahren, entgegne ich: Das alles sind sicherlich interessante Technologien, jedoch sind sie für die Marschbahn völlig ungeeignet. 600 m lange schwere Autozüge, IC-Züge - ich träume wirklich davon, dass ich einmal mit dem ICE von Hamburg nach Westerland fahren kann, und zwar in unter zwei Stunden. Das wäre etwas. Das wäre etwas fürs Klima. Das wäre etwas für den Tourismus. Und die Leute fänden das auch nicht so schlecht.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Oberleitungen haben Vorteile; sie liegen auf der Hand: Wir sind schneller. Wir sind pünktlicher - übrigens auch bei Gegenwind. Wir sind leiser. Wir sind klimaschonend. Wir sind billiger, was den Einkauf von Wartungsleistungen angeht.

Uns wurde im OdeS-Gutachten vorgerechnet, dass wir pro Jahr 8,3 Millionen € fürs Klima sparen nicht nur irgendwie und irgendetwas, sondern wir kaufen dann keinen Diesel mehr. Wir kaufen stattdessen den erneuerbaren Strom, der neben der Bahnstrecke durch Windkraft oder Fotovoltaik hergestellt worden ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP - Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hervorragend!)

Deshalb ist das nicht nur eine verkehrspolitische Sache. Na klar, die Reisenden auf der Marschbahn sind seit vielen Jahren wirklich in einer schwierigen Situation. Quasi nichts funktioniert. Deswegen sagen wir: Wenn wir das energiepolitisch und verkehrspolitisch zusammenbringen können, wenn wir mit Strom vom Deich statt mit Öl vom Scheich fahren,

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dann ist das ein Win-win-Thema für SchleswigHolstein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Die Deutsche Bahn hat insgesamt 8.000 km im deutschen Netz und damit ein eigenes Stromnetz. Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 833 MW befinden sich noch in diesem Netz, genauso wie 140 MW Atomstrom.

Meine Damen und Herren, stellen Sie sich Folgendes einmal vor - wir alle haben das kritisiert -: Unser schöner grüner Strom wird abgeschaltet und wird nicht nach Süddeutschland geliefert, weil dort einige Ministerpräsidenten nicht ganz so überzeugt und schnell den Leitungsbau im Süden vorantreiben. Aber schauen Sie sich einmal die Bahnleitung an, die dann von der dänischen Grenze bis Berchtesgaden reicht. Wir können unseren grünen Strom einspeisen, und zwar schnell. Das ist richtig und wichtig fürs Klima. Denn das IPCC sagt: Wir haben nicht mehr die Zeit. Wir müssen schnell handeln. Das Klima duldet keinen Aufschub. Die Elektrifizierung muss schnell kommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Wir haben in dieser Koalition fleißig zugearbeitet, lieber Herr Minister. Wir haben tatsächlich kein Erkenntnisdefizit mehr. Wir wissen, was wir tun müssen. Wir haben einen Plan A, sogar einen Plan B und meinetwegen auch noch einen Plan C. Deshalb, meine Damen und Herren, ist das so wichtig, dass wir jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, dass das gelingt.

Ich darf an einer Stelle - ich bin schon etwas länger in diesem Hause - sagen: Wenn sich dieses Haus in Sachen Infrastruktur einig war - ich erinnere an die leidenschaftlichen Debatten in diesem Haus über die Rader Hochbrücke - und wir alle an einem Strang gezogen haben, konnten wir auch etwas in Berlin erreichen.

Wenn mir die Experten heute sagen, dass es zehn Jahre dauert, bis wir fertig sind, sage ich: Das ist inakzeptabel; das ist absolut inakzeptabel. Meine Damen und Herren, wir bohren ein Loch. Wir stecken einen Stahlmast hinein. Wir hängen eine Strippe dran. - Das ist jetzt nicht Stuttgart 21. Ich kann für meine Partei sagen: Wir haben zumindest in Schleswig-Holstein gezeigt, dass man Stromleitungen schnell bauen kann und dass man sie gut bauen kann.

Deshalb sage ich: Sowohl wir Grünen als auch ein engagierter Verkehrsminister müssen jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, damit diese Marschbahn elektrifiziert wird. Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen jetzt handeln. Anpacken statt rumschnacken. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Kai Vogel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Lieber Andreas Tietze, die Menschen, die aktuell in Niebüll am Bahnhof stehen, weil die Bahn heute mal wieder wegen einer Störung nicht fährt, werden sich ihre Gedanken machen, was sie von den grünen Freunden halten, wenn ein Grüner davon träumt, demnächst mit dem ICE nach Westerland zu fahren, während die Bahn im Augenblick überhaupt nicht fährt.

(Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss ein bisschen auf dem Boden der Tatsachen bleiben.

Die Elektrifizierungsquote von 30 % im SPNV ist wirklich ein Armutszeugnis. Damit sind wir absolutes Schlusslicht in Deutschland. Die letzten Elektrifizierungen auf der Schiene wurden in SchleswigHolstein mit Wirtschaftsminister Peer Steinbrück am Streckenabschnitt Flensburg-Neumünster sowie Itzehoe-Elmshorn 2008 - da habe ich andere Erkenntnisse als Andreas Tietze - von Wirtschaftsminister Austermann mit dem Abschnitt Hamburg nach Lübeck und weiter bis Travemünde auf den Weg gebracht. Da bis zum Ende der Legislaturperiode kein einziger Meter Fahrdraht hinzukommt, bleibt für diese Legislaturperiode und den Wirtschaftsminister weiterhin nur die reine Ankündigung.

Uns alle eint aber, dass wir deutlich mehr Elektrifizierungen wünschen, weil durch elektrisch betriebene Züge die Emissionen und die Kosten sinken, die Züge aber gleichzeitig auch deutlich schneller unterwegs sein werden. Das ehrgeizige Programm der Bundesregierung, mit dem Elektrifizierung deutlich anziehen sollte, hat aber in der auslaufenden Legislaturperiode fast nur im Süden Deutschlands Früchte getragen. Damit sollte unser gemeinsames Ziel sein, dass der kommende Bundesverkehrsminister oder die kommende Bundesverkehrsministerin bitte aus Norddeutschland kommt!

(Beifall SPD, vereinzelt FDP und SSW - Zu- ruf Hans-Jörn Arp [CDU])

- Lieber Kollege Arp, ich hätte gedacht, dass zumindest unterstützt wird, dass nicht wieder ein Bay

(Dr. Andreas Tietze)

er Bundesverkehrsminister wird, sondern einer von uns. Aber sei es drum.

(Heiterkeit FDP)

Die Menschen, die die Marschbahn täglich nutzen, haben unser absolutes Verständnis für ihren Unmut. Wie ich bereits ausführte, standen bis eben auch die Züge zwischen Niebüll und Westerland noch still. Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit und kein angemessenes Tempo auf der langen Strecke von Hamburg bis Westerland verlangen wirklich Nerven und Geduld. Hinzu kommen zuletzt noch die Streiks. Der Gedanke, dass diese Strecke so schnell wie möglich elektrifiziert wird, ist sinnvoll und erscheint mir hier im Haus auch unstrittig. Die Aufstockung der Planungskapazitäten und der Appell an die jetzige und zukünftige Bundesregierung sind ebenfalls sinnvoll. Ob Ihr Antrag nun Schwung in das Verfahren bringt, darüber bin ich mir nicht so richtig sicher. Aber sich mal wieder einig zu sein, kann sicherlich nicht schaden.

Die Bereitschaft des Bundesverkehrsministeriums, die Strecke zwischen Wilster und Brunsbüttel über den vordringlichen Bedarf zu elektrifizieren, ist gut, denn unser einziges großes Industriegebiet muss besser angebunden sein und Arbeitsplätze müssen langfristig gesichert werden.

(Beifall SPD)

Vermutlich ist bei der Aufnahme des Streckenabschnittes Wilster-Brunsbüttel im Bundesverkehrsministerium gar nicht in Erwägung gezogen worden, dass die Strecke Wilster nach Itzehoe - das ist nur ein kleiner Streckenabschnitt - selbstverständlich ebenfalls einen Fahrdraht bräuchte, damit eine Durchbindung gen Hamburg möglich ist. Ich ahne, dass in Berlin die Vorstellung fehlte, dass dieses Teilstück noch ohne Fahrdraht sein könnte, denn zentrale Nord-Süd-Verbindungen sind im ganzen Bundesgebiet elektrifiziert - nur leider nicht bei uns.